Kapitel 31 - Die Vertrautheit vergangener Tage

Es dauerte noch einige Zeit, bis wir schließlich den ersten Hinweis entdeckten. Ich hatte mich daran erinnert, dass Valerious nach Budapest kommen wollte, um sich mit dem Bischoff zu treffen. Also trieb ich mich so unauffällig wie möglich in der Nähe der Kirche herum in der der Bischoff predigte, um vielleicht ein paar Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Und ich hatte Glück. Am 3. Tag meiner Beobachtung, wurde in der Kirche eine Armenspeisung durchgeführt und ich konnte ganz offen eintreten und mich unter die Wartenden mischen. Eine Ordensschwester schenkte Suppe aus und der Bischoff stand daneben und lächelte jedem für genau 10 Sekunden huldvoll zu.

Ich setzte mich in der Nähe des Bischoffs an einen Tisch und löffelte still vor mich hin, als ein junger Kaplan ganz aufgeregt auf den Bischoff zugerannt kam.

"Herr Bischoff, Herr Bischoff... er ist schon da!"

"Was? Aber er wollte doch erst in ein paar Tagen kommen."

"Ich weiß, aber er ist soeben mit seiner Begleitung eingetroffen."

Der Bischoff knurrte ungehalten und folgte seinem Kaplan. So unauffällig es mir möglich war, schlich ich den beiden nach. Ich versteckte mich hinter dem Türrahmen der zum nicht gerade armseligen Wohnsitz des Bischoffs führte. Von dort aus konnte ich einen Blick auf den fremden Besucher werfen. Er war es. Kein Irrtum möglich.

"Ihr seid schon hier? Wir haben noch nicht mit Eurer Ankunft gerechnet. Es ist auch noch kein Zimmer für euch bestellt."

"Das macht nichts. Ich bleibe nur für eine Nacht. Ich denke doch, dass euer Haus, das so für seine Gastfreundschaft berühmt ist, mich und meine Begleiter für diese Nacht aufnehmen kann?"

Der Bischoff nickte eilig. "Aber ja, aber ja. Es wäre mir eine Ehre solch erlauchte Gäste unter meinem bescheidenen Dach beherbergen zu dürfen."

Vor Freude konnte ich ein kurzes Jauchzen nicht unterdrücken. Ich hatte es tatsächlich herausgefunden. Da spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter und fuhr herum. Die Ordensschwester war unbemerkt hinter mich getreten. "Was machst du denn hier? Du darfst hier nicht rein, bleib gefälligst draußen bei dem anderen Gesindel!" Sie schleifte mich äußerst unsanft am Arm zurück, aber mir war das gleichgültig. Was ich wissen wollte, hatte ich erfahren. Sobald sie mich aus den Augen lies rannte ich nach draußen.

Ziemlich schnell fand ich einen Boten, der mich zwar reichlich suspekt ansah, dann aber sofort loseilte, nachdem ich ihm reichlich Geld in die Hand gedrückt hatte. Ich hatte beschlossen, auf einer Brücke in der Nähe der Kirche zu bleiben. Bis Sonnenuntergang waren es zwar noch 2 Stunden, aber ich würde warten. So setzte ich mich auf die Brüstung, lies die Beine baumeln und blickte hinab auf die Strömung der Donau. Einer der wenigen Orten von denen herumstreunende Kinder nicht verjagt wurden. Vermutlich wegen der verlockenden Aussicht, wir könnten in den Fluss fallen und ertrinken.

So blieb ich also sitzen und wartete ab. Ich hatte ja schließlich auch nichts Besseres zu tun. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hörte ich die wohlvertraute Stimme hinter mir, ohne vorher Schritte oder etwas anderes wahrgenommen zu haben, dass seine Ankunft verraten hätte.

"Du hast ihn also gefunden?"

Ich fuhr herum und nickte heftig. "Ja Meister. Er hat seine Unterkunft direkt beim Bischoff eingerichtet."

"Hmm... bei dem Bischoff? Schlauer alter Fuchs... er weiß genau, dass ich ihm dorthin nicht folgen kann." Er setzte sich neben mich auf das Geländer der Brücke und dachte nach. Ich rutschte langsam neben ihn. "Wieso denn nicht?"

"Das Haus des Bischoffs trägt den Schutz der 'heiligen Mutter Kirche'. Unter dem Fundament liegt die linke Hand von István I. begraben, als schützende Reliquie, um dem jeweiligen Kirchenoberhaupt von Budapest eine ungestörte Nachtruhe vor dämonischem Gelichter zu bescheren. Auf das er seine Schäflein weiterhin mit Geschichten vom Fegefeuer in die Kirche treiben möge." er begleitete seine Ausführungen mit theatralischer Gestik.

Ich kicherte leise und er blickte mich erstaunt an. "Was ist so komisch?"

"Ihr." ich gluckste immer noch. Er zog fragend eine Augenbraue hoch.

"Wie ihr das so erzählt. Das sieht lustig aus."

Offenbar war er derartige Reaktionen nicht gewohnt, wenn er sprach. Ich versuchte mich zu beruhigen, da ich auf keinen Fall riskieren wollte, seinen Zorn auf mich zu ziehen. "Und was machen wir jetzt?"

"Wir?" Die Frage schien ihn zu überraschen.

"Na wenn ihr das alleine nicht schafft, muss ich euch doch helfen."

Einen Augenblick lang blinzelte er mich verdutzt an. Dann sah er aus, als würde er sich mühsam das Lachen verkneifen. Er hob mich hoch und setzte mich auf seine Knie.

"Soso... und was schlägst du vor, meine kleine Wohltäterin?"

Ich überlegte eine Weile angestrengt. "Na wenn ihr nicht rein könnt... dann muss er raus."

Der Graf nickte. "Sehr weise. Ich glaube nur nicht, dass er mir den Gefallen tun wird irgendwann mitten in der Nacht den Schutz dieses Hauses zu verlassen."

"Hmmmmmmmmmmm..." ich grübelte weiter und hatte schließlich eine Idee. "Ich hol ihn für euch."

"Glaubst du nicht, er wäre dir etwas zu schwer?"

"Neeein, ich mein doch ich lock ihn heraus." klärte ich auf.

"Ach sooo, na dann." Der Graf schmunzelte. Aus irgendeinem mir damals nicht ersichtlichen Grund hatte er erstaunlich gute Laune. "Und du glaubst, dass du das kannst?" jetzt blickte er mich wieder sehr ernst an und ich nickte ebenso ernst zurück.

"Na schön. Dann geh und hol unseren Freund."

"Ja Meister."

Ich sprang von seinen Knien und rannte auf das Haus zu. An der Eingangspforte des Wohnhauses schlug ich ordentlich Krawall, hämmerte meine Fäuste gegen die Tür und schrie und lamentierte aus Leibeskräften. Es dauerte nicht lange bis die Tür aufgerissen wurde und ein Hausdiener des Bischoffs mich böse anschrie.

"Was willst du hier um diese Uhrzeit?! Scher dich gefälligst nach Hause!!"

"Oh bitte gnädiger Herr, ich brauche Hilfe!! Meine arme Mutter ist sehr schwer krank und wir haben kein Geld für einen Arzt und..."

"Heinrich, was ist denn das für ein Krach?" Das Gesicht des Bischoffs erschien am anderen Ende Gangs.

"Ach, nur so ein schmutziges kleines Balg von der Straße. Ich schicke es sofort weg. Wenn du jetzt nicht augenblicklich verschwindest, dann verabreiche ich dir eine Tracht Prügel, dass dir Hören und Sehen vergeht!"

"Wer wird denn so grausam zu einem Kind sprechen?" Das war die Stimme Boris Valerious', der nun ebenfalls aus dem Speisezimmer des Bischoffs getreten war und auf mich zukam.

"Was hast du denn mein Kind?"

"Oh Herr... meine arme alte Mutter. Ich fürchte sie muss sterben wenn sie nicht sehr bald Hilfe bekommt. Ich kam hierher, da ich nicht wusste wohin und..." Ich begann bitterlich zu schluchzen.

"Ganz ruhig meine Kleine. Hab keine Angst. Was hat deine Mutter denn?"

"Ich weiß es nicht Herr. Sie ist so fürchterlich blass und bekommt schlecht Luft. Außerdem hat sie Wundmale am Hals. Ein seltsamer Mann war bei ihr, er hat behauptet er wäre Arzt, aber ich habe das Gefühl seitdem er sie untersucht hat geht es ihr noch viel schlechter."

Valerious wurde hellhörig. "Bring mich zu deiner Mutter. Und schnell. Vielleicht kann ich ja etwas für sie tun."

Ich legte alle Dankbarkeit der Welt in meinen Blick und nickte erleichtert.

"Sollen wir euch begleiten?" rief einer von Valerious' Begleitern.

"Nein nein, nicht nötig. Ich werde mir nur die Mutter dieses kleinen Mädchens... wie heißt du eigentlich meine Kleine?"

"Anna." entschied ich spontan.

"Anna? So ein Zufall, meine Tochter heißt auch Anna. Aber sie ist schon erwachsen und braucht ihren alten Vater längst nicht mehr." Er richtete sich wieder an seine Begleiter. "Ich werde also nur rasch gehen, und überprüfen ob mein Verdacht bezüglich Annas Mutter sich bestätigt. Und wenn dem so ist, können wir die weiteren notwendigen Schritte einleiten." Seine Begleiter nickten in verschwörerischem Wissen um die geheimnisvolle Krankheit. Idioten... allesamt.

Er folgte mir nun also hinaus auf die Strassen und ich führte ihn eine Zeit lang kreuz und quer durch die winkligsten Gassen die ich kannte, bis mir schließlich eine Stimme in meinem Kopf befahl in einen kleinen dunklen Hinterhof zu laufen.

"Sind wir jetzt da?" fragte Valerious, leicht außer Atem, da ich sehr schnell gerannt war.

"Ja... du bist nun endlich angekommen." erklang eine kalte Stimme aus den Schatten. Valerious fuhr herum und erstarrte. "Guten Abend... Boris." Der Graf deutete eine höhnische Verbeugung an.

"Schnell, lauf weg Anna!" er fuchtelte mit den Händen um mich dazu zu bewegen, mich in Sicherheit zu bringen. Und das tat ich auch. Ich stellte mich an die Seite meines Meisters, wohl wissend, dass es auf der ganzen Welt keinen sichereren Platz für mich gab. Valerious' Miene versteinerte, als er begriff.

Der Meister legte eine Hand auf meinen Kopf und grinste überlegen. "Boris, darf ich vorstellen? Das ist Paliki, meine kleine Elevin."

Authors Note:
Okay, um irgendwelchen Fragen vorzubeugen, ich hab für dieses Kapitel eine kurze Pseudorecherche betrieben. István I. ist wohl so ne Art Nationalheiliger von Ungarn. Seine rechte Hand ist immer noch unverwest (und das Ding is schon mehrere hunder Jahre alt) und eine Reliquie. Also dachte ich mir, naja, dann ist ja noch die linke übrig und hab sie mal eben zweckentfremdet.

(at)Sirius-MyLove: Tja, da muss ich dich leiiiider enttäuschen. Paliki wird noch ziemlich sehr lange leben. Und selbst wenn sie mal den Geist aufgeben sollte, dann gehört Dracula zunächst mal MIR! Dracula Schild mit "Property of ParadiseLost6" auf den Rücken kleb