Einige Zeit später schienen sich Jack und Bill endlich geeinigt zu haben, denn beide erschienen nun an Deck. Jack ging sofort zu Vulture, um dessen Wachen die Anweisung zu geben, ihn herunter zu lassen. Nach einigen Protestwörtern und Jacks Drohung, sie ebenfalls dorthin zu schicken, wo Vulture jetzt landen würde, wenn sie nicht taten, was er von ihnen verlangte, fügten sie sich doch und waren einigermaßen erleichtert, als Jack nicht auch noch verlangte, dessen Fesseln zu lösen.
Bill hingegen machte sich auf die Suche nach seinem Sohn, um ihm zu sagen, dass es bald Zeit für einen Abschied wurde, aber als er ihn fand, war dies schnell vergessen, denn er wurde mit einem Lächeln begrüßt, das er so noch nie gesehen hatte. "Was ist los?" fragte er sogleich skeptisch, denn auch Liz zeigte dieses Lächeln, und er wollte auf der Stelle wissen, was das zu bedeuten hatte.
Doch anstatt ihm zu antworten, sahen sich die beiden mit einem wissenden Grinsen an, das nun endgültig die Alarmglocken in seinem Kopf zum Schrillen brachte. Hier war eindeutig etwas passiert, woraufhin die beiden eine Entscheidung getroffen hatten, ohne ihn nach seiner Meinung dazu zu fragen. Was sie eigentlich auch nicht mussten, aber Will war nun mal sein Sohn, und er hatte Liz inzwischen wie eine Tochter in sein Herz geschlossen, und so sorgte er sich um beide. Aber sie hatten hier offenbar etwas vor, dass sich seinem Einfluss entzog.
"Ihr wollt die White Pearl verlassen, nicht wahr?" erriet er daher, und die überraschten Gesichter ihm gegenüber verrieten ihm, dass er durchaus Recht hatte. Er sah sie beide lange an, um den Grund dafür herauszufinden. Das Strahlen in den Augen der beiden und die Erinnerung an das Gespräch, das er vor kurzem mit Will geführt hatte, brachten ihn endlich auf die richtige Fährte.
Plötzlich wurden seine Augen so groß, dass sie herauszufallen drohten, und er brach in ein Lachen aus, das man sogar noch auf der Devils Hand hören konnte. Daraufhin drückte er Liz einen Schmatzer mitten auf den Mund, sodass Will blinzeln musste, den er gleich darauf auf die Schulter klopfte und umarmte. Noch immer war er zu keinem Wort fähig, und so ging er einfach lachend zu Jack, der ihm höchst irritiert entgegen sah.
"Die beiden...weißt du..." Bill deutete über seine Schulter hinter sich zu Will und Liz, die ihm langsam folgten, und machte dann lachend ein paar Gesten, die Jacks Augenbrauen in die Höhe trieben. "Und ich...", fuhr Bill fort und brach wieder in Lachen aus, das aber bald erstarb, als ihm etwas Anderes einfiel. "Ich werde wohl die nächste Zeit auf meinen ersten Maat verzichten müssen."
Jacks Augenbrauen rutschten wieder herunter, und sein Gesicht verwandelte sich wieder in Stein, was es in letzter Zeit so oft getan hatte. Dementsprechend halbherzig war auch das Lächeln, das er Will und Liz entgegen schickte, und der Glückwunsch, den er aussprach, da auch er erkannt hatte, was die beiden so glücklich machte. Zum Glück waren sie im Moment noch selbst viel zu überwältigt, als dass sie dies bemerkt hätten, wofür er auch dankbar war. Aber Bill hatte sich davon nicht beirren lassen, und sah ihn jetzt mit einem entschuldigenden Blick an, denn er wusste, was das zu bedeuten hatte.
Noch bevor eine peinliche Pause entstehen konnte, in der auch Will und Liz bemerken würden, dass etwas nicht stimmte, hörte man Anas befehlende Stimme vom Unterdeck herauf tönen, und kurz danach erschienen auch schon die ersten Gefangenen, die sich von Jacks Crew bewacht auf dem Deck aufstellen mussten. Vulture selbst hatte man inzwischen auf die White Pearl gebracht, was unter allen Anwesenden Fragen aufwarf, die Jack jetzt vorhatte zu beantworten.
"Mates, ihr fragt euch sicher, wie der Rest eures minderwertigen Lebens aussieht", begann er und wanderte dabei vor der Gruppe auf und ab. "Beziehungsweise, wie lange dieses Leben noch sein wird, und ich kann euch zumindest versichern, dass ihr diesen Tag überleben werdet. Denn ich habe keine Lust, mir für euch Strafen und Methoden für einen qualvollen Tod auszudenken, während ich noch ein anderes Problem zu bewältigen habe." Nun blieb er stehen und sah sie so ernst wie möglich an. "Dieser sinnlose Angriff eures verdammten Captains hat mich mehrere Männer gekostet. Genau wie meinem Mate hier." Er drückte kurz Bills Schulter und setzte dann seine Wanderung fort. "Deshalb mache ich euch einen Vorschlag, der einmalig ist und auch nur wenige Minuten gültig sein wird. Nehmt ihn an, oder reist wie euer Captain in der Brigg der White Pearl eingesperrt nach Port Royal, wo man sich euer annehmen wird." Wieder legte er eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. "Oder schließt euch meiner Crew an, um mit dem fabelhaften Captain Jack Sparrow die Meere zu befahren und an so viele Reichtümer zu gelangen, wie ihr sie noch nie gesehen habt." Wieder hielt er inne, nur diesmal wurde seine Stimme noch kälter.
"Oder akzeptiert Anamaria als euren neuen Captain, der von nun an die Devils Hand gehören wird. Sie ist zwar nicht so fabelhaft wie ich, wird sich aber trotzdem einen Namen machen, der überall gefürchtet sein wird." Er sah kurz zu ihr hinüber und erwiderte ihr Nicken, das der Crew zeigen sollte, dass sie beide zu dieser Entscheidung gelangt waren und sich noch immer gegenseitig respektierten. Keinem fiel auf, dass sie sonst jeden Blickkontakt mieden.
"Dieses Angebot gilt übrigens auch für meine Crew", fügte Jack noch hinzu. "Es sei euch überlassen, welchen Weg ihr wählt, niemand wird euch aufhalten oder euch deswegen kiel holen lassen."Damit verschwand er unter Deck und ließ Verwirrung zurück, die sich in einer Diskussion entlud, die alle Schiffe ergriff und sämtliche Arbeiten zum Erliegen brachte. Was hatte das zu bedeuten? Warum das und außerdem so plötzlich? Es bildeten sich kleine Gruppen, und Beratungen wurden abgehalten, denn sie wussten, dass nicht viel Zeit war, um sich zu entscheiden.
So bemerkte es niemand, wie sich Ana ebenfalls unter Deck zurückzog, um ihre Sachen zu holen. Bis auf Liz, die ihr verdutzt hinterher sah und sich fragte, ob sie noch irgend etwas tun konnte, um sie umzustimmen. Aber die erstem Crewmitglieder machten sich schon auf den Weg zur Devils Hand, und auch Bill sagte seiner Crew, dass es Zeit zum Segel setzen wurde. Jetzt war es wohl zu spät, um noch irgendwas zu ändern oder Jack und Ana zur Vernunft zu bringen.
>
>
Bill stand an Deck seiner White Pearl, die mit vollen Segeln nur noch darauf wartete, dass er endlich den Befehl geben würde, Kurs auf Port Royal zu setzen. Auch die Black Pearl und die Devils Hand waren bereit, ganz im Gegenteil zu deren Captains, die unschlüssig auf den jeweiligen Decks standen und hofften, dass der jeweils Andere ein Wort sagen würde.
"Okay, Jack, ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!" sagte Bill, nachdem er die Augen verdreht und die Geduld verloren hatte. Er musste einfach irgend etwas sagen, sonst würden sie bis in alle Ewigkeit an diesem Platz bleiben, was die anderen beiden wahrscheinlich auch wollten. Aber da sie es vorzogen, nicht miteinander zu sprechen, würden sie wohl niemals erfahren, was der Andere dachte.
"Und ich hoffe, dein Schiff schaffst es noch bis Port Royal", entgegnete Jack und warf einen kritischen Blick über die White Pearl. "Auch wenn ich sagen muss, dass sie in Tortuga besser aufgehoben wäre. Es ist näher und außerdem versteht man sich dort auf Reparaturen von solchen Schäden."
"Und es ist der Ort, den du als nächstes ansteuern wirst, nicht wahr?" erriet Bill und bekam dafür ein schiefes Lächeln von Jack. "Und wo wird dein nächster Hafen sein, Ana?" wandte er sich zur anderen Seite des Schiffes, wo die nicht ganz so stark beschädigte Devils Hand noch verweilte.
"Wo uns der Wind hinträgt", meinte sie nur dazu und sah dabei nicht einmal herüber. Wohl auch mit Absicht, denn sie wollte nicht sehen, wie Jack begriff, dass sie ihn nicht nach Tortuga begleiten würde, wie er es insgeheim gehofft hatte. Nicht nur das, sie wollte ihm auch nicht sagen, wo er sie finden könnte. Sie wollte verschwinden und verschwunden bleiben.
"Trotzdem hoffe ich, dass auch wir uns wiedersehen werden." Bill wartete auf eine Reaktion von ihr, die aber nie kam, und deshalb ließ er nun den Anker lichten und den Kurs auf Port Royal setzen, wo er die Schäden reparieren lassen und Will und Liz absetzen würde. Während der Reparaturen würde er darauf achten, dass Liz Vater ihnen jegliche Unterstützung zukommen lassen würde, damit es ihnen an nichts fehlte. Insgeheim hoffte er, dass ihnen bald das Meer fehlen würde, damit er sie wieder in seine Crew aufnehmen und bei ihnen sein konnte.
Als nächstes schrie Ana ihre Befehle über ihr Schiff, während Jack Gibbs einfach nur ein Handzeichen gab, damit er des übernahm. Es dauerte nicht lange, bis sich beide Schiffe in Fahrt setzten, dabei war sich Jack ziemlich sicher, dass Ana absichtlich einen Kurs gewählt hatte, der sie weit weg von Tortuga und Port Royal führen würde. Irgendwie ahnte er, was er tun sollte, um sie aufzuhalten, oder was sie zumindest zu einem weiteren Gespräch bringen würde, aber er fühlte auch, dass er nicht dazu in der Lage war. Noch nicht. Auch wenn es wahrscheinlich seine letzte Chance war.
"Viel Glück, Captain!" konnte er sich trotzdem nicht verkneifen, als sie fast außer Rufweite war. Er war froh, als sie sich diesmal umdrehte, damit er sich ihr Gesicht noch einmal einprägen konnte, während er ihr lässig zuwinkte, als würden sie sich in ein paar Tagen wiedersehen. Sogar ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, obwohl sie es sicherlich nicht mehr sehen konnte, aber er konnte sich einfach nichts anmerken lassen. Nicht hier vor seiner Crew und nicht zu diesem Zeitpunkt.
Ana stand noch eine Weile verdutzt da, und da sie sich inzwischen zu weit von einander entfernt hatten, um noch irgendein Wort zu verstehen, nahm sie nur den Hut vom Kopf, um ihm dann ein paar Mal zu schwenken, ihn sich wieder aufzusetzen und sich wieder dem Ruder zuzuwenden, als wäre ihr Schiff das Einzige weit und breit.
Trotz des schweren Herzens erschien ein Grinsen auf Jacks Gesicht, denn jetzt wusste er, dass sie es tatsächlich schaffen und sich einen Namen machen würde, der überall gefürchtet sein würde, so wie er es gesagt hatte. Und er freute sich auch für sie, denn das hatte sie mehr als jeder Andere verdient, und wenn sie ihn von nun an nicht dabei haben wollte, so sollte es sein, denn sie würde nie ganz allein sein.
Seine Gedanken und sein Herz sind stets bei ihr.
