Kapitel 5 - Endlich in Händen

Ich richtete mich vorsichtig auf, da alle meine Glieder schmerzten. Um den Kopf trug ich jetzt einen Verband und auch um die Schnittwunden hatten meine Brüder sich soweit gekümmert. Gegen das starke Pochen in meinem Kopf konnten sie allerdings nichts ausrichten. Ich kämpfte gegen den Schwindel an als ich wieder aufrecht saß.

"Wie fühlst du dich?" fragte Andrei. Er war der älteste von meinen drei Brüdern und versuchte uns Jüngeren gegenüber immer so etwas wie eine Vaterrolle zu spielen, auch wenn er selber nie erfahren hatte wie es ist, einen Vater zu haben. "Geht schon." erwiderte ich nur. Ich blickte zum Tisch und konnte mein Bündel nicht sehen. "Wo ist es?" Ein Anflug von Panik lag in meiner Stimme. Andrei deutete auf eine kleine Kiste neben meinem Bett. "Hier, wir haben es direkt neben dich gelegt."

Ich griff danach und legte es auf meinen Schoss. Während ich es vorsichtig von dem nassen Tuch befreite, sah Andrei mich nachdenklich an. "Glaubst du... dass es das Wert ist?" Ich warf ihm nur einen zornigen Blick zu und er schwieg. Meine Brüder kannten mein Vorhaben und unterstützen mich, weil ich ihre Schwester war. Aber sie verstanden nicht ganz, dass ich dieses Ziel nun schon 12 Jahre meines Lebens verfolgte, ohne es aus den Augen zu verlieren. Am Anfang taten sie es als Sturheit eines kleinen Kindes ab, später nannten sie mich im Streit schlichtweg "besessen".

Vielleicht war ich besessen. Vielleicht hatte ich mich in etwas hineingesteigert, dass ich nun selbst nicht mehr beenden konnte. Natürlich gab es Momente in denen ich an meinem Verstand zweifelte. Aber ich wollte nicht aufgeben, ich konnte nicht aufgeben. Denn wenn ich jetzt aufgab ... was blieb mir dann noch? Diese Hoffnung hatte mich nun schon 12 Jahre vorwärtsgetrieben. Es war der Strohalm an den ich mich klammerte, wenn die Welt um mich herum unerträglich wurde.

Ich hatte erfahren wie das Leben außerhalb dieser Trostlosigkeit war... und ich wurde brutal wieder dorthin zurückgestoßen, als ich gerade gehofft hatte, alles hätte sich zum Besseren gewandt. Ich würde kämpfen und jedes noch so große Opfer bringen das erforderlich war um zu mir zurückzubringen was ich verloren hatte.

Schließlich war die letzte Schicht Tuch beseitigt und ich hielt ihn endlich in Händen. Ein Schaudern überlief meinen Körper als ich das kalte Metall andächtig mit den Fingerspitzen betastete. Die silberne Scheide des Dolches funkelte im Licht der Kerzen. Sie war mit verschlungenen Ornamenten verziert die wie Dornenranken aussahen. Der Griff des kostbaren Stückes war wie der schuppige Körper eines Drachen gearbeitet und der Knauf bildete den Kopf, mit weit aufgerissenem Maul und gewundenen Hörnern. Die Parierstange stellte die Klauen und Flügel des Drachen dar, ausgebreitet, als wäre er im Sturzflug auf seine Beute.

Andrei schien bei dem Anblick unwohl zu sein und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück. "Ist das ein Drache... oder ein Teufel?" Ich lächelte versonnen. "Wer weiß...?"


So... nach 5 langen Kapiteln ist nun endlich gelüftet WAS Sarika da eigentlich gestohlen hat. Ich weiß, war etwas lange hinausgezögert. Ich bin eben etwas sadistisch veranlagt. Als kleine Anmerkung am Rande: Die Beschreibung des Dolches entstammt nicht komplett meiner Phantasie sondern beschreibt recht genau den Dolch der hier bei mir auf dem Bücherregal thront, bis auf ein oder zwei kleine Details. Als ich ihn gekauft habe, dachte ich mir, er würde gut in die Geschichte passen (da waren gerade Kapitel 1 und 2 fertig).