Kapitel 28 - Das Zeichen

Wir traten hinaus auf den Marktplatz. Alles war ruhig und menschenleer. Selbst die Wachen, die an den Türen des Herrenhauses hätten postiert sein müssen, waren nirgends zu erblicken. Offenbar wog die Müdigkeit nach 12 Jahren schwerer als die Angst vor einer möglichen Rückkehr des Grafen. Aber eigentlich spielte es keine Rolle. Wären sie hier gewesen, wären sie jetzt vermutlich bereits tot. So hatten sie eine Gnadenfrist. Ich fröstelte etwas und zog den Mantel enger um mich, meinen Meister jedoch störte die Kälte nicht im Geringsten. Er atmete genussvoll die klare, eisige Nachtluft ein. Kein Laut war zu vernehmen, außer dem Geräusch unserer Stiefel auf dem Schnee. Das Dorf lag wie ausgestorben, hinter keinem der Fenster brannte noch Licht. Alle schliefen.

"Ich hoffe für sie, dass sie etwas schönes träumen, ich habe gehört, dass macht das Sterben leichter." Etwas dass wie Vorfreude klang, schwang in seiner Stimme mit.

Ich war nicht überrascht. Natürlich hatte ich geahnt was er vorhatte, als ich die Fackeln sah. Nun drückte er mir eine davon in die Hand.

"Geh Paliki, mach uns etwas Licht." Ein dämonisches Lächeln lag auf seinen Lippen und sein Blick ruhte auf der Kirche. Ich verstand.

Langsam schritt ich auf die, aus alten Brettern lose zusammengezimmerte, Kirche zu. Vor der ersten Stufe der Eingangstreppe blieb ich stehen, holte aus und warf die brennende Fackel in hohem Bogen ins Innere. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Flammen nach draußen züngelten und an den Wänden nach oben zum Dachstuhl leckten.

Als ich zu meinem Meister zurückkehrte, gab er mir die zweite Fackel. "Bring deine Arbeit zu Ende." Ich nickte und legte auch Feuer an die umliegenden Häuser. Dabei empfand ich keine Reue. Ob in diesen Häusern nun Menschen wohnten oder nicht, spielte keine Rolle. Erst als das Feuer bereits hoch schlug, kamen die ersten Dörfler aus ihren Häusern gerannt. Nach einem langen arbeitsreichen Tag, schliefen sie offenbar alle wie Steine. Sie schrieen und gestikulierten. Einige von ihnen wälzten sich im Schnee um ihre brennende Kleidung zu löschen.

Plötzlich erscholl hinter mir die Stimme meines Meisters wie ein Donnerschlag der von den Wänden der Berge widerhallte.

"ES WERDE LICHT!"

Er stand jetzt auf dem Dach der Kirche und wurde von einem Kranz aus Flammen eingerahmt. Die Arme weit ausgebreitet, blickte er voller Genugtuung auf das Chaos und die Panik zu seinen Füßen. Er sah aus wie der Leibhaftige selbst.

Schlagartig herrschte eine gespenstische Stille, die von dem Prasseln des Feuers nur noch unheimlicher gemacht wurde. Die Dörfler rissen schockiert und ungläubig die Augen auf, ihr Atem stockte und ihre Münder klappten auf und zu wie die von Karpfen ohne dabei ein Geräusch von sich zu geben. Wie gelähmt standen sie da und starrten zum Kirchendach empor. Es schien zu viel für ihren einfachen Verstand zu sein, was sie da verarbeiten mussten, sie konnten es nicht begreifen. Ich stand teilnahmslos mitten unter ihnen, aber sie nahmen mich gar nicht wahr.

In diesem Augenblick krachte es, und die Kirche stürzte ein. Das brach den Bann. Ohrenbetäubendes Kreischen und Schreien ertönte aus allen Richtungen, die Leute rannten in ihrer Panik wild durcheinander und brachten sich gegenseitig zu Fall. Mein Herr schwang sich von der zusammenbrechenden Kirche herab und machte im Flug Jagd auf die kopflos flüchtenden Bauern.

Ich hatte ihn noch nie jagen sehen und war sowohl fasziniert wie auch entsetzt von dem schrecklichen Schauspiel. In wilder Raserei wütete er unter den Dorfbewohnern, hob sie hoch, warf sie bei lebendigem Leib zurück in ihre brennenden Häuser oder riss ihnen die Kehle heraus, um seinen Blutdurst zu stillen. Danach lies er sie gleichgültig zu Boden fallen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er bereits die Hälfte der flüchtenden Menschen getötet und der Dorfplatz glich einem mittelalterlichen Schlachtfeld.

Der Lärm hatte abgenommen... nur wenige waren noch am Leben. So hörte ich plötzlich ein dünnes Stimmchen rufen: "Hilfe! Bitte! Bitte hilf mir doch!" Langsam drehte ich mich um. Ein paar Meter hinter mir war ein Haus, dessen Dachstuhl ebenfalls eingestürzt war, die schwehlenden Stützbalken versperrten den Ausweg. Ein kleiner Arm streckte sich mir durch einen Spalt entgegen. Ich hatte alles was in den letzten Minuten geschehen war vollkommen unbeteiligt miterlebt. Niemand hatte mich bemerkt, fast hatte ich mich wie ein unsichtbarer Beobachter gefühlt. Zu keinerlei moralischer Anteilnahme verpflichtet. Aber dieses eingeschlossene Kind sprach mit mir. Durch die kleinen Spalten zwischen den Balken konnte ich das rußgeschwärzte Gesicht und die angesengten Haare sehen. Es blickte mich direkt an.

Bevor ich selbst recht begriff warum, fand ich mich an der Tür wieder, wie ich versuchte, einen der Querbalken zur Seite zu drücken. Es gelang mir nicht. Ich versuchte es mit einem anderen, setzte mich auf den Boden und trat mit den Füßen dagegen. Auf der Innenseite hörte ich das Kind immer lauter husten. Endlich gab der Balken nach und rutschte ein Stück zur Seite, so dass ein niedriger Durchgang entstand. ich wartete darauf, dass das Kind von selbst herauskam, aber nichts geschah.

"Ach verdammt nochmal!" Ich legte mich auf den Bauch und robbte Stück für Stück unter dem Balken hindurch, der so aussah, als würde er jeden Augenblick unter dem Gewicht dass er zu tragen hatte zusammenbrechen. Das Kind saß reglos da. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, also griff ich nach seinen Füßen und zog es so unter dem Balken hindurch ins Freie.

Ich suchte nach Lebenszeichen und stellte erleichtert fest, dass es noch atmete. Umgeben von dutzenden Leichen die mich nicht einen Deut scherten, war ich ehrlich froh, dass dieses Kind überlebt hatte.

"Was soll das?!" hörte ich plötzlich eine ungehaltene Stimme neben mir.

Ich blickte auf und sah in das verärgerte Gesicht meines Meisters. Seine Augen blitzten und seine Kleidung war durchtränkt mit dem Blut derer, die er getötet hatte.

"Kannst du mir verraten, warum du dieses Kind gerettet hast? Habe ich dir das aufgetragen?"

"Nein. Ich... es... hat mich um Hilfe gebeten." war alles was ich darauf erwidern konnte. Eine andere Antwort gab es nicht. Ich wusste nicht warum und wieso, ich hatte es eben einfach getan. Und ich bereute es nicht.

Er schnaubte und riss das Kind aus meinen Armen. "Na schön... wenn es denn schon lebt, dann soll es auch einen Zweck erfüllen." Bei dem Brand hatten sich einige Pferde losgerissen und rannten jetzt verstört durch das Dorf. Mein Meister fing ohne große Mühe eines der Tiere das noch gesattelt und gezäumt war ein und band das Kind mit den Zügeln am Sattel fest. Dieses öffnete gerade die Augen und sah ihn stumm vor Entsetzen an. Mit Sicherheit rechnete es damit, auf die gleiche Art zu sterben wie die anderen. Aber mein Herr sah es nur kalt an.

"Du hast die große Ehre als Überlebende davon zu berichten, was du hier gesehen hast. Und ich rate dir, nichts auszulassen... Sonst werde ich dich finden und deine Erinnerung auffrischen." Mit diesen Worten gab er dem Pferd einen Klaps und es galoppierte los, auf dem Weg, der in das nächstgelegene Dorf führte. Ich blickte stumm hinterher, bis das Pferd außer Sichtweite war, während hinter mir die letzten Gebäude des Dorfes zu Schutt und Asche verbrannten. Das Zeichen war entsandt.

Auhors Note:
Phew... dieses Kapitel ist sehr starker Tobak. Ich weiss selber nicht genau, was mich da geritten hat, aber wenn man sich mal überlegt wer Dracula eigentlich ist, sollte es einen nicht wundern wenn er sowas macht, auch wenn es ihn nicht unbedingt sympathischer macht. Ich finde es so wie ich es dargestellt habe realistisch, wenn vielleicht auch etwas drastisch.

(at)Sirius-MyLove: Tjaja, da könnte man schon neidisch werden, was? Zum Glück muss ich das ja nicht. hehehe Dafür kriegt in diesem Kapitel Vladislaus nen Sympathie-Minuspunkt, das gleichts wieder aus. #g#