Kapitel 6: Sorgen und Segen

Vielen Dank für die lieben Reviews an Taiyu, Jagura (nee, keine Sorge, ich lass die beiden nicht verbrutzeln smile ) und Rycitia (najaa, das Frau Wolf korpulent ist stand im Essener Textbuch… hach, ich muss das auch mal sehen! hoffdassichinstuttgarddiemöglichkeithab) knuddel

Und weiter geht's!

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„Wir können sowieso nichts machen!", sagte Titania zum fünfundzwanzigsten mal in zehn Minuten. Sie klang inzwischen schon leicht entnervt, denn sie konnte weder ihren Cousin noch dessen Frau oder die mehr oder weniger jüngeren Vampire beruhigen oder ihnen zumindest klarzumachen, dass sich die beiden Vermissten bestimmt nicht in die Sonne legen würden.

Wirklich alle Vampire waren noch auf den Beinen – unter normalen Umständen hätten sie alle schon in ihren Särgen gelegen, es würde spätestens in einer halben Stunde anfangen zu dämmern. Sie hatten alle dicken Vorhänge vor den Fenstern zugezogen und befanden sich allesamt im Wohnzimmer.

In der Zwischenzeit hatte sich Felix zu Julian und Ardora gesellt.

„Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass den beiden was passiert ist", sagte er.

„Ja, den beiden vielleicht nicht, aber ich befürchte fast schon, dass Chagal nicht wieder auftaucht." Ardora biss sich auf die Unterlippe.

„Sagt doch sowas nicht!" Julian schaute die beiden stirnrunzelnd an, während Magda neben ihm das Gesicht in den Händen verborgen hatte. „Sie werden ALLE wieder auftauchen!" Er schien wirklich fest an seine eigenen Worte zu glauben, jedenfalls klang er nicht so, als müsse er sich selbst davon überzeugen.

Felix und Ardora wechselten jedoch nur einen sehr zweifelnden Blick.

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„Aber… aber was machen wir denn jetzt?"

Auf Alfreds Frage konnte der Grafensohn nur mit den Schultern zucken. „Vielleicht sollten wir einfach versuchen, nach … ähm…" Herbert, dem leichte Verzweiflung ins Gesicht geschrieben stand, drehte sich zu dem Holzschild um, vor dem sie sich aufhielten. „… nach Kleinwäldchen laufen, vielleicht gibt es da eine Kings-Pension…"

„Und wenn wir gar nicht vor Sonnenaufgang dort sind?" Alfred schien langsam in Panik zu geraten. „Was machen wir dann? Mit dem da-" Er nickte zu Chagal hinüber, den sie im Schnee abgelegt hatten. „-mit Chagal im Anhang sind wir viel langsamer als normal!"

„Aber es wird auch nicht besser, wenn wir hier rumstehen." Mit diesen Worten ging Herbert zu dem immer noch schlafenden Chagal hinüber und versuchte, diesen halbwegs auf die Beine zu hieven.

Alfred ging ihm zur Hand.

„Du hast selbst gesagt, dass du noch nie irgendwas von diesem Ort gehört hast. Was ist, wenn dort alles voll mit Vampirjägern ist?"

Herbert seufzte. Insgeheim gab er seinem Alfi ja recht, sie waren mit dem betrunkenen, schlafenden Chagal im Schlepptau alles andere als schnell und sie hatten keine Ahnung, was sie in dem Dorf erwartete – wenn sie ihn denn vor Sonnenaufgang erreichten. Aber er wollte nicht, dass der Assistenzwissenschaftler in Panik geriet, es wäre nicht das erste mal, dass ein junger Vampir aus großer Angst eine Dummheit beging.

„Lass es uns versuchen. Ich meine, das ist besser als hier zu bleiben."

Wenig später liefen die beiden auf dem zugeschneiten Weg in Richtung Kleinwäldchen.

Es war eine sehr mühsame Arbeit, den dicken Wirt mit sich zu schleifen, und ihre Hoffnung, dass er vielleicht mal aufwachen würde, stellte sich als vergebens heraus. So kamen sie wirklich nicht schnell vorwärts und mussten schon kurz darauf erneut eine Pause machen.

„Warum hat der eigentlich nicht mal ein bisschen abgespeckt?", keuchte Herbert und ließ die Schulter des Wirts los, der daraufhin wieder auf der Erde landete.

Alfred ließ ächzend seinen Rucksack in den Schnee fallen. „Und warum musste er so viel trinken, dass er davon ohnmächtig geworden ist?!"

Chagal zeigte sich gänzlich unbeeindruckt, er drehte den beiden Männern schlafenderweise den Rücken zu und schnarchte munter weiter.

„Das ist doch nicht zu fassen", rief Herbert laut aus.

Prompt regte sich hinter ihm zwischen den Tannen etwas. Die beiden Männer fuhren herum und erblickten eine blasse ältere Frau mit weißen Locken, die hinter einem Baum hervorkam. Sie trug einen schwarzen Umhang und unter diesem Umhang lugte, soweit Herbert das auf die kleine Entfernung ausmachen konnte, ein Stück dunkelroter Samt hervor, der nur von einem Kleid stammen konnte.

Der Grafensohn stellte sich instinktiv vor Alfred.

„Wer macht den hier so einen Lärm?", fragte die Alte. Ihre Stimme klang amüsiert.

„Was haben wir denn da? Drei Jünglinge…"

Hinter Herberts Rücken warf Alfred einen stirnrunzelnden Blick auf Chagal, mit dem Gedanken, das ‚Jüngling' zumindest auf den dicken Wirt definitiv nicht zutraf!

„Wer sind Sie?", fragte Herbert, selbst überrascht darüber, wie sicher er klang.

Die alte Frau seufzte und musterte ihn scharf. „Junge, Junge, das enttäuscht mich jetzt aber."

Herbert hob irritiert die Augenbrauen. „Was?"

Die Alte verdrehte die Augen und rief dabei – allerdings etwas leiser als Herbert kurz zuvor – „Herr, schmeiß Erinnerungen vom Himmel!" Bei diesen Worten öffnete sie den Mund so weit, dass die beiden Männer ihre langen spitzen Eckzähne erkennen konnten – also eine Vampirin! Allerdings wussten beide nicht, ob das nun etwas Gutes oder doch eher etwas Schlechtes für sie bedeutete.

„Ähm, kenne ich Sie irgendwo her?", fragte Herbert höflich.

Die alte Dame schaute ihn ärgerlich an. „Also, nur weil ich es nicht zu dieser Hochzeit geschafft habe, ist das noch lange kein Grund, mich zu vergessen, Herbert von Krolock!"

Dem Sohn des Grafen fiel die Kinnlade runter. „O…Oma Ina! Was machst du denn hier?"

Sein geschockter Tonfall zeugte davon, dass Alfred nicht als einziger heillos verwirrt war.

„Das sollte ich dich fragen, mein Lieber." Herberts Großmutter kam auf ihren Enkel zu und umarmte ihn. „Was machst du kurz vor Sonnenaufgang mit gleich zwei Männern allein im Wald?", fragte sie tadelnd. „So gut hätte dein Vater dich ja schon erziehen können."

Herbert räusperte sich. „Also… ähm, das ist Alfred." Er machte einen Schritt zur Seite und gab seiner Großmutter damit den Blick auf den jungen Wissenschaftler frei. „Er ist der Assistent des Professors, der seit dem letzten Mitternachtsball bei uns wohnt – das sollte Papa dir aber geschrieben haben! – und-" Er grinste. „- ein sehr, sehr guter Freund."

Alfred schüttelte der alten Dame verlegen die Hand.

„Und das da…" Herbert deutete auf den dicken Wirt, „das da ist der Vater deiner Schwiegertochter, Yoine Chagal."

„Ähm… warum schläft der?"

„Zu viel Wodka…"

Herberts Großmutter hob missbilligend die Augenbrauen, wenn der Vater sich schon sturzbetrunken durch den Wald schleifen ließ, wie war dann erst seine Tochter – ihre Schwiegertochter?

„Nun, wie dem auch sei", sagte sie dann aufgeräumt. „Vampire, egal ob jung oder alt, gehören um diese Zeit in die Särge. Ihr könnt mir heute Abend erklären, was ihr hier macht, aber ihr kommt jetzt erst mal mit zu uns!"

Sie klang wie eine Frau, die weder Widerspruch noch Widerstand duldete, also leisteten die beiden Männer auch keinen. Sie hievten Chagal wieder hoch, die Großmutter nahm Alfreds Rucksack und die Vampire bogen wieder in den Wald ein.

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„Das ist sinnlos!"

Professor Abronsius, Koukol und Pastor Kromling stießen vor der Kirche wieder aufeinander.

Sie hatten das ganze Dorf und den nahen Wald nach Herbert und Alfred abgesucht, waren aber natürlich nicht fündig geworden.

„Aber wo können sie denn sein?"

„Herr Kromling?", fragte eine weibliche Stimme hinter ihnen.

Die drei Männer drehten sich um. Es war Frau Wolf.

„Was machen sie denn noch hier? Sollten sie nicht die Messe halten?", fragte die Etablissementbesitzerin und trat zu den Männern.

„Es gab Dringenderes zu tun", erwiderte der Priester trocken. Man merkte sofort, dass er nicht das allerbeste Verhältnis zu Frau Wolf hatte.

„Was denn?", wollte die wissen. „Wo kommen… hey, sie haben Tannennadeln im Haar… waren sie im Wald?"

Ohne lange um den heißen Brei herumzureden, erkundigte sich Professor Abronsius, ob sie schon Bekanntschaft mit Vampiren gemacht hatte und erklärte ihr anschließend die Lage.

„Böse Sache", murmelte Frau Wolf. „Und Sie haben wirklich keine Spur von ihnen?"

Koukol schüttelte den Kopf.

„Was ist denn, wenn sie wirklich schon oben bei der Hütte waren?", gab Pastor Kromling zu bedenken.

„Dann bringt es auch nichts, sich jetzt einen Kopf darum zu machen." Abronsius drehte seinen Hut in den Händen.

Koukol warf einen besorgten Blick zum Himmel. Die ersten Sonnenstrahlen streiften schon den Gipfel des Berges.

„Sollte einer von uns vielleicht mal oben nachschauen?", fragte der Diener des Grafen.

Der Professor und der Priester wechselten einen Blick. „Ist vielleicht besser", sagte Abronsius schließlich.

Herr Kromling und Frau Wolf begleiteten die beiden noch zur Seilbahnstation und schauten mit nachdenklichen Mienen der Gondel hinterher.

Dann wandte sich Herr Kromling an die Etablissementbesitzerin.

„Woher wissen Sie eigentlich von den Vampiren?"

„Nun, ein anderes Exemplar hat ein paar Tage bei mir… ähm… getagt", antwortete Frau Wolf. „Er hat mir auch von einigen Familien erzählt, mit denen er schon zu tun hatte, und demnach sind mir die von krolocks auch nicht so fremd."

„Aber getroffen haben sie noch niemanden von ihnen, oder?"

„Nein. Ich hoffe, ich werde das Vergnügen mal haben…"

Pastor Kromling seufzte. „Ich hoffe, sie werden Herbert von Krolock mal treffen, das wär dann wenigstens ein Zeichen dafür, dass er noch… na ja, lebt." Der Priester schien ernsthaft besorgt.

„Sie sehen sehr erschöpft aus. Wollen sie noch mit in meine Pension kommen und erst mal was essen?", bot Frau Wolf an. „Wenn sie wollen, halt ich ihnen auch meine Mädchen vom Hals."

Weiter nach Herbert und Alfred zu suchen, machte nun auch keinen Sinn mehr, denn die Sonnenstrahlen berührten schon die Kirchturmspitze. So machten sich die beiden Menschen reichlich geknickt auf den Weg zum Wolf'schen Pensions-Etablissement.

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Vorsichtig öffnete Koukol die Holztür der Berghütte und die beiden Männer betraten leise durch die Diele das dunkle Wohnzimmer. Sie waren mindestens genauso überrascht, die ganze Familie – abgesehen von den Vermissten natürlich – in der Sitzecke versammelt vorzufinden, wie die Vampire, die beiden Sterblichen jetzt schon wieder zusehen.

„Und?", fragte Graf von Krolock schließlich erwartungsvoll. Auf seiner Stirn hatte sich eine tiefe Sorgenfalte breitgemacht. „Haben Sie die beiden gefunden?"

Weder Koukol noch Professor Abronsius schauten dem Grafen in die Augen, als sie traurig die Köpfe schüttelten.

Alle Anwesenden stöhnten deprimiert auf. Sarah bemühte sich nicht einmal, die Träne fortzuwischen, die an ihrer Wange herunter rann.

„Das kann doch gar nicht sein", stieß Julian hervor. „Die beiden haben bestimmt irgendwo einen Unterschlupf gefunden!"

Der Graf vergrub das Gesicht in den Händen. Titania, die an seiner Linken saß und ihm, wie auch Sarah, die Hand auf die Schulter gelegt hatte, vernahm etwas wie ein „Hoffentlich, wenn nicht…"

Der Professor fuhr sich müde mit der Hand über die Augen und lehnte sich gegen den Esstisch. Natürlich, er hatte Herbert wahrscheinlich nicht unbedingt das Gefühl gegeben, ihn besonders zu mögen – was er ja mit seinem Regenschirm deutlich gemacht hatte – aber er mochte den Jungen.

Und was Alfred anging, so plagten ihn furchtbare Schuldgefühle. In Königsberg hatte er seinen Schüler schon nur mit Mühe zu dieser Reise überreden könne, dann hatte er seine Verliebtheit in Sarah fast vollkommen ignoriert – und das war ja nun der einzige Grund, der Alfred im Schloss des Grafen gehalten hatte -, dann wurde er unfreiwillig in einen Vampir verwandelt und verendete nun womöglich auch noch dort draußen in der Sonne!

Titania erhob sich. Sie hatte sich leise mit Bella und Ardora kurzgeschlossen, nun liefen die drei Frauen zu einer kleinen Kammer hinüber, kramten einen ganzen Satz Decken heraus und verteilten sie an die Vampire und Sterblichen.

„Wenn sie doch irgendwie zurückkommen, kriegen wir es so wenigstens mit", meinte die Schwarzhaarige, während sie ihrem Cousin höchstpersönlich eine Wolldecke umwickelte.

Die Vampire dämmerten einer nach dem anderen weg, den Kopf voller düsterer Gedanken. Nur Graf von Krolock bekam kaum ein Auge zu. Viel zu tief saß die Sorge um seinen einzigen Sohn.

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Pastor Kromling ließ im wahrsten Sinne des Wortes die Kirche im Dorf, seine Wenigkeit von einem Kollegen vertreten und sich von Frau Wolf überreden, den Tag zu einer erneuten Suche zu nutzen.

Diesmal halfen auch Frau Wolfs Mädchen bei der Suche, nachdem der Priester ihnen ausführlich das Aussehen der vermissten Vampire beschrieben hatte.

Aber natürlich verlief die Suche vollkommen erfolglos. So fanden sich alle, die mitgeholfen hatten, um vier Uhr am Nachmittag wieder am Marktplatz ein.

„Oh ja, ich will gar nicht wissen, wie viele enttäuschte Freier schon vor dem Haus warten", mutmaßte die mollige Helen.

Herr Kromling verdrehte nur die Augen. Er hoffte sehr, dass Alfred und Herbert nach Einbruch der Dunkelheit wieder auftauchen würden.

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Noch vor Einbruch der Dunkelheit wurden eben diese Vermissten von Ina von Krolock ziemlich unsanft geweckt.

„Hey, aufstehen!" Die alte Dame schlug ungeduldig auf die Sargdeckel im Gästezimmer des kleinen Backsteinhauses, in dem sie mit ihrem Mann den Winter über wohnte.

Alfred wachte sofort auf und klappte augenblicklich den Sargdeckel hoch und auch Herbert hielt es für klüger, es nicht auf eine längere Weckaktion ankommen zu lassen – die Situation war nun wirklich schon verfahren genug!

„Na, ausgeschlafen?", fragte Großmutter Ina. Ihre Stimme triefte vor Ironie und sie lachte, als die beiden Männer herzhaft gähnten.

„Kommt schon, hopp hopp, ihr müsst mir mal helfen, diesen Schnarchsack wach zu rütteln!"

Im ersten Moment wusste weder der junge Wissenschaftler noch der Grafensohn, von wem die alte Frau da sprach. Doch als Herberts Großmutter den dritten Sarg öffnete, aus dem ein ohrenbetäubendes Schnarchen drang, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: Chagal! Genau, den dicken Wirt hatten sie ja am Morgen nur schnell in den dritten Sarg fallen lassen und sich nicht weiter um ihn gekümmert.

Herberts Großmutter runzelte die Stirn und rümpfte die Nase, bevor sie sich wieder den beiden jungen Männern zuwandte, die nun auf sie zukamen. „Irgendwelche Vorschläge?"

Alfred musste unwillkürlich grinsen. „Ich glaube, Rebecca würde wieder ihre Salami einsetzen…"

„Wer würde was einsetzen?" Ina war sichtlich geschockt.

„Seine Frau", erklärte Alfred schnell. „Und im Notwall würde sie bestimmt Wasser benutzen…"

„Na wunderbar! Dann holt euch doch mal gleich ein bisschen Schnee, das dürfte ebenso helfen!" Mit diesen Worten scheuchte die alte Dame Herbert und Alfred nach draußen.

Fünfzehn Minuten später befanden sich sowohl die beiden und Großmutter Ina als auch Chagal und Jan, Herberts Großvater, in der kleinen gemütlichen, bäuerlich eingerichteten Küche und Alfred und Herbert mussten berichten, wie sie überhaupt in diese Gegend geraten waren, während Chagal versuchte, seine Kopfschmerzen zu verdrängen.

„Nun", krächzte Großvater Jan, als sein Enkel geendet hatte. „Dann sehen wir mal zu, dass wir euch wieder nach oben bringen. Dein Vater macht sich gewiss schon große Sorgen."

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Damit hatte er zweifellos recht. Graf von Krolock war der Erste, der in der Dämmerung aus dem Dösen hochschreckte. Er ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen.

Sarahs Kopf war auf seine Schulter gerutscht, Magda, Julian, Ardora, Bella und Felix hatten sich auf dem Viersitzer zu einem Knäuel zusammengequetscht, Titanias Kopf ruhte auf Jonathans Bauch und der Professor und Koukol waren am Tisch eingeschlafen. Und zu seiner Resignation war keiner der Vermissten inzwischen angekommen – wie auch immer das hätte möglich sein sollen, aber selbst mit seiner großen Lebenserfahrung hatte der Graf immer noch nicht gelernt, jegliche Hoffnung aufzugeben.

Er seufzte und legte seinen Kopf auf den von Sarah. Die Aufregung war einer beklemmenden Angst und einer erdrückenden Verzweiflung gewichen.

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Wieder dick in Mäntel, Schals und Mützen eingemummelt, ließen alle fünf Vampire die kleine Backsteinhütte hinter sich.

„Wo seid ihr denn hergekommen?", fragte Großvater Jan.

„Sie wollten glaub ich, in Richtung Kleinwäldchen", antwortete seine Frau für seinen Enkel.

„Wir sind eigentlich die ganze Zeit geradeaus gelaufen", fügte Herbert trotzdem hinzu.

„Was für ein Glück, dass es heute Nacht nicht mehr geschneit hat", bemerkte Jan und deutete auf den Weg, auf dem noch deutlich die Fußstapfen Herberts und Alfreds zu sehen waren – und natürlich die Schleifspur, die Chagals Fußspitzen hinterlassen hatten.

Eben denen folgten sie nun so lange, bis sie wieder zu der Lichtung gelangten. Chagal hatte inzwischen einige Kopfschmerzmittel intus, trotzdem trottete er mit einer ziemlichen Leidensmiene hinter den anderen Vampiren her.

Ab der Lichtung hielten sich Alfred und Herbert an den Orientierungssinn von Herberts Großeltern.

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„Wir müssen nochmal ins Dorf", sagte Ardora entschieden. „Wir können nicht noch länger warten. Es ist schon seit einer Dreiviertelstunde dunkel!"

„Das sag ich schon seit gestern Morgen", gab Graf von Krolock zu verstehen, wurde aber ignoriert.

„Vielleicht haben Herr Kromling oder Frau Wolf die beiden ja gefunden", hoffte Felix.

„Wenn sie sie gefunden haben, dann wahrscheinlich nur-" Zweifellos wollte Bella etwas sehr negatives von sich geben, aber Julian hielt ihr den Mund zu.

„Wenn sie sie gefunden haben, dann warten sie, wenn wir Glück haben, schon unten."

„Und wenn nicht?", fragte Magda leise. Sie war inzwischen genauso deprimiert wie der Graf und hatte seit der Rückkehr der beiden Sterblichen kaum ein Wort mehr gesagt.

„Und wenn nicht gibt's nicht!" Titania seufzte. Entweder wir finden sie oder nicht."

„Musst du eigentlich immer so gnadenlos realistisch sein?" Jonathan blickte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an und murmelte „Schwarzseherin."

Die Vampire ließen sich von Professor Abronsius noch ein kleines Frühstück aufzwingen, bevor sie sich abermals winterfest anzogen.

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„So, aus dem Wald sind wir raus. Ist das das Dorf?"

Alfred und Herbert schauten sich um. Sie waren genau an der Stelle aus dem Wald herausgebrochen, an der sie ihn auch betreten hatten. Auf Alfreds Gesicht legte sich ein erleichtertes Lächeln. „Definitiv!"

Herberts Großeltern lächelten ebenfalls. „Wir helfen doch gerne. Sollen wir noch mit hochkommen?"

Herbert umarmte seine Oma. „Wenn ihr wollt…" Er löste sich wieder von ihr. „Vater würde sich bestimmt freuen, wenn – AAAAHRG!!!"

Erschrocken wirbelte der Grafensohn herum, um zu sehen, wer gerade Hand an seiner Schulter angelegt hatte.

„Herr Kromling!"

„HABEN Sie irgendeine Ahnung, was für Sorgen wir uns alle gemacht haben?!", schnaubte der Pastor. Trotzdem sah man ihm seine Erleichterung an.

„Ähm… wer ist das?", fragte Großvater Jan etwas perplex. „Priester", murmelte Chagal. Die beiden alten Vampire wichen zurück, während Alfred Herrn Kromling die Hand schüttelte. Herbert erklärte seinen Großeltern, wer dieser Pastor überhaupt war.

„So, ihr drei, schießt los", verlangte Kromling. „Wo wart ihr?"

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„Frau Wolf!"

Felix winkte der korpulenten Frau zu, die auch prompt auf die Vampirgruppe zusteuerte, die gerade vor ihrer Pension angekommen war.

„Und, sind sie aufgetaucht?"

„Das bezweifle ich", antwortete Frau Wolf mit mitleidigem Gesicht.

Graf von Krolock kniff die Augen zu und Magda biss sich auf die Lippen.

„Aber vielleicht hat ja Herr Kromling noch etwas gehört", versuchte die Etablissementbesitzerin die Vampire aufzuheitern.

„Wo ist der denn?", wollte Jonathan wissen. „Müsste er nicht in der Kirche sein?"

„Er hat sich heute bei allen messen vertreten lassen, wir haben den ganzen Tag über im Wald nach den beiden gesucht…"

„Nach den dreien", murmelte Sarah, die sich auch um ihren Vater sorgte.

„Lasst uns da mal nachsehen", meinte Julian, der seinen Zweckoptimismus fast aufgegeben hatte – aber nur fast.

Einige Minuten später traf Graf von Krolock fast der Schlag. „Herbert!", schrie er.

Sein Sohn, der gerade drauf und dran war, in eine Seilbahngondel zu steigen, zuckte zusammen und wirbelte herum. „Papa!"

„Mein Sohn, wo wart ihr denn!" Erleichtert schloss der Graf seinen Sohn in die Arme, als er ihn erreicht hatte. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht!"

„Na das ist jetzt eine ganz neue Floskel", wisperte Ina ihrem Mann zu.

Alfred wurde inzwischen von Sarah und Abronsius bestürmt. Sarah warf ihre Arme um seinen Hals. „Sag mal, was war das denn für eine Aktion!" „Junge, hast du überhaupt eine Ahnung, was für Ängste hier alle ausgestanden haben?!", polterte Abronsius.

„Wir haben uns verirrt", begann Alfred, wurde aber sogleich unterbrochen.

„Erzähl jetzt aber bloß nicht, dass euer Date es nicht einmal Wert war, dass ihr so lange weg wart!" Bella wischte sich bei diesem leicht spöttischen Kommentar die Tränen aus den Augenwinkeln.

Graf von Krolock wurde inzwischen auf seine Eltern aufmerksam und begrüßte auch diese herzlich.

Wer allerdings gar nicht so herzlich empfangen wurde, war Chagal. Auf den kamen nun Magda und Sarah zu. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?!", schimpfte Sarah. „Wir dachten alle, du wärst oben, und dann kommen die anderen zurück und sagen, du wärst nicht dabei…"

„Weißt du, wie lange ich auf dich gewartet habe?", fuhr Magda den dicken Wirt an – sie hatte ihre Sprache wieder gefunden.

„Magda, ich… ich wollte nur…", stammelte Chagal.

„Ach, hör auf", fauchte die junge Magd. „Mein Gott, du stinkst, was hast du eigentlich angestellt?"

Doch sie brauchte nur einen Blick in die Augen des Wirts zu werfen, um den Wodka ablesen zu können. Sie schaute ihn enttäuscht an.

„Das hätte ich wirklich nicht von dir gedacht", sagte sie gefährlich leise. Ihre Stimme war mehr als unterkühlt. „Ich trau dir wirklich viel zu, aber dass du mich für eine Flasche Wodka versetzt… nein, tut mir leid, das ist zu viel für mich."

Herbert, der diese kleine Szene mit einem Ohr mitbekam, während er herzlich seinen ehemaligen Lateinlehrer Felix begrüßte, ersparte der jungen Magd, die sich auf dem Absatz von Chagal abwandte, die Geschichte der letzten Nacht, oder besser gesagt, den Zustand, in dem sie Chagal gefunden hatten.

„Lasst uns zurück nach oben fahren", schlug Titania einige Minuten später laut vor. „Ich denke, hier haben uns diverse Personen einiges zu erzählen."

Ihr Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, nur Großmutter Ina und Großvater Jan lehnten das Angebot, mit nach oben zu kommen, dankend ab und machten sich nach einer herzhaften Verabschiedung von ihren Verwandten wieder auf den Rückweg durch den Wald.

Wenig später befanden sich die Vampire, Koukol, Professor Abronsius und auch Herr Kromling wieder oben in der Berghütte – Frau Wolf entschuldigte sich damit, dass sie ihren Laden nicht noch einmal so lange vernachlässigen könne – und Alfred und Herbert mussten noch einmal ihre Geschichte erzählen.

„Also", meinte Graf von Krolock, nachdem die beiden geendet hatten. „Verabredung hin oder her – ich will nicht, dass irgendein Pärchen noch einmal so wenig auf die Zeit achtet, dass sich als Folge davon die ganze Familie Sorgen macht." Er warf diversen Personen im Raum strenge Blicke zu, bevor er wieder zu seinem Sohn und Alfred sprach. „Ich denke, ihr beide solltet euch jetzt schon hinlegen, denn ich wage mal stark zu bezweifeln, dass ihr bei meiner lieben Mutter genug Schlaf bekommen habt."

Diese Worte waren kein Vorschlag sondern eine Aufforderung, aber die beiden Männer gingen dieser gerne nach – zu tief saß die Erschöpfung, die nach den letzten Ereignissen Oberhand gewann. So schlurften die beiden denn auch brav die Treppe hoch, gefolgt von Julian, Sarah, Bella, Magda, Ardora und Felix, die sich auf den Dachboden verzogen.

Chagal dagegen blieb unten – er musste sich ernsthaft vor seinem Schwiegersohn rechtfertigen, denn betrunken durch einen Wald zu irren wurde sowohl von den Catines als auch von den Krolocks als viel schlimmer gewertet, als im verliebten Zustand die Zeit zu vergessen.

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„Wird das nicht zu eng da oben?", fragte Felix besorgt.

„Keine Panik, wir bleiben ja nicht alle oben", beruhigte ihn Sarah. „Aber ich persönlich will nicht mitbekommen, wie Papa zur Schnecke gemacht wird.

Die sechs Vampire betraten den Dachbodenraum und verteilten sich auf die drei Särge.

„Ähm, ich glaub, das ist gestern ein bisschen kurz gekommen", meinte Magda vorsichtig, nachdem sie sich neben Ardora nieder gelassen hatte. „Aber…w er bist du eigentlich, Felix?"

Sowohl Felix als auch Julian mussten grinsen – die beiden hatten sich ebenfalls nebeneinander auf Julians Sarg bequemt und als die beiden Ältesten wussten sie auch am Besten übereinander bescheid.

Felix räusperte sich. „Also: Ich stamme aus dem alten Rom, bin deshalb mit Latein aufgewachsen und verdiene seit Karl dem Großen meine Brötchen damit, den Kindern von mehr oder weniger Adligen diese Sprache beizubringen. Dadurch habe ich unsere liebe Ardora zu ihren Lebzeiten kennegelernt-" Er grinste der Braunhaarigen zu. „-und auch unseren lieben Herbi unterrichtet. Und um auf Bellas Verwunderung zurückzukommen: Eine äußerst nette Chemiestudentin, der ich ähm… Unterricht der etwas anderen Art gegeben habe-" Er erntete sowohl ein leicht genervtes Stöhnen als auch ein Kichern bei seinen Freunden. „- hat sich auf diese Art bei mir… bedankt…"

„Tja, ich sag's ja: Lass deine Finger von Schülern", grinste Julian. „Das war schon bei Herbert problematisch."

„Hä?", wunderte sich Sarah.

„Und bei mir auch", kicherte Ardora.

„Und bei Lena und Lommel auch…" Bella zog die Augenbrauen hoch und schaute Sarah an. „Verstehst du, was wir meinen?"

„Ähm… ja, ist klar…" Sarah warf Felix einen Blick zu, der nur zu deutlich von ihren gemischten Gefühlen zeugte.

Julian lachte. „Keine Angst, der frisst nur Leute, die mindestens sechs Funktionen des Ablativs beherrschen." Dafür erntete er einen Stoß in die Rippen von Felix.

Magda verzog das Gesicht. „Gut, dass ich Herberts Angebot zum Lateinlernen nicht angenommen habe…"

„Sehr gut", wisperte ihr Ardora ins Ohr.

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„Ich bin todmüde", murmelte Alfred.

„Hmm, ich auch." Herbert gähnte. „War halt doch ziemlich anstrengend… aber…" Er lächelte den jungen Wissenschaftler sanft an. „Dafür war es doch auch sehr schön, oder?"

„Jaaa, schon…"

Herbert schaute Alfred besorgt an – der junge Wissenschaftler würde doch wohl nicht schon wieder von einer Nacht auf die Nächste seinen Standpunkt gewechselt haben?

„Aber?", fragte er vorsichtig.

„… aber leider hat uns ja mal wieder die Sonne einen Strich durch die Rechnung gemacht." Alfred schaute Herbert bei diesen Worten nicht an, er wollte nicht schon wieder rot werden.

Der Grafensohn starrte ihn an. Das hatte er ja nun gar nicht erwartet – vor allem, da er selbst wusste, wie weit er in der letzten Nacht gegangen wäre, wenn es an ihm gelegen hätte – und erst recht nicht von dem sonst so schüchternen Alfred!

Dieser blickte ihn verschämt an. Ein breites Lächeln schlich sich auf Herberts Lippen.

„Hey, wo hast du die Seite denn so lange versteckt?", fragte er.

„Welche Seite?", bekam er als Gegenfrage zurück, aber auch Alfred lächelte jetzt leicht.

Herbert lachte und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.

Schließlich löste er sich etwas verlegen wieder von seinem Alfi, unsicher, ob er die Frage stellen sollte, sie ihm auf der Zunge lag. Entsetzt stellte er genau in dem Moment fest, dass er sie tatsächlich stellte, als er sich entschlossen hatte, es bleiben zu lassen. „Ähm… willst du heute mit in meinen Sarg kommen?"

Alfred schluckte und Herbert verfluchte sich selber. Natürlich musste das dem jungen Wissenschaftler unangenehm sein, soweit er es mitbekommen hatte, war er selbst bei Sarahs Andeutungen, die sich auf etwas komplett anderes bezogen, total überfordert gewesen – und seine eigenen Worte hätten wohl kaum eindeutiger sein können!

Aber zu seiner Überraschung nickte Alfred. Herbert schaute ihn mit großen Augen an.

„Aber…" Der junge Wissenschaftler räusperte sich. „Aber… es muss doch… ähm… es muss doch nicht unbedingt… etwas passieren, oder?" Mit einem Schlag wurde er puterrot im Gesicht.

Herbert strahlte ihn an, während er seinen Sarg öffnete. „Natürlich nicht! Ich mach nichts, was du nicht willst."

Diese Worte waren es schließlich, die Alfred endgültig dazu bewegten, dem Grafensohn in den Sarg zu folgen.

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Okay, ich find es etwas zu langwierig an manchen Stellen… und ihr? :-) Freue mich weiterhin über Reviews. Und ich mach noch ein bisschen Schleichwerbung: Der Adventskalender ist da! Ich versuche, jetzt regelmäßig jeden Tag ein neues Türchen online zu stellen ;-)

Eure Aisa