Fans und Feinde
Die Zeit drängte. Wenn Shego noch pünktlich
zur Hochzeit ihrer alten Lieblingsfeindin erscheinen wollte, musste
sie sich beeilen. Ein fahrbarer Untersatz wäre da sehr nützlich,
nur leider war ihrer schon lange im Boden versickert.
Jetzt hatte sie vier Möglichkeiten. Nummer 1:
Sich in den nächsten Bus setzen. Dies kam aber deshalb nicht in
Frage, weil sie es keine zwei Minuten zusammengepfercht zwischen
quengelnden Kindern und stinkenden Rentnern aushalten würde.
Nummer 2: Das nächstbeste Auto knacken und kurzschließen.
Dies kam ebenfalls nicht in Frage, da ein simpler Autodiebstahl ein
wirklich herber Rückschritt für jemanden wie sie wäre
und nur dann tragbar ist, wenn ein wirklicher Notfall vorliegen
sollte. Nummer 3: Per Anhalter fahren, doch nach der gestrigen
Erfahrung im Trampen war auch das keine Alternative. Blieb noch immer
Nummer 4: Zum nächsten Autohändler spazieren, sich für
eine Probefahrt eintragen und einfach nie wieder zurückkommen.
Zugegeben, das war so ähnlich wie Nummer 2, besaß aber
etwas mehr Stil. Jeder 13jährige kann ein Auto knacken und damit
abhauen.
Als sie sich nach dem nächsten Autohändler
umsah, bemerkte sie schon wieder die junge Frau von vorhin. Diesmal
versuchte sie angestrengt so zu tun, als ob sie nicht bemerken würde,
dass Shego sie ansah und bewunderte die künstlerische
Meisterleistung eines Graffitis, welches in fast schon unleserlich
dahingeschmierten, schwarzen Buchstaben verkündete: „Carsten
ist voll süß!" Doch auch dieses Musterbeispiel
tadelloser Kunstfertigkeit, gepaart mit Shakespearesquer Poesie
verlor irgendwann seinen Reiz. Ausserdem wollte die Frau wissen, ob
Shego sie immer noch ansehen würde. Sie drehte sich um, doch es
fehlte jede Spur.
„So ein Mist, wo ist sie hin?" flüsterte
sie zu sich selbst.
Diese Frage wurde schneller beantwortet, als ihr
lieb war. Ohne Vorwarnung wurde sie mit einem kräftigen Ruck in
eine dunkle Seitenstraße gezogen und blickte der bösesten,
grünen Frau auf diesem Planeten in die Augen.
„Nach all dem, was mir in den letzten 24 Stunden
passiert ist, habe ich keine Lust mehr auf alberne Ratespielchen,
deshalb werde ich dir keine Fragen stellen, trotzdem verlange ich von
dir Antworten. Solltest du aber nicht das sagen, was ich hören
will, betrittst du die Welt der Schmerzen. Also überlege gut,
aber nicht zu lange."
Ihr Opfer tat etwas, womit Shego nie gerechnet
hätte. Sie lächelte. Es war kein verzweifeltes Lächeln,
wie sie es von vielen anderen Menschen, die sie im Laufe ihres Lebens
im Würgegriff gegen die Wand gedrückt hatte, kannte. Es war
auch kein Lächeln das sagte: „Droh du nur, doch die Kavallerie
steht schon vor deiner Tür". Es war ein ehrliches Lächeln.
Ein glückliches Lächeln. Ein Lächeln das man hat, wenn
man einen Blick in die Fernsehzeitung wirft und dort liest, dass
endlich neue Folgen seiner Lieblingsserie laufen.
„Okay, was gibt es zu grinsen?" fragte Shego.
„Ich bin nur so glücklich, sie endlich zu
treffen. Live. Hautnah. In Person."
Shego ließ die Frau los und ging einen
Schritt zurück. So etwas hatte ihr noch nie jemand gesagt.
„Warum...nenne mir einen vernünftigen
Grund...Mädchen, was ist los mit dir?" stammelte Shego am
Rande der Sprachlosigkeit.
„Darf ich mich vorstellen? Rosie, Rosie Burton.
Vorsitzende des...ersten Shego Fanclubs."
Während Rosie ihr eine Visitenkarte reichte,
versuchte Shego sich nichts anmerken zu lassen.
„Fanclub? Den...habe ich aber nicht
autorisiert."
„Es wäre aber nett, wenn sie es tun würden.
Dann könnten wir uns als erster offizieller Shego Fanclub
bezeichnen."
„Wir? Das königliche Wir oder das
mehr-als-eine-Person-Wir?"
„Der Fanclub hat über 200 Mitglieder. Und
er existiert erst seit etwas mehr als einem Jahr."
„Aber...ihr wisst schon, dass ich die Böse
bin."
„Ja, aber darin sind sie echt gut. Sonst würde
der Fanclub gar nicht existieren."
„Wie kommt jemand auf die Idee einen Fanclub von
einer Frau zu gründen, die in 11 Ländern gesucht wird?"
„Es gibt doch auch Sammelkarten mit den Bildern
berühmter Serienkiller. Sie hingegen sind jedoch etwas viel
besseres als alle Kannibalen dieser Welt. Sie haben nicht nur alle
Tassen im Schrank, sie sind auch sehr intelligent, eine hervorragende
Kämpferin, können dieses coole Ding mit ihren Händen,
die männlichen Mitglieder des Fanclubs finden sie unglaublich
heiss und ausserdem schaffen sie es tatsächlich eine so,
entschuldigung, ekelhafte Farbe wie grün richtig gut aussehen zu
lassen. Sie sind eine Stilikone! Und ich könnte noch mehr Gründe
aufzählen."
Soviel Lob auf einmal war für Shego richtig
ungewohnt. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wann man sie das
letzte Mal so sehr gelobt hatte, aber ihr fiel nichts ein.
„Ich versuche schon seit Jahren, schon bevor ich
den Fanclub gegründet habe, sie zu treffen, doch ohne Erfolg.
Ich muss gestehen, ich habe sogar mal Kim Possible um Hilfe bei der
Suche nach ihnen gebeten, doch ich bekam nur eine E-Mail, in der
stand, dass man so etwas nicht mal im Scherz sagen sollte. Gestern
morgen jedoch, ich ahnte nichts böses, hätten sie mich fast
mit dem Auto überfahren!"
Ein kurzer Flashback blitzte auf. Rosie war
wirklich die Frau, die Shego kurz nach verlassen des Verstecks
beinahe überfahren hatte.
„Jetzt weiss ich wieder, woher ich dich kenne."
„Ja, ich wohne in einem Wohnwagenpark in der
Nähe und dachte, hier wäre niemand, dann ging plötzlich
diese Luke auf und Zack, wäre ich fast von meinem Idol
überfahren worden. Dann habe ich mich auf meinen kleinen
Motorroller gesetzt und bin losgefahren. Leider macht er nur 24
Sachen die Stunde, weshalb ich erst heute Morgen hier angekommen bin.
Ich wusste erst gar nicht, ob sie überhaupt in diese Richtung
gefahren waren, doch ich kam auch an so eine Tankstelle und der
Tankwart war ziemlich mies gelaunt und erzählte mir etwas von
einer grünen Frau, die sein Auto demoliert hat und dann bin ich
weitergefahren und war schon völlig verzweifelt, als dann
plötzlich diese beiden Typen durch die Fensterscheibe geflogen
sind und so."
„Du redest eindeutig zu viel."
„Tut mir leid, ich bin nur so aufgeregt. Bekomme
ich ein Autogramm?"
Eine gute Minute lang sagte niemand auch nur ein
Wort. Shego wusste irgendwie nicht, was sie darauf antworten sollte.
Normalerweise ist sie ja niemals um eine Antwort verlegen, doch ihr
kam nie ernsthaft in den Sinn, dass sie Fans haben könnte.
„Habe ich etwas falsches gesagt?" fragte Rosie
zögernd.
„Nein. Es ist nur...ich habe gar keine
Autogrammkarten. Ich habe noch nicht mal einen Stift bei mir."
Mit einem hilfsbereiten Lächeln zog Rosie
einen Stift und ein Hochglanzfoto hervor. Das Foto zeigte Shego, wie
sie gerade auf Kim Possible zusprang. Ihr Fuß befand sich dabei
wirklich nur einen Hauch von Kims Gesicht entfernt.
„Woher hast du das? Gefällt mir."
„Ach, ich kenne da jemanden, der kennt jemanden,
der ist mit jemandem verwandt, der wiederum jemanden kennt, und so
weiter und so weiter und der ist Handlanger von Dr. Drakken und hat
Zugang zu Überwachungsbändern und der kennt wiederum
jemanden der solche Screenshots auf echtem Fotopapier anfertigt.
Könnte ich eine Widmung haben?"
„Wie war dein Name noch mal? Rosie?" Shego
fing an, das Foto zu unterschreiben. „Hast du auch vor, ins
Schurkengeschäft einzusteigen?"
„Ja, doch, irgendwie. Im Moment studiere ich
noch Kriminologie, aber ich lerne diverse Kampfsportarten und irgendwann hoffe
ich, so gut zu werden wie sie."
„Das wirst du nie schaffen. Hier, bitte."
Rosie sah sich das Autogramm an und lächelte.
Die Widmung lautete: „Für Rosie. Sollte ich
dieses Autogramm bei eBay finden, werde ich dir und deiner Familie
etwas schreckliches antun. Shego"
„Keine Bange, diese Autogramm werde ich immer in
ehren halten. Besuchen sie doch mal unsere Website."
„Mal sehen. Ich muss jetzt weiter. Ich gebe es
ungern zu, aber es war nett, dich kennenzulernen."
„Gleichfalls. Kann ich sie irgendwo hin
mitnehmen?"
„Auf deinem kleinen, langsamen Motrroller?
Niemals."
„Okay. Nochmals besten Dank."
Rosie verschwand fröhlich hüpfend aus
der Seitenstraße, stieg auf ihren Motorroller und tuckerte
langsam davon. Shego sah ihr hinterher.
„Trotzdem bräuchte ich jetzt eine
Mitfahrgelegenheit", seufzte sie.
In dem Moment fuhr ein dicker Geländewagen an
ihr vorbei und blieb einige Meter weiter mit quietschenden Reifen
stehen. Die Fahrertür öffnete sich und Handlanger Nr. 28
stieg aus.
„Shego! Mein Gott, sind sie es wirklich?" Er
lief auf sie zu und umarmte sie, so fest er konnte. „Zum Glück
geht es ihnen gut. Sie glauben gar nicht, was ich mir für Sorgen
gemacht habe." In dem Moment realisiert er, was er da gerade tat
und ließ Shego auf der Stelle los. „Tut mir leid. Auch das
mit dem Auto. Ich bin sofort losgefahren und habe mich auf die Suche
nach ihnen gemacht. Ich habe mir extra diesen Geländewagen
ausgeliehen, weil er so eine riesige Rückbank hat und wenn sie
schwer verletzt oder sogar...tot gewesen wären, hätte ich
sie dort gut hinlegen können. Ausserdem besitzt dieser Wagen
noch sonst ein paar Sachen die sehr hilfreich bei der Bergung von
Unfallopfern sind. Ich bin nur leider erst ein paar Stunden in die
falsche Richtung gefahren, ich wusste ja gar nicht wo sie hin
wollmhmhndnf."
Shego schnappte sich mit Daumen und Zeigefinger
seine Lippen und drückte sie zu.
„Was in aller Welt bringt plötzlich alle
Menschen in meiner Umgebung dazu, ohne Unterlass zu reden? Aber gut,
dass du da bist. Dann komme ich ja doch noch pünktlich."
Sie ließ seine Lippen wieder los und ging
zum Auto.
Zwei Stunden später waren sie endlich am Ziel
angekommen. Eine riesige Kirche, direkt gegenüber von einem nur
unwesentlich kleineren Smarty Mart.
„Bleib nicht stehen, fahr einfach weiter"
instruierte Shego Nr. 28.
„Warum?"
„Ich muss mich noch umziehen. Fahr noch zwei
Straßen weiter und während ich in der Kirche bin, warte
dort auf mich."
„Warum so weit weg?"
„Wegen der Scharfschützen."
Erst wollte Nr. 28 lachen, doch dann fiel ihm ein,
dass sie normalerweise nie solche Witze machte. Sarkastische
Bemerkungen, ja, ununterbrochen, aber so etwas? Er parkte stumm das
Auto und stieg aus, damit sich Shego auf der Rückbank umziehen
konnte. Vorher machte sie ihm aber noch sehr deutlich klar, dass er,
sollte er es wagen einen Blick zu riskieren, mindestens zwei Augen
verlieren würde.
Kurze Zeit später verließ Shego das
Auto. Sie trug jetzt ihren Kampfanzug.
„Ähm, so wollen sie zu einer Hochzeit?"
„Nein. So will ich zu dieser Hochzeit.
Dauert nicht lange."
„Hoffentlich. So wie es aussieht, zieht ein
Sturm auf!"
„Du hast ja keine Ahnung", flüsterte
Shego und ging auf die Kirche zu.
Gleichermaßen unheilvoll wie klischeehaft
verdunkelte sich der Himmel bei jedem ihrer Schritte ein Stückchen
mehr. Der Wind wurde immer stärker und die ersten Blitze zuckten
am Himmel.
„Meinen sie, sie kommt?" fragte einer der
Anwesenden Jessica, die ziemlich angespannt wirkende Braut.
„Natürlich wird sie kommen. Sie kann nicht
anders."
„Hoffentlich haben sie recht. Sie wissen was auf
dem Spiel steht."
Jessica blickte vom Altar aus über die 300
Personen umfassende Hochzeitsgesellschaft. 600 Augen starrten sie an
und sie wusste, dass ziemlich viele ihnen nur darauf warteten, dass
sie versagen würde.
„Die Braut ruft Amor 1", sprach sie in ihren
Blumenstrauß. „Ist schon etwas zu sehen?"
Normalerweise antworten Blumensträuße
nicht, wenn man zu ihnen spricht. Dieser hier sollte es allerdings,
gab aber trotzdem keinen Laut von sich.
„Amor 1, bitte melden." Noch immer gab es
keine Antwort. „Amor 2? Hallo? Amor-Team, bitte kommen."
Die anhaltende Schweigsamkeit dieses
Blumenstraußes ließ nur einen Schluss zu: „Sie ist
hier. Haltet euch bereit. Vermutlich wird sie durch irgendein Fenster
gesprungen kommen."
Die Gäste sahen sich angestrengt in alle
Richtungen um, bis sie plötzliches ein lautes Quietschen
regelrecht dazu drängte, ihren Blick auf die sich schwerfällig
öffnende Eingangstür zu richten.
„Hat die Trauung schon angefangen?" fragte
Shego, als sie langsam die Kirche betrat.
„Ganz und gar nicht", antwortete Jessica mit
einem fiesen Grinsen. „Komm doch näher, lass dich ansehen."
„Aber gerne." Langsam schritt sie auf den
Altar zu. „Du musst übrigens entschuldigen, dass ich deine
Scharfschützen ausser Gefecht gesetzt habe, aber sie hätten
leicht jemanden verletzen können. Das willst du doch nicht,
oder?"
„Aber wo denkst du hin?"
Jedesmal, wenn Shego eine Sitzreihe passiert
hatte, standen die dortigen Gäste auf und schnitten ihr den
Rückweg ab. In der Mitte des Raumes blieb sie stehen und stemmte
erwartungsvoll die Hände in die Hüften.
„Ach Jessi, was soll das? Das ist eine Sache
zwischen uns beiden."
„Das war mal eine Sache zwischen uns beiden.
Seitdem ich Special Agent des FBI bin, ist es eine Sache zwischen uns
beiden und den 300 handverlesenen FBI-Agenten, die zu meiner Hochzeit
gekommen sind."
Jetzt standen auch die „Gäste" vor Shego
auf.
„Hochzeit?" fragte sie. „Ich wüsste
nicht, dass hier je eine Hochzeit stattfinden sollte. Das alles war
doch nur ein ziemlich plumper Trick von dir um durch die Ergreifung
der meistgesuchten Frau dieses Planeten, die zufälligerweise
deine alte Schulrivalin ist, die Karriereleiter hochzuklettern. Schon
alleine, dass du es geschafft hast, mir eine Einladung zu schicken,
war mehr als verdächtig."
Jessica applaudierte gehässig, während
alle 300 FBI-Agenten ihre Waffen auf Shego richteten.
„Du wusstest vielleicht, dass das hier nur eine
Falle ist, aber trotzdem bist du gekommen. Genau so, wie ich es
vorhergesagt habe."
Besonders lauter Donner grollte von draussen
herein.
„So wie es aussieht, hast du mich dann wohl
erwischt. Gratuliere. Aber es könnte schlimmer kommen."
„Zum Beispiel?"
„Wenn ich mich in diesem abgrundtief
scheußlichen Brautkleid sehen lassen müsste."
„Okay Männer, sobald sie sich bewegt,
erschießt ihr sie."
„Bewegen? Meinst du etwa so?"
Shego entflammte ihre Hände und nur kurz
darauf konnte man eine sehr interessante, wenn auch unglaublich laute
Klangcollage hören. Diese bestand aus 300 gleichzeitig
abgefeuerten Schusswaffen, gefolgt von 300 nacheinander, innerhalb
von einer Sekunde aufeinander treffenden und voneinander abprallenden
Pistolenkugeln, die allesamt wieder in den Lauf zurückflogen,
aus dem sie kamen, dort jeweils eine kleine Explosion verursachten
und so alle FBI-Agenten zum aufschreien brachten.
Dieses Geräusch wurde später als
„W-Klang" bezeichnet. W stand für „Wir haben gerade etwas
gehört, dass nicht nur die Gesetze der Physik, sondern auch die
der Wahrscheinlichkeit und vielleicht sogar die der Realität
gebrochen hat, deshalb lasst es uns einfach ignorieren und nie wieder
auch nur ein Wort darüber verlieren."
Shego entkam den Kugelhagel und verursachte den
W-Klang durch einen einfachen, senkrechten Sprung nach oben. Als sie
wieder auf dem Boden ankam, ließ sie den Agenten keine Zeit,
sich von dem Schrecken und den kleineren Brandwunden an den
Fingerkuppen zu erholen. Sie schnappte sich den erstbesten FBI-Mann
in Reichweite, warf ihn nach hinten über die Schulter in die
Menge und räumte so einen ganzen Haufen weiterer Männer aus
dem Weg. Keine halbe Sekunde danach drehte sie sich wie ein
Wirbelwind in der Luft und verpasste all denen, die sich nicht
rechtzeitig ducken oder einen Schritt zurück gehen konnten einen
Abdruck ihrer Schuhsohle im Gesicht. Kaum wieder auf dem Boden
aufgekommen, schnappte sich jemand ihre langen Haare und zog sie
ruckartig zu sich hin. Weder die feine, englische Art, noch eine
besonders gute Idee. Sie zog einmal kräftig an seinem Arm und
renkte ihm diesen aus. Dann schlug sie ihn ein paar mal mit seiner
eigenen Faust, renkte seinen Arm mit einem Ruck wieder ein, lies sich
zu Boden fallen und zog mit einem gezielten Rundumkick der nächsten
Welle von Angreifern den Boden unter den Füßen weg.
Kürzen wir das Ganze etwas ab. Wie zu
erwarten war, ging Shego als Siegerin aus dem – zumindest nicht für
sie – unfairen Kampf hervor und verursachte:
74 ausgekugelte Schultergelenke
146 gebrochene Finger (7 davon werden nie wieder
gerade zusammenwachsen), sowie 199 verstauchte
125 gebrochene Zehen, sowie 127 verstauchte
29 gebrochene Handgelenke, sowie 2 verstauchte
(wirklich nur so wenig!)
34 gebrochene Arme
12 gebrochene Beine
25 gebrochene Unterkiefer
212 komplett ausgeschlagene Zähne, 50
teilweise
39 gebrochene Rippen, 74 geprellte
2 abgetrennte Finger (Das war ein Unfall. Ein
Agent wollte gerade zur Tür heraus rennen, als sie einen anderen
dagegen warf und diese zuschlug. Sie konnten aber wieder angenäht
werden.)
128 gebrochene Nasen
475 blaue Augen
1 verdrehte Kniescheibe
3 gequetschte Hoden
sowie diverse kleinere Verletzungen, wie
Hautabschürfungen, Blutergüsse und auch die eine oder
andere Platz-, Kratz- und Schnittwunde.
Shego hingegen musste sich nur nochmal die Haare
kämmen, ansonsten ging es ihr hervorragend.
300 auf einmal erledigt. Das war sogar für
sie ein neuer Rekord. Allerdings hätten es insgesamt 301 sein
sollen.
„Deine Partys waren schon immer lahm, Jessi."
Jessica stand noch immer am Altar. Sie versuchte
sich nichts anmerken zu lassen.
„Woher willst du das wissen? Ich habe immer nur
die coolen Mädchen auf meine Partys eingeladen."
„Stimmt, es sind aber nie welche gekommen, weil
sie immer auf meinen Partys waren."
„Ich glaube, der Worte sind genug gewechselt."
Jessica zog einmal kräftig an ihrem
Brautkleid und darunter kam ein viel praktischerer Kampfanzug zum
Vorschein.
„Das muss mit dem Ding doch schrecklich warm
unter dem Kleid gewesen sein."
„Dann sollte ich mich wohl besser abkühlen."
Schreiend rannten Jessica und Shego aufeinander
zu. Als es dann zum Zusammentreffen kam, musste Shego einen kräftigen
Hieb auf die Nase einstecken. Überrascht und auch etwas benommen
wich sie ein paar Schritte zurück und hielt sich die Hand vors
Gesicht.
„Verflucht", rief sie. „Mitten auf mein
schönes Näschen."
Während Shego sich etwas Blut von der
Oberlippe abwischte, pfiff Jessica die allseits bekannte
„Ällerbätsch" Melodie.
„Da hast du mich wohl ein klein wenig
unterschätzt, Shego. In all den Jahren, in denen wir uns nicht
gesehen haben, habe ich viele, viele Kampfstile, bei vielen, vielen
Großmeistern erlernt und meinen Körper so zu einer
unbezwingbaren Kampfmaschine werden lassen."
„Und trotzdem ist dein Hintern immer noch so
fett wie früher."
„Apropos Hintern. Bereit dort hineingetreten zu
werden?"
„Ein Glückstreffer und schon wirst du
übermütig."
Shego sprang auf Jessica zu, warf sie zu Boden und
schlug mehrmals auf sie ein. Mit einer Rolle rückwärts
konnte sich Jessica jedoch befreien und lag jetzt ihrerseits auf
Shego, doch noch bevor sie ihr etwas tun konnte, vergrub Shego ihre
Fingernägel derart tief in Jessicas Oberarmen, dass sie keine
andere Wahl hatte, als loszulassen. Shego schickte ihr noch einen
Tritt hinterher und sprang wieder auf ihre Füße.
Währenddessen machte Jessica einen gewaltigen Satz über sie
hinweg, landete auf ihren Händen direkt hinter ihr, schlang ihre
Beine um ihren Hals, drehte sich einmal zur Seite und warf Shego so
wieder auf den Boden. Jetzt lag sie mit dem Gesicht nach unten,
während Jessica auf ihrem Rücken saß und Shegos Kopf
zweimal gegen den Fußboden schlug. Sie versuchte es noch ein
drittes mal, doch dann trat Shego sie rückwärts gegen ihren
Hinterkopf.
Als beide wieder aufstanden, mussten sie ein paar
mal kräftig durchatmen.
„Du bist gar nicht mal schlecht", musste Shego
zugeben. „Ich kenne bessere, viel bessere, aber dafür, dass du
du bist, bist du ziemlich gut."
„Wenn du das schon für ziemlich gut hältst,
wie findest du dann das?"
Gerade als Jessica ihre nächste Attacke
starten wollte, schlug ein Blitz durch ein offenes Kirchenfenster
direkt zwischen den beiden Kontrahentinnen ein. Beide flogen in
entgegengesetzte Richtungen und wurden erst durch die nächste
Wand gestoppt. Von den am Boden liegenden FBI-Agenten wurde aber
keiner mehr verletzt.
„Also ich muss neidlos zugeben, dass das
wirklich brillant war. So etwas kann noch nichtmal ich."
„Ich sage es dir nur ungern, aber das war ich
nicht. Was ich dir zeigen wollte, war das!"
Jessica rannte regelrecht die Wand hinauf, in
einem schier unglaublichem Tempo dort entlang, sprang so schnell von
Wand zu Wand, dass selbst ein Kolibri Schwierigkeiten hätte, sie
im Auge zu behalten und landete dort, wo Shego eigentlich stehen sollte. Nur
leider war sie nicht mehr da.
„Hey," rief Jessica, „wo bist du?"
Es war nicht die Antwort, die sie erhofft hatte,
aber als Shego ihr eine tiefe Kratzwunde am Rücken verpasste,
war sie endlich wieder zu lokalisieren. Was dann folgte war ein
blitzschnelles Schlagen/Ausweichen/Parieren gefolgt von einigen
Kickbox-einlagen und dem einen oder anderen Sprung, wahlweise mit
oder ohne Kick.
„Weißt du, Jessica, ich habe keine Lust
mehr."
„Bedeutet das, du gibst auf?"
„Nein, das bedeutet..."
Das Gewitter war abgeklungen, es hatte zu regnen
aufgehört und die Sonne kam wieder raus. Handlanger Nr. 28 stieg
aus dem Auto, ließ sich die ersten Sonnenstrahlen aufs Gesicht
scheinen, zog sein Handy hervor und rief seine Verlobte an.
„Hallo Schatzi, ich bin's. Wie geht es dir?
Das ist schön. Ich saß gerade in einem Gewitter fest.
Nein, im Auto. Oh, frag nicht, frag nicht. Ich erzähle dir alles
später. Ja, heute Abend bin ich wieder bei dir. Ich freue mich
schon. Und darauf freue ich mich erst recht."
Wie aus dem Nichts tauchte Shego plötzlich
neben ihm auf.
„Bin fertig, wir fahren wieder."
„Nein", sagte Nr. 28 ins Handy, „das war
meine Chefin. Sie hatte was zu erledigen. Keine Ahnung, ich frage da
nicht nach. Ich muss jetzt auflegen, sie sieht mich schon wieder so
böse an. Nein, das werde ich ihr nicht sagen, so etwas hört
sie nicht gerne. Glaub mir. Okay, bis später. Ich liebe dich
auch. Ja, ich liebe dich auch. Ja, ich liebe dich auch. Ja, ich liebe
dich auch."
„Er liebt sie, verdammt!" rief Shego aus dem
Auto.
„Du hast es gehört, Liebling, bis dann."
Nr. 28 steckte das Handy wieder ein und startete
den Wagen.
„Und, wie war die Hochzeit?" fragte er und
versuchte dabei nicht allzu offensichtlich auf Shegos blutende Nase
zu starren.
„Langweilig. Wie alle Hochzeiten. Fahr los."
Nr. 28 tat, wie ihm befohlen wurde. 10 Minuten
später wachte Jessica wieder auf. Ihr ging es gar nicht gut und
es dauerte etwas, bis sie merkte, dass sie keine Ahnung hatte, was
zuletzt passiert war. Es dauerte nochmal einige Zeit, bis sie
bemerkte, dass sie Kopfüber an einem Kreuz hing. Das war
übrigens in keinster Weise ein Glaubensbekenntnis von Shego (zu
welchem Glauben auch immer), sie dachte nur, dass es eine gute Idee
wäre, Jessica irgendwo kopfüber aufzuhängen und wenn
man in einer Kirche ist, gibt es doch keinen besseren Ort dafür,
als ein Kreuz.
Jessica bekam später mächtigen Ärger
von ihren Vorgesetzten. Nicht nur, weil sie eine unglaublich
aufwendige Operation in den Sand gesetzt und das Leben von 300 guten
FBI-Agenten, plus 12 Scharfschützen aufs Spiel gesetzt hatte,
sondern auch weil eine offizielle Beschwerde vom Vatikan eintrudelte,
da die Kirche, in der das Ganze stattfand, neu geweiht werden musste.
Sie wurde in den Innendienst zurückversetzt und darf jetzt in
einem dunklen, Fensterlosen Raum Akten sortieren.
Carl fuhr, sofort nachdem er Shego im Hotel
abgesetzt hatte, nach Hause zurück. Midlife Crisis hin oder her,
wenn man auf der Straße damit rechnen muss, dass man von
verrückten Tankwarten und grünen Frauen gejagt wird, bleibt
man lieber zu Hause.
Der Langhaarige blieb bis zu seinem Lebensende in
diesem Hotel. Schließlich gehörte es ihm! Er erlebte dort
noch so einiges. Mehr, als ihm lieb war, doch das sind alles andere
Geschichten.
Bert legte monatlich etwas Geld für Shego
zurück, doch als sie nach vier Jahren noch immer nicht
vorbeigekommen war um es abzuholen, gab er es für eine teure
Kreuzfahrt aus. Währenddessen wurde er auf einer Hawaiianischen
Insel von einem Giftfisch gebissen, erlitt einen allergischen Schock
und kam, während der zwei Tage im Koma, im Traum auf ein noch
nie dagewesenes Pfannkuchenrezept. Dieses ließ ihn und seinen
Pfannkuchenpalast zum Gesprächsmittelpunkt aller
Pfannkuchenliebhaber werden und aus „Berts Pfannkuchenpalast"
wurde eine ganze Restaurantkette, die zwar später von „Bueno
Nacho" aufgekauft wurde, Bert aber trotzdem noch einen warmen
Geldregen spüren ließ.
Die van Helden Brüder merkten während
ihres Krankenhausaufenthaltes, wie sehr sie Clowns liebten und
eröffneten ein Clownscollege. Das war das Ende ihrer kleinen,
kriminellen Karriere.
Rosies Shego Fanclub lief hervorragend, doch kurz
nach Abschluss des Studiums löste sie ihn ohne Angabe von
Gründen auf und verschwand spurlos. Nur kurz darauf betrat eine
Superverbrecherin namens „Die grüne Rose" die Szene. Zuerst
wurde sie von vielen nur als Shego-Kopie belächelt, doch im
Laufe der Zeit schaffte sie es, aus dem Schatten ihres Vorbilds
hervorzutreten und eine respektable Verbrecherkarriere hinzulegen.
Handlanger Nr. 28 heiratete einige Monate später
seine Vicky. Nur kurz darauf bekam Jack Hench Wind von der Wirkung
seiner Autopolitur und bot ihm einen unanständig hohen
Geldbetrag für die Formel. Nr. 28 nahm dankend an und Vicky
verspielte sein ganzes Geld in nur einer Nacht. Nach der Scheidung
arbeitete Nr. 28 als freiberuflicher Automechaniker für diverse
Superschurken, wie z.B. Professor Dementor, Die grüne Rose oder
El Dieter de la Bestia.
Bevor all dies passierte, kamen er und Shego aber
wieder in Dr. Drakkens derzeitigem Versteck an.
„Oh, wieder da?" fragte Handlanger Nr. 53, als
Shego durch die Tür kam.
„Nein", antwortete sie, „ich bin nur eine
Fata Morgana, verursacht durch Sumpfgase und Wetterballons."
„Das ist aber Schade, denn Dr. Drakken hat
angerufen. Sie sollen ihn aus dem Gefängnis holen."
„Hat er gesagt wann?"
„Nein."
„Dann werde ich jetzt erstmal ein entspanndes
Schaumbad nehmen."
Und Shego nahm ein entspannendes Schaumbad.
Ende
