Sie gingen nicht zusammen zum Hafen, denn Jack und Will erzeugten schon jeder für sich genug Aufmerksamkeit. Der Eine, weil er einen dunklen Mantel trug und durch seinen seltsamen Gang fast wie ein Gespenst wirkte, und der Andere, weil man ihn kannte. Will wurde sogar von einigen Passanten aufgehalten, die ihn fragten, wann denn ihr Schwert fertig sein würde. Er vertröstete alle mit dem kleinen Wörtchen bald, obwohl er sich nicht sicher sein konnte, diese Schwerter jemals anfertigen zu können.

So wäre er beinahe in die Anderen hineingelaufen, als er versuchte, sie wieder einzuholen. Aber sie hatten offenbar ihr Ziel schon erreicht und waren vor einem der Schiffe stehengeblieben. Er wagte einen Blick hinauf und stellte fest, dass es genau das Schiff war, dass er noch am Morgen so bewundert hatte.

"Die White Pearl?" fragte er Jack verwundert, doch dann erinnerte er sich daran, dass Jack davon gesprochen hatte, dass dies Bills Schiff war, und daher sah er nun hinüber zu ihm.

"Gefällt sie dir?" fragte dieser zurück und lächelte dabei stolz. Er wusste, dass er etwas brauchen würde, um seinen Sohn zu beeindrucken, damit er auf ihn zukommen und ihn später akzeptieren würde, und er hoffte, dass dieses Schiff dazu beitragen würde. So für den Anfang...

Will schaute nun wieder hinauf zur Pearl und nickte gedankenverloren, als sein Blick über das ganze Schiff huschte. Es stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, und er sah wieder hinüber zu Bill, der daraufhin auch lächeln musste, denn das war das erste Mal, dass er dies bei Will sah. Er machte eine einladene Geste und ging voran auf das Schiff, wo er und seine Gäste mit Respekt empfangen wurden. Bill gab dem ersten Maat seine Befehle zum Auslaufen des Schiffes, die dieser sogleich an die Mannschaft weitergab. Dies geschah nicht auf die für Piraten übliche Art und Weise, sondern nur mit wenigen Flüchen. Will fiel das gar nicht so sehr auf, aber Jack hatte schon am ersten Tag bemerkt, dass diese Crew was besonderes war. Piraten oder nicht Piraten? Oder nette Piraten? Nein, das klang auch nicht gut. Er grübelte schon die ganze Zeit darüber und was sich sicher, dass er es schon noch herausfinden würde.

Weing später stand Bill am Ruder, Will und Jack in seiner Nähe, und eine frische Brise wehte ihm um die Nase. Dies zauberte immer ein Lächeln auf sein Gesicht, und auch Jack war davon ganz angetan, denn er summte schon wieder sein Lied, aber Will schien noch begeisterter als die beiden zu sein, auch wenn er das nicht zeigen wollte. Er schaute immer wieder hinauf in die Rahen und über das Meer, atmete die Seeluft tief ein und zeigte ein Lächeln, wenn er glaubte, dass es keiner sah. Aber da Bill ihn nicht aus den Augen ließ, fiel ihm das natürlich auf.

"Wie bist du eigentlich zu diesem Schiff gekommen?" fragte da Will plötzlich. Er drehte sich dabei nicht zu Bill um, sondern starrte auch weiterhin auf irgendeinen Punkt auf dem Schiff.

"Ich habe es nicht gekapert, oder was auch immer du denken magst", antwortete dieser sogleich und etwas schroffer, als er es beabsichtigt hatte, aber da sich Will immer noch nicht umdrehte, konnte er nicht erkennen, ob er es wirklich so anklagend gemeint hatte, wie es Bill verstanden hatte. "Aber ich gebe zu, dass es von dem Gold gebaut wurde, dass ich während meiner Zeit unter Jacks Kommando erbeutet habe. Ich habe Jack nie etwas davon erzählt, und es wurde auch in einem Hafen weit von hier entfernt gebaut. Es hat viel länger gedauert; immer wenn ich wieder etwas hatte, wurde weitergebaut. Dies war natürlich nur möglich, weil ein sehr guter Freund ein Auge auf das Schiff hatte. Er hatte dies auch nach meinem angeblichen Tod, und er hatte sogar den Bau vollendet, mit seinem eigenen Geld. Der Grund für den Bau war ihm bekannt, und daher wusste er auch, dass dieser Grund nicht zusammen mit mir sterben würde."

Nun drehte sich Will doch zu ihm um und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Welcher Grund könnte es sein? Er hatte schon einen Verdacht, aber das wäre einfach... nein, das konnte nicht sein. Er warf auch einen Blick auf Jack, der Bill ebenso überrascht ansah.

"Du..." Jack war sprachlos und fuchtelte eine Zeit lang nur mit den Armen herum. "Du hast ein Schiff bauen lassen? Dieses Schiff?" Dabei zeigte er hastig über die White Pearl. "Ohne deinem Captain etwas davon zu sagen? Und hast es auch noch sooo genannt?" Er holte einmal tief Luft. "Aye?"

"Aye...Und wenn ich dir davon erzählt hätte, wärst du dann damit einverstanden gewesen?" fragte Bill zurück. "Du hättest es vernichtet, bevor es fertig gewesen wäre, oder es dir dann unter den Nageln gerissen...Nein, streite es nicht ab, dafür kenne ich dich viel zu gut."

Jack hatte schon zu einem Protest angesetzt und seinen Finger auf Bills Brust gesetzt, aber nun brachte er keinen Ton heraus, sah kurz zu Will und ließ dann ein leises "Aye!" erklingen, bevor er den Finger wieder zurückzog. "Das hätte ich wohl." Er drehte sich um und ließ seinen Blick über den Horizont streifen. "Und ehrlich gesagt, habe ich das immer noch vor."

"Aber du würdest es nie gegen die Black Pearl eintauschen, aye?" neckte ihn Will.

"Nein, natürlich nicht!" schwungvoll drehte er sich zu Will um und funkelte ihn böse an. "Die Black Pearl ist und bleibt mein Schiff! Wenn ich sterbe, wird sie mit mir untergehen! Die White Pearl war ja auch nicht für mich gedacht..." Schnell hielt er inne, denn er fing schon wieder an, sich um Kopf und Kragen zu reden. Das sah er auch an dem Grinsen in Wills Gesicht.

"Bist du dir sicher, dass wir auf dem richtigen Kurs sind?" fragte er daher Bill, um schnell von diesem Thema abzulenken, doch da Bill nur grinsend nickte, war Jack klar, dass dies nicht so einfach war. "Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich bekomme langsam Hunger..." Versuch Nummer Zwei schien nun endlich zu funktionieren, denn Wills Gesicht hellte sich auf, und er tauschte einen kurzen Blick mit seinem Vater, der daraufhin ein Crewmitglied herbeirief, um das Ruder zu übernehmen.

"Wie wäre es, wenn ich dir beim Essen erzähle, wie ich deine Mutter kennengelernt habe?" fragte Bill auf dem Weg zu seiner Kajüte. "Allerdings muss ich zugeben, dass Jack auch seinen Teil dazu beigetragen hat." Und während er Jack angrinste, hoffte dieser, dass er jetzt nicht wirklich alles verraten würde.

Port Royal war selbst im Fernglas kaum noch zu erkennen, also befahl Anamaria, die Segel zu raffen. Sie wollten hier auf das Schwesterschiff warten, das gerade in den Hafen einlief. Es wurde gerade Abend, und sie würden das Schiff erst am nächsten Morgen wiedersehen. Ana beobachtete es durch das Fernglas und bekam dabei ein ungutes Gefühl, aber sie konnte nicht sagen, warum. Bill und Jack konnten sehr gut auf sich selbst aufpassen, und auch der junge Schmied war nicht auf den Kopf gefallen. Trotzdem war das Gefühl da und wollte einfach nicht verschwinden.

"Schiffe!" erklang plötzlich eine Stimme von hoch oben aus dem Ausguck. Ana sah zuerst hoch zu dem Piraten, der nun einen Arm ausstreckte und auf einen Punkt zeigte, der irgendwo hinter ihnen lag. Ihr Blick folgte dieser Richtung, dann benutzte sie wieder ihr Fernglas, nur um in der Abenddämmerung drei Schiffe auftauchen zu sehen. Es war schon zu dunkel, um die Fahnen erkennen zu können, die an den Masten wehten und verrieten, wer da kam. Ihr Instinkt riet ihr, sofort wieder Fahrt aufzunehmen und sich aus den Staub zu machen, aber dann dachte sie wieder an Jack und die Anderen, die sie dann nicht mehr finden würden. Was nun?

Ana sah hilfesuchend hinüber zu Gibbs, der ihren Blick erwiderte und genauso ratlos zu sein schien. Daraufhin seufzte sie einmal laut, denn ihr Verstand und ihr Herz gaben ihr unterschiedliche Ratschläge, und sie musste sich langsam entscheiden. Ihr Verstand sagte ihr, sofort zu verschwinden, aber ihr Herz wusste, dass die Schiffe dann wohl nach Port Royal segeln würden, und Jack und Bill ihnen dann regelrecht in die Arme laufen würden. Die White Pearl trug zwar nicht das Zeichen der Piraten, solnage sie in Port Royal lag, aber irgendwer würde Jack sicher irgendwann erkennen.

"Holt schon mal den Anker ein!" befahl sie nun Gibbs, der den Befehl weitergab, damit er ausgeführt werden würde. Dadurch würden sie sich nicht sehr viel von der Stelle bewegen, aber sie wären darauf vorbereitet, wenn tatsächlich eine Flucht erforderlich sein würde. Immer wieder sah sie durch das Fernglas, aber sie konnte einfach nichts ausmachen, während es immer dunkler wurde. Waren das andere Piraten, die da ihren Weg kreuzten, vielleicht sogar so etwas wie Freunde, die nun etwas Rum mit ihnen vernichten würden? Oder waren es Schiffe der Engländer, Franzosen oder sogar Spanier?

Die Schiffe kamen verdammt schnell näher, und das ungute Gefühl in Ana verstärkte sich. Alle hingen nun an der Reling und versuchten, irgend etwas zu erkennen. Wehte da nicht die Flagge mit dem Totenkopf, oder war es nur Wunschdenken? Würden die Schiffe in Port Royal einlaufen, ohne die Black Pearl zu bemerken? Oder warteten sie hier nichtstuend auf ihren Untergang?

"Franzosen!" schrie nun Gibbs. "Verdammt noch mal, es sind Franzosen!" Augenblicklich wurden Flüche laut, und die Crew machte sich daran, die Segel zu setzen, ohne auf den Befehl von Ana zu warten. Sie wussten , dass dies genau das war, was sie nun befohlen hätte, denn es war außerdem zu erkennen, dass die Schiffe genau auf sie zuhielten. Jack, Bill und die White Pearl waren nun auf sich allein gestellt. Ana würde ihnen nicht helfen können, wenn sie hier die Black Pearl versenken lassen würde. Sie mussten fliehen, da die Pearl gegen die drei Schiffe keine Chance hatte, und die herausragende Eigenschaft dieses Schiffes nun mal die Schnelligkeit war. Aber sie musste erst Fahrt aufnehmen, während die anderen Schiffe bereits den Wind optimal ausnutzten. Die Chancen standen schlecht...

Wieder einmal hatte Ana von dem Tag geträumt, als das Unheil seinen Lauf genommen hatte. Dies war nun ein paar Tage her, und sie träumte jede Nacht davon, wie die Schiffe auf sie zu gekommen waren, sie eingeholt hatten, und sie sich ergeben mussten, um nicht auf der Stelle versenkt zu werden. Sie träumte davon, weil sie sich die Schuld dafür gab. Sie hätten schon beim ersten Anzeichen verschwinden sollen, dann würden sie jetzt nicht hier in diesem französischen Gefängnis auf ihre Hinrichtung warten, und die Pearl würde nicht streng bewacht im Hafen liegen, um später unter französischer Flagge die Meere zu befahren. Oh, Jack würde sie dafür umbringen, dessen war sie sich sicher, aber dies würden nun bald die Franzosen für ihn übernehmen.

Ein Sonnenstrahl hatte sie geweckt, und während sie sich umsah, wurde ihr wieder einmal bewusst, dass dies ihr letzter Tag auf Erden sein würde, sollte nicht ein Wunder geschehen. Tief in ihrem Herzen hoffte sie, dass Jack sie finden und befreien würde, aber andererseits hatte sie auch Angst davor, denn die Chancen, dass er dabei erwischt werden würde, standen besser als ihre Chancen auf eine Flucht. Sicher, er wäre der beste Mann dafür, aber auch er würde nicht gegen eine ganze Stadt voller Soldaten ankommen können.

Auf der einen Seite war sie froh, dass er jetzt nicht auch hier mit ihnen in diesen Zellen saß, aber auf den anderen Seite würde allein seine Anwesenheit die Mannschaft aufmuntern und aufheitern. Er würde durch die Zelle tänzeln, allen erzählen, dass niemand Captain Jack Sparrow hinter Gittern behalten könnte, und dass er sie alle schon irgendwie befreien würde... Aber er war nun mal nicht hier, und wäre er nicht mit Bill nach Port Royal gegangen, würden sie wohl auch nicht hier sitzen... Und Ana bemerkte, dass sich ihre Gedanken immer wieder auf ihn richteten. Und so musste sie sich selbst zugeben, dass sie ihn vermisste.

Sie wollte gerade wieder eindösen, als sie plötzlich Stimmen hörte. "Also, Ihnen wird meine kleine Erfindung gefallen", konnte sie nun verstehen.

"Davon bin ich überzeugt", wurde der Stimme geantwortet, und sie riss die Augen wieder auf, denn diese Stimme kannte sie. War das nicht...? Sie sah hinüber zu Gibbs, der ihren Blick mit einem Grinsen erwiderte. Auch er schien die Stimme wiedererkannt zu haben, also hatte sie sich das nicht nur eingebildet. Die beiden Sprecher kamen nun in ihr Blickfeld und blieben vor der Zelle stehen, in der sie mit Gibbs und zwei Anderen saß, und so konnten sich auch ihre Augen davon überzeugen, was ihre Ohren schon wussten.

"Tja, Mister Turner, ich hoffe sehr, dass Sie es schaffen, den Gefängniswärter in Port Royal zu überzeugen, diese Scharniere auch in seinem Gefängnis einzubauen. Wir sollten den kleinen Waffenstillstand, der gerade zwischen unseren Ports herrscht, ausnutzen", sprach nun der Erstere weiter, und Ana erhaschte einen kurzen Blick von Will, bevor er sich wieder seinem Gesprächspartner zuwandte.

"Erklären sie mir erstmal, was Sie verändert haben, dann sehen wir weiter." Will ließ sich von dem anderen Schmied ganz genau berichten, wie er die Scharniere hergestellt hatte, und auch noch ein paar andere Dinge, von denen Ana nicht viel verstand, aber das war ihr egal, denn die Nachricht, die an sie gerichtet war, hatte sie bereits verstanden. Will war hier, um ihnen zu zeigen, dass Jack und er wussten, dass sie hier waren, und dass sie alles unternehmen würden, um sie hier raus zu holen. Ana wollte auch ihrerseits eine Nachricht überbringen, dass sie verstanden hatten und auf die Rettung warten würden, aber Will sah sie nicht mehr an, und schien vollkommen von dem Gesprächsthema gefesselt zu sein. Er nickte immer wieder, warf ab und zu eigene Gedanken ein, und tat alles, um keine Zweifel an seiner Aufrichtigkeit aufkommen zu lassen. Sie hätte nie gedacht, dass der Welpe so gut lügen könnte.

Die beiden wollten gerade wieder gehen, als nun der andere Schmied einen Blick in die Zellen warf. "Das hier sind alles Piraten, die morgen gehängt werden sollen", berichtete er Will und hatte dabei ein dreckiges Grinsen im Gesicht, das ihm Ana gern herausprügeln würde, aber es war nun mal das Gitter dazwischen, und das wusste dieser Kerl ganz genau.

"Das ist gut zu wissen", erwiderte Will und sah nun doch noch einmal zu Ana. In seinen Augen erschien ein kleines Lächeln, als sie seinen Blick erwiderte. Um sie herum wurden Flüche laut; die beiden Schmiede sollten sich doch zum Teufel scheren, aber Will wusste, dass sie nur seine Tarnung unterstützten, und dem Anderen machte dies alles nichts aus. Er lachte sie aus und meinte, dass sie morgen nicht mehr fluchen würden. Da wurde Wills Lächeln zu einem Grinsen, und er sagte: "Nein, das werden sie sicher nicht mehr."

Darauf nickte Ana wieder, und ihre Augen folgten ihm, als er das Gefängnis wieder verließ. Nun würde sie nicht mehr einnicken und vom schlimmsten Tag ihres Lebens träumen, denn nun hatte sie wieder Hoffnung.