Kapitel 3

Am Abend

Die Sonne versank über Lothlorien und der warme, goldene Schimmer über den Mallornbäumen wich dem silbrigen Glimmen der an den Talanen entzündeten Laternen, die den gesamten Wald in eine Aura der Leichtigkeit tauchten.

Aewrin verließ, nachdem sie den letzten Verletzten verbunden hatte, den Talan und trat auf die Plattform hinaus, um ein wenig Ruhe zu finden. Sie wollte noch beim Aufräumen helfen und ein letztes Mal nach den Patienten sehen, die im hinteren Teil des Hauses ruhten. Der Tag hatte sechs Tote gefordert, wie sie erfahren hatte – für sie war bereits auf dem Schlachtfeld jede Hilfe zu spät gewesen. Im Talan war kein Elb mehr gestorben, was sie erleichterte.

Hinter ihr trat auch Lothenon in die Nacht, seine Hände an einem feuchten Tuch abwischend. Er lächelte sie an.

„Ihr habt mir sehr geholfen, Aewrin", gestand er ihr zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Und wie Ihr Haldir in die Schranken gewiesen habt, war beeindruckend."Aewrin ließ den Blick über die Wipfel der Bäume schweifen und sah Lothenon dann verwundert an. Er deutete ihre Reaktion richtig. „Ihr wisst nicht, wer er ist, oder?

„Nein, ich bin noch nicht sehr lange hier in Lorien. Ist er wichtig?"

Lothenon ließ so etwas wie ein Kichern hören.

„Er ist der Anführer der Galadhrim und einer von Galadriels Favoriten. Die meiste Zeit verbringt er an den Grenzen und jagt Orks und dementsprechend wächst hier, im Inneren, seine Legende. Haldir gilt als unbeherrscht, aber kalt. Niemand weiß ihn so richtig einzuschätzen."

„Das ist auch gut so."Die kühle Stimme hinter ihnen erklang aus den Schatten. „Lothenon, habt Ihr nicht die Verwundete zu versorgen?"

„Haldir, hat die Dame hier nicht gesagt, Ihr solltet wiederkommen, wenn Ihr Euch zu benehmen wisst? Lauschen steht Euch nicht gut zu Gesicht."

Der blonde Elb tauchte ins Licht und lehnte sich an das Geländer der Plattform, die Arme vor der Brust verschränkt. Noch immer waren seine weißblonden Haare und sein Gewand befleckt von Blut, doch es wäre ihm auch ohne diese Kampfeszeichen möglich gewesen, furchteinflößend zu wirken. Er machte sich gar nicht die Mühe, auf Lothenons Worte zu reagieren, er winkte lediglich ab. Seine blauen Augen fanden Aewrin und sie sah Spott in ihnen aufglimmen, von dem sie nicht zu sagen vermochte, ob er ihr galt.

„Tatsächlich bin ich hier, um die Dame zu sprechen. Ihr stört dabei, Lothenon."

Der Heiler zog lediglich eine Augenbraue hoch und wandte sich mit den Worten, sie möge nach ihm rufen, wenn sie ihn brauchte, ab, um wieder in den Talan zu gehen. Unangenehme Stille trat ein, die Haldir schließlich durchbrach, indem er ihre Hand ergriff und sich kurz darüber verbeugte.

„Ich war unverzeihlich unhöflich zu Euch und in Sorge. Wollt Ihr mir verzeihen und mir Euren Namen sagen?"

Sie sah ihn an, als habe er ihr soeben eröffnet, dass er mit den Valar zu Mittag gegessen hätte.

„Ihr – entschuldigt Euch bei mir?"Das passte so gar nicht zu den Worten, die Lothenon über ihn verloren und dem ersten Eindruck, den sie von ihm gewonnen hatte. Misstrauisch musterte sie ihn. „Mein Name ist Aewrin."

„Es gibt einen Grund, mich zu entschuldigen. Mein Bruder Rumil berichtete mir, dass es Orophin besser geht. Als die Pfeile der Orks ihn trafen, war es, als hätten die Spitzen mich selbst durchbohrt."

„Ihr müsst ihn sehr lieben", sagte sie überflüssigerweise, war aber froh, dem Gespräch eine unverfängliche Wendung zu geben.

„Er ist mein Bruder", lautete seine schlichte Antwort, dann verlor seine Stimme den freundlichen Klang. Sein schönes Gesicht wurde hart und abweisend. „Wir haben die Gefallenen der Erde übergeben und aus den Orks ein hübsches Feuer entzündet, das ihre Kumpane sicherlich über Meilen sehen werden."

Sie schluckte und besah sich seine Gestalt etwas näher. Seine graue Tunika war an mehrere Stellen zerfetzt und erst in diesem Moment fiel ihr die an einigen Stellen zerfetzte Haut darunter auf.

„Ihr seid auch verletzt."

„Nur Kratzer. Ich hatte mehr Glück als einige Männer und Frauen an meiner Seite."

„Auch Kratzer sollten versorgt werden. Stellt Euch nicht stur."

Er machte wieder eine wegwerfende Geste, doch dann ging er hoch aufgerichtet in den Talan. Im vordersten Raum herrschte Ruhe, nur durch die Vorhänge drangen leise Geräusche und Murmeln nach vorne.

Aewrin suchte sich rasch Salben und Leinenbinden zusammen, reiniget ihre Hände erneut und als sie sich zu Haldir umdrehte, hatte er seine Tunika ausgezogen und stand nur mit Hosen und Stiefeln bekleidet mitten im Raum, die Miene eine einzige Herablassung. Sein Körper war in Aewrins Augen perfekt. Starke Schultern, eine schmale Hüfte, weiße Haut, unbehaart und sich an die Muskeln schmiegend. Wider Willen spürte sie, wie eine flammende Röte auf ihrem Gesicht auftauchte und auch ihren Körper durchpulste.

Er hob die Arme, die wie seine Brust von zahlreichen Schnitten entstellt waren, von denen einige keine Kratzer waren und sicherlich stark geblutet hatten.

„Verfügt über mich, wie Ihr wollt, Aewrin."

Sie seufzte, um ihre Erregung zu überspielen und drückte ihn auf einen Schemel. Seine Haut war warm unter ihren Fingern, als sie begann, die Wunden eine nach der anderen auszuwaschen und mit einer Salbe zu behandeln. Verbände legte sie um die zwei tiefsten Schnitte an, die sich über seine rechte Schulter und seinen Bauch zogen. Schließlich betrachtete sie sich ihr Werk und nickte leicht.

„Gut. Ihr könnt Euch wieder anziehen."

„Nervös?" Er lächelte schief. „Ich sollte doch nicht den schmutzigen Stoff an die sauberen Wunden kommen lassen und Ihr wisst das auch." Er kam ein Stück näher und blickte sie an. „Aewrin, Ihr seid noch sehr jung."

„Und Ihr nehmt Euch viel heraus, Haldir, und ich lasse ungern mit mir spielen. Und damit Ihr es wisst – ich bin einem Mann verbunden."

Seine schön geschwungenen Lippen zuckten, doch sein Blick war kalt.

„Ihr glaubt, dass ich Euch begehre? Ein halbes Kind?"Nun lachte er wirklich, doch es war kein gutes Geräusch. „Und, wie heißt nun der Mann, den ich fürchten muss?"

„Belegren."

Sie hatte erwartet, dass er eine spöttische Bemerkung machte, sie verlachte, doch er blieb stumm. Stattdessen warf er in einer wütenden Geste seine Tunika, die er schon wieder zur Hand genommen hatte, zu Boden und stürzte aus dem Raum. Von draußen hörte sie noch einen wütenden Aufschrei, dann war alles still.