Anamaria hatte sich am mittleren Masten festgebunden, denn mehr als sich selbst retten, konnte sie nicht tun. Sie hatte noch nie erlebt, dass der Regen so stark sein konnte, dass der Tag zur Nacht wurde, oder dass die Wellen so hoch sein konnten, dass eine einzige das Schiff verschlingen könnte. Bei jeder Welle dachte sie, dass es diejenige war, die das Schiff verschlingen würde, aber irgendwie schaffte es die Pearl, jeder einzelnen stand zu halten und den Sturm zu überstehen.

Es kam ihr wie Stunden vor, bis der Regen endlich nachließ, der Himmel heller wurde, und die See sich beruhigte. Nur allmählich konnte sie erkennen, dass sich auch die Anderen am Masten oder an der Reling gebunden hatten, oder einfach unter Deck verschwunden waren und nun langsam einer nach dem anderen auftauchten. Und sie konnte erkennen, dass der hintere Mast zerbrochen und direkt auf das Deck gestürzt war, wo...

"Captain?" Ihr Ausruf war viel zu schwach, um von ihm gehört zu werden. Auch machte sie sich erst danach auf den Weg durch die Trümmer des Mastes zu ihm, gefolgt von den Anderen, die nun auch erkannt hatten, was passiert war. Sie riefen immer wieder nach Jack, während Anas Kehle zugeschnürt war, und sie sich nur verbissen durch die Trümmer arbeitete, ohne sich umzusehen.

Die Rahen hatten sich vom Masten gelöst, bevor dieser umgestürzt war, und blockierten nun wie die dazugehörenden Segel und Seile den Weg. Einige von ihnen waren angebrannt und vom Regen wieder gelöscht worden, und daher hatte wohl auch ein Blitz seinen Teil dazu beigetragen.

"Das Steuerrad ist noch intakt!" rief da einer der Anderen, und Ana sah kurz auf, um das Rad heil vor sich zu sehen. Der Mast war haarscharf an ihm vorbei gefallen. Für das Schiff war dies natürlich eine gute Nachricht, aber wo war Jack?

Der Regen hatte sich inzwischen so weit abgeschwächt, dass es nur noch nieselte, und auch der Wind war kaum noch spürbar, was natürlich die Suche vereinfachte. Dazu machte nun auch die Dunkelheit der gewohnten Helligkeit Platz. Dafür waren aber die Segel überall verteilt und mussten teilweise zerschnitten werden, damit man voran kam.

Ana stand nun direkt neben dem Steuerrad und arbeitete sich langsam vor, indem sie das Segel immer nur ein Stück anhob, sodass sie ungefähr einen Schritt vorwärts machen konnte, dies dann tat und alles wiederholte. Schließlich wollte sie nicht auf Jack treten, was sie später bereuen würde.

Als sie dann das Segel ein weiteres Mal anhob, sah sie plötzlich etwas, das sie in der Bewegung erstarren ließ. Trotz des Halbdunkels unter dem Segel konnte sie erkennen, dass nur einen Meter von ihr entfernt Jack auf dem Bauch lag und sich nicht rührte. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und die meisten hatten mit seinem Wohlbefinden zu tun.

"Bleib stehen! Bleib sofort stehen!" rief sie plötzlich und erhob sich, um zu demjenigen zu schauen, der sich Jack von links genähert hatte und beinahe auf ihn getreten wäre. Dieser erstarrte auch sofort und starrte sie kurz böse an, bis er die Bedeutung ihrer Worte verstanden hatte und sich nun langsam rückwärts bewegte.

Ana dagegen schlüpfte nun unter das Segel und kroch zu Jack, um ihm eine Hand auf den Rücken zu legen, ihn anzusprechen und nach einer Reaktion in seinem Gesicht zu suchen, aber er rührte sich immer noch nicht. Also drehte sie ihn langsam auf den Rücken und suchte ihn nach Verletzungen ab, aber mehr als eine Schürfwunde am Kopf konnte sie nicht finden. Er hatte wohl mal wieder Glück gehabt, und sie konnte aufatmen.

Doch genau in diesem Moment kam er nun zu sich, sah sich kurz irritiert um und entdeckte dann Ana, die mit geschlossenen Augen neben ihm hockte und erleichtert tief Luft holte.

"Ana?" sprach er sie daher an und legte dabei eine Hand an ihre Wange, die sie sogleich ergriff und ihn mit großen Augen ansah. Vergessen war der Streit um ein eigenes Schiff, jetzt zählte nur noch der Gedanke, dass sie ihn beinahe verloren hätte, und sie dies nicht hätte tun können, was sie schon lange hatte tun wollen, daher musste dies nun geschehen, und sie beugte sich zu ihm hinab, um ihre Lippen mit seinen zu vereinigen, und seine Hände auf ihrem Körper zu spüren, bis plötzlich das Tageslicht auch zu ihnen vordrang, da die Anderen es endlich geschafft hatten, das Segel zu entfernen.

"Schon gut, Ana, Captain Jack Sparrow braucht keine Mund-zu-Mund-Beatmung", sagte Jack, als ihm klar wurde, dass zumindest einige gesehen haben mussten, was sie gerade getan hatten, und er hatte für diese Ausrede nicht einmal überlegen müssen. Daher grinste er Ana stolz an und war sich sicher, dass sie ihn für die Rettung ihres Rufes als starke und stolze Piratin dankbar sein würde, aber ihre Augen sahen ihn daraufhin nur kalt an.

"Natürlich, Captain", erwiderte sie ebenso kalt und erhob sich, um zu den Anderen zu sehen. "Okay, Männer, schafft alles, was noch zu gebrauchen ist, in die Brigg. Den Rest werft ihr einfach über Bord! Und das schnell, schließlich wollen wir vor dem nächsten Sturm bei der Isla ankommen!"

Sie wartete noch das "Aye!" der Crew ab und wandte sich dann dem Steuerrad zu, um es einer gründlichen Kontrolle zu unterziehen. Dabei musste sie oft blinzeln und schob es auf die Sonne, während sie Jack keins Blickes mehr würdigte und einmal mehr hoffte, dass sie bald ein Schiff für sie finden würden.

>

>

Zu ihrem Glück war dem Steuerrad wirklich nichts passiert, und so erreichten sie kurze Zeit später und sicher die Isla de Muerta, die sich ihnen auf die selbe unfreundliche Art wie beim letzten Mal präsentierte. Genau so kalt wie sie dalag, so kalt wehte ihnen auch der Wind entgegen und ließ sie in ihrem Inneren erzittern. Auch wenn das niemand zugeben würde.

Diese Kälte schien sich auch zwischen Jack und Ana geschmuggelt zu haben. Dieser Meinung war zumindest Gibbs, denn ihm war aufgefallen, dass die beiden seit dem Sturm kein Wort zuviel miteinander gesprochen hatten. Auch saßen sie nun so weit wie möglich voneinander entfernt in dem kleinen Boot, als sie zu der Höhle ruderten, in der der Aztekenschatz und noch viel mehr Gold und Silber ruhte, das keiner anzufassen wagte...

"Da fällt mir doch der Papagei von der Schulter!" rief dann plötzlich einer der Anderen aus und lenkte damit die Aufmerksamkeit aller auf die Höhle, die überhaupt nicht so aussah wie sie eigentlich aussehen sollte. Sie schimmerte weitaus weniger golden als bei ihrem letzten Besuch, was wohl daran lag, dass sie ausgeräumt worden war. Doch die Hoffnung, dass die Diebe auch den Aztekenschatz mitgenommen und damit sich selbst verflucht hatten, wurde nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil war sie das Einzige, das hier unberührt geblieben war.

"Diese dreckige Landratte!" unterbrach Jack mit einem Fluch die Stille, und stieg dann aus dem Boot, nachdem sie angelegt hatten. Er schaute sich um, obwohl das auch nichts an dem Anblick der leeren Höhle ändern konnte. Nicht nur, dass Vulture so dreist gewesen war, die Höhle auszuräumen, sie hatten jetzt auch keine Spur mehr zu ihm und zur White Pearl, deren Schicksal Jack unbedingt wissen wollte.

Er fluchte weiter und überlegte dabei, wie es jetzt weitergehen und wo er Vulture und die White Pearl suchen sollte, während sich die Anderen in der Höhle verteilten und sie nach irgend etwas durchsuchten, das ihnen vielleicht helfen könnte. Ana hatte die Richtung zur Truhe mit dem Aztekenschatz eingeschlagen, ohne genau zu wissen, warum. Sie warf nur kurz einen Blick auf die Leiche von Barbossa, der man ansah, dass der Tod vor langer Zeit eingetreten war. Der Apfel neben ihm war bereits zu einer kleinen verschrumpelten Kugel zusammen gefallen, und sie wünschte sich, dass dies auch schon mit der Leiche geschehen wäre, aber diese war noch immer kein schöner Anblick.

Sie näherte sich nun der Truhe und strich gedankenverloren mit einem Finger über ihren Rand. Natürlich konnte sie nicht sagen, ob wirklich alle Münzen in der Truhe waren, und sie fragte sich, ob Vulture der Versuchung hatte widerstehen können. Bestimmt hatte er das, denn obwohl er ein übler Bursche war, so war er auch so schlau, um zu erkennen, dass ihn dies von dem Schatz und der Truhe abhängig machen würde. Irgendwann würde auch er den Fluch rückgängig machen wollen und so wie Barbossa enden.

Das war auch der Grund, der sie davon abhielt, jetzt eine dieser Münzen in die Hand zu nehmen. Und wohl der einzige Grund, denn im Moment schienen die Vorteile größer als die Nachteile zu sein. Besonders die Tatsache, dass sie dann nichts mehr fühlen würde... keinen Schmerz und keine...

Plötzlich sah sie etwas, das unter eine Münze geklemmt war. Es war ein Stück Papier, und sie zog es vorsichtig hervor, um einen Blick darauf zu werfen. Schnell erkannte sie, dass es eine Nachricht von Vulture an Jack war, und so rief sie mit einem kurzen und lauten "Captain!" nach ihm.

"Aye?" Jack drehte sich schwungvoll zu ihr um und sah sie mit dem Papier neben der Truhe stehen. Sie hatte also etwas gefunden, und so ging er tänzelnd zu ihr hinüber, stets darauf bedacht, dass man ihm seine Eile und Neugier nicht ansah. Ein Captain durfte schließlich keine Schwäche zeigen, und ein Piraten-Captain erst recht nicht.

Bei ihr angekommen, nahm er ihr das Papier weg und warf einen Blick darauf. Einen langen Blick, denn er konnte mit dieser Nachricht nichts anfangen. Dass Vulture ihm eine Beleidigung hinterlassen würde, war ihm schon klar gewesen, und er achtete auch nicht weiter darauf, aber die Nachricht enthielt auch einen Hinweis darauf, wo die White Pearl gesunken war. Zumndest behauptete Vulrure, dass sie gesunken sei, und Jack wollte das nicht glauben. Am meisten verwirrte ihn der Satz, der angeblich den Hinweis enthielt, denn darin war nur von Tortuga und Vultures Errungenschaften der weiblichen Bevölkerung die Rede.

"Das glaubt er ja wohl selbst nicht, dass er so viele..." Jack lachte kurz auf und sah dann den giftigen Blick von Ana. Daraufhin verkniff er sich lieber den Satz, der er gerade hatte sagen wollen, denn Ana war schon immer nicht gut auf Scarlett und Giselle zu sprechen gewesen. Und zum Glück kannte sie die Anderen nicht...

"Will er mir etwa damit sagen, dass ich zurück nach Tortuga segeln soll?" dachte er nun lieber laut und las sich immer wieder diesen Satz durch, bis Ana die Geduld verlor und selbst einen Blick darauf warf.

"Nein, wir sollen dreißig Meilen nach Süden segeln", sagte sie nach einer Weile, grinste ihn triumphierend an und gab ihm den Zettel zurück. "Die Zahlen seiner angeblichen Bekanntschaften und Eroberungen sind Breiten- und Längengrade", erklärte sie, als er sie verwirrt ansah. "Er weiß ganz genau, dass er dich mit Rätseln ärgern kann."

"Aber er hat nicht mit dir gerechnet", grinste er zurück und sah Überraschung in ihren Augen aufblitzen. War da auch ein Hauch von einem Lächeln? Wenn ja, so war das wohl der Grund, warum sie sich jetzt umdrehte und zurück zum Boot ging. Ein weiterer Satz lag ihm auf der Zunge, und er verließ diese so leise, dass nur er ihn hörte.

"Was würde ich nur ohne dich machen?" Er lachte kurz auf. "Was WERDE ich nur ohne dich machen?"