Der Tag wurde noch lang, und sie saßen bis in die Nacht hinein beisammen, tauschten Neuigkeiten und Anektoden aus, und waren einfach nur froh, wieder zusammen zu sein. Besonders Will lauschte mit großen und glänzenden Augen den Geschichten von Ana und Bill, und Liz wurde wieder einmal klar, dass sein Herz noch immer da draussen war.

So blieb sie einfach in ihrem Sessel sitzen, als sich Ana und Bill in den frühen Morgenstunden verabschiedeten. Will sah sie kurz verwundert an, aber erkannte bald, dass ihr noch etwas auf dem Herzen lag, und so blieb er auch sitzen und sah sie fragend an. Auch wenn er schon ahnte, dass es wieder eine dieser Diskussionen werden würde, die sie in letzter Zeit schon so oft geführt hatten. Das Schlimmste daran war, dass er langsam verlor.

"Dein Vater würde sich freuen, wenn er seinen alten Maat zurück bekommt", begann sie nun im Plauderton und beobachtete dabei das Feuer im Kamin. So, als ob sie über das Wetter reden würde.

"Es ist zu gefährlich für das Baby", wiederholte Will nun zum hundersten Male und seufzte lautlos. "Ein Schiff ist kein Platz für ein Baby, und das weißt du."

"Aber es ist dein Platz", hielt sie dagegen. "Und damit auch unserer." Sie hob nun den Kopf und sah ihn ernst an. "Gefährlich ist es überall, aber hier gehst du kaputt. Ich sehe es in deinen Augen, Will. Eines Tages wirst du uns genau deswegen verlassen."

"Das werde ich nicht!" erwiderte er lauter als beabsichtigt. "Ich lasse euch nicht im Stich und würde alles für euch tun. Das ist noch etwas, was du genau weißt."

"Dann tu mir den Gefallen und mach uns alle glücklich, indem du das Leben führst, das du wirklich willst." Will öffnete den Mund, aber sie sprach sofort weiter. "Komm mir jetzt nicht damit, dass es mir hier gut geht. Ich langweile mich nämlich zu Tode in diesem Haus. Genau wie du."

Wieder seufzte Will und fuhr sich über das Gesicht. Sie führten die selbe Diskussion mit den selben Argumenten immer und immer wieder, und langsam wurde es ihm überdrüssig. Sie hatte ja recht, dass es so nicht weitergehen konnte, denn er spürte nur zu deutlich die Sehnsucht nach dem Meer in sich, die Bills und Anas Erzählungen von vorhin auch nicht stillen konnten. Aber die Sicherheit seiner Familie ging ihm über alles, und wenn sein eigenes Glück darunter leiden musste. Aber andererseits war ja seine Familie sein Glück, weil sie eng verbunden waren, und...

Plötzlich hatte er es begriffen. War einer unglücklich, waren es die anderen auch. Es gab eine Bande zwischen ihnen, die groß, aber auch sehr zerbrechlich war. Und er hatte sie die ganze Zeit über gefährdet, gerade dadurch, dass er zu sehr versucht hatte, sie zu sichern. Sein blinder Eifer war schon immer sein Verhängnis gewesen.

Wieder seufzte er, und Liz begann zu lächeln, da sie ganz genau sein Einverständnis herausgehört hatte. Das folgende Nicken war schon gar nicht mehr nötig, trotzdem wartete sie, bies er es auch ausgepsprochen haben würde, denn dann gab es kein Zurück mehr.

"In Ordnung, ich frage Vater morgen früh, ob er noch Platz für uns auf seinem Schiff hat." Er sah zu ihr hinüber und zeigte ein schelmisches Grinsen. "Und du bringst es deinem Vater bei. Ich kann mir vorstellen, dass er dir das selbe wie ich sagen wird."

"Dann weiß ich ja, was ich ihm zu entgegnen habe, damit er nachgibt", grinste sie zurück, und sie lachten kurz. So sicher es war, dass der Gouverneur dagegen sein würde, so sicher war es auch, dass Liz ihn umstimmen konnte. Sie war nun mal seine einzige Tochter, und er hatte ihr noch nie etwas abschlagen können. Egal wie abwegig, verrückt oder gefährlich es war.

Dann war plötzlich ein leiser Knall von draussen zu hören, dem ein erstickter Fluch folgte. Mit einem Satz war Will aufgestanden und tauschte einen Blick mit Liz, bevor er leise und langsam zur Vordertür ging, um zu lauschen. Er hörte, wie draussen jemand herumschlich, aber als ein zweiter Fluch erklang, erschien wieder dieses Grinsen in seinem Gesicht, und er öffnete ohne Bedenken die Tür.

"Schön, dich zu sehen, Jack", sagte er, obwohl er ihn eigentlich in der Dunkelheit gar nicht sehen konnte, aber der Fluch von vorhin hatte Jack verraten. Das nächste, das er hörte, war der Klang einer Pistole, die zum Abfeuern bereit gemacht wurde, und ein erneuter Fluch.

"Erschrecke niemals einen Piraten, Mate", sagte Jack daraufhin und trat in den schwachen Lichtschein, der aus der Tür kam. "Das kann tödlich sein." Er steckte die Waffe weg und trat ohne ein weiteres Begrüßungswort ins Haus, sah sich um und ging dann zu Liz, um sie von oben bis unten zu betrachten. "Wie ich sehe, hat der neue Welpe seinen Weg in die Welt gefunden", grinste er sie an.

Nun war sie an der Reihe, ihn zu begrüßen, und sie tat es mit einer schallenden Ohrfeige, die im ganzen Haus zu hören war. Aber spätestens Wills Lachen würde nun alle Schlafenden wecken, oder zumindest das Baby, das gerade lautstark verkündete, das eines dieser Geräusche es aus seinen Träumen gerissen hatte. Ohne ein weiteres Wort drehte sich Liz um und ging hinauf, um "den neuen Welpen" zu beruhigen.

"Es war mir ein Vergnügen", rief Jack ihr hinterher und wandte sich dann Will zu, der immer noch grinsend und mit verschränkten Armen mitten im Raum stand und ihn musterte. Er sah sich dieses Bild eine Weile an, aber als sich Will immer noch nicht regte, winkte er augenrollend ab und sah sich um.

"Gibt es irgendwo Rum in diesem Haus?"

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Damit war die Nacht offiziell vorbei, denn auch Bill und Ana kamen wieder, um zu sehen, was passiert war. Bill begrüßte seinen Freund herzlichst und zog ihn dann einfach mit sich, um ihm seinen Enkel zu zeigen, aber Ana stand nur stumm in einer Ecke. Deshalb gab Jack auch nach und folgte Bill nach oben, wo die beiden es tatschlich schafften, das Baby wieder zum Schreien zu bringen, woraufhin die lautstarke Stimme von Liz erklang, und die beiden schneller wieder unten, als sie oben verschwunden waren.

Will hatte inzwischen eine Flasche Rum gefunden und füllte damit vier Becher, von denen er drei verteilte. Ana hatte es sich in dem Sessel in der Ecke bequem gemacht, Bill setzte sich ans Feuer, und Jack daneben. Will sah sich kurz um und setzte sich dann auf die Couch, um den Becher langsam zu leeren, wärend die Anderen ihren schon längst geleert hatten. Aber zum Glück war die Flasche leer und keine weitere aufzutreiben, denn sonst würde das Baby nie seinen Schlaf bekommen.

"So, Jack...", begann nun Bill im Plauderton. "Was machst du eigentlich hier? Ist deine Pearl schon repariert? Wie steht es um Anas Schiff?"

"Woah, Mate, nicht so viele Fragen auf einmal", entgegnete Jack grinsend und hob abwehrend die Hände. "Dafür habe ich entschieden zu wenig Rum getrunken."

"Was bedeutet, dass er nicht so lange gewartet hat, bis die Nebukatnezar fertig gestellt ist, und sich lieber hierher verdrückt hat, um uns auf die Nerven zu gehen", erklang plötzlich Anas Stimme, und alle zuckten zusammen, da sie seit Jacks Ankunft kein einziges Wort gesprochen hatte. Sie wusste selbst nicht, warum sie jetzt sprach. Vielleicht wirkte ja der Rum, oder sie brachte es einfach nur fertig, mit ihm zu sprechen, wenn verletzende Worte über ihre Lippen kamen. Vielleicht wollte sie ihn einfach nur provozieren, ihn wütend machen, bis er Dinge aussprechen würde, die gesagt werden mussten, die aber nicht den Weg über ihre Lippen fanden. Dinge, die sie selbst in den letzten Monaten tief in ihrem Herzen vergraben hatte, und die sie trotzdem noch quälten. Dinge, vor denen sie einfach nicht fliehen konnte.

"Zufälligerweise bin ich mit dem Einverständnis deines Maats auf die geniale Idee gekommen, beide Crews gleichzeitig an beiden Schiffen arbeiten zu lassen, und so waren sie auch gleichzeitig wieder seetüchtig, ankern nun ein paar Meilen von hier in einerm sicheren Versteck, werden von deinem Maat bewacht und warten auf unsere Rückkehr."

Jack warf einen kalten Blick zu Ana hinüber, der genauso kalt erwiedert wurde, und ein peinlicher Moment der Stille entstand, während die beiden ihren stummen Kampf ausfochten. Will sah hilflos zu seinem Vater, der nur mit den Schultern zuckte. Er hatte alles getan, was ihm in den Sinn gekommen war, und nun musste sich Will etwas einfallen lassen.

Doch zunächst kam Liz zurück, setzte sich neben Will und plapperte ihre Geheimnisse aus, wie man auf dem schnellsten Wege ein Baby beruhigte. Will hielt dagegen, dass seine Methoden viel effektiver waren, und so entstand ein kleiner und nicht ernst gemeinter Streit, der von Bill belauscht und belächelt wurde, während Jack und Ana ihren Kampf wegen Gleichstands aufgaben und lieber stumm in die leeren Becher starrten. Beide wollten von hier verschwinden, aber nicht der Erste sein, denn das kam wieder einem Rückzug gleich.

Die Sonne war bereits aufgegangen, als der kleine Streit mit dem gegenseitigen Einvernehmen, das alle Methoden gut waren, beendet wurde, und sich Bill wieder in sein Gästezimmer zurückzog, um sich auf einen nervenaufreibenden Nachmittag mit seinem Enkel vorzubereiten, wie er es selbst ausdrückte. Er war gerade verschwunden, als Liz endlich auffiel, wie ruhig Jack und Ana die ganze Zeit über gewesen waren, und schickte einen fragenden Blick zu Will, der nur die Augen verdrehte. Sie seufzte und begann eine stumme Unterhaltung mit ihm, an deren Anfang er gegen ihre vorgeschlagene Idee war, dann heftigst überredet wurde, und doch noch nachgab. Viel schlimmer konnte es ja nicht mehr mit den beiden werden.

Er stand langsam und leise auf und ging in eine Ecke des Zimmers, wo er eine Gitarre aus dem Schatten zog und dann wieder mit ihr zurück zur Couch ging. Sorgfältig stimmte er sie und spürte dabei zwei verwunderte Bicke auf sich ruhen, aber ließ sich nichts anmerken. Jetzt gab es kein Zurück mehr, und er hoffte, dass der Plan funktionieren würde.

Nach dem Stimmen zögerte er dann doch kurz, atmete tief durch, spielte ein paar Takte an und begann dann, ein Lied zu spielen, das er vor langer Zeit niedergeschrieben hatte und nun endlich von denen gehört werden würde, an das es gerichtet war.

"There´s an angel crying up in heaven tonight,

And I´ve got the Devil in my heart,

Because I keep on saying things that I don´t mean,

And it´s tearing us apart.

There´s a wild wind blowing in the desert tonight,

Oh how I long to feel the rain,

And let it wash away these lonely tears,

And bring us back again,

Cos it´s a different world when I look into your eyes,

You´re the nearest thing that that I have seen to Paradise,

And I know with you I will be in love forever.

There´s a stranger waiting deep in every heart,

To say the crazy things we say,

But I promise you he won´t be back,

To steal your dreams away.

So come up close and put your sweet hand in mine,

I´m going to hold you all night long,

And if you wake up I will be there,

To tell you that I love you.

Cos it´s a different world when I look into your eyes,

You´re the nearest thing that that I have seen to Paradise,

And I know with you I will be in love forever.

Während er sang, hatte sich Liz an ihn geschmiegt, und Jack und Ana hatten ihn entsetzt angestarrt, als wäre er jemand aus einer anderen Welt. Wahrscheinlich war er das auch, besonders in diesem Moment, und so erhob er sich danach langsam, stellte die Gitarre zurück an ihren Platz und entschuldigte sich mit dem Vorwand, nach seinem Sohn sehen zu wollen.

Liz machte es sich nicht so kompliziert, folgte ihm stumm und ließ zwei extrem verwirrte Menschen zurück, die sich nun nach langer Zeit auf eine Weise ansahen, die nicht kalt oder verletzend war. Sie sahen sich eher musternd an und versuchten herauszufinden, was der jeweils Andere dachte, ob das Lied etwas in ihm verändert hatte, aber sahen nur das altbekannte ausdruckslose Gesicht, das immer aufgesetzt wurde, um so vieles vor dem Anderen zu verstecken.

"Der Welpe ist ziemlich gerissen", sagte Jack nach einer Weile und setzt dabei ein gleichgültiges Gesicht auf. "Aber er irrt sich. Wir sind Piraten und lassen uns nicht von einem dummen Lied zu Tränen rühren."

"Aye", stimmte Ana zu und war froh, sich jetzt nicht mit irgendwelchen Gefühlsduseleien herumschlagen zu müssen. "Wir sind nicht so dumm wie er und lassen uns von der Liebe die Freiheit nehmen."

"Nein, wir heiraten nicht und bauen ein Haus", entgegnete Jack. "Das Meer ist unser Zuhause und wird es immer bleiben."

"Aye...die Liebe zwingt uns nicht ihre Wege auf. Sie kann uns nur dazu bringen, an manchen Orten länger zu verweilen."

"Und ab und zu an diese Orte zurückzukehren..." Jack stand auf und begann, enthusiastisch seine Hände herum zu wirbeln. "Wie die Schiffe einer Flotte, um ihre reiche Beute zu präsentieren!"

"Lass uns eine Flotte gründen, Jack!" Ana ließ sich von seinem Enthusiasmus anstecken und stand ebenfalls auf, um ihn mit großen und glänzenden Augn anzusehen. Lass uns zusammen die Meere unsicher machen, damit jeder vor uns erzittert, und ich gebe dir zehn Prozent meiner Beute ab... Commodore!"

"Neun Prozent", widersprach Jack mit nun auch glänzenden Augen und kam zur Unterstützung seiner Worte einen Schritt näher.

"Acht Prozent." Auch Ana war noch nicht einverstanden und kam auch einen Schritt näher.

"Sieben Prozent." Wieder ein Schritt von Jack.

"Sechs Prozent." Ana gab nicht nach und machte ebenfalls einen weiteren Schritt.

"Fünf Prozent." Noch ein Schritt.

"Vier Prozent." Ana setzte einen Fuß vor den anderen.

"Drei Prozent." Ein erneuter Schritt und Jack konnte den Rum in ihrem Atem riechen.

"Zwei Prozent." Ana sah es plötzlich in seinen Augen aufblitzen, und sie machte wieder einen Schritt, um herauszufinden, woher das kam, und wurde mit einem Schauer belohnt, der ihr allein wegen seiner Wärme, die bis zu ihr strömte, über den Rücken fuhr.

"Ein Prozent." Jack konnte keinen richtigen Schritt mehr beenden, da er mitten in der Bewegung gegen sie stieß, seine Arme um sie schlang und ihre Abmachung mit einem Kuss besiegelte, den Ana gern erwiderte, um ihr Einverständnis zu geben. Die Einzelheiten wurden auf dem Weg nach oben in Anas Gästezimmer besprochen, das die beiden so schnell nicht mehr verließen, da diese Besprechung langwierig war und viel zu sehr genossen wurde.

Die anderen Hausbewohner dachten nicht im Traum daran, diese Besprechung zu stören, und feierten lieber im Stillen ihr Zustandekommen, denn es hatte viel zu lange gedauert, hatte viel zu viel Schweiß gekostet, und wurde verdammt noch mal langsam Zeit.

Der erste Schritt war getan, und um den Rest mussten die beiden sich selbst kümmern.

Und sie würden es auch tun.

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Sooooooooooooooooooooo,

dies ist nun definitiv das Ende der Familienbande. Vielen Dank an alle, die es geschafft haben, bis hierher zu lesen und mir auch Feedback geschickt haben. Ohne euch wäre ich nie so weit gekommen.

Danke! Danke! Danke!

Das von mir in Wills Mund gelegte Lied ist eigentlich von Chris de Burgh, copyright by A&M Records LTd. London.

Gibts sonst noch was zu sagen? Ach ja, ich wüsste gern, ob ein kleines Sequel gewünscht ist... ;)

Und nochmals Dank an alle!

Takaya