Zwischenspiel

Am nächsten Morgen war er schon kurz vor acht im Büro. Da Engin noch nicht da war, fuhr er die Computer hoch und kochte den ersten Kaffee. Er hatte sich gerade an seinen Schreibtisch gesetzt, als Engin hineingestürmt kam, seinen Aktenkoffer auf den Schreibtisch schmiss und sich mit einem strahlenden Lächeln auf seinen Stuhl fallen ließ.

"Du hattest einen schönen Abend? Sehr erfolgreich? Lass mich raten, die Blonde aus dem Schwimmbad!"

Chris fragte sich, ob Engin nach dem Fiasko mit Claudia überhaupt noch Lust auf eine feste Beziehung hatte.

Aber so wie er Carola gestern angesehen hatte...

"Spielverderber! Woher weißt du das?"

Engin versuchte wohl, eine ernste Mine zu machen, aber das gelang nicht so ganz. Seine Augen funkelten immer noch verdächtig und auch seine Mundwinkel zuckten nach oben.

"Nimm dir erst mal einen Kaffee, er ist gerade erst durch. Du bist schon viel zu oft mit diesem Gesichtsausdruck hier reingekommen. Wie heftig ist es?"

Jetzt wurde Engin ernst.

"Ich glaube, mich hat es schlimmer erwischt als die letzten Male. Wir waren gestern zusammen essen, danach habe ich sie nach Hause gebracht und bin nicht mit hoch gegangen. Dafür haben wir uns fürs Wochenende verabredet."

"Das hört sich wirklich sehr ernst an. Das zweite Treffen und nichts passiert. Mann, das kenn' ich gar nicht von dir."

"Ich auch nicht. Sie ist bei der Wachpolizei. Endlich mal eine Frau, die es versteht, dass ich nicht viel über meine Arbeit erzählen kann."

"Dann wird sie bestimmt auch vollstes Verständnis haben, dass du im Januar keine Zeit mehr für sie hast."

Der ironische Kommentar war Chris einfach so rausgerutscht.

"Mann, Chris! Hat man dir schon mal gesagt, dass du ein absoluter Pessimist bist? Wie hält das Amanda bloß mit dir aus?"

Engin stand auf, ging zur Kaffeemaschine und füllte seine Tasse.

"Sehr gut, sonst würde sie mir nicht die Tickets nach Paris bezahlen."

Engins Blick sagte alles.

"Deine Bonusmeilen möchte ich haben, damit kommt man inzwischen doch bestimmt in die Südsee."

"Vergiss es, die bekommst du nicht. Die habe ich mir hart erarbeitet."

Engin genoss die Kabbeleien offensichtlich genauso wie Chris. Meist fing er damit an und glücklicher Weise machte es ihm nichts aus, dass er oft den Kürzeren zog.

„Aber jetzt mal zum Dienstlichen. Ist gestern noch was Besonderes vorgefallen?"

"Es geht. Müller vom Drogendezernat hat angerufen, als ich gerade Feierabend machen wollte. Die haben vor zwei Tagen einen kleinen Dealer festgesetzt. Gestern beim Verhör hat er ein schönes Lied von einem gewissen Bechthold gesungen. Ich habe mit Müller ausgemacht, dass wir gegen zehn vorbeikommen und uns das Tape vom Verhör anschauen. Um elf ist der Anwalt von dem Typen da, dann können wir ihn noch mal verhören, wenn wir noch Fragen haben."

"Schön, was für einen Eindruck hatte Müller?"

"Der glaubt, dass der Dealer auch nicht mehr weiß als alle anderen. Und ich wette, dass er Bechthold noch nie persönlich getroffen hat, sondern nur mal seinen Namen gehört hat. Und jetzt glaubt er, sich mit einem Märchen seine Freiheit zu erkaufen. Wir haben zwar schon genug, um Bechthold zu verhaften, aber wenn du Bernhard aus der ganzen Geschichte raushalten willst, dann brauchen wir mehr Beweise, damit es für ein Lebenslänglich reicht."

"Ich weiß. Aber wenn wir ihn mit reinziehen, dann werden wir für ihn das Zeugenschutzprogramm in Anspruch nehmen müssen, und ich möchte ihm ersparen, noch einmal von vorne zu beginnen. Ich wünschte mir, wir hätten schon Februar und den ganzen Scheiß hinter uns. Wieso nur habe ich immer die Sorge, dass Bechthold uns im letzten Moment durch die Finger gleitet und uns auslacht?"

"Tja, das weiß ich auch nicht. Doch ich habe ähnliche Albträume. Aber das war gestern noch nicht alles."

Mach' ich ein Mal pünktlich Feierabend und dann steppt hier der Bär.

Doch Chris reagierte nur mit einem Hochziehen der Augenbraue.

"Dann hattest du ja noch richtig viel zu tun."

"Nicht wirklich, ehrlich gesagt, habe ich noch mal beim Schießstand angerufen und um einen Termin gebettelt. Ich kann es mir nicht leisten, noch weiter auf ein Training zu verzichten. Jetzt hör auf, so zu grinsen. Zum Schützenverein werde ich nicht gehen. Never ever."

Entgegen Chris' Erwartungen schmiss Engin keinen Stift, sondern erzählte einfach weiter.

"Ich habe von meinen schlechten Trefferquoten erzählt und man hatte wirklich ein Einsehen und uns für heute Nachmittag um vier einen Termin gegeben. Egal was heute passiert, ich werde dann da sein."

"Bist du sicher, dass deine Waffe überhaupt noch funktioniert? Die liegt doch schon seit Wochen im Schließfach, weil du es als lästig empfindest, sie im Büro zu tragen."

"Deine doch auch, du hattest doch das letzten Mal dein Schulterhalfter an, als wir bei Bernhard waren. Du bist in der Hinsicht richtig faul geworden. Bevor wir zur Kripo rübergehen, werde ich meine P6 holen und durchchecken. Das solltest du auch machen."

"Mach ich. Keine Sorge."

Außerdem habe ich noch eine Waffe im Auto. Nicht registriert, aber geladen.

Kurz vor sechs waren sie vom Training zurück. Engins Trefferquoten waren zwar nicht berauschend, aber lagen noch im Bereich des Zulässigen. Chris hingegen musste aufpassen, dass seine Ergebnisse nicht zu gut wurden. Ansonsten würde Engin hellhörig, er war schon misstrauisch genug. Er brauchte ihm keinen weiteren Grund zu geben.

Der Besuch im Drogendezernat hatte genau das ergeben, was Engin vorhergesagt hatte. Gar nichts.

Lust noch weiter zu arbeiten hatte Chris überhaupt nicht. Zudem wollte er sich das Fitnesscenter etwas genauer ansehen. Er hatte das Gefühl, sich bei dem Mädel an der Rezeption noch entschuldigen zu müssen, weil er gestern einfach so weggelaufen war. Außerdem wollte er schauen, ob das Kampfsportangebot in diesem Laden was taugte.

Deswegen fuhr er seinen Computer gar nicht erst hoch, sondern räumte seinen Schreibtisch etwas auf. Er blätterte in den Berichten, die in den letzten Tage reingekommen waren und die er noch nicht gelesen hatte. Einige fanden ihren Weg auf Engins Schreibtisch.

Dieser schien eine ähnliche Motivation zu haben wie Chris, denn er hatte sich hingesetzt und las in dem aktuellen Heft der Polizeigewerkschaft, schaute aber kurz auf, als er sah, wie der Aktenberg auf seinem Tisch noch höher wurde.

"Sach mal Chris, was soll das? Ich habe doch eh schon genug Arbeit. Du brauchst mir nichts von deiner abzugeben."

"Will ich auch nicht. Aber in den beiden obersten Berichten ist ein ziemliches Fachchinesisch über Bechtholds Firma. Irgendwelche Marktanalysen und Rentabilitätsstatistiken. Du kennst dich doch mit so 'nem Kram aus. Und der Rest... die Techniker versuchen wohl, Bechtholds Mails abzufangen, aber das ist mit so einem Fachvokabular gespickt, dass ich da auch nicht durchblicke. Wäre nett, wenn du das durchlesen würdest und es in ein für mich verständliches Deutsch übersetzt."

Mit einem genervten Blick schmiss Engin das Heft auf seinen Schreibtisch und suchte sich einen Bericht raus, um darin zu lesen. Nachdem er die erste Seite durch hatte, blickte er hoch.

"Es wird Zeit, dass du endlich mal einen vernünftigen Computerkursus machst, die werden regelmäßig angeboten. Denn was die hier schreiben, ist ziemlich leicht verständlich. Seine T-Online-Adresse ist sauber. Alles nur ganz normale geschäftliche Mails, aber die vermuten, dass er noch andere Mailaccounts hat, die er nicht auf seinen Computer herunterlädt, sondern online speichert. Da kommen die nicht dran."

Währenddessen hatte sich Chris das Heft geangelt und blätterte es gelangweilt durch.

"Das ist alles? Und dafür brauchen die so viele Seiten? Seit wann bist du eigentlich in der Gewerkschaft? Wir sind beim Zoll und nicht bei der Polizei."

"Ich? Ich bin doch nicht in der Gewerkschaft. Nicole aus dem PSV hat mir das Heft geliehen, die haben dieses Mal einen interessanten Artikel über unsere Schwertkampfgruppe geschrieben und den wollte ich lesen."

Bevor Chris noch etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür und Mike kam rein.

"Tach ihr zwei. Stör ich?"

Chris hatte fast geahnt, dass Mike heute wieder da reinschneien würde.

"Tach! Wann kommt Klaus wieder zurück? Morgen? Ich werde ihm sagen, dass er sich intensiv um dich kümmern muss, denn du hast wirklich zu viel Zeit."

"Lass das bloß sein. Denn Carola hat das auch schon angekündigt."

Engin hatte Mike nur kurz zugenickt, den Bericht auf seinen Schreibtisch zurückgelegt und seinen Aktenkoffer geschnappt.

"Tach Mike. Wenn du uns öfters beehren willst, dann solltest du einen Stuhl beantragen. Aber ich mach für heute einen Abflug, du kannst meinen haben."

"Danke fürs Angebot, aber ich wollte dich nicht vertreiben."

"Tust du nicht, für heute reicht es mir. Wie hatten heute Schießtraining und meine Trefferquoten waren kein Grund zur Freude. Das muss ich erst mal verarbeiten. Tschüs zusammen."

Damit hatte sich Engin auch schon an Mike vorbei geschoben und war zur Tür raus. Chris und Mike schauten sich nur kurz an und schüttelten den Kopf.

"Los, setz dich, einen Kaffee kann ich dir nicht mehr anbieten, der ist alle. Was hast du auf dem Herzen?"

"Kannst du dir das nicht denken?"

Mike hatte sich hingesetzt und nahm sich das Heft, das Chris gerade wieder auf Engins Schreibtisch geworfen hatte.

"Eigentlich gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hast du heute Kallenbach krankenhausreif geschlagen, weil er sich wieder daneben benommen hat. Aber das kann es eigentlich nicht sein, weil du zu ruhig bist. Also tippe ich auf zwei. Klaus ist immer noch nicht da, du hast nichts besseres vor und willst wissen, ob ich schon was über Thomas erfahren habe. Lieg' ich richtig?"

Ein schiefes Lächeln erschien auf Mikes Gesicht.

"Du hast Recht. Obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste, schließlich bin ich lang genug im Job."

"Stimmt. Aber zu deiner Beruhigung. Ich war gestern im Fitnesscenter und habe ihn gesehen, aber ich kann dir im Moment nur sagen, dass er sehr gut aussieht und ganz nett zu sein scheint. Aber ich werde heute wieder hingehen und wenn die ein vernünftiges Kampfsporttraining anbieten, dann hat mich der Laden als neuen Kunden. Und dann kann ich auch mehr über Thomas sagen."

"Seit wann achtest du denn bei Männern auf's Aussehen? Aber danke, dass du dich da überhaupt reinhängst."

Einen Augenblick überlegte Chris, ob er das kommentieren sollte, ließ es aber, um keine Diskussionen aufkommen zu lassen.

Das Heft wurde von Mike ungelesen auf den Schreibtisch zurückgelegt und Chris bekam irgendwie den Eindruck, dass da noch mehr war.

Toll, was will er jetzt wieder? Ich ahne Schreckliches.

"Was ist los, Mike? Du willst doch noch was!"

"Naja, Carola hat nach unserem Abstecher in dein Büro natürlich keine Ruhe gegeben. Du weißt, wie sie ist, sie hat einfach nicht locker gelassen. Nachdem sie es aus mir rausgequetscht hatte, meinte sie, dass du alt genug bist, um zu wissen, was du tust, und ich mich mit dem, was ich dir Dienstag an den Kopf geknallt habe, etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt habe."

Gott, bist du umständlich, aber glaub nicht, dass ich es dir leicht mache.

"Kannst du mir das bitte übersetzen? Ich verstehe nicht genau, was du willst."

"Mann! Du stehst doch sonst nicht auf dem Schlauch! Ich will damit sagen, dass ich dich nicht mehr bedrängen werde, was dein Privatleben angeht. Weder werde ich die anderen dazu anstiften, dich in Paris zu besuchen, noch werde ich irgendwelche Anspielungen machen, dass du besser zu Eddie passt."

"Carola hat nicht mit dir gesprochen, sie hat dir den Kopf gewaschen."

"Ja, hat sie. Und das nicht zum ersten Mal in dieser Woche. Mir reicht es. Ziemlich endgültig. Macht doch alle, was ihr wollt, und ich halte mich raus."

Damit stand Mike auf und wollte gehen. Doch Chris ließ es nicht zu, sprang auf und hielt Mike fest. Denn wenn er Mike jetzt weg lassen würde, dann würde dieser zwar im Moment Ruhe geben, aber spätestens in einem Monat würde er wieder versuchen, ihn mit Eddie zu verkuppeln. Eddies ‚Glück' war ihm wichtiger als fast alles andere. Aber genau das konnte ihn und Eddie in Gefahr bringen und das würde Chris nicht zulassen.

"Mike, stopp! Lauf doch jetzt nicht einfach weg!"

Dieser drehte sich um und versuchte, sich aus Chris' Griff zu befreien.

Keine Chance, mein Junge. Du kommst erst dann los, wann ich es will.

"Lass mich los, verdammt noch mal."

"Wenn du mir versprichst, dich einfach wieder brav hinzusetzen, dann ja. Ansonsten..."

Chris zuckte nur mit seinen Schultern.

"Das ist Erpressung."

Aber als Chris nicht reagierte und Mike weiter festhielt, gab er auf.

"Gut, du hast gewonnen. Was willst du denn noch? Wir haben doch schon alles beredet."

Erleichtert ließ Chris los.

"Lang werde ich dich nicht mehr aufhalten, aber ich kann dich so einfach nicht gehen lassen. Komm, setz dich."

Chris ging hinter Mike, bis dieser sich wieder auf den Stuhl setzte, dann lehnte er sich an Engins Schreibtisch.

Wie fass' ich es nur richtig in Worte? Und wie bekomme ich ihn dazu mitzuspielen?

"Carola hatte Unrecht, als sie dir den Kopf gewaschen hat. Denn du liegst mit deinen Beobachtungen richtig."

Komm, jetzt lass mich nicht hängen, bitte kapiere, was ich dir sagen will. Es ist so schon schwer genug.

Dann bemerkte Chris, dass er wohl schon mehrfach mit den Fingern durch seine Haare gefahren war. Er zwang sich dazu, seine Hand runter zu nehmen und Mike anzusehen. Dieser begriff auch sofort, was Chris von ihm wollte.

"Du willst also sagen, dass du für Eddie immer noch mehr empfindest als Freundschaft? Aber ich verstehe nicht, warum du dann nicht zu ihm zurück gehst. Was meinst du, wie schnell er diesen Thomas abschießt?"

"Weil es noch nicht geht. Ich kann es noch nicht. Nicht Eddie ist das Problem, sondern ich bin es. Und bitte, stell jetzt keine Fragen, die ich dir nicht beantworten kann."

"Und warum erzählst du es mir?"

"Weil ich dich um etwas bitten will."

"Und um was?"

"Halt dich raus. Dränge weder Eddie noch mich und versuche auch keine Pfeile gegen Thomas zu schießen, denn wenn du dich einmischst, dann kannst du alles kaputt machen."

Mike sah Chris einfach nur an. Chris fühlte sich zwar unbehaglich, aber zwang sich, Mike mit einem offenen und ehrlichen Ausdruck anzuschauen. Bis Mike wohl überzeugt war und nickte.

"Gib mir ein gutes Argument und ich spiele mit."

Ganz überzeugt war er wohl doch nicht.

"Ach verdammt! Wie soll ich bei so einem gefühlsmäßigem Kram irgendwelche Argumente anbringen? Du kennst mich lang genug, um zu wissen, dass so was nicht mein Ding ist. Ich kann es einfach nicht in Worte fassen."

Wenn ich so weiter mache, dann stehe ich morgen noch da und stottere rum. Verdammt Mike! Warum erinnerst du mich immer mehr an Iris?

"Stimmt, das ist noch nie dein Ding gewesen. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass du mich hinhalten willst. Ich weiß nicht, was du planst, aber ich habe da so ein ganz komisches Gefühl im Bauch."

Mist! Mikes Instinkt hat angeschlagen!

"Ich will irgendwann in naher Zukunft wieder mit Eddie zusammen sein. Das plane ich. Aber noch geht es einfach nicht."

"Erpresst dich Amanda?"

"Sag mal spinnst du?"

Wofür hielt ihn Mike? Und wie kam er jetzt auf die Idee?

"Also nicht, dein Blick spricht Bände. Aber so gut, wie du freitags immer drauf bist, könnte man meinen, du fliegst zu deiner Hinrichtung und nicht zu deiner Freundin."

"Amanda ist weniger das Problem. Wie du dir vielleicht denken kannst, liebe ich Amanda nicht, aber sie ist in einer Situation, wo ich sie nicht im Stich lassen kann, und deswegen kann ich noch nicht zu Eddie zurück."

"Wie tief steckst du da drin? Ich dachte, du hängst an deinem Job."

Mike schien wohl zu befürchten, dass Chris in irgendwelche illegale Machenschaften verwickelt war. Aber da konnte Chris ihn beruhigen.

"Nicht so tief, wie du gerade befürchtest. Aber sie braucht meine geistige oder seelische Unterstützung, wie auch immer du es nennen magst. Und deswegen kann ich nicht weg. Du würdest doch auch Klaus nicht verlassen, nur weil Eddie dir sagen würde, dass er ein Idiot gewesen ist und dich liebt... Guck mich nicht so an!"

Das hatte gesessen. Nur nach Mikes Gesichtsausdruck zu urteilen, saß es zu gut. Jetzt stand Mike auf und fing an, unruhig auf und ab zu laufen.

"Das ist unfair. Das ist eine ganz andere Situation. Nicht einmal für Eddie würde ich Klaus verlassen. Die Zeiten sind schon lange vorbei."

"Ich weiß es. Denn die Blicke, die du Klaus regelmäßig zuwirfst, sagen alles. Aber du wolltest ein Argument. Wie soll ich dir denn sonst klar machen, was mit mir los ist?"

Mike drehte sich zu Chris und hob beide Hände.

"Gut, das hat du jetzt. Viel zu deutlich. Du hast gewonnen. Ich lass es und werde mich nicht mehr einmischen. Nicht jetzt und auch nicht in der näheren Zukunft. Aber ich darf doch ab und zu nachfragen, wie Stand der Dinge ist?"

Chris konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte es tatsächlich geschafft, Mike davon abzuhalten, ihn aktiv mit Eddie zu verkuppeln. Dass er dafür in einen mehr oder weniger regelmäßigen Abstand nachhaken würde, war noch das geringere Übel. Eddie konnte sich glücklich schätzen, so einen Freund zu haben.

"Du lässt auch nie locker? Wenn es um Klaus oder Eddie geht, dann stellst du wirklich alles andere zurück. Wie schaffst du es, dein Herz in zwei Stücke aufzuteilen und beide zu lieben? Ohne dass Klaus eifersüchtig ist?"

"Klaus weiß, dass ich viel für Eddie empfinde, aber er weiß auch, dass ich nie wieder zu Eddie zurück gehen werde. Und das reicht ihm. Doch immer wenn er gerade nicht in der Nähe ist, frage ich mich, wieso er eigentlich bei mir bleibt, denn er hat einen Besseren als mich verdient. Dabei brauche ich ihn. Mehr als ich bereit bin, zuzugeben. Und dann ist da diese Angst. Meistens stelle ich dann irgendwelche Dummheiten an, um nicht weiter darüber nachzudenken."

"Du meinst solche Storys wie mit unseren drei Buchhändlern?"

Um die muss ich mich ja auch noch kümmern. Samstag spreche ich Joe darauf an.

"Nein, so heftig nun auch nicht. Wenn es ganz schlimm wird, dann ‚leihe' ich mir von Carola Thorsten aus und unternehme was mit ihm. Das lenkt mich ab. Aber letzte Woche hatte der Lütte die Grippe und da hatte sich das erledigt. Und da brauchte ich eine andere Ablenkung und hab mich um die Buchhändler gekümmert."

Darüber konnte Chris nur den Kopf schütteln.

"Und ich hab' dich früher mal für einen netten, höflichen, zuvorkommenden Partner gehalten. Mann, hab' ich mich in dir getäuscht."

"Damals warst du ja auch der König der Schwulenwitze..."

"Und jetzt... Aber bist du mir böse, wenn ich dich jetzt rausschmeiße? Wie gesagt, das Center wartet."

"Kein Problem, Carola hat mich zum Abendessen eingeladen. Ich muss auch los."

"Na dann, guten Hunger."

"Den hab ich, sie macht einen Auflauf. Du kannst mitkommen, wenn du willst."

"Nee, lass mal. Aber danke für das Angebot."

Chris stieß sich vom Schreibtisch ab, holte sich sein Jackett, zog es über und ging zur Tür. Diese hielt er Mike auf.

"Du bist wohl froh, jetzt deine Ruhe zu haben."

"Ja, aber ich weiß dein Engagement trotzdem zu schätzen. Jetzt komm, Carola wartet bestimmt schon. Tschüs bis morgen."

"Seit wann bist du so diplomatisch?"

"Ich werde halt älter und weiser."

"Und das soll ich dir glauben?"

"Du schließt ja immer von dir auf andere, kein Wunder, dass du mir nicht glaubst."

"Das glaubst du vielleicht. Und morgen werde ich mich garantiert nicht bei dir blicken lassen. Klaus hat angekündigt, dass er im Laufe des Nachmittags nach Hause kommt."

Erst in der Tiefgarage hörten sie auf, sich zu kabbeln.

Im Fitnesscenter passierte nichts Ungewöhnliches. Eine andere Frau saß an der Rezeption, und Thomas war auch nicht da. Dafür war das Probetraining sehr gut. Der Kampfsportlehrer machte einen sehr kompetenten Eindruck, und Chris beschloss, seinen Vertrag in der Kampfsportschule nicht zu verlängern und zu wechseln.