Sie hatten wirklich verdammtes Glück gehabt. Nachdem die Franzosen den Engländern gemeldet hatten, dass sie die Black Pearl hatten, wollten die Engländer natürlich, dass das Schiff ihnen ausgeliefert wird. Beide wollten die berühmteste Crew an ihrem Galgen baumeln sehen, und so kam es doch tatsächlich zu Verhandlungen und zu einen kurzfristigen Waffenstillstand. Der französische Gouverneur war auf dem Weg nach Port Royal, um die Gegenleistung der Engländer auszuhandeln. Die Folge davon war, dass die White Pearl ohne Probleme in dem französischen Port einlaufen konnte, und dieses auch noch weniger bewacht als sonst war. Ja, sie hatten verdammtes Glück gehabt.
Nun war es inzwischen Abend geworden, und Jack schlenderte mit Bill im Hafen umher. Hier brauchte er keinen Mantel, denn die Franzosen hatten zwar von ihm gehört, ihn aber noch nie gesehen. Es kursierten einige Beschreibungen von ihm, aber die waren entweder übertrieben, oder eben so ungenau, dass man ihn nie im Halbdunkel erkennen konnte. So waren sie einfach nur zwei Seeleute, die auf dem Weg zurück zu ihrem Schiff waren.
"Ich hätte mit ihm gehen sollen", flüsterte Bill, als sie gerade an zwei anderen Seemännern vorbei gegangen waren, die sie kurz musterten, aber dann weitergingen. Er warf ihnen einen besorgten Blick hinterher, aber da sie nichts bemerkt zu haben schienen, beruhigte er sich wieder etwas.
"Er allein fällt in der Stadt nicht auf, und außerdem kann er sich so besser in das Gefängnis schleichen", antwortete Jack nun zum wiederholten Male und hoffte, dass Bill ihm jetzt endlich glauben würde. "Und er ist der Einzige, der dieses Schloss öffnen kann." Sie hatten diese Diskussion schon früher gehabt, auch als Will noch bei ihnen gewesen war, und er hatte das selbe gesagt. "Er erledigt seinen Teil, und wir unseren, savvy?"
"Ja, ich weiß, ich weiß." Bill atmete tief durch, doch das vertrieb die Sorgen auch nicht. Seit sein Sohn bei ihm war, wollte er ihn nicht aus den Augen lassen. Er sah immer noch das kleinen Baby in ihm und konnte es einfach nicht fassen, dass er inzwischen zu einem Mann geworden war. Er wollte die vergeudete Zeit nachholen, aber das war unmöglich.
Sie hatten nun die Black Pearl erreicht und sahen sich nach den Wachen um, die hier irgendwo patroullieren sollten. Einer von Bills Crew hatte dies schon am Tage ausspioniert und zwei Wachen gemeldet, die vor dem Schiff auf und ab liefen. Aber das hieß natürlich noch lange nicht, dass es in der Nacht genauso war. Trotzdem hatte Jack darauf bestanden, dass sie nur zu zweit zur Pearl gehen würden, denn je mehr sie waren, desto auffälliger waren sie auch.
Bill blieb kurz stehen, als er nun zwei französiche Soldaten entdeckte, die direkt auf sie zu kamen. Auch Jack hatte sie gesehen und ging unbetrübt weiter. Also schloss er schnell wieder zu ihm auf und tat so, als würde er aufmerksam dem Seemannsgarn lauschen, das Jack gerade sponn.
"Und ich sage dir, mein Freund, der Sturm war so stark, dass die Masten schon brachen, bevor er richtig begonnen hatte, und die Segel so weit weg flogen, dass sie am nächsten Tag tausend Meilen weiter entdeckt wurden", erzählte Jack überschwenglich, als die Soldaten nun direkt vor ihnen waren. Auch sie waren in ein Gespräch vertieft und ließen sich nicht von den beiden von ihrem Weg abbringen, so musste Bill zur Seite gehen, um sie zwischen ihnen hindurch zu lassen. Doch darauf hatte Jack gehofft und zog von den Soldaten ungesehen seine Pistole, als sie mit ihnen gleichauf waren. Bill tat es ihm nach und nachdem Jacks Pistole auf den Hinterkopf des einen niedergesaust war, erklang noch ein zweiter dumpfer Schlag, und auch der andere Soldat lag am Boden.
"Perfekt!" triumphierte Jack, steckte seine Pistole weg und zog einen Soldaten hinter ein paar Kisten, die hier überall herumlagen. Wieder folgte Bill seinem Beispiel, doch als er wieder aufsah, spürte er wie Jack ein Bajonett an seiner Kehle.
"Was denkt ihr wohl, was ihr da macht?" fragte der Soldat vor ihm im reinsten Framzösisch. Bills Sprachschatz reichte gerade so aus, um ihn zu verstehen, doch er konnte ihm nicht antworten. Doch das war auch nicht nötig, denn Jack plapperte nun einfach drauf los, benutzte englische, französische und auch spanische Worte, und Bill konnte beim besten Willen nicht sagen, ob das alles überhaupt einen Sinn ergab. Die beiden Soldaten sahen ihn verwirrt an, wie er da mit seinen Händen herumfuchtelte, und mal verzweifelt, und dann wieder wütend klang. Jack hatte ihre volle Aufmerksamkeit, und das musste Bill sofort ausnutzen. Er schlug das Bajonett an seiner Kehle zur Seite, rammte dem Kerl vor ihm sein Knie an die empfindlichste Stelle und schlug ihm dann mit seinem eigenen Bajonett eins über den Schädel. Sofort drehte er sich zu dem anderen Soldaten um, doch der lag auch bereits am Boden.
"Wie hast du denn das geschafft?" fragte er Jack verwundert, denn er hatte keine Geräusche gehört, nicht einmal wie der Soldat auf dem Boden aufgeschlagen war. Jack grinste ihn kurz an, und sagte nur ein Wort, als er den Soldaten zu den Anderen legte.
"Pirat!"
"Ja, natürlich, wie konnte ich das vergessen!" Jack war immer wieder für Überraschungen gut, und er hatte des tatsächlich vergessen. Nun kamen langsam all diese Erinerungen zurück, und er setzte seinen Weg zur Pearl grinsend fort.
Als sie das Schiff betraten, sah sich Bill noch einmal um, doch nirgends war jemand zu sehen, und die Soldaten schliefen friedlich in ihrem Versteck. Dann folgte sein Blick Jack, der schnurstracks zum Steuerrad gegangen war, und nun sanft seine Hände darüber gleiten ließ. Er hatte sein Schiff zurück. Im Moment war er der glücklichste Pirat auf der ganzen Welt, bis seine Gedanken zu seiner Crew schweiften, die immer noch im Gefängnis saß.
Dort blieben sie an einer Person besonders lange haften, und er fragte sich, wie es ihr ging, denn er wusste ganz genau, dass sie nichts mehr hasste als Gefängnisse. Dies war ein weiterer Grund gewesen, warum er Will schon am Tage in das Gefängnis geschickt hatte. Er sollte nicht nur das Schloss auskundschaften, sondern ihr und den Anderen eine Nachricht überbringen. Und als er mit den Worten zurückgekommen war, dass es allen gut ginge, und sie nun auf eine Flucht vorbereitet waren, hatte er sich erleichtert gefühlt. Doch nun fühlte er Bills Blick auf sich ruhen, und er nahm schnell die Hände vom Ruder und schaute ihn zuversichtlich an.
"Sie werden bald kommen", sagte er zu ihm. "Wir sollten die Pearl auf das Auslaufen vorbereiten!" Zu Zweit konnten sie nicht mehr erreichen, als den Anderen ein paar Sekunden Zeit zu verschaffen, doch das hielt sie nicht davon ab, es zu tun. Jack setzte sich in Bewegung, um selbst Hand anzulegen, als plötzlich ein heller Glockenschlag erklang, dem noch viele in einem hektischem Rhythmus folgten.
"Das ist ein Alarm!" stieß Bill genauso hektisch hervor. "Sie sind entdeckt worden!" Sie sahen sich entsetzt an und beide wollten sofort losstürmen, um ihnen zu helfen, doch sie wussten auch, dass sie nichts Anderes tun konnten, als hier zu warten.
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Um zu dem Gefängnis zu gelangen, musste Will durch die ganze Stadt gehen, und da er den Weg bereits kannte, erlaubte er seinen Gedanken, ein wenig abzuschweifen. Er ließ noch einmal all die Dinge Revue passieren, die sein Vater ihm erzählt hatte. All diese Dinge über seine Mutter, wie sie sich kennengelernt hatten, warum er sie geliebt hatte, und warum er ihr nicht nach England gefolgt war. So viele Dinge waren gleichzeitig durch seinen Kopf gegangen, und er hatte immer noch nicht die Zeit gefunden, sie zu ordnen. Er stand immer noch seinem Vater abwehrend gegenüber, denn er spürte, dass er wieder gehen würde, aber andererseits schien diese Mauer langsam zu fallen.
So in Gedanken wäre er beinahe an dem Gefängnis vorbei gegangen. Er blieb kurz davor stehen, sah sich kurz um und verschwand im Gefängnis, wo er dann den zwei Wachen gegenüber stand.
"Hey, Jungchen, was machst du hier zu dieser späten Stunde?" sprach der Eine ihn sofort an. "Hat dich deine Mutter noch nicht ins Bett geschickt?" Der Andere gluckste zu diesen Worten, doch wurde augenblicklich stumm, als er einen Pistolenlauf an seiner Kehle spürte.
"Nein, meine Mutter hat mich hierher geschickt, um euch das Maul zu stopfen!" entgegnete Will scharf und sah den Sprecher an. "Gib die Schlüssel her!"
"Ich habe sie nicht!" war die erste Reaktion von ihm, während er die Hände hob. Immer wieder schielte er zu seinem Kumpel, dem es im Moment nicht so gut ging, da Will ihm die Pistole ziemlich unsanft gegen den Hals drückte.
"Lüg mich nicht an! Ich weiß ganz genau, dass du sie hast!" Will sprach leise und spannte den Hahn der Pistole. "Heute Morgen hattest du sie noch!" Er hatte den anderen Kerl inzwischen gegen die Wand gedrückt, damit er ihm nicht mehr entwischen konnte, und legte seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen Kumpel, der nun anfing, an seinem Gürtel herumzufummeln. Will beobachtete ihn ganz genau und entdeckte nun eine Pistole an diesem Gürtel, die ihm in diesem Halbdunkel bisher entgangen war. Verdammt, die hatte er am Morgen noch nicht gehabt! Schon wollte er ihn auffordern, diese abzulegen, als der Kerl auch schon nach ihr griff und sie auf Will anlegte.
Für einen kurzen Momet dachte er daran, abzudrücken und den anderen Kerl für die Frechheit seines Freundes zu bestrafen, aber dann siegte sein Selbsterhaltungstrieb, und er nahm die Pistole von seiner Kehle und zielte auf den Angreifer, und schon ertönten zwei Schüsse, die wohl in der ganzen Stadt zu hören waren, so sehr dröhnten sie in Wills Ohren. Im nächsten Moment spürte er die Wand in seinem Rücken, hörte erschrecktes Gemurmel, das von unten aus den Zellen kam, und sah den Kerl mit der Pistole zu Boden sinken. Doch dann sah er eine Bewegung in seinen Augenwinkel und schlug instinktiv mit der Pistole zu. Im nächsten Moment lag auch der andere Wächter am Boden, und er konnte aufatmen.
Dies bereute er allerdings sofort, denn ein scharfer Schmerz fuhr durch seine linke Seite, und als er seine Hüfte betastete, spürte er eine warme Flüssigkeit. Na toll! Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Doch jetzt war keine Zeit dafür, denn die Schüsse hatten ihn sicherlich verraten. Also nahm er sich die Schlüssel von dem Wächter, dessen toten Augen ihn immer noch überrascht anstarrten, und stürmte hinunter zu den Zellen. Dort schien er schon erwartet worden zu sein, denn er wurde von vielen Blicken durchbohrt.
"Turner!" wurde er von Gibbs begrüßt. "Alles in Ordnung? Wir haben Schüsse gehört!"
"Ja, alles klar, aber wir sollten sofort verschwinden", antwortete Will, während er bereits das erste Schloss öffnete. Er konnte sehen, dass seine Hand voller Blut war, und wie Ana einen besorgten Blick darauf warf, doch er sagte nichts dazu und ging hinüber zur anderen Zelle, um auch diese zu öffnen. Die Piraten stürmten heraus und begrüßten ihn mit kräftigem Schulterklopfen, das er über sich ergehen lassen musste. Dann folgte er ihnen die Treppe hinauf und hinaus auf die Straße. Er brauchte den Anderen nicht den Weg zum Hafen zeigen, den sie rannten schon davon. Nur Ana und Gibbs warteten auf ihn und nahmen ihn in ihre Mitte, als sie sich nun auch auf den Weg machten.
Sie hatten erst die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als der erste Glockenschlag laut durch die Satdt dröhnte. Gibbs murmelte einen Fluch und trieb sie an, schneller zu laufen. Offenbar hatte nun jemand den Ausbruch entdeckt, und die ganze französische Armee würde jetzt hinter ihnen her sein. Doch Will kam durch das schnellere Tempo langsam ins Straucheln und hörte auch schon Stimmen in der Stadt. Dann spürte er plötzlich Anas Griff um seine Hüften, und wie sie versuchte, ihn auf den Beinen zu halten. Er schüttelte den Kopf, denn er wollte nicht, dass sie wie er zurückbleiben würde, doch sie ignorierte ihn einfach und schob ihn voran.
Die Stimmen kamen immer näher, doch die Drei wagten es nicht, sich umzudrehen, denn das kostete nur unnötig viel Zeit. Will erinnerte sich nun an das Messer an seinem Gürtel, das ihm sein Vater im letzten Moment noch zugesteckt hatte, und er nahm es jetzt in seine freie Hand. So leicht würde er nicht aufgeben, so kurz vor dem Ziel.
Dann ertönten Schüsse, und er zuckte zusammen, als er erkannte, wie nah sie waren. Instinktiv zog er den Kopf ein und sah, wie sich Gibbs ihnen nun wieder näherte und ihnen helfen wollte, doch plötzlich schrie Ana kurz auf und verlor den Halt. Das alles ging viel zu schnell, als dass Will sie hätte halten können, und so fiel er mit ihr hin. Gleichzeitig spürte er einen heißen Hauch über seinen Kopf hinwegzischen. Er war knapp einer weiteren Kugel entkommen.
Während er sich aufrappelte, warf er einen Blick auf Ana, die sich nicht rührte. Dann sah er Blut auf ihrem Rücken und schrie wütend auf. Er war wütend auf sich, da er es zugelassen hatte, dass sie ihm half, und er war wütend auf den Franzosen, der abgedrückt hatte. Er setzte sich auf und fühlte nach ihrem Puls, der schwach unter seinen Fingern pulsierte, während sich ein Schemen auf ihn zu bewegte. Er drehte sich um und erkannte gerade noch, wie Gibbs dem Schemen das Messer in den Bauch stieß, es wieder herauszog, und der Schemen dann zusammenklappte. Mit offenem Mund starrte er Gibbs an, der ihm daraufhin das Messer zurückgab und Ana aufhob, um sie über seine Schulter zu werfen.
"Komm schon, Junge, der Kerl ist nicht allein!" Gibbs lief bereits los, als sich Will nun gänzlich erhob und ihm dann folgte. Wieder schwirrten Kugeln um sie herum, aber wunderbarerweise gingen alle fehl. Als der Hafen in Sicht kam, fiel Will kurz hin, aber er rappelte sich automatisch wieder auf. Er stolperte hinter Gibbs her und schaffte es irgendwie, ihn nie aus den Augen zu verlieren. Dann erklangen auch Schüsse vor ihnen, die von der Pearl kamen. Auch wenn die Anderen nicht auf sie gewartet hatten, so unterstützten die sie nun durch ihr Deckungsfeuer.
Wie er an Bord gekommen war, wusste Will nicht mehr, als er nach Atem ringend an der Reling stand, und zusah, wie Bill mit Jacks Hilfe Ana in den Bauch des Schiffes brachte. Trotz der Dunkelheit konnte er den Ausdruck auf Jacks Gesicht erkennen, und den Schmerz darin, von dem er selbst wohl nur einen Teil verspürte.
"Es tut mir Leid", murmelte er, doch keiner hörte ihn, dann der Rest der Crew war damit beschäftigt, auf die Franzosen zu feuern, oder das Schiff auf Fahrt zu bringen. Der Abstand zum Steg wurde bald immer größer und das Feuer der Franzosen immer leiser. Erst dann wurde ihm klar, dass sie es wohl geschafft hatten, wirklich zu entkommen.
Er stand immer noch am selben Platz, als Bill nun mit einem besorgten Blick zurückkam und ihn ansah. Will wollte ihn fragen, wie es Ana ging, und ob sie überhaupt noch lebte, aber irgendwie fing das Schiff plötzlich an, unheimlich zu schwanken. Er sah wie sich die Augen seines Vaters weiteten, und dass er nun auf ihn zu rannte, aber als er ihn ihn seine Arme nahm, waren seine Augen bereits geschlossen. Dass Bill ihn vorsichtig auf die Planken gleiten ließ und um Hilfe schrie, bemerkte er schon gar nicht mehr.
