Eigener Kampf

„Was war denn los?", Ken hing Aya auf der Pelle. Er war neugierig darauf, warum die beiden so durch den Wind hier ankamen.

„'Ne Menge ... aber lass uns das nachher beim Abendessen besprechen."

Etwa 2 Stunden später sorgte Yohji für Ordnung im Laden, Ken kochte und Aya deckte den Tisch. Als das Essen fertig war rief Yohji nach Omi. Als er nicht kam ging er hinauf zu seinem Zimmer.

„Hey Omi, was ist los?"
"Ich will nicht, Yohji."

„Was willst du nicht?", Omi lag immer noch auf dem Bett unter den Decken. Der Älteste von Weiss setzte sich neben ihn auf die Bettkante und zog ihm die Decke weg. Er erschrak als er bemerkte, dass Omi seine dicke Jacke noch an hatte und trotzdem zitterte.

„Omi, ist dir kalt?", er fühlte mit der Hand über die Stirn.

„Mhm"

Yohji zog den Jungen auf in die sitzende Position, dann zog er ihm die Jacke aus und legte den Schal ab.

„...ist so kalt..."

Yohji nahm die Fleecedecke vom Sofa und legte sie um seine Schultern.

„Lass uns erst mal essen gehen.", dann schob er den Chibi vor sich her, Richtung Küche.

Er setzte Omi auf den Stuhl neben sich.

Ken tat ihm ein paar Nudeln auf den Teller.

„Möchtest du noch mehr?"

Omi schüttelte den Kopf.

„Ja, dann erzählt mal was los ist.", Yohji sah Aya und Omi abwechselnd an und nahm sich dann auch Nudeln.

„ ... „

Omi schwieg.

„Soll ich erzählen?", Aya sah den Kleinen an. Der schaute nur auf seinen Teller und schüttelte den Kopf.

„Du oder ich!"

Dann herrschte wieder Schweigen.

„Es ist nicht wahr, Aya. Es ist gelogen.", die leise Stimme brach nun ganz ab.

„Könnt ihr uns vielleicht mal aufklären! Wovon redet ihr?", Ken wurde ungeduldig.

Aya fing an zu erzählen, was er gesehen hatte.

Omi verzog dabei keine Miene, beweglos starrte er auf den Tisch. Er kaute wieder auf seinem Finger rum. Das Zittern wurde immer stärker und dann liefen die Tränen wieder. Er schämte sich so sehr. Am liebsten wär er jetzt einfach weg gelaufen, doch er wusste, dass das noch feiger war. Er würde das aushalten.

Aya erzählte und den anderen beiden stand der Schock auf die Gesichter geschrieben. Ungläubig starrten sie den Jüngsten an.

„Du hast deinen Körper verkauft!", Ken konnte es nicht glauben.

„Ich kann es nicht fassen. Omi, sag mir, das es nicht wahr ist.", auch der Playboy war sichtlich entsetzt.

Doch nun hatte Omi den Mut verloren, er hatte nicht mehr die Kraft, die anderen davon zu überzeugen das es nicht stimmte. Er hatte gar keine Kraft mehr. Er klappte zusammen. Es war nur Yohjis schneller Reaktion zu verdanken, dass Omi nicht vom Stuhl fiel. Er fing ihn auf und hob ihn auf die Arme.

„Scheiße!"

„Leg ihn hier aufs Sofa.", Aya machte ihm Platz.

„Ich glaube er hat Fieber."

Der Anführer eilte wieder zurück holte einige Handtücher und Wasser, dann noch ein Fieberthermometer. Ken stand ein wenig verloren in der Ecke.

„Yohji ich versteh das nicht, er war doch nie so. Er hätte das niemals getan. Ich wünschte ich habe das nur geträumt und es ist nicht wahr. Ich versuche die ganze Zeit eine andere Lösung zu finden. Omi doch am wenigsten."
"Jetzt beruhig dich mal wieder, Aya!"

Nach etwa 10 Minuten öffnete Omi die Augen. Yohji saß noch immer neben ihm und maß gerade seine Temperatur.

„Hi Chibi, wie fühlst du dich?"

„Mhm, mir ist ganz heiß."

„Ich denke, dass du Fieber hast. Halt mal kurz still.", und Yohji griff unter die Decke und schob seine Hand unter Omis Pullover um das Thermometer unter dem Arm hervor zu ziehen. Omi keuchte erschrocken auf. Er drückte den Arm weg und zog die Beine ganz nah an seinen Oberkörper. Sein Atem ging schnell und sein Blick huschte immer wieder von Yohji durch den Raum und zurück.

Der Ältere rückte sofort ein wenig zurück.

„Hey Omi, tut mir Leid. Ich wollte dich nicht bedrängen. Sorry ... ich werde dich nicht anfassen, wenn du das nicht möchtest."

„ ... ist schon OK ... ich hab mich nur so erschrocken ..."

„Mhm ... gibst du mir trotzdem das Thermometer?"

Omi gab es ihm und zog dann die Decke wieder fester um sich. Yohji hatte das bemerkt.

„Ist dir wieder kalt? ... Oder hat du Angst?"

„ ... beides.", kam es ganz leise von Omi.

Der Langhaarige schaute sich nun das Thermometer an und gab es dann an Aya weiter, der gerade wieder hinzu gekommen war.

„Mist!"

„Haben wir noch was im Haus?"

„Ich besorg was, bleib du bei ihm und mach ihm Umschläge."

„Wieso? Was meint ihr? Wie viel Grad hab ich?"

„ ... „

„Hey, sag schon!"

„Fast 40!"

„ ... Warum?"

„Weil etwas deinen Körper heftig geschwächt hat und nicht nur heute ... langfristig."

Omi sah ihn mit großen Augen an.

„Omi, ich hab das Gefühl, dass da noch etwas ist. Das was Aya erzählt hat, das war nicht alles, oder?"

Der Junge schwieg.

„Möchtest du drüber reden?"

„ ... ich kann nicht ..."

„Weil du nicht willst, oder nicht darfst?"

„ ...beides".

Yohji versuchte sich daran zu gewöhnen, dass er daran im Moment nichts ändern konnte, Omi müsste darüber sprechen wollen. Aber er lächelte den Jungen an. Es war ein großer Schritt, den sie weiter gekommen waren. Yohji freute es, dass Omi ansatzweise etwas verraten hatte. Denn die letzte Zeit hatte er immer ganz abgeblockt.

„Ich würde sagen, du versuchst nun erst mal ein bisschen zu schlafen."

Yohji blieb noch neben Omi liegen bis er eingeschlafen war. Dann ging er in die Küche und machte einen Tee. Ken regelte gerade den ganzen Haushalt und räumte den letzten Rest im Laden auf. Kurz darauf kam auch Aya wieder.

Yohji ging mit dem Tee und einem halbvollem Teller Nudeln die er für Omi noch mal aufgewärmt hatte ins Wohnzimmer.

„Omi? Hey Chibi."

Langsam öffnete dieser die Augen und sah direkt in das grinsende Gesicht von seinem Kollegen.

„Du musst noch was trinken."
Yohji legte ihm ein Kissen in den Rücken und reichte ihm die Tasse.

„Nimmst du die auch? Ist gegen das Fieber."

Er hatte sich wieder auf die Sofakante gesetzt und hielt Omi nun die Tablette an die Lippen. Omi schluckte sie. Der Junge ließ sich auch Zeit mit dem Trinken.

„Möchtest du auch noch ein paar Happen Nudeln?"

Omi sah ihn bettelnd an.

„Och komm Omi, nur ein paar Gabeln. Du musst was Nährreiches zu dir nehmen."

„ ... Ok!"

Nach der Hälfte verweigerte sein Magen jeden weiteren Versuch etwas aufzunehmen. Yohji räumte die Sachen weg.

„Ich glaub es ist besser, wenn du in deinem Bett schläfst. Die Couch ist zu schmal. Mhm?"
Omi nickte schwach.

„Ich bring dich.", dann setzte er Omi ganz auf und hob ihn samt Decke hoch. Er drückte ihn an sich und trug ihn die Treppe hoch zu seinem Zimmer. Dann setzte er ihn auf dem Bett ab, nahm ihm aber sofort die Decke weg.

„Vergiss es! Du wirst nicht in diesen Klamotten schlafen.", er reichte ihm sein Schlafshirt.

„Das schaffst du, oder?"

Yohji verschwand aus dem Zimmer. Er machte auch sich zum Schlafen fertig und schaute dann noch mal bei Omi vorbei.

„So, wie sieht's aus? Alles in Ordnung? Ich wird heute Nacht meine Zimmertür offen lassen, OK? Also, wenn du irgendwas brauchst, oder nicht alleine sein willst dann weck mich, ja?"

Omi nickte. Dann zog Yohji ihm die Bettdecke bis zur Nase. Er löschte das Licht und verließ den Raum. Die Tür ließ er einen Spalt offen.

Omi schlief diese nacht relativ ruhig. Er wachte nur einmal von einem Alptraum auf, schlief aber schnell wieder ein und holte so den verlorenen Schlaf der letzten Wochen auf.

Am nächsten Morgen um 11 Uhr kam Ken in sein Zimmer.

„Hey Omi, es wird Zeit."

„Zeit wofür?", gähnend blinzelte der Kleinere sich den Schlaf aus den Augen.

„Das du etwas zur dir nimmst. In deinem Magen müsste eine gähnende Leere sein. Möchtest du hier frühstücken oder aufstehen?"

„Ich hab nicht so großen Hunger. Wo ist Yohji?".

„Erzähl was du willst, ich hab die Aufsicht über dich, du wirst etwas essen und diesen Tee trinken!", er drückte ihm den Becher in die Hand.

„Yohji steht im Laden und meinte, wenn ich dich nicht zum Essen kriege, dann schlachtet er mich. Das will ich dann doch nicht, deswegen iss!"

Omi hatte die Auswahl zwischen Croissants, Müsli, Obst oder einem Toast. Heute wurde er richtig verwöhnt.

Nach dem er gefrühstückt hatte, reichte Ken ihm wieder das Thermometer. Die Temperatur war etwas gesunken und Omi war so weit bei Kräften, dass er in der Lage war alles alleine zu erledigen. Trotzdem verschrieben ihm Yohji und Ken Bettruhe.

Bis zum Abend ging es ihm schon wieder richtig gut. Doch er konnte nicht einschlafen, er musste immer wieder über Joana nachdenken und seine Gedanken ließen von den Schmerzensbildern nicht ab. Er zitterte und ängstigte sich wie in den Tagen zuvor. Nach einigen Stunden hatte er sich dann doch noch in den Schlaf geweint. Und aus diesem wachte er kurz später mit einem schlimmen Alptraum auf. Er war nass geschwitzt und seine Atem ging nur stoßweise. Um sich zu beruhigen biss er sich wieder auf den Finger. Doch es funktionierte nicht. Er schaukelte sich hin und her, wollte nur nicht mehr daran denken. Er stand auf. Mit seiner Decke schlich er sich die Treppe herunter. Die leuchtende Uhr der Mikrowelle sagte ihm das es gerade mal halb 1 war. Omi setzte sich auf das Sofa, die Wolldecke fest um sich gewickelt und die Knie hochgezogen, kaute er auf seinem Finger rum. Den Kopf hatte er auf seinen Knien abgelegt und sein Blick folgte ins Dunkel der Nacht. Vor dem Fenster war nichts zu sehen. Die Decke auf seinen Knien sog die stummen Tränen auf.

Fast lautlos setzte sich eine andere Person neben ihn aufs Sofa.

„Sag mir, was siehst du?"

„Ich sehe die Angst. Die Angst, dass es niemals aufhören wird."

„Meinst du im Allgemeinem? Oder bei dir? Denn ich denke wir können versuchen es zu stoppen."

„Nichts wünsche ich mir mehr, Yohji."

„Erzählst du?"

„ ... das was Aya gesehen hat, das war nicht so. Ich hab nur gelächelt, weil ich dachte jetzt kommt jemand der mir helfen wird, der mich endlich da raus holt. Es war nur die zeitweilige Hoffnung. Aber als ich dann sah, dass es Aya war, da bekam ich Panik. Ich wollte nicht das er mich so sah. Ich war blutbesudelt und dreckig und so jämmerlich. Aya war enttäuscht von mir. Ich wollte ihm nur zeigen, dass ich stark bin. Er durfte mich nicht so jämmerlich sehen. Ich schämte mich so. Dann habe ich ihn angeschrieen, dass er weg gehen solle. Ich hab keine Sekunde daran gedacht wie er das aufnehmen würde. Aber niemals hätte ich gedacht, dass er denkt, dass ich eine Hure bin. Ich verkaufe meinen Körper nicht, er gehört mir ... nur mir ..."

Omi musste mehrmals schlucken. Dann atmete er wieder tief durch und schlang die Arme fester um seinen Körper.

„Yohji?"

„Ich bin hier!", er fasste mit seiner Hand nach Omis und drückte sie.

„Jedes mal, wenn ich zu ihm musste, dann ... er hat mich immer in sein Büro mitgenommen. Jedes mal hat er mich ... er hat mich ... vergewaltigt!", seine Stimme wurde immer dünner, zu Ende war es nur noch ein Hauchen.

„Ich hab mich gewehrt, immer. Ich wollte das nicht. Er tat mir damit so weh und ich schlug um mich und schrie ... aber ich sollte das nicht ... ich durfte das nicht, ich musste mich nach seinen Vorstellungen vögeln lassen ... ich wollte das nicht. Bis er ... er hat mich dann erpresst. Dann war ich still, der feige, kleine Junge. Ich schäme mich so. Ich ekele mich. ... Und dann, dann sind Jo und ich so oft nicht hin gegangen, einfach abgehauen. Es war schöner, einfacher, nicht so schmerzhaft. Jo und ich hatten so viel Spaß, es war das Gefühl das wir brauchten um uns abzulenken. Es frisst sich ganz tief hier rein."
Mit seiner Hand deutete er auf seine Brust.

Dann wurden wir erwischt und Aya sagte, dass ich nicht nachdenken würde, ich wäre ein kleines Kind. Er war enttäuscht von mir und das einzigst Wichtige war, dass ich euch nicht verlieren würde, deswegen musste ich stark sein ... Als sie dann beschlossen, dass ich auch sonst immer zu ihm sollte, wenn er Zeit hatte bekam ich Angst, nichts anderes. Joana weinte deswegen immer wieder ... ich musste mich zusammen reißen, es geht um Jo und er darf sie nicht, er darf sie niemals mehr berühren ... niemals ... nicht. Sie sagte immer, wir sollten von hier weg gehen, aber ich, ich ließ sie weiter leiden, nur um meinen Funken nicht zu verlieren."
Yohji verstand nicht alles. Vieles war zusammenhanglos und er musste sein Gehirn anstrengen um mit zu kommen. Doch das wichtigste hatte er wohl verstanden: Omi und Joana waren von ihrem Direktor missbraucht worden und sie wurden irgendwie zum Schweigen gebracht. Was ihn am meisten fertig machte, schien wohl zu sein, dass Aya ihn beschuldigt hatte sich zu verkaufen und ein Stricher zu sein.

Den Blonden schüttelte es nun am ganzen Leib. Er schluchzte, weinte und zitterte. Yohji rutschte ganz nah an ihn ran und zog ihn an seine Brust. Er legte den Kopf an seine Schulter und strich immer wieder über die Haare.

„Schhhhh ... ganz ruhig. ... Omi? Wo ist Joana jetzt gerade?"

„Zu Hause ... er wird sie gerade ... wieder ... er fasst sie an!"

„Wer?"

„Ihr Vater!"

„Hat er ..."

Omi nickte heftig.

„Mit dem Direx!"

Yohji wiegte den Jüngsten hin und her. Bis sich ein Schatten von der Tür löste.

„Ich werde Ken wecken!"

Omi drehte sich ruckartig um. Er sah nur noch wie Aya die Treppe hinauf verschwand.

„Wie viel ... was hat er alles gehört?".