"Verdammt, sie jagen uns schon eine ganze Woche!" Ana stand am Ruder der Nebukadnezar und warf immer wieder einen Bick über ihre Schulter, als würde sie erwarten, dass die vier Schiffe hinter ihnen in den letzten Sekunden verschwunden wären. Aber natürlich waren sie das nicht, und der Anblick hatte sich auch in den letzten Tagen nicht verändert. Sie holten weder auf, noch fielen sie zurück, und dachten gar nicht daran aufzugeben.
Sie hatten in dieser einen Woche sämtliche Tricks angewandt, die sie kannten. Aber die Spanier waren zu viert, und so konnte stets ein Schiff oder mehrere den Fallen entgehen und die Dragon weiter verflogen, bis die Anderen wieder aufholen konnten. So war es eine nervenaufreibende Jagd mit Hochs und Tiefs, die noch eine andere Eigenschaft hatte. Sie war ermüdend.
Die Jagd zerrte an ihren Nerven, und sie hatten auch während der ganzen Zeit natürlich keine Gelegenheit gehabt, ihre Vorräte auszufrischen. Besonders mit dem Wasser wurde dies langsam ein Problem. Aber Ana dachte nicht daran aufzugeben, da sie ganz genau wusste, was dann mit ihnen passieren würde. Und das wollte sie einfach nicht zulassen.
"Schiffe voraus!" brüllte plötzlich der Pirat im Ausguck, und Ana zuckte regelrecht zusammen, da nun das eingetreten zu sein schien, was sie die ganze Zeit über befürchtet hatten. Man hatte sie in eine Falle gelockt und eingekreist. Mit den Schiffen vor ihnen und den Anderen hinter ihnen konnten sie nun nicht mehr entkommen. Aber sie konnten noch kämpfen.
Ana bedauerte, dass ihre Zeit als Captain so kurz gewesen war, aber sie bedauerte nicht, dass sie es überhaupt so weit geschafft hatte, denn damit hatte sich ein ewiger Traum von ihr erfüllt. Allerdings bedauerte sie, dass auch ihre Crew dieses Schicksal mit ihr teilen musste, denn sie hatte nicht die Gelegenheit gehabt, sie richtig kennen zu lenern. Und da war noch eine andere Sache, die sie bedauerte: Dass sie nicht demjenigen ihr Herz geöffnet hatte, dem sie es eigentlich schon längst geschenkt hatte. Sie atmete noch einmal tief durch und wollte schon die zum Kampf nötigen befehle geben, als noch ein Ruf aus dem Ausguck erscholl.
"Es ist die Pearl!" hörte sie ihn rufen, und die Worte blieben ihr im Hals stecken. "Und... und die Andere auch! Da kommen die White und die Black Pearl!"
Er schrie noch viel mehr und brachte damit seine Freude zum Ausdruck, aber Ana rannte vor zum Bug, zerrte ihr Fernrohr aus dem Gürtel und wollte unbedingt sehen, ob sich der Mann im Ausguck auch nicht geirrt hatte. Sie brauchte dann auch nur kurz durch das Fernrohr sehen, um ihm Recht zu geben. Denn zumindest eines der Schiffe würde sie immer sofort erkennen.
"Verdammt!" Sie steckte das Fernrohr zurück in den Gürtel und rannte wieder zum Heck. "Holt alles aus dem Schiff, was es zu bieten hat! Werft alles über Bord, was wir entbehren können. Wir müssen zu den Anderen und uns auf den Kampf vorbereiten, bevor die Spanier überhaupt bemerken, was hier vor sich geht!" Sie stellte sich wieder ans Ruder, sah mit Genugtuung, dass ihre Crew sofort ihren Befehlen gehorchte, und hoffte, dass ihr Plan funktionieren würde.
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"Sie hat uns erkannt", murmelte Jack, als er sah, wie die Nebukadnezar den Kurs wechselte und nun auf sie zu kam. Er sah hinüber zu Bill, der ihm mit einem Nicken zeigte, dass auch er dies erkannt hatte. Genauso schienen die Spanier die beiden neuen Mitspieler ih ihrem Blickfeld zu haben, denn sie bereiteten sich auf einen Kampf vor, was Jack unschwer an den ausgefahrenen Kanonen erkennen konnte.
"Okay, ihr verfluchten Piraten, es geht los!" brüllte Jack über das Deck und wurde dafür mit einem erfreuten und gemeinschaftlichen Schrei belohnt. "Zeigen wir diesen Hunden mit der zungenbrecherischen Sprache, dass sie in diesen Gewässern nichts zu suchen haben!" Er beobachtete, wie Anas Schiff immer näher kam und steuerte seine Pearl etwas nach steuerbord, damit sie ihr Schiff zwischen seine Pearl und dessen Schwesterschiff lenken konnte. Bill war natürlich so vorhersehend, dass er die White Pearl nach backbord steuerte, und so wuchs der Abstand zwischen ihnen schnell genug.
Ana hatte ihren Trick natürlich sofort erkannt und brauchte daher nur auf die Lücke zwischen ihnen zuhalten, was ihr mit dem Wind im Rücken nicht schwer fiel, aber dass die beiden Perlen nun gegen den Wind kreuzten und dabei darauf achteten, den Abstand zwischen ihnen nicht zu groß, aber auch nicht zu klein werden zu lassen grenzte schon an Wahnsinn und Genialität in einem. Es formte sich tatsächlich ein kleines Grinsen auf ihrem Gesicht, als sie dies beobachtete, und vergaß dabei fast die vier Spanier hinter ihr.
Diese wiederum wunderten sich nur kurz, dass sich ein Handelsschiff offenbar auf die Seite der Piraten gestellt hatte, denn es war ein englisches Handelsschiff, und Engländern konnten sie noch nie trauen. Sie waren auch keineswegs von der Tatsache eingeschüchtert, dass sie es nun wohl mit drei Schiffen aufnehmen mussten. Sie waren schließlich zu Viert, und daher arrogant genug, um anzunehmen, dass sie ohne Probleme siegen würden.
Sie versuchten, die drei Schiffe zwischen sich zu bekommen, aber denen war das durchaus bewusst, und so begann ein Kampf mit Segeln und Ruder, bevor der eigentliche Kampf startete. Wer würde am besten navigieren können? Die Spanier mit dem Wind im Rücken, oder die Piraten, die dagegen ankreuzen mussten? Die Frage wurde sehr schnell beantwortet, denn nur kurze Zeit später fanden sich die Spanier von den drei anderen Schiffen eingekreist wieder. Sie hatten diesen Kampf verloren, aber der richtige begann erst noch.
Aber in diesem Kampf ging es nicht um die Frage der Intelligenz oder Geschicklichkeit, sondern um die Stärke der Schiffe und die Zielgenauigkeit der Kanonen. Darin mochten die Piraten und die White Pearl überlegen sein, aber die Spanier hatten ein Schiff mehr, und so war es ein harter und langer Kampf, an dessen Ende drei Schiffe gesunken waren und zweien das Schicksal noch bevorstand.
Die zwei Schiffe, die den Kampf einigermaßen überstanden hatten, fuhren zu beiden Seiten des einen dem Untergang geweihten und eskortierten es weg von den Wracks und den Menschen, die sich in Boote hatten retten können. Sie mochten zwar besiegt sein, aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch aufgehört hatten zu kämpfen. Und da man selbst ebenfalls keinen weiteren Kampf überstehen konnte, zog man es lieber vor, sich erstmal zurück zu ziehen. Außerdem konnte man nicht sicher sein, ob vielleicht Freunde der Besiegten in der Nähe lauerten.
Man suchte Schutz bei einer Inselgruppe in der Nähe, wo man selbst vor neugierigen Blicken geschützt war, aber stets die Gefahr schon von Weitem sehen konnte. Dort lagen die drei Schiffe dann vor Anker, und man beschloss zu bleiben, bis der gröbste Schaden repariert war. Zum Glück gab es auf dieser Inselkette viele und auch große Bäume, sodass dies kein Problem darstellen würde.
Diese Entscheidung hatte jeder Captain der drei Schiffe für sich allein gefällt, und so kam es, dass sie bald alle auf ihrem Deck standen und hinüber zu den anderen Schiffen und Captains schauten. Keiner von ihnen konnte als Erster aussprechen, dass sie sich gegenseitig das Leben gerettet hatten und den Anderen dafür dankbar waren. Außerdem vermieden es zwei von ihnen, den jeweils Anderen direkt in die Augen zu sehen oder anzusprechen. Der Dritte sah sich das eine Weile an, rollte dann mit den Augen und verlor die Geduld.
"Hey, ich habe einen Vorschlag", rief er zu ihnen hinüber. "Rum in meiner Kabine. Wie klingt das?"
Da hatte er plötzlich ihre Aufmerksamkeit, und sie tauschten sogar einen kurzen Blick aus, um zu erfahren, ob der Andere zustimmen würde. Und das, obwohl sie nur zu genau wussten, dass sie beide diesem Angebot nicht widerstehen konnten. Sie nickten fast gleichzeitig und begaben sich hinüber auf das Schiff des Dritten, der sich bewusst war, dass die beiden den ersten von vielen Schritten getan hatten.
