Und noch einmal einen herzlichen Dank für die Reviews!!!

Kapitel 8

Blutige Ernte

Entsetzt starrte Aewrin auf das sich regende schwarze Gemächt des Orks und mit einem Mal war ihre Gelassenheit endgültig verschwunden. Sie riss so heftig an den Fesseln, dass sie sich beinahe die Arme auskugelte, doch es gab kein Entrinnen. Die Stricke an ihren Füßen trennte der Ork durch, als er sich zu ihren Beinen niederließ und sich dann mit Gewalt dazwischenschob. Mit wenigen Griffen riss er ihr Hose und Tunika vom Leib.

Aewrin schrie und wehrte sich, versuchte, ihn zu treten und von sich fortzuschieben, doch seine Kraft überstieg ihre bei Weitem. Der Ork, der ihre Arme festhielt, hieb ihr heftig ins Gesicht und Sterne tanzten vor ihren Augen.

Sie wartete auf den Schmerz und die Erniedrigung der Vergewaltigung, doch er blieb aus. Als sich ihr Blick wieder klärte, starrte der Anführer der Orks verdutzt auf die Spitze eines Pfeiles, der aus seiner Brust ragte. Aewrin nutzte den Moment, um ihn mit dem Fuß fortzustoßen und sich aus dem Griff des anderen Orks zu befreien, der verdutzt locker gelassen hatte. Sofort war sie auf den Beinen und stolperte fort, in das Unterholz, wo sie sich zitternd hinhockte und die noch immer vom Feuerschein erhellte Lichtung beobachtete.

Keiner der Orks kümmerte sich darum, dass sie fort war. Pfeile sausten über die Lichtung, keiner von ihnen ging fehl. Drei weitere Orks sanken um, bis ihre Kumpane ihre eigenen Bögen gespannt und in die Dunkelheit gefeuert hatten. Doch die Pfeile aus dem Dunkeln schossen plötzlich aus einer völlig anderen Richtung heran, was die Orks schließlich dazu brachte, einen Angriff in den Wald zu starten.

Aewrin starrte auf die Lichtung, während sie die Fesseln an ihren Handgelenken aufzerrte. Alleine fünf Orks waren am Lagerfeuer zurückgeblieben und einer von ihnen bemühte sich, es auszutrampeln. Aus dem Wald drangen raue Stimmen und dann Schreie, die von Frustration und Schmerz sprachen. Kampflärm ertönte an verschiedenen Stellen im Wald, wurde lauter, ebbte ab, schwoll erneut an. Schließlich entstand eine absolute Stille im Wald, so als hätte nie die Klaue eines Orks in beschmutzt.

Die fünf Gestalten entlang der glimmenden Glut des Feuers drängten sich zusammen, ihre Schwerter gezogen, in das Dickicht starrend und sichtlich nervös. Schließlich raschelt es kaum hörbar in einem Gebüsch und Aewrin stockte der Atem, als sie Haldir sah, der auf die Lichtung trat, zwei Schwerter in der Hand.

Blut troff von den Klingen, von seinen Händen, seine Kleidung und seine Haare waren besudelt. Doch was sie am meisten erschreckte, war sein Blick. Er hielt den Kopf leicht gesenkt, so dass sein Haar ihm leicht ins Gesicht fiel und unter diesem dichten Vorhang blitzten seine blauen Augen hart und kalt.

Die Orks starrten ihn an und ihre Furcht schwängerte die Luft wie der Rauch des verlöschenden Feuers. Dennoch griffen sie den Elben an, mehr aus Verzweiflung als aus Überlegung heraus. Haldirs Klingen sausten durch die Luft und schnitten Haut, Knochen und Körperteile mit nachlässiger Eleganz. Er schien sich nicht einmal sonderlich anstrengen zu müssen, um die grobschlächtigen Gegner zu besiegen. Blut spritzte hoch auf, als er schließlich beide Schwerter in der Hand herumwirbelte, um sie dem letzten Ork in die Brust zu rammen. Dieser fiel mit einem Grunzen tot zu Boden.

Dies alles war in einer derartigen Stille und Nebensächlichkeit geschehen, dass die Erkenntnis, dass alles vorbei war, für Aewrin ein Schock war. Sie presste eine Hand vor den Mund, lehnte sich gegen den nächsten Baumstamm und ließ sich daran zu Boden rutschen, nicht darauf achtend, dass die raue Borke ihren Rücken verletzte. Ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle und sie barg schließlich den Kopf in den Armen, um nichts mehr zu hören, nichts mehr zu sehen.

Schritte kamen durch das am Boden liegende Herbstlaub auf sie zu und verharrten vor ihr. Ein Mantel wurde um sie gelegt, dann schoben zwei Hände ihre Arme weg und eine Hand hob ihr Gesicht an. Haldir kniete vor ihr und blickte sie an. Die Kälte war aus seinen Augen gewichen und hatte einem Ausdruck wilder Wut Platz gemacht. Aewrin dachte unwillkürlich an ein wildes Tier, das in seinem Inneren eingesperrt sein musste und wollte zurückweichen, doch der Baumstamm bot ihr keinen Platz. Der Griff um ihr Kinn war fest, fast schmerzhaft, als er mit der freien Hand das Blut aus ihrem Gesicht wischte.

„Mein Bruder ist tot", sagte er leise, fast sanft und zog sie dann hoch. Seinen Mantel verschnürte er mit abgehackten Bewegungen an ihrem Hals, dann bedeckte er ihre Blöße mit dem weit fallenden Stoff. Aewrin rührte sich nicht, stand mit hängenden Schultern da und blickte ins Leere. Bei Gedanken an Rumil zog sich ihr Herz zusammen und schließlich, nach einer ganzen Weile, spürte sie, wie ihre Augen vor Tränen zu brennen begangen. Mit einem unwilligen Geräusch wandte er sich ab. „Hör auf zu weinen. Das ändert nichts."

Er ging auf die Lichtung zurück, achtlos durch die langsam in den Untergrund versickernden Blutlachen, und holte seine Schwerter, die er am Schauplatz des Gemetzels in den Boden gerammt hatte. Als einer der Orks noch ein Röcheln von sich gab, enthauptete Haldir ihn kurzerhand, dann wischte er das Blut, das die silbrigen Klingen beschmutze, an seinem Ärmel ab und drehte sich dann zu Aewrin um.

Sie starrte ihn nur fassungslos an.

„Er – er war Dein Bruder", flüsterte sie.

„Jetzt ist er tot und kein Grund mehr, länger als hier nötig zu bleiben."Die Schwerter Haldirs verschwanden mit einem Scharren in den Rückenhalterungen. Er hob den Blick ein wenig und zum ersten Mal schien es, als hätte er begriffen, wo er sich befand und was er gerade getan hatte. Ein kleines, böses Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Und wenn Du glaubst, Aewrin, dass ich nicht trauere, dann irrst Du. Dies ist das Blutgeld, das bezahlt werden musste."Eine spöttische, einladende Geste in Richtung Loriens folgte. „Willst Du ewig hier stehen bleiben?"

Ein Ruck ging durch Aewrins Gestalt, als sie den Mantel etwas fester um sich zog und sie hob leicht den Kopf.

„Ich hasse Euch", sagte sie gedämpft und sah ihn mit müdem Blick an, als sie an ihm vorbeiging, den Schauplatz des Kampfes verlassend. Er nahm es hin, ohne darauf zu antworten und folgte ihr dann nach. Aewrin wagte gar nicht daran zu denken, wie viele Leichen sie im Wald noch vorfinden würde. Wütend und sich unendlich hilflos fühlend schritt sie durch das Unterholz, ihre Seele ermüdet, ihr Körper ein einziger Hort der Schmerzen. Ihre brennenden Augen waren getrocknet, doch noch immer floss Blut aus ihren kleinen Wunden im Gesicht und an den aufgeschürften Gelenken.

Haldir nahm im Wald seinen Bogen wieder auf und setzte sich dann wieder vor sie, den Weg findend, der die wenigste Mühe erforderte, doch in seinem schnellen Gang nahm er keine Rücksicht auf Aewrin, die mehr als einmal vor Erschöpfung ins Taumeln kam. Kein einziges Mal hielt er an, um ihr aufzuhelfen und sie merkte, dass es von Minute zu Minute mehr die Wut als ihre eigene Kraft war, die sie vorwärts trieb.

Nach zwei Stunden verließen sie den Wald und traten hinaus auf die nur leicht begrünte Ebene. Im Nachtwind wogte das zarte, grüne Gras und kleine Insekten erhoben sich dort, wo sie beiden Elben auftraten. Ein bleicher Mond schob sich zum ersten Mal in dieser Nacht hinter den Wolken hervor und tauchte die Landschaft in ein mattes, kühles Licht.

Nach einer Weile blieb Haldir stehen und drehte sich zu ihr um. Geisterhaft offenbarte das Licht jeden Tropfen des schwarzen Orksblutes, der seine Schönheit verunstaltete.

„Du hast allen Grund, mich zu hassen", sagte er dann ruhig. „Nur weißt Du es noch nicht einmal, auch wenn Du es Dir einbildest."