2. Kapitel - Die schweigsame Fremde

Jimmy zog ärgerlich an den Zügeln und brachte sein Pferd zum Stehen.

"Die holen wir nie und nimmer ein! Ihr Vorsprung ist einfach zu groß!"

"Das Unwetter in der vergangen Nacht hat uns aufgehalten", Teaspoon strich unzufrieden über sein stoppeliges Kinn. "Der wenige Regen, den der Gewittersturm mit sich gebracht hat, hat gerade ausgereicht, um die Hufspuren auf dem ohnehin unebenen und steinigen Boden zu verwischen. Verdammt, seit Wochen wünschen wir uns einen anständigen Regenguss und gerade nun, da wir ihn am allerwenigsten gebrauchen können, bekommen wir ihn!"

"Teaspoon, Jimmy hat Recht." Sam Cain lenkte sein Tier neben Teaspoons weiße Stute. "Sie sind uns entkommen, daran ändern wir nun auch nichts mehr."

"Ich hätte zu gern gewusst, wer diese Männer sind und warum sie aus dem Hinterhalt auf die Frau geschossen haben!"

"Nur einer von ihnen hat auf sie geschossen, Teaspoon. Erinnere dich an die Spuren, die Buck gestern Abend auf dem Hügelkamm gefunden hat."

Teaspoon nickte grimmig. "Ja, und dieser feige Hundesohn ist zurückgeritten in das Lager, in dem seine vier Kumpane getroffen hat. Oh, ich wollte, ich könnte ihn und seine ganze Bande zwischen meine Fäuste bekommen!"

Buck blinzelte überrascht. Schon lange nicht mehr hatte er den gelassenen Teaspoon so erregt gesehen.

"Vielleicht hatten diese Männer einen guten Grund, um die Frau zu verfolgen?", wandte Jimmy ein.

"Und ihr in den Rücken zu schießen?" Der Marshall schüttelte ernst den Kopf. "Das glaube ich kaum. Wir wissen so gut wie nichts von der Fremden, die Kid auf der Ebene gefunden hat. Ich hoffe, dass ich mit ihr sprechen kann, sobald wir die Station erreicht haben. Ohne ihre Mithilfe wird es nämlich sonst sehr schwierig werden, diesen hinterhältigen Angriff aufzuklären."

"Wir wissen schon einiges über sie. Denken sie doch mal an die Sachen, die wie bei dem toten Pferd gefunden haben, Marshall", Jimmy wies nachdrücklich auf die beiden Satteltaschen, die über dem Hals von Cains Pferd hingen. "Wir haben zum Beispiel die Mokkasins, von denen Buck behauptet, dass sie in dieser Art nur von den Cheyenne angefertigt werden."

"Das Mädchen ist aber keine Cheyenne, Jimmy", Teaspoon rümpfte ärgerlich die Nase. "Du hast ihre hellen Haare selbst gesehen. Außerdem ist ihre Haut, wenn auch sonnenverbrannt, viel zu hell für die einer Indianerin!"

"Dann haben wir noch diese Zeichnung aus St. Louis. Da steht doch ein Name drauf. Vielleicht könnten sie darüber etwas in Erfahrung bringen, Marshall?"

"Das Bild wurde 1839 gemalt, das ist beinahe zweiundzwanzig Jahre her, Jimmy. Selbst wenn der Name darauf echt ist, wird es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, sein, mehr über die Frau darauf herauszufinden. Wahrscheinlich ist der Maler dieses Bildes längst tot oder aus St. Louis fortgezogen."

"Aber sie könnten dieser Spur nachgehen!"

"Das werde ich auch, wenn diese Frau mir heute Abend nicht Rede und Antwort stehen kann."

"Was ist mit dir, Junge?" Teaspoon hatte bemerkt, dass Buck schon seit einigen Augenblicken die Stirn in Falten zog. "Was geht dir durch den Kopf?"

"Ich weiß nicht", der junge indianische Reiter zuckte mit den Achseln. "Das alles passt einfach nicht zusammen."

"Du meinst das Buch und die Mokkasins? Ja, du könntest recht haben, denn welche Indianerin würde schon ein Buch mit sich herumtragen?"

Buck warf Jimmy einen finsteren Blick zu, den dieser jedoch mit einem Schulterzucken abtat.

"Augenblick mal, Jungs!" Teaspoon schien kein Interesse daran zu haben, dass seine beiden jungen Reiter inmitten der grasbewachsenen Hügel in einen heftigen Streit geritten. "Niemand hat behauptet, dass das Mädchen Indianerin sein könnte! Die Mokkasins könnten ein Geschenk sein."

Doch weder Buck noch Jimmy blickten wahrlich überzeugt drein.

"Das Beste erscheint mir zu sein, diese Frau persönlich nach ihrer Herkunft fragen. Die hinterhältigen Coyoten, die auf sie geschossen haben, holen wir ohnehin nicht mehr ein. Jungs, wir reiten mit dem Marshall nach Sweetwater zurück!"

Jimmy brummte etwas Unverständliches, dem jedoch weder Teaspoon noch der Marshall Beachtung schenkten. Lediglich Buck machte sich die Mühe genau hinzuhören. Doch was er von Hickocks Murren verstanden hatte, waren jedoch nicht mehr als die Worte "Rothäute" und "Gesindel" gewesen.

Buck presste die Lippen aufeinander und wendete sein Pferd. Er folgte Teaspoon und dem Marshall ohne sich noch einmal nach Jimmy umzublicken.

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"Das Fieber steigt immer weiter!" Besorgt hob Lou ihren Kopf und sah von ihrer Patientin auf, als Emma das kleine, gemütliche Schlafzimmer betrat. "Ihre Stirn scheint förmlich in Flammen zu stehen."

Emma Shannon stellte eine Schalle mit frischem kalten Wasser auf den kleinen Tisch neben dem Bett. Aufmerksam betrachtete sie die Verletzte. Ihr Gesicht war noch immer kreidebleich, doch seit dem frühen Morgen bedeckte ein dünner, glänzender Schweißfilm ihr Gesicht. Das Fieber stieg unaufhörlich und es gab kaum etwas, das Lou oder Emma dagegen tun konnten. Die beiden Frauen hatten einander abgelöst, und während die eine geschlafen hatte, hatte die andere am Lager der Verletzten Wache gehalten und ihren vom Fieber glühenden Körper mit wassergetränkten Tüchern gekühlt. Doch nun, da der Mittag schon längst hereingebrochen war, waren die beiden Frauen erschöpft und müde.

"Was können wir noch tun, um ihr zu helfen?"

Emma lächelte. Lous Beharrlichkeit, wenn es um das Wohl anderer Menschen ging, war einer der Gründe, warum sie den jungen Reiter für die Pflege der Verletzten auserkoren hatte. Aber eben doch nur einer... "Wir müssen einfach abwarten, Lou", entgegnete sie schweren Herzens. "Wir können nicht mehr tun als das hier. Es muss einfach genug sein!"

Lou seufzte. "Ich wünschte, ich könnte ihr mehr helfen!"

"Das wünsche ich mir ebenso sehr wie du."

"Ich könnte noch einmal nach Sweetwater reiten und Doktor Mathers herholen", schlug Lou vor.

"Nein. Auch Doktor Mathers kann gegen Wundfieber, wenn es erst einmal eingetreten ist, nur wenig unternehmen."

Lou schluckte und Emma konnte ihr ansehen, dass sie anderer Ansicht war. Doch sie fühlte sich in diesem Augenblick nicht stark genug, um zu streiten. Darum schüttelte sie den Kopf und sah Lou ernst an.

"Unsere wichtigste Aufgabe, neben dem Niederhalten des Fiebers, ist es dafür zu sorgen, dass sie sich nicht auf ihrem Bett hin und herwirft und die Wunde in ihrem Rücken wieder aufbricht. Alles andere müssen wir dem Herrgott überlassen. So, und nun lass mich an deinen Platz, Lou. Du bist müde und solltest schlafen."

Lou stand gähnend von ihrem Hocker auf und überließ Emma den Stuhl neben dem Bett. Sie streckte und reckte sich. Doch noch bevor sie die Tür des kleinen Schlafzimmers erreicht hatte, hörte sie deutlich das Hufgetrappel unten auf dem Hof. Sie stürzte zum Fenster, schon den Vorhang zur Seite und steckte den Kopf hinaus. "Es sind Teaspoon, Jimmy, Buck und der Marshall!", berichtete Lou aufgeregt, während Emma sich beim Klang des letzten Namen dazu zwingen musste ruhig zu bleiben. "Sie kommen zurück!"

Ohne auf Emma Entgegnung zu warten, stürmte Lou aus dem Zimmer. Kurze Zeit später vernahm Emma ihre Schritte auf der hölzernen Treppe. Unten auf dem Hof hörte sie Sam Cains raue Stimme. Ein leichtes Lächeln zog sich über Emmas Gesicht, als sie das Tuch in die neue Wasserschüssel tauchte, es auswrang und auf die Stirn der Verletzten legte.

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"Wie geht es der Frau?" Jimmy glitt aus dem Sattel, während Lou atemlos neben seinem Pferd zu Stehen kam. Aus den Augenwinkeln nahm er Kid wahr, der vom Schlafhaus aus über den Hof geeilt kam.

"Es geht ihr sehr schlecht. Sie hat in der Nacht Fieber bekommen."

"Kann Emma nichts dagegen tun?" Teaspoon trieb sein Pferd neben Lou und stieg aus dem Sattel.

"Wir haben alles versucht! Aber wir hatten bislang keinen Erfolg. Das Fieber steigt unaufhörlich."

"Wundbrand?"

"Nein, ich glaube nicht", Lou schüttelte müde den Kopf. "Wir haben die Schussverletzung jede Stunde mit Essig ausgewaschen. Und die Wundränder sind auch nicht gerötet."

"War die Frau schon bei Bewusstsein?" Sam Cain schlüpfte zwischen den Pferden hindurch und gesellte sich zu Lou und Teaspoon.

Lou schüttelte den Kopf.

"Dann habt ihr nichts über sie herausfinden können?"

"Nein. Habt ihr denn nichts..."

"Unser Ritt war völlig umsonst!" Wütend sprang Jimmy von seinem Pferd und warf Kid die Zügel zu. "Wir haben weder etwas über sie herausgefunden, noch haben wir die Schweinehunde erwischt, die sie angeschossen haben!"

"Was habt ihr dann solange da draußen gemacht?" Erstaunt hob Kid den Kopf.

"Was wir da draußen gemacht haben?", Jimmy warf ihm einen entrüsteten Blick zu. "Was glaubst du denn, Kid? Blumen gepflückt vielleicht?"

Aufgebracht stürmte Jimmy an ihm vorbei und ließ einen ebenso erschrockenen wie ratlosen Kid zurück.

"Was ist denn mit dem los?", fragte der junge Reiter erstaunt.

"Präriekoller." Buck griff nach den Zügeln von Jimmys Stute. "Gib' sie mir, ich nehme sie mit in den Stall."

"Warte! Ich komme mit dir!" Hastig eilte Kid hinter seinem indianischen Freund her, während ihm Teaspoons Pferd willig folgte.

"Bleiben sie noch, Marshall?", fragte Lou mit einem Seitenblick auf die beiden jungen Reiter, die soeben hinter dem breiten Stalltor verschwanden.

Sam nickte. "Wo ist Emma?"

"Sie ist oben bei der verletzten Frau."

"Dann gehe ich zu ihr und sehe mir unsere geheimnisvolle Fremde einmal an."

Teaspoon nickte. "Geh nur, Sam. Ich habe noch an der Koppel zu tun. Aber du kennst ja den Weg."

Der Marshall nickte und ging auf die Veranda zu.

Lou trat neben Teaspoon und blickte fragend zu ihm auf. "Habt ihr da draußen wirklich gar nichts herausgefunden?"

"Oh doch, das haben wir. Nur leider passt nichts von dem, was wir dort draußen erfahren haben, zusammen." Knurrend schob Teaspoon seinen verbeulten schwarzen Hut in den Nacken. "Aber auch rein gar nichts!"

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Als Sam den Raum betrat, legte Emma warnend den Zeigefinger an die Lippen. Leise und sehr vorsichtig schloss er die Tür, sehr darum bemüht kein Geräusch zu machen, dass die Verletzte in dem schmalen Bett hätte aufwecken können. Während Emma ein feuchtes Tuch auf die Stirn der Frau legte, blickte Sam ihr neugierig über die Schulter und betrachtete die Fremde, die in seinem Territorium angegriffen und schwer verletzt worden war.

Sie war noch jung - viel jünger als er aufgrund der knappen Beschreibungen Teaspoons und Jimmys angenommen hatte - vielleicht siebzehn, höchstens aber achtzehn Jahre alt. Langes, helles Haar lag in geraden Strähnen auf dem weißen Kissen und umwölkte ein schmales Gesicht, das beinahe ebenso weiß war, wie die Laken des Bettes. Eine hohe Stirn und eine schmale, gerade Nase verliehen ihrem ebenmäßigen Gesicht ein aristokratisches Aussehen, dass ihre hohen Wangenknochen und das kräftige, energisch nach vorn gestreckte Kinn beinahe zurücktreten ließen. Das Mädchen hielt die Augen geschlossen, doch auf den ersten Blick konnte Sam erkennen, dass Teaspoon und seinen beiden Jungs Recht gehabt hatten: diese Frau war ganz bestimmt keine Indianerin! Ein wenig ähnelte sie vielleicht der Frau auf der Zeichnung, die sie ihn ihrer Satteltasche gefunden hatten...

"Sam." Emma beugte sich zu ihm herüber und riss ihn mit ihren Worten aus seinen Überlegungen. "Habt ihr etwas herausgefunden?"

Der Marshall schüttelte den Kopf. "Wird sie wieder gesund?"

"Das weiß ich nicht, Sam."

Besorgt betrachtete Sam Cain das verletzte Mädchen, auf dessen Stirn sich trotz des kühlenden Tuchs kleine, glänzende Schweißperlen bildeten. Quer über ihre Schläfe zog sich eine beinahe fingerbreite blutige Schramme.

"Ich tue für sie, was ich kann." Emma hatte seinen Blick bemerkt.

"Das weiß ich."

Sam langte über das Bett hinweg und zog Emma zu sich heran. Als sie neben ihm stand, legte er seine Hand auf ihre Wange. Erschöpft ließ sie es geschehen.

"Du bist müde, Emma, du solltest schlafen! Warum rufst du nicht einen der Jungs hier herauf?"

Sie presste die Lippen zusammen und wich ihm aus. "Die Jungen sind beim Pony Express angestellt und keine Krankenschwestern!"

"Aber du hast dir doch auch von Lou helfen lassen."

"Sam Cain, kümmere dich nur um die Dinge, die dich auch etwas angehen. Finde den Mann, der das hier getan hat", ihr Blick glitt zu dem verletzten Mädchen, "und überlass die Pflege dieser Frau getrost mir!"

Trotz der barschen Worte wusste Sam sicher, dass Emma seine Besorgnis zu schätzen wusste und ihm nicht wirklich böse war. Darum war er auch nicht überrascht, als er ihre Hand in seinem zerzausten Haar spürte. Zufrieden schloss er die Augen.

"Es war ein harter Ritt, Sam, nicht wahr?"

Er antwortete, ohne seine Augen zu öffnen. "Und es war eine harte Nacht."

"Ja, das war sie."

Sam könnte das Lächeln in Emmas Gesicht deutlich in ihrer Stimme wiederklingen hören. Er griff nach ihrer Hand und strich mit dem Daumen sanft über die weiche Haut.

"Wie wäre es dann mit einem Kaffee, Mrs. Shannon?", fragte er.

"Ich habe hier zu tun, Marshall Cain."

Doch er hörte den zufriedenen Unterton in ihrer Stimme und entschied sich sein Glück ein zweites Mal zu versuchen. "Ich könnte bei ihr bleiben, während du uns einen Kaffee kochst."

Emma warf im einen zweifelnden Blick zu.

"He", Sam warf den Kopf zurück und lachte leise, "immerhin arbeite ich nicht für den Pony Express!"

"Du arbeitest für die Bürger von Sweetwater. Und die vermissen ihren Marshall bestimmt schon sehnsüchtig."

"Aber du kannst mich doch unmöglich ohne einen Becher deines hervorragenden Kaffees in die Stadt zurückschicken!", Sam warf in gespielter Verzweiflung die Hände in die Höhe. "Das habe ich nicht verdient! Und du weißt doch, welch scheußliche Brühe mein Deputy zubereitet."

Emma lachte leise. Doch als Sam seinen Arm um ihre Hüfte schlingen und sie noch einmal zu sich heranziehen wollte, wich sie zurück. "Also gut, Sam Cain! Du sollst deinen Kaffee bekommen. Und danach reitest du auf dem schnellsten Wege nach Sweetwater zurück!"

Er nickte grinsend und dachte zufrieden daran, dass er schon bald zur Station zurückkehren würde, spätestens dann, wenn das verletzte Mädchen aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte. Sam sah Emma nach, die durch die Zimmertür auf den dunklen Flur hinausglitt. Teaspoon hatte ihm versprochen einen seiner Reiter nach Sweetwater zu schicken, sobald das Mädchen aufwachte.

Als Emma mit zwei dampfenden Bechern Kaffee zurückkehrte, war Sam auf dem Stuhl neben dem Bett eingeschlafen. Lächelnd stellt sie die beiden Tassen auf die Kommode und betrachtete den Marshall von Sweetwater, der mit einem seligen Lächeln im Gesicht und leicht geöffnetem Mund in ihrem Schlafzimmer eingenickt war.

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"Sie spricht?" Cody zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Und was soll das heißen, ihr könnt sie nicht verstehen?"

"Es heißt genau, was ich gesagt habe. Sie spricht im Fieber, aber Emma und ich verstehen kein Wort von dem, was sie sagt."

Müde ließ sich Lou auf die Bank fallen und stütze ihren Kopf in die Hände.

"Vielleicht redet sie einfach nur etwas undeutlich", Cody ließ nicht locker. "Vielleicht solltet ihr einfach genauer hinhören, Lou."

"Lass sie in Ruhe, Cody! Du siehst doch wie erschöpft sie ist." Kid warf dem blonden Postreiter einen vernichtenden Blick zu, während er Lou den Korb mit dem frischen, duftenden Brot zuschob, das zu backen Emma wie durch ein Wunder an diesem Morgen auch noch gelungen war. Kid war nicht der einzige, der sich fragte, wie sie es schaffte, neben der aufreibenden Pflege für ihre schwerkranke Patientin auch noch ihre gewohnten Aufgaben zu erledigen. Allerdings, wenn er Lou so ansah, kam ihm eine Idee, wie Emma die doppelte Belastung aushielt.

"Hast du wirklich keine Idee, was sie gesagt haben könnte?", fragte Jimmy und sah mit zusammengekniffenen Augen zu, wie Lou in eine Scheibe Brot biss.

"Nein."

Als Ike sich über den Tisch beugte, hob Lou den Kopf.

"Du meinst, dass sie eine fremde Sprache spricht?", übersetzte Lou seine Handzeichen stirnrunzelnd. "Daran hat Emma auch schon gedacht. Aber wenn es so ist, dann spricht sie wenigstens kein Spanisch oder Französisch, sagt Teaspoon."

"Vielleicht ist es ein Indianerdialekt?"

"Wie oft soll ich es dir noch sagen, Cody?" Kid musterte den anderen Reiter mit wachsender Ungeduld. "Das Mädchen ist keine Indianerin! Warum sollte sie also einen Indianerdialekt sprechen?"

"Vielleicht ist sie bei ihnen aufgewachsen." Cody ließ sich von Kids übler Laune nicht verwirren. "Vielleicht lebt sie bei ihnen?"

"Keine weiße Frau lebt freiwillig bei den Rothäuten", wandte Jimmy ein.

"Vielleicht ist sie eine Gefangene? Es wäre doch nicht das erste Mal, dass die Indianer weiße Frauen gefangen und später in ihren Stamm aufnehmen."

Doch Jimmy schüttelte den Kopf. "Eine Gefangene? Wohl kaum würden die Roten sie dann allein herumreiten lassen."

"Außerdem hat die Armee in den vergangenen Jahren alle weißen Gefangenen in dieser Gegend freizukaufen versucht." Kid schob Lou den Wasserkrug zu und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. "Die Indianer müssten sie vor den Soldaten versteckt haben, so dass diese sie nicht gefunden haben."

Ike schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.

"Ja, wenn Buck hier wäre, könnte er uns vielleicht helfen zu verstehen, was sie sagt", Lou warf dem glatzköpfigen Reiter einen freundlichen Blick zu. "Aber Teaspoon hat Buck nach Rock Creek geschickt. Vor morgen früh wird er nicht zurücksein."

"Sie ist keine Indianerin, wie oft soll ich das noch sagen!" Jimmy schob ärgerlich seinen Stuhl zurück und sprang von seinem Platz auf. "Und sie spricht sicher auch keinen indianischen Dialekt! Ich wüsste nicht, wie Buck uns also weiterhelfen sollte!"

Er griff nach seinem Hut, der neben der Tür an einem Haken hing, und trat auf die Veranda hinaus.

"Was ist nur mit ihm los?", Lou warf den drei anderen Reitern fragende Blicke zu.

Cody zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder der Pflege seines Revolvers zu. Kid kratzte sich am Kinn. "Er ist noch immer wütend darüber, dass uns die Männer, die auf das Mädchen geschossen haben, entkommen sind. Das frisst an ihm."

"Da war also mal einer schneller als der gute alte Hickock!"

Cody verstummte, als er die anklagenden Blicke seiner Freunde bemerkt und beugte sich erneut über seinen Revolver. Mit einem metallenen Klirren ließ er die Patronenkammern der Waffe rotieren.

Lou schob ihren Teller zurück. "Ich muss zurück zum Haus. Emma wartete darauf, dass ich sie ablöse."

"Warte...."

Kid war von seinem Platz aufgesprungen und wollte Lou nach draußen folgen, als Ike ihm den Weg verstellte. Die Hand des kahlköpfigen Reiters legte sich auf Lous Schulter und brachte sie dazu, sich zu ihm umzuwenden. Ike gestikulierte so geschwind, dass Kid seinen Handzeichen nicht folgen konnte.

"Ja, Ike, das ist eine gute Idee", Lou nickte lächelnd. "Wenn Buck aus Rock Creek zurück ist, soll er zum Haus kommen. Vielleicht hat Jimmy unrecht und er kann uns wirklich weiterhelfen."

Ike nickte eifrig und schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust.

"Ja, sag du es ihm, wenn er wieder da ist." Lou nickte und trat zur Tür hinaus. Kid stutzte, als er Codys breites Grinsen bemerkte. Er knurrte ungehalten, unterließ es aber doch, Lou in die warme Morgensonne hinaus zu folgen. Sie schätzte es gar nicht, wenn die anderen zu viel von der besonderen Beziehung mitbekamen, die zwischen ihnen beiden herrschte, das wusste Kid nur zu gut. Verstimmt ließ er sich auf der Bank nieder und griff nach der letzten Scheibe Brot, die Lou im Korb zurückgelassen hatte.

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"Was gibt es, Jungs?" Sam Cain hob den Kopf und blickte den beiden Reitern entgegen, die ihre Köpfe durch die Glastür seines Büros steckten.

"Emma schickt uns."

Lou schob sich vor Cody durch die Eingangstür ins das kleine Büro des US-Marshalls von Sweetwater. Im Gegensatz zu seinem blonden Begleiter machte er sich wenigstens die Mühe seinen Hut abzunehmen, bemerkte Sam zerstreut.

"Emma?" Für den Bruchteil einer Sekunde kreisten seine Gedanken um den vergangenen Abend in ihrem Schlafzimmer, den er dummerweise damit vergeudet hatte, einzuschlafen. Doch dann zwang er seinen Verstand dazu in die Realität zurückzukehren. "Hat sich auf der Station etwas verändert?"

"Ist alles beim alten geblieben, Marshall. Keine Neuigkeiten. Die Frau ist immer noch ohne Bewusstsein."

Cody schob seinen Hut in den Nacken und beäugte neugierig den Gewehrschrank. Es war schon lange kein Geheimnis mehr, dass es ihm die Winchester darin angetan hatte. Lou stieß seinen Freund in die Rippen, als wollte er sagen 'He, wir sind nicht wegen der Gewehre hier!'.

"Haben sie schon was über die verletzte Frau herausgefunden, Marshall?", fragte er dann. Sam schüttelte den Kopf.

"Ich habe heute morgen nach San Antonio telegraphiert, aber noch keine Antwort erhalten."

"Denken sie, dass man die Frau dort unten in Texas kennt?"

"Das halte ich für nicht besonders wahrscheinlich. Immerhin ist das Bild, das wir bei ihr gefunden haben, schon viele Jahre alt. Und es zeigt ja auch nicht unsere Verletzte, sondern eine andere Frau. Aber es ist die einzige Spur, die wir im Augenblick haben."

"Vielleicht ist diese Frau auf dem Bild ja eine Verwandte von ihr?" Mühsam riss Cody sich von dem verlockenden Anblick der Winchester los. "Immerhin kennen wir doch den Namen dieser Frau. Wie heißt sie noch gleich?"

Lou verdrehte die Augen. "Susanah Elisabeth Stewart."

Cody zuckte mit den Achseln. "Sag ich doch!"

"Hört mal, Jungs, habt ihr denn gar nichts zu tun? Emma hat euch doch sicher nicht zum Maulaffenfeil halten in die Stadt geschickt."

"Nein, Marshall, wir sollen die Vorräte für die Station bei Thompkins abholen."

"Dann solltet ihr das jetzt auch tun. Wenn ihr noch länger wartet, schließt Thompkins seinen Laden nämlich vor eurer Nase zu."

Lou stülpte seinen Hut auf den Kopf und marschierte zur Tür. Cody folgte gemächlich, wobei er der Winchester einen letzten schmachtenden Blick zusandte.

"Ach, Marshall", der blonde Reiter blieb neben dem Schriebtisch stehen. "da ist noch etwas. Das hier hat uns Emma für sie mitgegeben." Cody ließ ein in Papier eingewickeltes Päckchen auf die Tischplatte fallen.

"Was ist das?" Sam beäugte das kleine Paket neugierig.

"Emmas berühmter Apfelkuchen", Cody grinste. "Sie können froh sein, dass überhaupt noch etwas davon übrig ist! Wenn Teaspoon Hickock nicht nach Willow Springs geschickt hätte, wäre der Kuchen längst verschwunden und sie hätten gar nichts abgekriegt!"

Cody legte die Finger an den Rand seines Hutes und salutierte. Lachend verschwand er hinter Lou auf der Straße.

Sam schüttelte den Kopf. Er wurde aus diesem Burschen einfach nicht schlau. Noch nie hatte er jemanden gekannt, der das Leben so wenig ernst nahm wie William F. Cody. Der Marshall griff nach dem Päckchen, das die beiden Reiter auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hatten und zog vorsichtig an dem knisternden Papier. Augenblicklich stieg ihm der verlockende Geruch von Emmas Apfelkuchen in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sam seufzte. Zu gern hätte er sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und Sweetwater Sweetwater sein lassen, um diesen Kuchen zu verspeisen. Doch stattdessen musste er zur Ranch der Wagners hinausreiten und dafür sorgen, dass die beiden Cowboys, die vor zwei Tagen den Saloon verwüstet hatten, endlich für den Schaden, den sie angerichtet hatten, gerade standen. Die Unterhaltung mit dem alten Wagner, einem sturen deutschstämmigen Einwanderer, der es mit Pferdezucht zu einem ansehnlichen Verlögen gebracht hatte, war nichts, worauf Sam sich freute. Er warf dem Kuchenpaket einen letzten sehnsüchtigen Blick zu und griff dann nach seinem Hut. Nur wenige Augenblicke nach den beiden Reiter war auch Marshall Sam Cain zwischen den Menschen auf der Main Street von Sweetwater verschwunden.

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Emma erschrak, als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Sie fuhr herum und sah ein Paar Augen auf sich gerichtet, deren Farbe ebenso grau waren, wie die Wolken des Präriehimmels vor einem mächtigen Gewitter. Sie stutzte und blinzelte überrascht. Das Mädchen starrte schweigend zurück.

Emma hatte das kleine Zimmer und ihre bewusstlose Patientin für kaum mehr als ein paar Minuten aus den Augen gelassen, um in der Küche neues Wasser aufzusetzen, und nun, da sie zurückkehrte, war die Fremde wach. Emma zögerte. Auch wenn sich noch immer der Schleier des abklingenden Fiebers über den dunklen grauen Augen zog, lag doch etwas in ihnen, dass Emma zur Vorsicht mahnte.

"Ich bin Emma Shannon", sagte sie darum und lächelte freundlich, während sie den Wasserkrug, den sie aus der Küche mitgebracht hatte, auf der kleinen Kommode neben der Tür abstellte. "Du bist hier auf der Pony-Express-Station von Sweetwater."

Das Mädchen rührte sich nicht. Schweigend starrte sie Emma an. Dabei verzog sie keine Miene. Fast schien es, als hätte sie Emmas Worte nicht einmal gehört.

"Du bist schwer verletzt worden. Der Doktor hat eine Kugel aus deinem Rücken entfernt, nachdem Kid, einer unserer Reiter, dich angeschossen auf der Prärie gefunden hat."

Emma tat einen Schritt auf das Bett zu. In den Augen des Mädchens flackerte es. Emma blieb stehen.

"Du musst keine Angst haben", sprach sie freundlich auf die junge Frau ein, deren unverbundener Arm unter die Decke geglitten war. "Du bist hier bei uns in Sicherheit. Niemand wird dir etwas zuleide tun."

Emma Blick glitt zu dem kleinen Tischen, dass neben dem Bett stand, und zu den Verbänden, die sie dort bereit gelegt hatte. Doch etwas war nicht so, wie es sein sollte. Emma stutzte. Die Schere, die sie ebenfalls dorthin gelegt hatte, fehlte! Mit einem Mal bekam die Bewegung unter der Bettdecke ein neue Bedeutung. Emma hielt den Atem an. Das Mädchen erwiderte ihren Blick mit ausdrucksloser Miene. Doch unter dem Laken schloss sich ihre Faust fest und unnachgiebig.

"Es ist so, wie ich sage. Du hast hier bei uns nichts zu befürchten."

Emma bemühte sich, ihrer Stimme einen festen, selbstsicheren Klang zu geben, während sie gleichzeitig fieberhaft darüber nachsann, was sie nun sollte. Das Mädchen hatte die Schere genommen und würde sie als Waffe gebrauchen, wann immer sie sich bedroht fühlte, soviel stand fest. Ein wenig konnte Emma dieses seltsame Verhalten begreifen. Die junge Frau war schließlich erst vor wenigen Minuten aus tiefster Bewusstlosigkeit aufgewacht und hatte sich allein in einem fremden Raum und an einem unbekannten Ort wiedergefunden. Welcher Mensch hätte sich unter diesen Umständen nicht geängstigt? Doch die Entschlossenheit, mit der das verletzte Mädchen, kaum dem Fieber entronnen, nach der nächstmöglichen Waffe gegriffen hatte, ließ Emma aufhorchen. Keine Frau, die sie kannte, besaß diese Kaltblütigkeit!

Sollte sie nach Teaspoon rufen? Damit er heraufkam und dem Mädchen die Schere wegnahm? Nein, Emma wollte sich nicht zum Narren machen! Schließlich war es nur eine Schere und kein Revolver, den das Mädchen unter der Bettdecke verbarg! Sie würde andere Mittel und Wege finden, als um die Hilfe der Männer zu rufen.

Die junge Frau ließ sie noch immer nicht aus den Augen, auch wenn ihr Blick langsam seine Stetigkeit verlor. Emma hätte einfach abwarten können, bis ihrer Patientin die Augen zufielen und sich die Schere dann zurückholen können, doch diese Art der Täuschung widerstrebte ihr zutiefst. Darum entschloss sie sich, den Stier bei den Hörnern zu packen. Niemals gewinnst du das Vertrauen dieses verängstigten Mädchens, wenn du sie gleich bei der ersten Begegnung betrügst.

"Ich verstehe deine Sorge." Emma streckte ihre Hände von sich, damit die junge Frau sehen konnte, dass sie unbewaffnet war und keine Gefahr darstellte. "Doch du hast keinen Grund dazu. Ich weiß nicht, wer dich dort draußen angegriffen hat, aber ich verspreche dir, dass es keiner der Männer war, die hier auf der Station leben. Wir wollen dir helfen, hörst du?"

Das Mädchen rührte sich nicht, ganz so, als hätte sie kein einziges von Emmas Worten verstanden.

Emma tat erneut einen Schritt auf das Bett zu. Augenblicklich schloss sich die Faust unter der Bettdecke fester um die Waffe. Doch diesmal ließ Emma sich nicht beirren. Sie griff nach dem weiß-blauen Becher, den sie aus der Küche für sich selbst mitgebracht hatte, und fühlte ihn mit Wasser aus dem Krug. Dann ging sie langsam und mit ausgestreckten Händen auf das Bett zu. Sie sah, wie sich die Augen des Mädchens zu engen Schlitzen zusammenzogen. Doch die Hand unter der Bettdecke blieb regungslos. Weniger als zwei Schritte von ihrer misstrauischen Patientin entfernt, streckte Emma den Becher nach vorn. "Ganz bestimmt hast du Durst. Du musst etwas trinken."

Ermutigt davon, dass sie keine Bewegung unter der Decke bemerkte, ließ Emma sich langsam vor dem Bett auf den Knien nieder. Sie streckte der Verletzten den Becher entgegen. Sie sah, wie sich die schmalen Nasenlöcher des Mädchens blähten.

"Es ist nur Wasser. Du kannst es unbesorgt trinken." Emma lächelte freundlich. "Lass mich dir dabei helfen."

Das Mädchen war zu schwach und zu erschöpft, um auch nur ihren Kopf zu heben. Als Emma ihre Wange berührte, fuhr sie zusammen, doch sie widersetzte sich nicht. Doch während Emma ihren Kopf stützte und ihr zur Trinken gab, ließ die Fremde sie nicht aus den Augen.

"Du bist eine tapfere Frau." Emma kam nicht umhin Mitleid für die Fremde zu empfinden, die das Opfer eines heimtückischen Anschlags geworden war und sich anscheinend noch immer in Lebensgefahr wähnte. "Wie heißt du?"

Das Mädchen trank gierig. Doch sie antwortete nicht.

"Wie ist dein Name?", versuchte es Emma noch einmal.

Doch auch diesmal erhielt sie keine Antwort. Zum ersten Mal an diesem Tag fragte sie sich, ob dieses Mädchen ihre Worte überhaupt hören konnte.

Die Augen der Verletzten flackerten vor Müdigkeit und Erschöpfung und Emma zog den Becher langsam zurück.

"Wenn du zuviel auf einmal trinkst, wird dir übel werden. Schlaf jetzt. Du musst Kräfte sammeln, damit deine Wunde heilen kann. Und hab keine Angst. Solange du unter meinem Dach wohnst, wird dir nichts Böses geschehen, dafür werde ich sorgen!" Emmas Blick glitt zu der geballten Faust, die unter der Bettdecke verborgen lag. "Ich würde mich freuen, wenn du als Zeichen deines Vertrauens die Schere auf ihren Platz zurücklegen würdest. Aber das ist deine Entscheidung allein. Schlaf nun. Und heute Abend werde ich dir etwas zu essen bringen."

Entschlossen erhob sie sich und trat zurück. Sie stellte den Becher neben den Krug auf die Kommode und öffnete die Tür. Keinen Augenblick lang verließ sie der starre Blick ihrer Patientin. Als Emma sich umwandte, blickte sie in ein paar fieberglänzender Augen, die mit beunruhigender Intensität musterten. Sie schluckte und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Draußen blieb sie atemlos stehen. Was sollte sie nun tun? Und was sollte sie denken? Ratlos lehnte Emma ihre Stirn gegen den warmen Türrahmen und schloss die Augen.

Was war mit dieser Frau geschehen, die sich so sehr fürchtete, dass sie, kaum aus der Bewusstlosigkeit erwacht, nach der erstbesten Waffe gegriffen hatte, die sie finden konnte? Und warum sprach sie kein einziges Wort? Nicht ein Wimperschlag hatte angezeigt, dass sie auch nur ein Wort von dem verstanden hatte, was Emma zu ihr gesagt hatte. Verstand diese Frau ihre Sprache nicht? Oder war sie gar taub? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Doch dafür würde es bis zum Abend, vielleicht sogar bis zum nächsten Morgen warten müssen. Es wäre ihr viel wohler gewesen, wenn die Schere wieder an ihrem Platz gelegen hätte. Doch Emma Shannon hatte ihre Entscheidung längst getroffen. Sie würde das Vertrauen dieses Mädchens gewinnen, mochte der Preis so hoch sein, wie er wollte! Und wenn das bedeutete, dass niemand außer ihr selbst mehr in den nächsten Tagen das kleine Zimmer betreten durfte, dann sollte es eben so sein!

Entschlossen trat Emma zur Treppe und stieg hinunter, um mit Teaspoon zu sprechen.

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"Es ist gefährlich, was du da zu tun gedenkst, Emma!" Teaspoon kratze besorgt sein unrasiertes Kinn.

"Weißt du eine bessere Möglichkeit?"

"Nein. Aber wenn du den Jungen da hinauf schickst, könnte sie sich noch mehr bedroht fühlen."

"Buck wird vorsichtig sein."

Teaspoon runzelte die Stirn. "Was ist, wenn du Unrecht hast? Was ist, wenn sie sich durch Buck nicht beruhigt fühlt, sondern sich noch mehr ängstigt?"

Beinahe hätte Emma laut aufgelacht. Es war beinahe unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand noch mehr Angst empfinden sollte, als die verletzte Frau, die ein Stockwerk höher mehr tot als lebendig in ihrem Bett lag!

"Vielleicht hat Cody doch recht und sie aus einem Indianerlager geflohen ist?"

"Wir müssen erfahren, wer sie ist und was mit ihr geschehen ist! Und wie ich die Dinge sehe, Mr. Spoon, ist Buck unsere einzige Hoffnung. Er ist der einzige Reiter auf der Station, der verschiedene indianische Dialekte spricht Und er beherrscht auch die Zeichensprache. Sollte das Mädchen taub sein, wird sie ihn vielleicht trotzdem verstehen können."

"Mir gefällt das alles nicht, Emma", Teaspoon schüttelte besorgt den Kopf. "Wenn sie doch nur wenigstens die Schere zurücklegen würde..."

"Warum sollte sie das tun? Sie kennt niemanden hier. Warum sollte sie uns vertrauen? Wir wissen nicht, was sie schon alles durchgestanden hat!"

"Trotzdem, Emma."

"Sie hat auch mir nichts getan! Wenn sie mich hätte verletzen wollen, hätte sie es mühelos tun können, als ich ihr zu Trinken gegeben habe. Sie ist nicht böse, sie hat nur Angst. Lassen sie Buck zu ihr gehen."

Teaspoon seufzte. "Also gut. Aber ich werde dem Jungen noch einmal sagen, dass er vorsichtig sein und ihr nicht zu nahe kommen soll."

Emma lächelte dankbar. (

Buck war nicht besonders wohl zumute. Natürlich wollte er gern helfen. Auch ihm tat das verletzte Mädchen leid. Aber er scheute sich vor dem, was sie ihm erzählen mochte, wenn es ihm tatsächlich gelang, sie zum sprechen zu bringen. Er hatte genug mit seinen eigenen Probleme zu tun, und fühlte sich nicht stark genug, um auch noch die zusätzliche Bürde fremder Sorgen zu tragen - besonders dann nicht, wenn darin wohlmöglich die Indianer eines benachbarten Stammes verwickelt waren. Nicht fürchtete er mehr, als dass Cody recht behalten würde, und die Frau tatsächlich eine entflohene Gefangene der Stämme war. Buck wusste, was dann geschehen würde und davor graute ihm. Denn auch, wenn nicht die Kiowa, sondern ein anderer Stamm hinter der Sache stecken sollten, würde der Hass der Weißen von Sweetwater auch ihm selbst entgegenschlagen. Beinahe wünschte er sich, das verletzte Mädchen wäre statt dessen einfach taub!

Geräuschlos öffnete Buck die Tür des Schlafzimmers. Emma hatte ihn vor der Waffe gewarnt, die das Mädchen unter seiner Bettdecke versteckte, und auch davor, dass sie entschlossen zu sein schien, diese zu benutzen, sobald sie sich bedroht fühlte. Im Gegensatz zu Emma bereiteten ihm jedoch weniger die scharfen Klingen Sorge, sondern vielmehr das, wofür die Schere in den Händen des Mädchens stand. Auch für Buck stand fest, dass dieses Mädchen Angst hatte. Aber er zweifelte daran, dass diese allein in ihrer Verwundung begründet lag. Vielleicht war ihr schon viel früher etwas angetan worden, dass ihr nun die Verhaltensweisen eines verletzten Tieres in der Falle des Jägers aufzwang... Als kleiner Junge war Buck einmal auf die Spuren eines Fuchses gestoßen, der in Schlinge eines Indianerjungen geraten war. Doch anstatt seinem Schicksal zu begegnen, hatte sich der Fuchs das eigene Bein abgebissen und war auf drei Beinen entkommen, während er die zerfetzte Pfote im blutgetränkten Schnee zurückgelassen hatte.

Buck konnte nicht sagen, warum ihm gerade dieses Bild in den Kopf kam, als er die Türklinke vorsichtig herunterdrückte. Vielleicht wühlten die düsteren Befürchtungen, die er in diesem Augenblick hegte, die längst vergessenen Erinnerungen seiner Kindheit auf? Buck runzelte die Stirn. Vielleicht war jedoch auch etwas anderes der Grund dafür, denn im Gegensatz zu Teaspoon und weiten Teilen der US-Armee, wusste er doch sicher, dass wenigstens in den Lagern der Kiowa noch immer einige gefangene weiße Frauen und Kinder lebten. Und er betete zum Großen Schöpfer, dass das Mädchen in Emmas Schlafzimmer keine dieser Gefangenen war!

Geräuschlos drückte Buck die Tür auf und schob seinen schlanken Körper durch die Öffnung in das Zimmer. Die Fremde schlief. Sie hielt ihm den Kopf zugewandt und hatte die Augen geschlossen. Ihr in Verbände eingewickelter Körper lag ausgestreckt zwischen den Laken und ihre Brust, die in eines von Emmas bestickten Nachthemden gehüllt war, hob und senkte sich unter ihren regelmäßigen Atemzügen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, kein bedrohliches Rasseln, wie es oftmals mit einer Lungenverletzung einherging, war zu hören. Überrascht bemerkte Buck, dass er darüber erleichtert war. Doch dann stutzte er. Seine Augen weiteten sich. Er hatte die Fremde bisher nur einmal gesehen, ganz kurz nur, als Kid sie in den Armen gehalten hatte, und dabei war ihr Gesicht über und über mit getrockneten Blut verschmiert gewesen. Nun jedoch, nachdem Emma sie verbunden und gewaschen hatte, ähnelte sie in keiner Weise mehr dem zusammengesunkenen und vor Schmutz starrenden Häuflein Elend, das Kid vor kaum mehr drei Tagen Jimmy übergeben hatte.

Ihre Haut wies noch immer eine leichte Graufärbung auf, doch darunter konnte Buck deutlich eine tiefe Sonnenbräune erkennen. Seine Augen suchten nach Narben, nach Verletzungen, nach irgendetwas, dass auf eine Gefangenschaft in einem Indianerlager hindeutete, doch ihr schmales Gesicht schien unversehrt. Lange Wimpern bedeckten die hohen Wangenknochen und breiteten sich wie ein dunkler Fächer unter den geschlossenen Lidern aus. Eine schmale, gerade Nase mündete in einer hohen Stirn. Glatte Haare in der Farbe reifen Weizen fielen ihr ins das ebenmäßige Gesicht und eine vorwitzige Strähne umspielte ihre vollen Lippen, die so wenig zu dem energischen Kinn darunter passen wollten. Sie war hübsch, nein, sogar mehr als das, und Buck musste sich nachdrücklich daran erinnern, dass diese Frau eine Waffe unter ihrer Bettdecke verbarg, um sich nicht entgegen aller Vorsicht von dem friedlichen Ausdruck in ihrem schlafenden Gesicht täuschen zu lassen.

Aber er war nicht hierher gekommen, um sie zu betrachten, sondern um eine Aufgabe zu erfüllen, die Emma und Teaspoon ihm aufgetragen hatten. Und das Beste war, er fing sogleich damit an! Er holte tief Atem und ließ die Zimmertür mit einem lauten Krachen ins Schloss fallen.

Sie fuhr auf, noch bevor das Geräusch verklungen war. Ihre Bewegungen waren schnell, viel schneller, als Buck es bei der Schwere ihrer Verwundung für möglich gehalten hätte. Für einen kurzen Augenblick blitzten die metallenen Klingen der Schere zwischen den Laken auf, dann fiel ihr erschöpfter Körper in die Kissen zurück. Ihr Atem ging stoßweise, während sie ihre Augen bedrohlich funkelten.

Buck erwiderte ihren forschenden Blick, aus dem deutlich eine Warnung davor sprach, näher zu kommen, während er gleichzeitig die Hände von sich streckte, um ihr zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Er war überrascht, als sie diese Geste mit einem leichten Kopfnicken zur Kenntnis nahm. Doch ihre unverbundene Hand, welche die Schere umklammert hielt, bliebt weiter auf der Bettdecke liegen.

"Ich komme in Frieden", begann Buck stockend im Dialekt der Cheyenne.

Er war nicht besonders geübt darin, denn dieser Stamm lebte weit nördlich von den Jagdgründen der Kiowa, und die beiden Stämme, die über lange Jahre miteinander verfeindet gewesen waren, trieben nur selten Handel miteinander. Dennoch lag es nahe, in diesem Dialekt zu beginnen, da das Paar Mokassins, dass Jimmy in ihren Satteltaschen gefunden hatte, ohne Zweifel unter den Händen einer geschickten Cheyenne-Frau gefertigt worden war.

"Ich komme als dein Freund."

Die Frau erwiderte seinen Blick, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos.

Buck wiederholte dieselben Worte in der Sprache der Lakota und danach im Dialekt der Pawnee, doch auch damit blieb er erfolglos. Er runzelte die Stirn. "Ich weiß, dass du mich hören kannst", murmelte er gereizt auf Englisch. "Wärest du taub, so wie du vorgibst, hättest du die zuschlagende Tür nicht hören können!"

Zufrieden bemerkte er das überraschte Flackern in den Augen des Mädchens. Jetzt wusste er sicher, dass sie ihn verstanden hatte.

"Ich bin hier, um dir zu helfen", erklärte er entschlossen. "Aber das kann ich nur, wenn du mit mir sprichst."

Sie erwiderte seinen Blick, sagte jedoch nichts darauf.

"Ich bin Buck Cross. Ich reite als Kurier für den Pony-Express."

Überrascht bemerkte er, wie eine schmale, sonnengebräunte Hand zwischen den Laken hervorglitt. Ihre Finger schlossen und öffneten sich in schneller Folge.

"Kiowa." Buck lächelte gegen seinen Willen. "Aber das kümmert hier niemanden." Die Finger des Mädchens glitten behände durch die Luft.

"Ja, es war ein langer Weg bis hierher. Aber er hat sich gelohnt." Buck stockte. Seit einigen Monaten hatte er schon nicht mehr über seine Vergangenheit gesprochen und er verspürte auch kein Bedürfnis, es jetzt zu tun. "Wer bist du? Wie ist dein Name?", fragte er stattdessen, wobei auch er seine Finger zu Hilfe nahm und Handzeichen verwendete.

Das Mädchen wies mit gerunzelter Stirn auf den Wasserkrug, den Emma am Morgen auf der Kommode neben der Tür abgestellt hatte. Buck nickte. Er griff nach dem Becher, der ebenfalls dort stand, und goss ein wenig von der kühlen Flüssigkeit hinein. Dann trat er neben das Bett. Er bemerkte, wie sich ihre Faust erneut fest um den Griff der Schere schloss und blieb stehen.

"Du wirst die Waffe nicht brauchen", bedeutete er ihr. "Ich werde dir beim Trinken helfen."

Auch wenn sie die Waffe nicht losließ, nickte sie kaum merklich mit dem Kopf.

Buck beugte sich vor und hielt den Becher an ihre trockenen Lippen. Sie roch nach geronnenem Blut und Staub. Und tief unter diesen vertrauten Gerüchen bemerkte Buck einen Hauch von Lavendel. So roch auch Emma. Er lächelte, während er den Becher von den Lippen des Mädchens zurückzog.

"Wie heißt du?", wiederholte er.

Sie räusperte sich umständlich, doch als sie endlich sprach, klang ihre Stimme immer noch rau und ungeübt. "Leah. Leah Stewart."

"Willkommen auf der Pony-Express-Station von Sweetwater, Leah." Buck lächelte und bemerkte augenblicklich die Verwirrung darüber in ihren Augen. Er stellte den Becher auf die Kommode zurück und zog sich einen Stuhl an die Bettkante heran. Er setzte sich und wartete geduldig.

Leah erwiderte seinen Blick. "Warum hast du dein Volk verlassen, Buck?", fragte sie schließlich. Nun, da die Heiserkeit daraus verschwunden war, klang ihre Stimme weich wie Samt und Buck kam nicht umhin zu bemerken, wie sehr sie ihm gefiel.

"Meine Mutter ist eine Kiowa gewesen, mein Vater jedoch war ein Weißer. Ein Halbblut ist nirgends willkommen", antwortete er ausweichend.

"Auch hier nicht?"

"Doch, hier schon. Du hast Emma bereits kennen gelernt. Sie macht keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Hautfarben. Und Teaspoon, der diese Station leitet, tut es ebenso wenig. Woher kommst du?"

Leah verzog das Gesicht und zuerst glaubte Buck, sie würde nicht antworten. Aber dann sprach sie doch, wenn auch zögernd. "Aus dem Süden. Aus Texas."

"Was tust du hier?"

"Ich will einen Onkel besuchen, der einige Meilen nördlich von Fort Laramie lebt."

"Dann sollten wir einen Boten zu ihm schicken, damit er weiß, dass es dir gut geht."

"Nein." Sie schüttelte hastig den Kopf. "Mein Onkel weiß nicht, dass ich komme. Er erwartet mich nicht."

Buck nickte ernst. "Was ist dort draußen bei Eagle Plains geschehen?", fragte er dann. "Warum hat man auf dich geschossen?"

"Ich weiß es nicht."

"Hast du jemanden gesehen?"

Leah schüttelte den Kopf.

"Woran erinnerst du dich?"

"Ich erinnere mich an nichts weiter," Leah schloss erschöpft die Augen, "als an einen lauten Knall und an den stechenden Schmerz in meinem Rücken. Mehr weiß ich nicht. Ich bin müde, Buck."

Er nickte und wollte aufstehen. Da schloss sich ihre Hand fest um seine Finger. "Wirst du wiederkommen?"

Erstaunt bemerkte er die intensive dunkelgraue Färbung ihrer Augen. "Ja, das werde ich. Bis dahin wird sich Emma um dich kümmern. Du kannst ihr vertrauen."

Leah ließ ihn nicht aus den Augen, doch ihre Finger lösten sich von seinem Handgelenk.

"Du bist bei uns in Sicherheit", versicherte Buck freundlich, "Das da," sein Blick glitt zu der Schere, die noch immer zwischen den Lagen verborgen lag, "brauchst du hier nicht."

Das Mädchen rührte sich nicht.

Mit einem Mal fühlte sich Buck unendlich erschöpft. "Ich werde wiederkommen, das verspreche ich."

"Wann?"

"Morgen."

Buck erhob sich vom Rand des Bettes und stand auf. Langsam ging er zur Tür.

"Buck?"

Er wandte sich um.

"Würdest du Emma.... Mrs...."

"Emma Shannon."

"Würdest du Mrs. Shannon fragen, ob sie mir etwas zu Essen bringen könnte?"

"Ja, natürlich." Buck lächelte erleichtert und öffnete die Tür. "Sie wird bald bei dir sein."

Leahs graue Augen folgten ihm, bis er durch die Tür verschwunden war. Doch erst, als die Zimmertür ins Schloss gefallen war, gestattete Buck es sich stehen zu bleiben. Seine Gedanken wirbelten haltlos durcheinander. Doch von den düsteren Überlegungen, die er noch vor wenigen Minuten gehegt hatte, war nichts mehr übrig geblieben.

(

"Buck hat mir gesagt, dass du etwas essen möchtest." Mit der Schulter hielt Emma die Tür auf und stellte das Tablett auf der kleinen Kommode daneben ab. "Das ist gut. Ich habe dir ein wenig Suppe zubereitet und etwas Brot."

Als sie sah, wie das Mädchen den Kopf hob und gierig den Duft der dampfenden Speisen einatmete, lächelte Emma zufrieden. Sie nahm das Tablett wieder auf und trat an das Bett heran. Das Mädchen beobachtete sie schweigend, während Emma die Speisen auf dem kleinen Nachttisch abstellte und nach dem Wasserkrug griff. Während sie ein wenig Wasser in einen sauberen Becher füllte, fuhr sie fort:

"Du hast sicher großen Hunger. Aber es wird besser sein, wenn du heute Abend nur ein wenig isst. Zu große Menge würde dein Magen nicht vertragen." Sie nahm den Suppenteller auf.

Das Mädchen streckte seine unverletzte Hand aus und nahm den Löffel von Emma entgegen. Ihr Augen glitten hungrig über die dampfende, verlockend riechende Speise. Aber dann hob sie den Kopf und sah Emma an.

"Mrs. Shannon. Ich bin ihnen für ihre Hilfe zu großen Dank verpflichtet."

"Oh nein!" Emma lächelte sanft. "Jeder hier hätte getan, was ich getan habe."

Das Mädchen verzog das Gesicht. "Es war nicht sehr richtig, dass ich ihre Gastfreundschaft mit Schweigsamkeit belohnt habe", sagte sie leise. "Ich möchte mich dafür entschuldigen."

Emma wartete neugierig, doch das Mädchen schwieg. Sie nannte keine Erklärung für ihr seltsames Verhalten und Emma widerstrebte es zutiefst, sie nach dem Grund dafür zu fragen. Also beließ sie es dabei und sah schweigend zu, wie ihre Patientin langsam die dampfende Suppe löffelte und dabei von dem frischen Brot aß, welches Emma erst am Morgen gebacken hatte.

Als das Leah ihre Mahlzeit beendet hatte, stellte Emma das Geschirr auf das Tablett zurück. Dann wandte sie sich um. "Morgen werde ich dir etwas zum Anziehen bringen."

Das Mädchen nickte. "Das ist sehr freundlich von ihnen, Mrs. Shannon."

"Nichts für ungut, Leah." Emma lächelte aufmunternd, als sie die Zimmertür öffnete und das Tablett von der Kommode aufnahm. "Ich würde mich freuen, wenn du dich bald bei uns zuhause fühlen könntest. Gute Nacht."

Das Mädchen erwiderte stumm ihren Gruß.

Aber nachdem sich die Zimmertür hinter Emma geschlossen hatte, verlor sich das Lächeln auf ihrem Gesicht und machte einem ausgesprochen nachdenklichen Ausdruck Platz. Was mag nur im Kopf dieses Mädchens vorgehen? fragte sie sich. Und warum spricht sie so wenig über sich und die Dinge, die ihr widerfahren sind?

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Als Emma am nächsten Morgen in das kleine Schlafzimmer zurückkehrte, schlief ihre Patientin noch. Doch die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne funkelten auf dem silbernen Metall der Schere, die neben dem Bett auf dem Nachttisch lag, ganz so, als hätte niemals jemand dort weggenommen. Emma lächelte zufrieden.

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