Kapitel 4 - Ein Tag im Herbst

So blieb es, bis zu jenem Tag im Jahre 1887, ich war gerade einmal 6 Jahre alt. Wir waren dabei uns unser täglich Brot zu verdienen. Ich sollte mich in eine kleine Seitengasse stellen und laut weinen. So lockten wir wohlhabende Bürger an. Während sie mich bemitleideten, stahlen meine Brüder ihnen unbemerkt die Geldbörsen. Zu diesem Zweck hatten wir für mich extra ein Kleid gestohlen. Das einzige, das ich je besaß. Ich sollte wirken wie das Kind eines Bürgers, da ich in meinen zerrissenen Straßenlumpen Argwohn erweckt hätte. Stehlende Straßenkinder waren keine Seltenheit.

Dort stand ich dann... mein Gesicht in den Händen vergraben und der kleine Körper geschüttelt von fast perfektioniertem Schluchzen. Ein Schatten fiel auf mich, jemand war vor mir stehen geblieben. Ich wartete auf eine der üblichen Fragen: 'Was hast du denn meine Kleine?' 'Hast du dich verlaufen?' 'Wo sind deine Eltern?', doch nichts dergleichen geschah. Ich spürte nur weiter den Schatten auf mir und dass mich plötzlich fröstelte, obwohl es für einen bewölkten Oktobertag erstaunlich warm war. Schließlich hob ich zögerlich den Kopf und lies das Schluchzen langsam verebben.

Ich blickte in das kälteste Paar Augen, dass ich je gesehen hatte. Grau und grün wie das Meer und hart wie Diamant. Er sah mich einfach nur an und ich vergaß alles. Dass ich in einer einsamen Gasse stand, dass ich den Köder für meine Brüder spielte und ihn ablenken sollte... ja... für einen Augenblick wusste ich nicht einmal mehr meinen eigenen Namen. Schließlich bemerkte er in spöttischem Tonfall "Deine Wangen sind trocken. Sind Menschen wirklich so dumm, dass sie auf so etwas hereinfallen? Wie armselig."
Bevor ich etwas erwidern konnte, schnellte sein Arm mit übermenschlicher Geschwindigkeit nach hinten und packte meinen Bruder Laszlo, der sich gerade angeschlichen hatte, um ihn zu bestehlen. Laszlo schrie als der Fremde ihn nach vorne riss und am Hals auf seine Augenhöhe hob. "So... ein kleiner Dieb." Der hypnotische Blick seiner Augen hatte sich nun völlig auf Laszlo konzentriert, der nach Atem ringend in der Luft hing. Der Griff des Mannes wurde fester, ich sah wie Laszlo allmählich blau anlief. Ich begriff, dass er Laszlo töten würde und erwachte aus meiner Trance. Mit der geballten Kraft der Wut einer 6-jährigen trat ich ihm gegen das Schienbein. Er wandte den Blick von Laszlo und starrte mich ungläubig an. Leider machte er keine Anstalten den Griff um den Hals meines Bruders zu lockern. Also sprang ich ihn an und biss so fest ich konnte in seinen Arm.

Er lies Laszlo fast augenblicklich fallen und griff stattdessen nach mir. Allerdings würgte er mich nicht sondern nahm mich stattdessen auf den Arm. "Was bist du, ein kleiner Vampir?" es klang als amüsiere er sich ganz prächtig über seine eigene Frage. Ich versuchte herunter zu springen, doch er hielt mich fest. "Hab doch keine Angst, ich tu dir nichts." redete er beruhigend auf mich ein. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, dass seine Augen nicht erreichte. Laszlo kauerte noch immer auf dem Boden und schnappte nach Luft. Die Leute die auf der Hauptstraße an der Gasse vorbeiströmten kümmerten sich nicht weiter um uns. Wieder zwei kleine Diebe die erwischt und bestraft wurden, so wie sie es verdient hatten. Ich hasste die Menschen.

"Wie ist dein Name?" Ich zögerte. "Man nennt mich Sarika." Er zog eine Augenbraue nach oben. "Prinzessin?"
"Meine Brüder haben mich so genannt. Und ich hab keinen anderen Namen." verteidigte ich mich. Mir selbst war der Name auch nie recht gewesen, aber meine Brüder hatten darauf bestanden. Wenn sie eine Prinzessin zum beschützen hätten, dann wären sie alle automatisch edle Ritter, so dachten sie sich das.
"Jetzt schon... ich nenne dich Paliki."
"Aber..."

"Aber..."
"Sasa, bist du wach?" Andrei saß neben meinem Lager und sah mich besorgt an.
"Ja..."
"Was ist mit dir? Du siehst so traurig aus."
"Ach nichts... ich habe nur geträumt."

Authors Note:

Tadaaaaa!
Lange erwartet und da ist er endlich, der Meister höchstpersönlich. (für alle, denen es noch nicht aufgefallen ist ; ) ) Als ich angefangen habe zu schreiben, hätte ich auch nie gedacht, dass es so lange dauert bis er endlich mal auftaucht. Und dann auch noch nur in einer Rückblende. Vergebung. #verbeug#