„Du bist schon ein seltsames Mädchen" meinte Tina kopfschüttelnd zu mir „man könnte fast meinen du würdest dich auf das Nachsitzen bei Professor Snape freuen."

Ich widersprach ihr nicht, sondern verabschiedete mich für den Abend und ging hinaus.

„Miss Vince" empfing mich die Stimme des Panthers, der sich lässig seine Pfote vor mir putzte, wohl wissend welche scharfen Krallen sie verbarg. "Sie haben es sogar beinahe geschafft pünktlich zu sein. Vielleicht sollte ich Gryffindor dafür gleich fünf Punkte abziehen?"

Bevor ich eintrat, hatte er eine Rolle Pergament gelesen, unter die er jetzt mit glimmernden Augen ein „D" setzte und sie ziemlich unsanft zur Seite legte.

„Es scheint mir schwierig eine entsprechende Strafarbeit für Sie zu finden, da Sie bis jetzt ein Geheimnis daraus machen, aus welchen Gründen Sie heute ihren Kessel umgeworfen haben. Wie wäre es, wenn Sie mich erleuchten?" meinte Professor Snape spitz und es verwunderte mich nicht, dass er mein Spiel durchschaut hatte. Immerhin war es eine Art Anerkennung meiner Intelligenz oder zumindest bewies es, dass er mich nicht für absolut tollpatschig und unfähig hielt.

„Ich musste mit Ihnen sprechen, Professor, privat meine ich." Seine schwarzen Augen verengten sich. „Ich will hoffen, dass es nichts mit den Umständen unserer Bekanntschaft zu tun hat?" er wirkte ein wenig verunsichert.

„Nicht direkt" meinte ich vage. „Ich muss Ihnen einige Fragen stellen." Er zog eine Grimasse. „Bitte" jetzt begann ich verzweifelt zu klingen und das schien ihm zu gefallen.

War es nicht schön, wenn andere einen um etwas bitten mussten? Wenn sie flehten?

„Alles was ich Sie jetzt frage oder Ihnen sage – Sie müssen es mir einfach glauben, es ist wahr und Sie müssen mir helfen. Ein unschuldiges Leben hängt davon ab."

Er nickte langsam „Ich höre, Violet." Ich musste lächeln, er hatte verstanden, denn er hatte meinen richtigen Vornamen anstatt meines falschen Nachnamens benutzt.

Ich zog ein Muggelfoto aus meiner Robentasche und zögerte kurz bevor ich es ihm gab, ich hatte es noch nie aus den Augen gelassen, noch niemandem zuvor gezeigt, es gehörte mir, mir ganz alleine und es war mein einziger, mein wertvollster Besitz. „Kennen Sie diese Frau, Professor? Haben Sie sie schon jemals zuvor gesehen? Bei den" ich schauderte „Treffen?"

Er betrachtete die junge Frau, mit dem langen blond-gelockten Haar und den blassblauen Augen auf dem Foto genau. Ich brauchte es nicht anzusehen, wenn ich die Augen schloss, sah ich sie vor mir.

„Nein" meinte Snape schließlich schroff „ich habe deine Mutter noch nie und unter keinen Umständen gesehen und ich kann mich auf mein Gedächtnis verlassen" Er sah aus als wünschte er sich manchmal, dass seine Erinnerungen nicht so klar und deutlich wären.

„Danke" ich versteckte das Bild wieder in meiner Robe. „Waren Sie schon einmal in Askaban, Professor?" Er wich zurück und seine Augen bekamen einen distanzierten Ausdruck.

„Dass geht Sie nun wirklich nichts an!" schnaubte er, aber ich wusste es schon.

„Sie ist dort" sagte ich leise „Meine Mutter ist in Askaban."

„Dann hat sie es auch verdient." wies er schroff ab.

„So wie Sie es auch verdient hätten dort zu sein?" ich tanzte über dem Abgrund. Ein Schritt in die falsche Richtung und ich würde fallen.

„Ja" Wie sehr musste man sich selbst hassen, um zu finden man hätte es verdient in Askaban zu sein? Der schlimmste von allen Orten. Die fleischgewordene Hölle.

„Aber sie ist unschuldig!" ich war lauter geworden. „Das Verbrechen, für das sie verurteilt wurde, hat ein Anderer begangen. Und sie wird verrückt wenn sie dort bleiben muss, sie hat das nicht verdient. Niemand hat solch ein Schicksal verdient."

Nur ein Bruchteil meiner Geschichte, aber schon mehr als ich bereit gewesen war, bisher preiszugeben. Wie fühlt es sich an, einen Teil seiner eigenen Seele preiszugeben? Ein verletztes Tier war ich nun, eine leichtere Beute wenn er mich verschlingen wollte. Ein Siegfried der seinem Hagen verraten hatte, dass das Eichenblatt auf die Schulter gefallen war.

Und doch fühlte ich mich erleichtert, ein wenig befreiter.

„Warum ich?" es war nicht die Frage die ich erwartet hatte.

So viele Gründe. „Sie haben mir geholfen, ohne Grund, unter Einsatz ihres Lebens. Sie opfern sich jeden Tag für andere, die doch nur auf ihr Grab spucken würden. Und Sie wissen es, tun es aber trotzdem. Ich mag Sie. Es ist leichter Ihnen zu vertrauen. Und Sie werden mir helfen, nicht wahr? Nicht aus der Güte Ihres Herzens heraus. Sondern weil Sie wissen, wie es ist zu leiden."

„Und warum genau sollte ich das? Was hätte ich davon?" Slytherin-Taktik der Gegenfrage. Meine Worte waren ihm unangenehm. So alt wie Salazar, wenn nicht älter.

„Wenn Sie meine Mutter retten, dann kann sie Ihnen auch helfen. Ein Kreislauf, einfache Kettenreaktion, Nehmen und Geben."

„Gryffindor-Sentimentalität" zischte er.

Dennoch fragte er „Wie heißt Ihre Mutter?"

„Vivianne Westerwood" wie fremd hörte sich dieser Name schon auf meiner Zunge an. „Sie ist in Trakt F, Zelle 319."

„Sie können jetzt gehen, Miss Westerwood." meinte er abweisend. Ich konnte mein Glück kaum fassen, er hatte mir zugehört, zum ersten Mal hatte mir ein Erwachsener wirklich zugehört. „Danke" wie oft hatte ich dieses Wort schon zu ihm gesagt. „Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann." „Verschwinden Sie" zischte er und ich ging.

Mir war kalt und ich lief so schnell und leise wie möglich zurück zu meinem Schlafsaal. „Nun, mein Mädchen, was machen wir denn so spät noch ganz alleine auf den Gängen? So etwas könnte doch gefährlich für dich werden." Plötzlich wird mir noch kälter, ich habe keine Angst mehr vor ihm, und doch... .

„Guten Abend, Professor Kern, ich hatte noch Nachsitzen bei Professor Snape und gehe jetzt zurück in meinen Schlafsaal."

Er betrachtete mich neugierig aus seinen blitzenden blauen Augen, die nichts von Dumbledores Wärme hatten. „Ganz alleine so spät noch Nachsitzen bei einem männlichen Kollegen, seltsam, man könnte meinen." Wie ich ihn hasste. Wie er so etwas sagen konnte. Er von allen Menschen.

„Nicht jeder Mann denkt in solchen Bahnen" und ich wusste, dass ich nicht noch direkter hätte sein können. „Seltsam" er kniff die Augen zusammen, „du erinnerst mich an jemanden, an die Tochter einer Freundin, du siehst ihr verblüffend ähnlich. Und frech war sie auch. Aber das ist natürlich nicht möglich." Er schüttelte den Kopf, wie um sich selbst zu überzeugen.

„Warum ist das denn so unmöglich?" ich versuchte so naiv wie nur möglich zu klingen.

Ich würde nicht weinen, ich würde versuchen ihn nicht zu schlagen. Aber ich durfte ihn wenigstens in Frieden hassen.

Es war meine Geschichte, über die er so entfernt sprach, als würde sie ihn gar nichts angehen, als wäre sie nur etwas dass in einem Buch stand, unbedeutend und fern, als wäre er nicht ein Teil, nein, der Auslöser all dieses Unglückes gewesen. Und doch konnte er es nicht ganz verbergen, das leichte Zittern seiner Unterlippe, das unruhige Flackern seiner Augen als sie immer wieder über meinen Körper huschten.

„ Das hat dich nicht zu kümmern, mein Kind" sagte er schließlich und ich verabscheute nichts mehr als diese Phrase wenn sie von ihm kam. „Die Sache muss Ihnen sehr nahe gegangen sein." würgte ich hervor.

Er drehte den braungebrannten Kopf von mir weg, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. „ Natürlich! Ich habe ihre Mutter geliebt und das Mädchen war wie eine Tochter für mich." Aber er konnte mich nicht ansehen, als er das sagte, er hätte mir nicht ins Angesicht lügen können.

„Lügner!" und diesmal schrie ich es laut. Manchmal tun wir absolut unkluge Dinge um etwas loszuwerden was wir die höhere und gerechtere Wahrheit nennen. Wir wissen um der Gefahr und begeben uns dennoch in sie. Das macht uns menschlich. Es macht uns außerdem leichter angreifbar.

Und er begriff. „Nein" stöhnte er auf „dass ist doch nicht möglich, du bist doch, ich weiß es doch, ich habe dich doch" seine Stimme hatte den arroganten Ton verloren, seine Haut die Bräune und sein Auftreten jeglichen Stil.

Ein irres Glitzern trat in seine nicht mehr schönen Gesichtszüge. Die Angst und die Wut verzerren und deformieren unsere aufgetragene Schönheit und zeigen uns die wahre Hässlichkeit dahinter.

„Violet Westerwood" flüsterte er „ich weiß nicht wie, aber" seine Hände verknoteten sich ineinander „ich darf dich nicht mehr gehen lassen. Du würdest es erzählen, ich muss dich, noch einmal" und in seiner ganzen Rage zitterte er als er seine muskulösen Hände um meinen Hals schlang. Ich schloss die Augen, damit ich ihn nicht sehen musste. Ein seltsames Deja-vu.