Hi Alex!

Ja, Methos ist auch mein persönlicher Liebling, und es ist nicht sein einziger Auftritt und was mit Engin läuft... bitteschön, lies weiter -)


Mikes Alleingang

Zwei Wochen später hatte Chris den Eindruck, dass sein Leben wieder in gewohnten Bahnen lief.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatte Chris befürchtet, Bechthold könnte ihn aufspüren und zum Kampf fordern. Doch dieser hatte keinen Versuch unternommen. Weder die Telefonmitschnitte, noch die Observation ließen darauf schließen, ob Bechthold sich überhaupt dafür interessiert hatte, ihn – Chris – zu finden.

Selbst Bernhard hatte seine Ruhe und die Unterstützung vom Sozialamt.

Es war Montagabend und er hatte mal wieder ein Trainingswochenende mit Adam überlebt. Allerdings nur, weil er unsterblich war und sein Körper sich regenerieren konnte. Inzwischen benötigte er für seine Auferstehung keine drei Stunden mehr, wenn er einfach nur erschossen worden war. Auch wenn er es sich noch so oft einredete: Zu sterben und anschließend wieder von den Toten auferstehen würde niemals Routine werden.

Doch er saß nicht alleine im Büro, weil er darüber nachgrübeln wollte, sondern weil Mike ihn Freitag gefragt hatte, ob es eine Möglichkeit gab, einmal miteinander in Ruhe und ohne Termindruck zu sprechen. Er hatte dabei ziemlich rumgedruckst und Chris hatte den Eindruck, dass dieses Gespräch ohne Carola und ohne Engin stattfinden sollte. Und da Engin inzwischen immer montags schwimmen ging, hatte Chris diesen Abend vorgeschlagen.

Und jetzt wartete Chris, dass Mike nach seinem Schichtende bei ihm auftauchte.

Um nicht weiter irgendwelchen trüben Gedanken nachzuhängen, nahm er sich den neuesten Bericht aus Hamburg vor. Doch leider hatten Bronski und Bernstein auch nichts Entscheidendes herausgefunden.

Es war schon seltsam. Er arbeitete mit der Kripo in Hamburg zusammen, die den Verdacht hatten, dass einige Zollbeamte im Harburger Amt bestechlich waren. Aber wirkliche Beweise gab es keine. Selbst die Kontenabfrage der Verdächtigen brachte sie nicht weiter.

Und dann war noch die Frist, die ihm der Staatsanwalt gestellt hatte. Wie hatte er das bei der letzten Besprechung formuliert? "Herr Schwenk. Wir werden Ende Januar zugreifen. Egal wie weit Sie dann sind. Sie wissen, wie kostenintensiv Ihre Recherchen sind. Und in den letzten Wochen haben Sie fast gar keine Fortschritte gemacht. Wir haben genügend Beweise vorliegen, um den Großteil der Verdächtigen in U-Haft zu nehmen. Wenn dann auch noch die Ergebnisse der Hausdurchsuchungen kommen, werden Sie sehen, dass Sie hervorragende Arbeit geleistet haben und alle langjährige Haftstrafen bekommen werden. Machen Sie sich keine Sorgen, das wird klappen."

Und doch konnte er die Sorgen nicht verdrängen. Er traute der Ruhe nicht. Bechthold plante etwas. Aber was?

Chris legte Bronskis Bericht zur Seite und nahm sich noch einmal die Dokumentation von Bechtholds Telefonaten, aber bevor er sich einlesen konnte, klopfte es an der Tür.

"Komm rein!"

Wie erwartet war es Mike. Nach kurzem Zögern setzte er sich auf Engins Platz.

"Willst du einen Kaffee?"

"Um die Uhrzeit? Nein, danke. Ich schlaf' zur Zeit eh schon schlecht genug."

"Ist Klaus immer noch auf der Fortbildung? Wie lange geht das denn noch?"

"Du kennst mich einfach zu gut. Diese Woche noch und dann ist er wieder zu Hause. Deswegen habe ich auch ein Attentat auf dich vor."

"Stop! Bevor du weitererzählst, hole ich mir einen Kaffee, denn sonst bin ich unerträglich."

"Ach, macht der Kaffee einen Unterschied? Das muss ich mir merken."

Der Blick von Mike war eher erstaunt als neugierig und dann grinste er, als er sich erinnerte: Als sie damals noch Partner gewesen waren, hatte Mike ihm einmal Baldriantropfen in den Kaffee getan, um ihn zu beruhigen. Nicht dass es gewirkt hätte, aber eine Zeit lang war der Spruch, dass Kaffee seine Stimmung dämpfen würde, ein Running Gag zwischen ihnen gewesen.

"Nicht wirklich, aber ich habe etwas zum Festhalten."

Währenddessen stand Chris auf und holte sich seinen Kaffee. Statt sich wieder hinzusetzen, lehnte er sich an Engins Schreibtisch. Dabei schaute er auf Mike hinab. Sie kannten sich lange genug, als dass sich Mike deswegen unbehaglich fühlen würde.

"Okay, jetzt kannst du losschießen."

"Iris hat mich Donnerstag angerufen. Sie hat Carola, den Lütten, Klaus und mich über Weihnachten nach Norwegen eingeladen. Du wirst es nicht glauben, sie hat tatsächlich ihr Ferienhaus gekauft und will die Feiertage nicht alleine dort verbringen. Aber Carola und ich haben dann Dienst."

"Und jetzt willst du wissen, ob ich da was für euch drehen kann?"

Jetzt, wo Mike sein Anliegen geäußert hatte, wirkte er wesentlich entspannter.

"Bevor ich mit Carola und Klaus über die Einladung rede, will ich wissen, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, Urlaub zu bekommen."

"Kann ich verstehen. Acht von unseren zwölf Teams im Außendienst haben schon vor Monaten für die Feiertage Urlaub beantragt.

Acht Leute brauche ich über Weihnachten, um wenigstens Bechthold rund um die Uhr zu überwachen. Was meinst du, was mir Deichsel und Kallenbach erzählen, wenn ich denen den Urlaub streiche? Das gilt auch für den Rest."

Mike sah so aus, als ob er es nicht anders erwartet hatte.

"Ich hab's mir gedacht. Aber du kennst ja Iris. Ein Versuch war's wert."

"Ich könnte dir eine Lösung anbieten, aber ich muss vorher mit Engin drüber reden."

"Und die wäre?"

"Dass wir euren Feiertagsdienst übernehmen. Wenn Engin einverstanden ist, dann kannst du vom dreiundzwanzigsten bis zum achtundzwanzigsten weg."

"Ich dachte, dass du und deine Freundin die Feiertage in Paris-"

"Vergiss es. Ich habe ihre Familie einmal getroffen und das reicht mir. Nicht nur, dass sie die ganze Zeit französisch sprechen und ich kein Wort verstehe. Ihre Mutter hat eine Stimme, dass mir die Ohren klingeln, wenn ich nur dran denke. Und nerven tut die... Nee..."

Chris schüttelte den Kopf.

"... da such ich mir doch besser eine gute Ausrede, plane mir einen schönen Dienst ein und bleibe hier."

"Du hast aber auch ein Glück mit deinen Schwiegermüttern. Weißt du noch, als Gabis Mutter versucht hat, dich zu verführen..."

Alleine der Gedanke an diese Frau verursachte bei Chris Bauchschmerzen.

"Erinnere mich bloß nicht daran. Gabi belagerte ja schon jeden Morgen mindestens zwei Stunden das Bad, um ihre Kriegsbemalung aufzulegen. Und im Vergleich zu ihrer Mutter war sie noch dezent geschminkt. Und dann die Duftwolke, von der die umgeben war... So anstrengend Iris auch ist, sie war mir von allen die Liebste."

Vorsichtig tastete Chris sich vor. Er witterte eine Möglichkeit, wieder etwas über Eddie zu erfahren. Mike kämpfte dagegen mit einem Lachanfall.

"Iris hat mir aber erzählt, dass sie es auch mal versucht hat."

"Versucht? Wenn sie damit die Sache beim Italiener meinte: Das war ein Frontalangriff erster Klasse. Damals wusste sie aber nicht, dass sich da was zwischen mir und Eddie anbahnte. Und sie hat den Korb mit Humor genommen."

"Ja, so ist sie. Es hat lange gedauert, bis sie nicht mehr versucht hat, Eddie und mich wieder zu verkuppeln, aber seitdem ist sie die beste Freundin, die ich mir vorstellen kann. Damals, nach diesem verdammten Autounfall, hat sie mir einige fantastische Ärzte empfohlen. Ohne diesen Tipp hätte es noch Monate gedauert, bis ich wieder fit gewesen wäre. Ich verdanke ihr sehr viel."

Auch Chris erinnerte sich an diese Zeit. Damals, als er merkte, dass Eddie der Richtige für ihn war und er bei Eddie einzog. Und Iris, die dem ganzen Chaos die Krone aufsetzte und sie heimsuchte. Aber dann hatte sie ein Einsehen und ließ sie für mehrere Wochen in Ruhe. Stattdessen nahm sie Mike unter ihre Fittiche und organisierte nicht nur bessere Ärzte für ihn, sondern plante auch seine Hochzeit. Eben typisch Iris.

Seit diesen glücklichen Zeiten waren noch nicht einmal zwei Jahre vergangen. Für Chris war es eine Ewigkeit. Und durch seine Unsterblichkeit hatte sich alles geändert.

Aber es brachte nichts, den alten Zeiten hinterher zu trauern, er musste sich mit der Gegenwart abfinden. Und Eddie war ein fester Teil davon. Auch wenn er ihn nur aus der Ferne beobachten konnte.

"Wie bringt sie euch eigentlich in ihrem Ferienhaus unter? Wenn ihr vier dort aufschlagt und Iris und Eddie noch da sind, dann wird es doch sehr eng."

Mike schnaubte nur verächtlich.

"Eddie hat seit einigen Wochen einen neuen Lover. Und Iris hasst diesen Thomas. Keine Ahnung warum. Ich hab ihn bisher einmal gesehen, kann aber nichts über ihn sagen, da er sich zurückgehalten hat. Jedenfalls feiert Eddie Weihnachten in Frankfurt."

So stur konnte auch nur Iris sein. Den Ex ihres Sohnes einladen, weil sie den Neuen nicht ausstehen konnte. Darüber konnte Chris nur den Kopf schütteln.

"Wenn Iris ihn hasst, dann will ich nicht wissen, was er angestellt hat. Marco hatte sie damals auch nicht gemocht. Genauso wenig wie alle anderen, von denen sie denkt, dass sie Eddie auf eine schiefe Bahn bringen könnten."

Dieser Kommentar schien bei Mike einige Überlegungen auszulösen. Er schwieg ein paar Minuten und stimmte Chris dann zu.

"Das könnte es sein. So plötzlich wie der in der Szene aufgetaucht ist. Keiner kennt ihn und keiner weiß was über ihn. Vielleicht sollte ich ihn überprüfen."

"Und wenn Eddie das rausbekommt, dann hast nicht nur du mit ihm Krach, sondern auch Klaus."

"Und wenn Iris das auch noch mitbekommen sollte..."

"... dann solltest du dich Weihnachten warm anziehen. Oder sie knutscht dich vor Dankbarkeit ab und vermittelt."

Beide grinsten bei diesem Gedanken. Bis Mike den Faden wieder aufnahm.

"Stimmt, bei Iris weiß man nie, was sie nun vorhat. Das macht sie ja so interessant."

Und anstrengend.

"Aber wenn wir über die alten Zeiten quatschen wollen, dann sollten wir uns doch besser eine gemütliche Kneipe suchen. Ich persönlich hocke schon lange genug in diesem Büro und will langsam raus."

Doch Mike schüttelte den Kopf.

"Sorry, aber ich habe auch noch was Dienstliches. Aber danach kannst du mich gerne zu einem Bier einladen."

"Wieso sollte ich dich einladen? Dir fällt doch die Decke auf dem Kopf, weil du alleine bist."

"Stimmt, das tut es. Und Carola und Klaus werden garantiert sauer sein, wenn sie herausfinden, was ich in der letzten Zeit gemacht habe."

Das hörte sich nicht gut an.

"Okay, dann beichte mal."

"Zu beichten gibt es nichts. Nur..."

Mike schien nach den passenden Worten zu suchen. Dann überlegte er es sich anders, griff in seine Jacke und zog einen Umschlag raus, den er auf den Schreibtisch warf.

Den fragenden Blick von Chris beantwortete er mit einem Achselzucken. So blieb Chris nichts anderes übrig, als seine Kaffeetasse abzustellen, den Umschlag zu nehmen und zu öffnen. Er entnahm ihm drei Fotos. Es waren zwei Männer und eine Frau, aber er kannte sie nicht.

"Und wer soll das sein?"

"Das sind Ursula und Peter Meyer. Seit zwei Jahren verheiratet. Der andere Typ ist Andreas Michells, Ursulas Bruder. Laut meiner Recherchen haben sie in Rödelheim eine kleine Buchhandlung, die aber ziemlich gut läuft."

"Und was hat das mit Bechthold zu tun?"

"Tja, das weiß ich auch nicht so genau. Außer, dass sie Bechthold beschatten."

"Bitte?"

Das gibt es doch nicht! Wer ist denn so verrückt?

"Doch, du hast richtig gehört. Sie arbeiten genauso im Schichtdienst wie wir. Sie sind mir vor etwas mehr als einem Monat durch einen Zufall aufgefallen und seitdem habe ich in meiner Freizeit recherchiert."

"Weiß Carola davon?"

Mike schüttelte den Kopf.

"Sie hat doch manchmal schon Probleme, einen Babysitter für Thorsten zu bekommen, wenn wir dienstlich unterwegs sind. Auch wenn wir im letzten Jahr für unsere Verhältnisse sehr vorplanbare Dienste hatten."

"Soll ich das so interpretieren, dass Carola dir die Ohren lang gezogen hätte und ihr jetzt zu zweit vor mir sitzen würdet, wenn du es ihr erzählt hättest?"

"Ja, und Klaus wäre in den letzten Wochen tausend Tode gestorben. Du kennst ihn ja. Deswegen habe ich meine Klappe gehalten und alleine gearbeitet."

"Und was wäre, wenn wirklich was passiert wäre?"

Chris konnte nicht mehr ruhig sein. Er fing an, unruhig im Büro auf und ab zu gehen.

"Okay, ich muss wohl akzeptieren, dass der einsame Wolf mal wieder unterwegs war. Aber da ich im Moment praktisch dein Vorgesetzter bin, kann ich solche Alleingänge einfach nicht gutheißen. Was soll ich jetzt tun?"

Mike hatte sich umgedreht, um Chris' Bewegungen zu folgen.

"Es ignorieren. Die Gefahr war verschwindend gering, da sie immer allein unterwegs waren. Und ich habe aufgepasst, in keine brenzlige Situation zu geraten. Ich bin lang genug dabei, um zu wissen, wie viel ich riskieren kann."

Oh ja, ich werd's auf deinen Grabstein einmeißeln lassen.

Er verkniff sich aber einen weiteren Kommentar. Es war eh zwecklos, wenn Mike dieses ‚Ich muss die Welt retten'-Gesicht machte. Das sparte er sich für einen besseren Moment auf.

"Gut, dann erzähl mal, was du sonst noch weißt."

"Nichts. Außer dass mir Ursula zum ersten Mal vor etwa einem Monat aufgefallen ist, ich kann dir nicht mal sagen, in welchem Zusammenhang es war, keine Ahnung."

Chris stoppte seine Wanderung, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und hörte zu.

"Einige Tage später sah ich sie dann wieder. Es war, als Bechthold einen Banktermin hatte. Sie war wie eine Bankangestellte gekleidet. Wenn ich sie nicht schon mal gesehen hätte, dann hätte ich sie noch nicht mal registriert. Ich weiß nicht wieso, aber bei mir schlug eine Alarmglocke an und da ich nichts in der Hand hatte, fing ich an zu recherchieren. Dabei habe ich festgestellt, dass entweder sie, ihr Mann oder ihr Bruder immer in der Nähe waren, wenn Bechthold unterwegs war. Verdammt, die müssen mehr über ihn wissen, als wir in unseren kühnsten Träumen jemals über ihn herausfinden. Denn sie überwachen ihn nicht jede Nacht. Weißt du, wenn sie Feierabend machen und abziehen, dann läuft wirklich nichts mehr. Und als vorige Woche Deichsel und Kallenbach Bechthold für einige Stunden verloren hatten, da haben sie ihn keinen Moment aus den Augen verloren."

Das war etwas Neues. Chris erinnerte sich genau, wie angesickt die zwei wegen dieses Vorfalls gewesen waren.

"Woher weißt du das?"

"Ich habe Andreas Michells verfolgt. Es war einfach, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, da er sich ganz auf Bechthold konzentriert hat. Verdammt, ich kann unser Dream-Team nicht ausstehen, aber sie sind normalerweise die Besten, was Observation und Verfolgung betrifft."

"Und dann hast du es nicht nötig gehalten, uns darüber zu informieren? Herrgott verdammtnochmal, Bechthold hätte in den Stunden den großen Deal drehen können."

"Da ist nicht viel passiert. Ich kann dir keine Details liefern, weil ich mich halt hinter Michells geklemmt hatte und ihn im Auge behalten hatte, aber wenn etwas Wichtiges passiert wäre, dann hätte ich dich sofort informiert. Und außerdem wollte ich das mit dir alleine besprechen."

Da seine Kaffeetasse auf Engins Tisch stand, nahm Chris einen Bleistift und spielte damit. Er brauchte etwas, um seine Finger zu beschäftigen.

"Hast du ihre Akten überprüft?"

"Die sind sauber. Alle drei haben einen lückenlosen Lebenslauf. Aufgewachsen sind sie in Frankfurt. Das zwischen Ursula und Peter ist wohl eine Art Sandkastenliebe, da ihre Eltern befreundet waren. Sie haben gemeinsam ihre Ausbildung zu Bibliothekaren in Paris gemacht und sind wieder nach Deutschland gekommen, um ihre Buchhandlung aufzumachen. Außer einem Ticket wegen überhöhter Geschwindigkeit findest du nichts. Ich frage mich wirklich, warum die hinter Bechthold her sind."

"Nicht nur du. Warst du schon in der Buchhandlung?"

Doch Mike schüttelte den Kopf.

"Nee, das habe ich gelassen. Ich wollte nicht mehr Risiken eingehen als unbedingt notwendig."

"Gut, dann werden Engin und ich das morgen übernehmen. Vorausgesetzt, du willst es nicht selber machen."

"Danke fürs Angebot. Aber ich möchte nicht, dass Carola von meinem ‚Hobby' der letzten Wochen erfährt."

"Du meinst, sie hält dir sonst 'ne Standpauke?"

"Sie wird mir, wie du es schon gesagt hast, die Ohren lang ziehen."

Chris setzte sich gerade hin, legte den Stift zur Seite und sah Mike an. So lange, bis diesem unbehaglich wurde.

"Tja, und das ist genau der Grund, warum ich es ihr erzählen werde. Denn eins schreib' dir hinter die Ohren. Wenn du noch einmal in irgendeiner Art und Weise meinst, als einsamer Wolf ermitteln zu müssen, dann hast du ein Disziplinarverfahren an der Backe, das es in sich hat."

Eigentlich wollte Chris Mike nur klar machen, dass er Scheiße gebaut hatte. Er stand auf und wanderte wieder unruhig auf und ab.

"Weißt du, dass fast alle Polizisten im Dienst verletzt werden, weil sie die Risiken falsch eingeschätzt haben? Weißt du, dass man bei einem Grossteil der im Dienst gestorbenen Beamten auf den Grabstein meißeln kann, dass sie auch dachten, die Situation im Griff zu haben? Verdammt noch mal! Ich habe keine Lust, noch einmal bei Klaus vor der Tür zu stehen und ihm zu sagen, dass dir was passiert ist. Besonders wenn es deine eigene Dummheit war. Warum vertraust du mir nicht?"

Chris tat das, was er jetzt für angebracht hielt: Er schrie Mike zusammen, damit er es kapierte. Er wurde in seinem Stuhl richtig klein.

"Aber ich vertraue dir!"

"Und warum bist du dann nicht schon viel früher zu mir gekommen? Himmel noch mal! Ich vertraue dir, wenn du mir sagst, dass irgendwo etwas nicht stimmt, und ich hätte doch was gedreht, damit du in Ruhe und mit Rückendeckung der Sache nachgehen kannst. Aber nein, der Herr Niemcek musste sein eigenes Ding drehen. Warum, Mike? Warum hast du es wider besseres Wissen gemacht?"

"Ich... Ich dachte... und ich hatte doch keinen Beweis. Und eine wirkliche Freundschaft verbindet uns in den letzten Monaten doch auch nicht mehr. Du hast mit Bechthold genug Stress und da wollte ich dich nicht mit dieser aberwitzigen Vermutung belästigen."

Die erste Wut war verraucht, als Chris Mike ansah. Er wirkte richtig deprimiert. So war seine Stimme auch schon wesentlich ruhiger, als er weitersprach.

"Erstens bin ich immer noch dein Freund. Dass du zwischenzeitlich anders von mir dachtest, hat damit nichts zu tun. Und bei unseren Ermittlungen treten wir seit über einem Monat auf der Stelle. Es ist fast schon langweilig. Da wäre ich über die Ablenkung wirklich dankbar gewesen, was meinst du, warum ich dir das Angebot mit Weihnachten gemacht habe? Ich muss mal was anderes machen, bevor ich noch wahnsinnig werde. Und so wie ich deinen Riecher kenne, könnten die drei sogar der entscheidende Fingerzeig in unserem Fall sein. Denn wer hatte damals die ‚aberwitzige Vermutung', dass Bechthold ein großer Fisch sein könnte? Das warst doch du!"

"Ja, und? Was hat es mir eingebracht? Verdammt, du bist fein raus. Seitdem du den Fall übernommen hast, ist es mit deiner Karriere doch steil bergauf gegangen. Bei mir hat sich doch seit Jahren in dieser Hinsicht nichts getan."

Das hatte Chris nicht erwartet. Er hatte bei Mike den Eindruck gehabt, dass er mit seinem Leben und seinem Beruf zufrieden war. So zufrieden, wie man als Schwuler im Polizeidienst nun mal sein konnte. Aber die gelegentlichen Hänseleien nahm Mike immer mit viel Humor und er hatte letztendlich die Lacher auf seiner Seite.

"Das ist doch nicht alles? Das kann doch nicht dein einziger Grund sein, so leichtsinnig zu sein!"

"Ich weiß nicht, ob du es verstehst, es ist schwer zu begreifen."

Ich habe in der letzten Zeit mehr begreifen müssen als mir lieb ist.

"Ich habe heute Abend außer einer Trainingseinheit im Center nix vor und die ist schnell abgesagt. Ich höre."

Es würde nichts bringen, weiter vor Mike hin und herzulaufen, deswegen hockte sich Chris auf den Schreibtisch.

"Das ist auch ein Grund."

"Was? Wenn du in Rätseln sprichst, dann werde ich dich nicht verstehen. Bitte, Mike, erzähl mir in einfachen, verständlichen Worten, was mit dir los ist."

"Dann schau dich mal an. Du bist in den letzten Monaten nicht nur die Karriereleiter hochgestolpert, sondern hast auch sonst an dir gearbeitet. Auf den Fluren erzählt man sich inzwischen, dass du der Schwarm aller weiblichen Beamten bist und natürlich auch der schwulen Jungs. Selbst Carola hat letztens erwähnt, dass du dich verändert hast und mit der Eleganz eines Raubtiers bewegst."

Adam ist das Raubtier, nicht ich.

Mike schaute zur Seite, bevor er weitersprach. Es schien, dass er Chris nicht mehr in die Augen schauen konnte.

"Ich dagegen kann noch nicht mal mehr vernünftig boxen, weil mein Knie nicht mehr voll belastbar ist und auch nie wieder sein wird. Für den normalen Dienst reicht es, aber wenn's denn mal wieder besonders stressig war, dann brauche ich abends Eisbeutel, damit es nicht mehr so schmerzt. Klaus dagegen hat es Ende Oktober beim Marathon-Festival geschafft, in die Top Ten seiner Altersklasse zu kommen. Und wenn er jetzt den Lehrgang hinter sich hat, dann wird er Filialleiter. Und was ist mit mir? Ich hatte vielleicht diese ‚aberwitzige Idee' mit Bechthold, aber nicht den Mut, so weit zu gehen, wie du es getan hast. Du hast ja auch privat ermittelt. Und bist jetzt dafür befördert worden."

Chris wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte. Früher hätte er so etwas als ‚Schwulending' bezeichnet und an Eddie weitergereicht. Aber es gab keinen Eddie mehr in seinem Leben und er musste selbst da durch. Er sah auf Mike, der immer noch seinem Blick auswich und ziemlich verkrampft auf seinem Stuhl saß. Scheinbar wartete er darauf, dass er wie ein Donnerwetter über ihn kam. Aber das würde er nicht bekommen. Denn Chris wusste, dass er ihn für heute schon mehr als fertig gemacht hatte und jetzt schauen musste, dass er ihn wieder aufbaute. Wenn er vorher gewusst hätte, dass Mike solche Probleme mit sich rumschleppte, dann wäre er gar nicht erst laut geworden. Schlimm genug, dass Mike diese Selbstzweifel überhaupt hatte.

Ich sollte mal mein Gehirn einschalten, bevor ich rumbrülle.

"Im Gegensatz zu dem, was du dir die letzten Wochen geleistet hast, habe ich es mit Wissen und Duldung von Krause gemacht. Und Engin war als Rückendeckung immer dabei. Und was deine anderen Probleme betrifft—"

Ein Grinsen wollte Chris einfach nicht gelingen.

"Ich bin nicht gut in solchen Dingen. Da gibt es bestimmt Leute, die es wesentlich besser ausdrücken können. Ach verdammt!"

Chris stand auf, wollte seine Wanderung wieder aufnehmen, besann sich eines besseren und ging zu Mike. Er legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes.

"Glaubst du, dass es irgendjemand, der dich kennt, wichtig ist, was für einen Dienstrang du hast und ob du körperlich topfit bist? Vergiss es. Dafür hast du so viele andere Eigenschaften, die zählen. Wenn du willst, dann zähle ich sie dir alle auf, aber dann übernachten wir besser hier, denn es wird Stunden dauern, bis ich damit fertig bin."

"Ich will."

"Bitte?"

"Ich will, dass du mir meine ganzen positiven Eigenschaften aufzählst. Du hast es mir doch gerade angeboten."

Wieso musste Mike ihn nur wörtlich nehmen? Konnte er nicht verstehen, dass das Ganze- Doch als Chris in Mikes Gesicht sah, wusste er, dass dieser ihn nur foppte. Der leicht verbitterte Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen lag die Andeutung eines Lächelns auf seinen Zügen.

Wieso habe ich diesen Stimmungswechsel nicht mitbekommen?

Den Schlag gegen die Schulter wehrte Mike locker ab.

"Verdammt, Mike. Warum kommst du eigentlich auf so dumme Gedanken?"

"Klaus ist nicht da, um mir den Kopf zurechtzurücken."

Wusste Mike eigentlich, was für ein Glück er hatte? Dass er einen Menschen hatte, den er über alles liebte und mit dem er zusammen alt werden konnte?

"Du bist ein Glückspilz!"

Der Kommentar war Chris herausgerutscht, bevor er ihn stoppen konnte. Dafür wurde er von Mike aufmerksam gemustert. Dieses Mal war es Chris, der sich unbehaglich fühlte.

"Weißt du, die anderen mögen ja sagen, was sie wollen. Aber wenn ich dich näher betrachte, dann frage ich mich, was los ist. Denn so sollte ein erfolgreicher Mann, der eine glückliche Beziehung hat, nun wirklich nicht aussehen. Komm Chris, wir kennen uns lange genug. Wenn du mir schon meine Sorgen aus der Nase ziehst und mich aufbaust, dann kannst du mir auch erzählen, was dich bedrückt."

Chris' einzige Antwort war ein Kopfschütteln. Er ging auf Abstand zu Mike, drehte sich um und schaute aus dem Fenster.

Warum fiel es ihm in der letzten Zeit immer schwerer, seine Schilde hoch zu halten? Verdammt, er hatte Mike sogar zu einem Kneipenbesuch eingeladen.

Aber er konnte ihm einfach nicht erzählen, wie es in seinem Herzen aussah.

"Tja, da du nicht mal versuchst, es abzustreiten, gehe ich davon aus, dass ich Recht habe. Wenn du irgendwann jemanden zum Reden brauchst, dann bin ich für dich da. Und das mit dem Kneipenbesuch sollten wir heute besser lassen. Ich muss noch über die Sachen, die du mir an den Kopf geknallt hast, nachdenken. Danke und es wird nicht mehr vorkommen."

Chris hörte, wie Mike aufstand und zur Tür ging. Bevor er das Büro verließ, hatte Chris den Eindruck, dass er sich noch mal umdrehte, sagte aber nichts mehr. Und dann hörte Chris nur noch, wie die Türe leise zugemacht wurde.

Ich möchte wieder einen Sonnenaufgang erleben.

Und dabei war es November. Es gab an diesem Abend keinen Sternenhimmel zu sehen, weil dichte Wolken über Frankfurt hingen, und in dem Moment, wenn sich die Sonne über den Horizont kämpfte, würde er wahrscheinlich unter der Dusche stehen.

Auch wenn er einmal gedacht hatte, dass die Wunde in seinem Herz vernarbt wäre: Er hatte das Gefühl, dass sie gerade eben wieder aufgebrochen war.

Eddie, ich vermisse dich so sehr.

Aber er war natürlich nach Hause gefahren, hatte seine üblichen Trainingseinheiten durchgearbeitet, hatte geschlafen, war aufgestanden und hatte einige Kilometer auf dem Laufband abgerissen. Und als die Wolken aufrissen und die Sonne über Frankfurt aufging, da stand er tatsächlich unter der Dusche.

Dort plagte er sich mit ganz anderen Gedanken. Denn es würde nicht einfach werden, Engin davon zu überzeugen, Bechthold über Weihnachten zu observieren.

Nicht, nachdem Engin den Eindruck hatte, dass Bechthold bei ihm Panikattacken verursachen würde. Womit er leider Recht hatte.

Aber Chris war es leid. Adam würde zwar sagen, dass er noch lange nicht so weit war, um Bechthold in einem ehrlichen Kampf zu besiegen. Aber Adam hatte ihm auch genügend dreckige Tricks gezeigt, mit denen er Bechthold ganz locker beseitigen konnte.

Vorausgesetzt Bechthold nahm ihm wirklich den absoluten Anfänger ab.

Und dann war da noch dieses seltsame Trio. Aber das würde ihr Job für den Nachmittag werden. Ein Besuch in der Buchhandlung konnte bestimmt sehr interessant werden. Auch wenn Chris noch nicht wusste, was da genau auf ihn zu kam.

Aber es war schon sehr seltsam, dass einer der übelsten Mafiabosse so erfolgreich von scheinbaren Zivilisten beobachtet wurde. Noch schlimmer war, dass seine Jungs das bisher noch nicht einmal mitbekommen hatten.

Wenn Mike nur nicht diesen Alleingang gemacht hätte… aber Chris hatte da schon eine Idee, wie er ihm helfen konnte.