3. Kapitel - Düstere Vergangenheit

Sam Cain schüttelte seinen Kopf, während Emma ihm berichtete, was Buck von dem verletzten Mädchen erfahren hatte. "Seltsam, Emma", murmelte er und kratzte sich das unrasierte Kinn. "Das passt doch alles nicht zusammen."

"Willst du damit sagen, dass sie lügt, Sam Cain?" Emma sandte ihm einen strengen Blick zu, während sie fortfuhr den dampfenden Kaffee in zwei weißblaue Becher zu gießen. "Warum, glaubst du, sollte sie das tun?"

Sam zuckte mit den Achseln. "Und sie kann sich an gar nichts erinnern?"

"Das hat sie Buck gesagt."

"Eigenartig. Warum sollte jemand auf ein Mädchen schießen, das er nicht einmal kennt? Vielleicht hat er sie für einen Indianer gehalten? Immerhin hat sie indianische Kleidung getragen, als sie angeschossen wurde."

"Du musst dir schon ein wenig mehr Mühe geben, Sam, um dieses Rätsel zu lösen!", schallt Emma, doch während sie die beiden dampfenden Tassen auf dem Tisch abstellte, blitzten ihre Augen amüsiert. "Ihre hellen Haare sind weithin zu sehen. Wer sie für einen Indianer hält, müsste blind sein."

"Da hast du recht." Sam seufzte. "Aber das macht die ganze Angelegenheit nur noch mysteriöser. Ich muss selbst mit ihr sprechen, Emma."

"Ist das denn wirklich notwendig? Sie hat sicher Schlimmes durchgemacht. Und sie hat Angst, Sam. Was sie zu erzählen hat, kann sie ebenso gut Buck sagen. Zwinge sie nicht dazu, das Schreckliche noch ein zweites Mal berichten zu müssen."

"Wo ist Buck?"

"Oben."

"Bei ihr?"

Emma nickte lächelnd. "Sie hat nach ihm gefragt. Gleich, nachdem sie heute Morgen aufgewacht war."

Sam runzelte die Stirn. "Sie scheint ihn zu mögen." Emma lachte, als sie Sams skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte. "Schau nicht so verkniffen, Sam Cain! Als ob dir so etwas noch nie passiert wäre!"

Der Marshall versenkte hastig sein Gesicht in seiner Kaffeetasse und nahm einen großen Schluck von dem heißen Gebräu.

"Wenn du unbedingt mit ihr sprechen willst, dann tu es wenigstens, wenn Buck dabei ist", erklärte Emma entschlossen. "Sie scheint ihm zu vertrauen. Vielleicht bekommst du mit seiner Unterstützung etwas aus ihr heraus."

Sam nickte zerstreut. "In Ordnung. Aber nun zu etwas anderem, Mrs. Shannon." Er schob seine Kaffeetasse zur Seite und fasste Emmas Hand. "Warum ich zur Station herausgekommen bin...."

"Du bist wegen der Frau gekommen." Emma lachte. "Und wage ja nicht, mir etwas anderes zu erzählen!"

"Ich bin wegen einer ganz bestimmten Frau gekommen."

Emma entzog ihm ihre Hand und trat an den Herd zurück. Doch ihre Augen funkelten zufrieden. "Du hast einen Job zu erledigen, Sam Cain. Und du solltest endlich damit anfangen."

Sam seufzte. Doch dann trank er den letzten Schluck Kaffe aus seiner Tasse und erhob sich.

Emma lächelte. "Sei nett zu ihr, Sam. Sie hat schon genug durchgemacht."

***

Buck hätte sie stundenlang betrachten können. Sie hatte etwas an sich, er konnte nicht sagen was, dass ihn an die weiten Plains erinnerte, die einmal seine Heimat gewesen waren. Vielleicht war es die intensive Farbe ihrer grauen Augen, die ihn so sehr an den Präriehimmel erinnerte, kurz bevor ein mächtiges Gewitter seine Schleusen öffnete und sich in unbezwingbaren Fluten über der grasbewachsenen Ebene ergoss. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe. An diesem Morgen hatte er über Dinge gesprochen, an die er seit Jahren nicht mehr zu denken gewagt hatte. Wann hatte er den Namen seiner Mutter zum letzten Mal laut ausgesprochen? Daran konnte er sich nicht einmal mehr erinnern! Und wann hatte er das letzte Mal daran gedacht, wie es gewesen war, mit den Kriegern auf Büffeljagd zu gehen? Wie es sich anfühlte, mit dem erhobenen Sperr in den eisigen Fluten eines Bergflusses zu stehen und zu fischen? Wie es war, wenn der eisige Nordwind über die Plains stob und an den Wänden der Tipis rüttelte, während er den Winter vor sich hertrieb? Leah weckte Erinnerungen in ihm, die er längst vergessen geglaubt hatte, glückliche Erinnerungen, die er sich seit vielen Monaten selbst verboten hatte, weil seine Heimat nun hier, inmitten der Weißen, war. Er erstaunte ihn, dass die Erinnerungen an eine Welt, die einmal gewesen war und die er nie wieder würde zurückerobern können, ihn mit einem Mal nicht mehr schmerzten.

"Du denkst an deine Heimat."

Buck hob den Kopf und blinzelte überrascht.

"Ich sehe es in deinem Gesicht", Leah lächelte leicht. "Aber nun erzähle mir von den Menschen, die hier mit dir leben. Mrs. Shannon habe ich ja bereits kennen gelernt."

Für einen Augenblick wunderte sich Buck darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit Leah das Thema wechselte. Aber dann nickte er zustimmend. "Also gut. Da ist zuerst einmal Teaspoon. Er leitet die Station und ist ein seltsamer alter Kauz. Er spricht nicht über seine Vergangenheit, aber er schießt und reitet so gut, wie die meisten von uns. Trotzdem lehrt er uns, Konflikte zu vermeiden. Vor allem Jimmy tut sich schwer damit. Jimmy, das ist James Butler Hickock. Manchmal glaube ich beinahe, es ist allein Teaspoon zu verdanken, dass Jimmy nicht längst zu einem Revolverhelden geworden ist. Dann ist da Cody. Er ist nie um Worte verlegen und nimmt das Leben nicht sehr ernst. Kid ist anders. Er lebt nach seinen Prinzipien und seinem Gewissen. Das macht ihm das Leben manchmal nicht leicht. Lou ist der jüngste von uns Reitern, aber er reitet ebenso gut wie wir alle. Manchmal glaubt er allerdings, dass er uns anderen etwas beweisen müsste. Und dann ist da noch Ike. Er spricht nicht, aber er beherrscht die Zeichensprache ebenso gut wie du, Leah." Buck lächelte. "Und er ist mein bester Freund."

"Es ist gut, Freunde zu haben." Ein wehmütiger Zug huschte über das blasse Gesicht des Mädchens.

"Ja, das ist es." Buck lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. "Was ist mit deiner Familie, Leah? Und wie kommt es, dass du allein unterwegs bist?"

Sie verzog das Gesicht und wandte ihren Kopf zum Fenster. Für einen Augenblick lang glaubte Buck beinahe, sie würde nicht antworten. Als sie jedoch sprach, war ihre Stimme so leise, dass er sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen.

"Mein Vater lebt in Texas, am Rande des Llano Estacado. Aber er kann dort nicht fort. Meine Mutter ist bei einem Kampf mit den Comanchen ums Leben gekommen."

Buck nickte beklommen. Er hatte mit so einer Antwort gerechnet. Aber es war doch etwas anderes, die schrecklichen Worte laut ausgesprochen zu hören, als sie zu denken. Insgeheim war er jedoch erleichtert, dass es wenigstens nicht sein eigener Stamm gewesen war, der Leahs Familie Leid zugefügt hatte.

"Was ist mit dem Onkel, zu dem du unterwegs bist?", fragte er hastig, um das Mädchen von seinen trüben Gedanken abzulenken. "Du hast gesagt, er lebt in der Nähe von Fort Laramie."

"Ja."

"Warst du schon einmal dort?"

"Ich bin ganz in der Nähe vier Jahre lang zur Schule gegangen."

"Bei Fort Laramie? Warum nicht in Texas?"

"Mein Vater wollte es so. Buck," Leah verzog das Gesicht und schloss die Augen, "ich möchte nicht darüber sprechen."

"Es tut mir leid." Erschrocken setzte Buck sich auf. "Ich wollte nicht..."

"Es ist nicht dein Fehler." Leah öffnete ihre Augen, doch sie sah ihn nicht an, sondern blickte gedankenverloren zum Fenster hinaus. "Du hast nichts damit zu tun."

Buck stockte. Mit einem Mal wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Die Vertrautheit, die er in den vergangenen Augenblicken empfunden hatte, war mit einem Mal wie weggewischt. Er schluckte und dachte fieberhaft darüber nach, was er nun tun sollte, als die Tür zum Schlafzimmer geöffnet wurde. Er sah, wie Leah erstaunt ihren Kopf zur Tür wandte. Im Türrahmen lehnte Sam Cain. Buck wusste nicht recht, ob er über das Erscheinen des Marshalls glücklich sein sollte, weil es ihn einer schwierigen Entscheidung enthob, oder ob es ihn ärgerte, da er nun nicht mehr mit Leah allein war und kaum noch eine Chance finden würde, um seinen Fehler wieder gutzumachen. Sam drehte seinen Hut in den Händen und lächelte schief.

"Darf ich hereinkommen?"

Buck warf dem Mädchen einen fragenden Blick zu. "Das ist Marshall Cain", sagte er, als sie nicht antwortete.

"Guten Morgen, Miss Stewart. Ich muss mit ihnen über die Vorfälle bei Eagle Plains sprechen", sagte Sam. "Was immer sie mir zu sagen haben, kann mir vielleicht helfen den Mann zu finden, der auf sie geschossen hat."

Leah nickte stumm. Doch dabei sah sie nicht Sam an, sondern Buck.

Der junge Kiowa spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Schnell senkte er den Blick. "Marshall, wenn ich gehen soll...", setzte er zu sprechen an.

"Bleib."

Sowohl Buck als auch Sam blickten erstaunt zu dem verletzten Mädchen hinüber, in deren dunkler Stimme weitaus mehr Autorität lag, als die beiden Männer ihr zugetraut hatten.

Sam blinzelte. "Ich hatte nicht vor, dich aus dem Zimmer zu weisen, Buck."

"Dann fragen sie, was immer sie zu fragen haben, Marshall." Leah richtete sich mühsam in ihren Kissen auf. Nur widerwillig ließ sie sich dabei von Buck helfen.

Sam zog sich einen Stuhl heran und ließ sich auf der anderen Seite des Bettes, Buck gegenüber, nieder. "Miss Stewart, ich weiß, dass das, was sie dort draußen erlebt haben, nichts ist, an das sie sich gern erinnern. Aber es ist notwendig, dass sie mir sagen, was dort geschehen ist."

"Ich wurde angeschossen."

"Ja." Sam kratzte sich am Kinn. "Haben sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte?"

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

"Haben sie Feinde, Miss Stewart?"

Buck hob erstaunt den Kopf, doch Sam bedeutete ihm zu schweigen. Widerwillig presste der junge Reiter seine Lippen zusammen.

"Nein. Ich kenne niemanden, der in dieser Gegend lebt. Marshall, ich komme von weit her. Warum sollte jemand, der mich töten wollte, einen solch langen Weg auf sich nehmen."

Sam bemerkte, dass ihre Augen bei diesen Worten Bucks Gesicht nicht verließen. Irritiert kniff er die Augen zusammen.

"Was haben sie dort draußen bei Eagle Plains zu suchen gehabt, Miss Stewart?", fragte er barscher, als er es beabsichtigt hatte.

"Ich war auf dem Weg nach Laramie, wo ich Verwandte besuchen wollte."

"Allein?" "Ja."

"Hatten sie keine Angst vor den Indianern? Dort draußen wimmelt es nur so von Lakota-Kriegern."

Die grauen Augen des Mädchens blitzten auf. "Wie ich ihnen bereits sagte, Marshall, ich habe in dieser Gegend keine Feinde."

Buck warf dem Marshall einen warnenden Blick zu, den dieser ärgerlich ignorierte. "Was geschah dann, Miss Stewart?"

"Ich kann mich nicht erinnern."

"Aber an irgend etwas müssen sie sich doch erinnern!" Ungehalten ballte Sam die Fäuste. Er begriff einfach nicht, warum diese Frau nicht mit der Sprache herausrückte! Ihre Antworten waren noch weniger hilfreich als die Kids, und der Junge war immerhin mehr als eine halbe Meile entfernt gewesen, als die Schüsse fielen. "Sie müssen doch einen Schuss gehört haben!"

"Nein. Ich fühlte einen Stoß in meinem Rücken, dann einen brennenden Schmerz. Dann wurde mir schwarz vor Augen. An mehr erinnere ich mich nicht!"

"Miss Stewart," Sam beugte sich vor und sah ihr eindringlich in das ebenmäßige Gesicht, "Wie soll ich ihnen helfen, wenn sie mir nicht die Wahrheit sagen?"

Erneut fuhr Bucks Kopf hoch, doch Sam kümmerte sich nicht darum.

"Ich habe ihnen alles gesagt, was ich weiß, Marshall", Leah schüttelte den Kopf. "Wenn ich ihnen nicht helfen kann, tut es mir leid."

"Indem sie mir helfen, helfen sie sich selbst, Miss Stewart." Sam erhob sich von seinem Stuhl. "Denken sie mal darüber nach." Er stülpte seinen Hut auf den Kopf und trat zur Tür "Guten Tag, Miss Stewart. Buck."

Doch erst als die Tür hinter dem Gesetzeshüter ins Schloss gefallen war, beugte sich Buck vor. "Sam meint es nicht böse. Er tut nur seine Arbeit", murmelte er hastig. "Nimm ihm sein Benehmen nicht übel."

"Er glaubt, dass ich lüge."

Buck schwieg.

"Denkst du das auch?" Leahs graue Augen bohrten sich tief in die seinen. "Glaubst du auch, dass ich lüge, Buck?"

Zum zweiten Mal an diesem Morgen wusste Buck nicht, was er antworten sollte. Verzweifelt suchte er nach Worten, die ihn retten konnten. Doch es war vergeblich.

"Ich bin müde und möchte schlafen." Leah lehnte sich in die Kissen zurück und schloss erschöpft die Augen. "Geh jetzt, Buck, bitte."

"Ich..."

Doch es war zwecklos. Er hatte einen großen Fehler begangen, denn nun glaubte sie, dass auch er ihren Worten keinen Glauben schenkte. Aber nun war es zu spät. Buck ahnte, dass Worte allein nicht ausreichen würden, um seinen Fehler wieder gutmachen zu können. Bedrückt erhob auch er sich und ging zur Tür. Doch erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, begrub er auch die sehnsüchtige Hoffnung, dass Leah ihn vielleicht doch noch zurückrufen würde.

***

Cody war erstaunt darüber, als Buck ihn kurzerhand bat, seinen Ritt nach Three Crossings übernehmen zu dürfen. Andererseits jedoch sehnte er sich selbst nicht gerade danach, die unsichere südliche Strecke abzureiten, auf der sich der rote Staub tief bis in die letzte Pore setzte, und so stimmte er zu. Noch bevor Buck in einer Staubwolke am Horizont verschwunden war, kreisten Codys Gedanken bereits wieder um Allison Moyer, die hübsche, dunkelhaarige Tochter des neuen Postbeamten, der er gestern in Sweetwater begegnet war. Wenn er nun ohnehin - dank Buck - nichts zu tun hatte, konnte er ebenso gut nach Sweetwater reiten und dafür sorgen, dass die schöne Allison sich seiner erinnerte, wenn der nächste Tanzabend statt finden würde. Und er hatte auch schon eine genaue Vorstellung, wie er dieses Kunststück anfangen wollte. Zufrieden pfeifend wandte sich Cody um und marschierte auf das Schlafhaus zu.

***

Emma hatte Sams Bericht schweigend gelauscht. Dann hatte sie zugesehen, wie er sein Pferd bestiegen hatte und nach Sweetwater zurückgeritten war. Sie schätzte Sams Meinung sehr. Doch diesmal war sie überzeugt davon, dass er sich irrte. Das Mädchen log nicht, sondern hatte einfach nur große Angst. Und da war es doch nur zu verständlich, dass sie sich nicht gern dem erstbesten Mann anvertraute, der sie nach ihren schrecklichen Erlebnissen fragte - mochte er nun der Marshall von Sweetwater sein oder nicht! Mit männlicher Ungeduld und Härte würde man bei Leah nicht weiterkommen, auch wenn Sam das nicht einsehen mochte. Auch Buck schien nicht weiter gekommen zu sein, was ihre Theorie bestätigte. Aber zwischen Leah und dem jungen Kiowa musste noch etwas anderes vorgefallen sein, etwas, dass mit Sams bohrenden Fragen nichts zu tun hatte. Emma schüttelte traurig den Kopf, als sie sich an den verletzten Ausdruck in Buck dunklen Augen erinnerte, mit dem er an ihr vorbei und zur Koppel gestürmt war. Seitdem er vor einigen Wochen aus dem Lager der Kiowa zurückgekehrt war, war Buck nachdenklicher und in sich gekehrter gewesen als er ohnehin schon immer gewesen war, solange sie ihn kannte. Von Herzen hatte Emma darum gehofft, dass Leahs Gegenwart ihn aufmuntern würde. Für eine Weile hatte es so ausgesehen, doch nun... Emma runzelte nachdenklich die Stirn. Buck war fortgeritten und würde nicht vor morgen Abend zurückkommen. Es sah so aus, als sollte es nun allein an ihr liegen aus dem armen Mädchen herauszubringen, was dort draußen bei Eagle Plains geschehen war. Mit Freundlichkeit und der richtigen Mischung aus Beharrlichkeit und Zurückhaltung sollte ihr das schon gelingen! Emma lächelte zufrieden und legte ihr Nähzeug in den Korb zurück. Sie erhob sich von ihrem Stuhl auf der Veranda und wollte sich gerade auf den Weg zurück ins Haus machen, als sie Lou aus dem Stall kommen sah. Plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke.

"Lou!" Emma hob die Hand und winkte dem schlanken Reiter zu, der fragend den Kopf hob. "Komm doch bitte einmal zu mir."

Höchst zufrieden mit sich und ihrem Einfall beobachtete Emma, wie Lou nickte und mit hängenden Schultern auf das Haus zuschlenderte.

***

"Warum sagt sie nichts? Sie muss doch wissen, dass keiner von uns ihr etwas Böses will!"

"Ein seltsames Mädchen." Teaspoon schob seinen Hut in den Nacken und kratzte sich am Kinn. "Aber weißt du, Kid, es ist uns Männern nicht immer beschieden die Frauen zu begreifen."

"Wenn es nur das wäre, dann könnte sie sich doch wenigstens Emma anvertrauen!", Kid schüttelte verständnislos seinen Kopf. "Aber nicht einmal das tut sie."

Als Teaspoon schwieg, verlor Kid schon bald die Geduld. "Warum verhält sie sich so? Das macht doch alles keinen Sinn!", murrte er, während er erregt seine Stiefel polierte. "Sie muss doch begreifen, dass wir ihr nur helfen wollen!"

"Das ist es vielleicht nicht, was sie davon abhält, zu sprechen."

"Was ist es dann?" Ungeduldig wandte Kid sich dem älteren Mann zu und stieß dabei seinen linken Stiefel, den er bereits gesäubert hatte, von der Treppe des Schlafhauses in den Staub.

"Ganz offensichtlich will sie nicht über das sprechen, was zu ihrer Verletzung geführt hat", entgegnete Teaspoon, während er beobachtete, wie Kid sich knurrend erhob und den verlorenen Stiefel aufhob. "Und wahrscheinlich hat sie gute Gründe dafür."

"Gute Gründe?" Kid hob den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. "Was für Gründe sollten das sein? Mir fällt keiner ein!"

Teaspoon hackte die Daumen unter seine Hosenträger und lehnte sich zurück. Doch dabei ließ er den jungen Reiter nicht aus den Augen.

"Ich wollte Buck wäre hier", erklärte Kid bedrückt. "Vielleicht würde er etwas aus ihr herausbringen. Mit ihm hat sie wenigstens gesprochen!"

"Buck wird seine Gründe gehabt haben, um fortzureiten."

"Gründe, immer nur Gründe!" Ärgerlich warf Kid seinen Stiefel auf die Treppenstufe. "So kann es doch nicht weitergehen! Jemand hat auf das Mädchen geschossen! Und ich möchte endlich wissen, warum!"

"Du machst dir Sorgen, mein Junge", stellte Teaspoon stirnrunzelnd fest.

Kid schwieg.

"Sie ist ein hübsches Mädchen."

"Das ist es nicht!" Empört schüttelte Kid seinen Kopf. "Aber ich habe sie gefunden und hierher gebracht. Ich fühle mich für sie verantwortlich! Und darum möchte ich, dass der geheimnisvolle Anschlag auf sie bald aufgeklärt wird."

"Das wollen wir alle."

Kid runzelte die Stirn. "Du hast bislang nicht ein einziges Mal mit ihr gesprochen", stellte er fest. "Warum nicht?"

Teaspoon rieb sein Kinn und dachte nach. "Es gibt Dinge, die überlässt man besser den Frauen", sagte er dann nach einer Weile.

"Warum? Sam hat doch auch mit ihr gesprochen!"

"Und was hat er herausbekommen?"

"Nicht viel", gestand Kid zähneknirschend ein. "Sie wollte nicht mit ihm reden."

"Eben."

"Und du glaubst, dass sie mit Emma sprechen wird?"

Teaspoon zuckte mit dem Achseln. "Wer weiß?"

"Was ist los mit diesem Mädchen, Teaspoon?" Kid beugte sich vor und sah dem weißhaarigen Mann eindringlich ins Gesicht.

Teaspoon seufzte. "Das weiß ich nicht, Kid. Aber hör zu, dann werde ich dir sagen, was ich vermute."

Kid nickte und legte die Lederbürste neben seine Stiefel. Erwartungsvoll blickte er seinem Freund und Mentor entgegen. "Was ist es?"

"Hör zu. Vor vielen Jahren, damals als ich selbst noch im Süden lebte, gehörte ich für einige Jahre den Texas-Rangers an. Diese waren damals eine kleine sehr beweglich operierende Einheit, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die texanische Grenze vor den eindringenden indianischen Kriegerbanden zu schützen, welche damals aus Mexiko herüberkamen und in den Grenzgebieten brandschatzten und mordeten. Die Ranger taten, wozu die Armee nicht imstande war. Sie kämpften wie die Indianer und machten sich ihre Taktiken zunutze. Wir schlugen die Rothäute damals mit ihren eigenen Waffen, wann immer wir ihrer habhaft werden konnten. Manchmal verfolgten wir sie bis tief in ihre Siedlungsgebiete, die oftmals jenseits der mexikanischen Grenze lagen, um sie für das bezahlen zu lassen, was sie den weißen Siedlern angetan hatten."

"Das wusste ich nicht", Kid hob neugierig den Kopf. "Das du bei den Rangern warst, meine ich."

"Ich habe es nicht erzählt", brummte Teaspoon. "Denn es ist nichts, auf das ich heute noch besonders stolz bin. Aber jetzt hör mir zu."

Kid nickte und der weißhaarige Mann fuhr fort. "Wir griffen die Indianer an, wo immer wir ihrer habhaft werden könnten. Wann immer wir eines ihrer Lager fanden, zerstörten wir es. Wir töteten die Krieger und brannten die Zelte nieder, ebenso ihre Vorräte. Wir ließen alles zurück, was wir erbeuteten, und zerstörten es an Ort und Stelle, denn es gab nichts, was wir hätten haben wollen. Allein das gestohlene Vieh trieben wir zurück, wenn wir es in die Hände bekamen, bevor die Roten es niedergestochen hatten, - und die Frauen."

"Die Frauen?", stieß Kid überrascht hervor.

Teaspoon nickte betrübt. "Die Gefangenen der Überfälle auf die Siedlungen und Farmen. Während dieser Kämpfe haben wir mehr als ein Dutzend weißer Frauen und Kinder befreit und zu ihren Familien zurückgebracht. Manche waren übel zugerichtet. Nicht selten hatten die Indianer ihnen die Nasen abgeschnitten und ihr Haut war über und über mit scheußlichen Brandnarben übersät. Doch das war nicht das Schlimmste", Teaspoon senkte gedankenverloren den Kopf. "Das Schlimmste war der leere Blick in ihren Augen, die Hoffnungslosigkeit und die Apathie in ihren sonnenverbrannten Gesichtern. Diese Frauen hatten mehr durchgemacht, als wir Männer uns jemals vorstellen können, und kaum eine von ihnen hat sich von diesen Schrecken wieder erholt. Aber manch eine hat viele Jahre später behauptet, ihr wäre dergleichen niemals geschehen. Wieder andere hatten die Erinnerung an diese Erlebnisse verloren, wenigstens behaupteten sie das..."

Kid runzelte die Stirn. Teaspoons Worte trafen ihn zutiefst und er verspürte eine Welle des Mitgefühls für diese Frauen in sich aufwallen. Doch er begriff nicht, was das alles mit dem Mädchen zu tun haben sollte, das er schwerverletzt in der Ebene von Eagle Plains gefunden hatte. "Aber Buck hat uns doch versichert, dass es ein weißer Reiter war, der auf das Mädchen geschossen hat. Buck sagt, es war kein Indianer..." Als ganz unerwartet ein unglaublicher Gedanke durch seinen Kopf schoss, so schrecklich, dass er ihn kaum glauben mochte, riss Kid die Augen auf. "Du willst doch nicht etwa behaupten, dass Buck gelogen hat?"

"Nein!" Teaspoon warf dem jungen Reiter einen scharfen Blick zu, der Kid zusammenfahren ließ. "Das habe ich nicht gedacht und werde es auch niemals tun! Es ist genauso, wie Buck gesagt hat. Der Schütze war ein Weißer. Aber das ist es nicht, worauf ich hinaus will, Kid", Teaspoon kratzte sich am Kinn und blickte dem jungen Postreiter ernst in die fragenden Augen. "Was ich meine, ist ganz allein, dass dieses Mädchen nicht über das spricht, was dort draußen geschehen ist. Und ebenso wenig spricht sie von ihrer Vergangenheit oder von ihrer Familie."

"Aber sie sagt doch, sie könne sich nicht an das erinnern, was bei Eagle Plains geschehen ist."

"Ja, das sagt sie." Teaspoon räusperte sich und erhob sich. "Und es ist sogar möglich. Aber ich habe eben meine Zweifel daran. Sohn," er legte Kid die Hand auf die Schulter und lächelte traurig, "ich habe zu tun. Und du auch."

Teaspoon schob seinen verbeulten Hut in die Stirn und ging davon.

Kid sah ihm nach, bis seine gedrungene Gestalt hinter der Scheune verschwunden war. Was hatte Teaspoon ihm sagen wollen? Glaubte der Alte tatsächlich, dass das Mädchen, das sich in Emmas Schlafzimmer von ihren Verletzungen erholte, einmal eine indianische Gefangene war? Ungläubig schüttelte Kid den Kopf. Ich werde Buck fragen, sobald er von seinem Ritt zurückkehrt, beschloss er. Wenn Teaspoon recht hat, muss auch Buck diese Anzeichen erkannt haben. Aber ich hoffe bei Gott, dass Teaspoon sich irrt!

Tief in seine Gedanken versunken wandte sich Kid ab und ging langsam auf das Haupthaus zu. Er musste mit Lou sprechen, musste mit ihr teilen, was er von Teaspoon gehört hatte. Vielleicht würde Lou wissen, was davon zu halten war...

***

Lou fühlte sich unwohl. Der Auftrag, den Emma ihr erteilt hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht und darum hatte sie ihn auch nur widerwillig angenommen. Es missfiel ihr, Emmas Spionin zu spielen - ihren Spion, verbesserte sich Lou zähneknirschend - denn Geheimnistuerei und Verstellung waren ihr noch nie leichtgefallen. Dabei müsste mir doch wenigsten die Geheimnistuerei längst ins Blut übergangen sein, dachte sie verzweifelt. Seit Monaten schon gebe ich mich nun schon als Junge aus, was weitaus schwieriger ist, als alles, das Emma heute von mir verlangt! Aber dennoch.... Lou seufzte lautlos. Entgegen ihrer Absicht hatte sie Emma versprochen mit dem verletzten Mädchen zu reden. Doch nicht nur das, sie sollte auch herausbekommen, was hinter Leahs hartnäckiger Schweigsamkeit steckte, indem sie ihre Freundschaft suchte und ihr Vertrauen erwarb. Buck hatte es bereits versucht - und war offensichtlich gescheitert, wenn man bedachte, dass er Hals über Kopf nach Three Crossings aufgebrochen war. Es war jedoch weniger die Angst davor ebenso erfolglos wie ihr Kiowa-Freund zu bleiben, die Lous Zunge lähmte, sondern vielmehr Leahs bohrender Blick, mit dem diese sie bedachte und den sie keinen Augenblick von Lous Gesicht abwandte. Die tiefgründigen grauen Augen, die jeder ihrer Bewegungen folgten, verwirrten Lou und ließen sie misstrauisch werden, denn sie vermittelten ihr den Eindruck, dass Leah etwas wusste, von dem sie selbst keine Ahnung hatte. Lou runzelte die Stirn. Ich muss mich zusammennehmen, befahl sie sich. Denn ich habe nichts Böses im Sinn! Vielleicht hätte ich das Vertrauen dieses Mädchens ohnehin gesucht, auch ohne das Emma mich dazu aufgefordert hätte. Sie war eben nur schneller als ich...

"Das Leben als Express-Reiter ist sicher kein einfaches", sagte Leah mit leiser, melodischer Stimme und ließ Lou aus ihren Gedanken auffahren. "Und ganz bestimmt nicht für jemanden wie dich."

Lou zuckte zusammen. "Was willst du damit sagen?", entfuhr es ihr, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte.

In Leahs grauen Augen blitzte es auf. "Du bist anders."

Lou schluckte erschrocken und senkte den Blick. Woher...

"Jünger." Leah lächelte. "Und weniger kräftig als die anderen Reiter."

"Und wenn schon! Das stört mich nicht!"

"Nein?"

"Nein!" Lou ballte die Fäuste.

"Sie fordern dich heraus."

Lou blinzelte ob dieser ruhigen Feststellung.

"Du musst dich ihnen jeden Tag auf das neue beweisen."

Lou schwieg und starrte auf die Holzdielen von Emmas Schlafzimmer. Wäre ich doch nur nicht hier, wünschte sie sich von ganzem Herzen.

"Das ist kein leichtes Leben", stellte Leah ungerührt fest.

Lous Kopf fuhr hoch. "Aber es ist das Leben, das ich führen möchte!"

"Dann hast du es dir also selbst ausgesucht."

"Ja", Lou presste trotzig die Lippen zusammen.

"Warum?"

"Weil es mir gefällt! Ich habe eine Arbeit, der niemals langweilig ist!"

"Aber sie ist gefährlich."

"Und wenn schon! Nichts im Leben ist ohne Risiko!" Lou dachte an Kid und daran, wie er die Welt sah, und schüttelte schnell den Kopf. "Ich brauche meine Unabhängigkeit!"

Leah runzelte die Stirn.

"Ich könnte nicht an einem Schreibtisch sitzen und Akten hin und her wälzen!" Mit einem Mal wurde Lou klar, wie sehr sich die Rollen verkehrt hatten. Denn nun war es Leah, welche die Fragen stellte, während sie, Lou McCloud, die mit dem festen Vorhaben den Raum betreten hatte, mehr über die verletzte Frau, die Kid bei Eagle Plains gefunden hatte, zu erfahren, antwortete wie ein Schulmädchen. Ärgerlich ballte Lou die Fäuste. Sie sandte der jungen Frau, die sie keinen Augenblick aus den Augen ließ, einen warnenden Blick zu. "Die Arbeit beim Pony Express ist genau die richtige für mich", entgegnete sie barsch.

"Wenn du das sagst."

Wenn Leah die Warnung in Lous Worten verstanden hatte, ließ sie sich davon nicht weiter beeindrucken. Ärgerlich kniff Lou die Augen zusammen. "Und was tust du, wenn du dich nicht gerade irgendwo in der Prärie vom Pferd schießen lässt?", gab sie zischend zurück. Doch schon im nächsten Augenblick taten ihr die unbedachten Worte leid. Beschämt senkte sie den Blick. Aber während sie nach Worten für eine Entschuldigung rang, lächelte Leah nur.

"Wenn ich mich nicht gerade vom Pferd schießen lassen," sagte sie schließlich, "dann kämpfe ich um meine Unabhängigkeit. Ebenso wie du."

Lou riss die Augen auf.

"Du fragst dich, was meine Familie dazu sagt?"

Lou nickte stumm.

"Meine Mutter ist tot. Aber das hast du bestimmt schon gehört."

Lou zog es fort, darauf nicht zu antworten. "Was ist mit deinem Vater?"

"Er lässt mir alle Freiheiten, die ich brauche."

"Wo ist er?"

Leah zuckte mit den Achseln. "Ich habe keine Ahnung. Aber ich weiß, dass er da sein wird, wenn ich ihn brauche."

"Wenn du ihn brauchst..." Lou starrte anklagend auf den dicken Verband, den der feingewebte Stoff von Emmas Nachthemd nur notdürftig verdeckte.

Aber Leah lächelte nur stumm.

"Tut es noch sehr weh?" Mit einem Mal fühlte sich Lou zu Tode erschöpft, ohne das sie sagen konnte, warum.

"Nein. Lou," Leah richtete sich halb in den weichen Kissen auf, "wo ist Buck?"

"Er ist fortgeritten."

Leah ließ ihren Kopf sinken und schloss die Augen. Mit einem Mal wirkte sie matt und verletzlich.

"Du bist sicher müde", murmelte Lou hastig. Mit einem Mal hatte sie es furchtbar eilig aus Emmas kleinem Schlafzimmer fortzukommen. Als Leah nicht antwortete, erhob sie sich von ihrem Stuhl und ging zu Tür. Im Türrahmen jedoch wandte sie sich noch einmal um. "Buck wird bald zurückkommen."

Leah antwortete nicht, doch Lou bezweifelte keinen Augenblick lang, dass die junge Frau jedes einzelne ihrer Worte gehört hatte.

***

"Es ist schon spät, Mr. Cody." Die junge dunkelhaarige Frau ließ ihren Sonnenschirm durch ihre schlanken, makellosen Finger gleiten. "Sollten sie sich nicht auf den Weg nach Haus machen, bevor es dunkel wird?"

"Aber nicht doch!", Cody schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. "Als Pony-Express-Reiter kenne ich jeden einzelnen Steins dieses Weges. Ein wenig Dunkelheit ist also nichts, was mich aus ihrer bezaubernden Nähe vertreiben könnte, Miss Moyer. Vielmehr frage ich mich, ob sie mir vielleicht die Ehre erweisen würden, einmal mit mir zu Abend zu essen." Ihm war, als färbten sich Allison ebenmäßige Wangen ein wenig dunkler, stellte Cody zufrieden fest.

"Ich soll mit ihnen zu Abend essen, Mr. Cody?" Der kühle Ton, mit dem sie ihn bedachte, strafte das Funkeln ihrer grünen Augen Lügen.

"Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, Miss Moyer."

"Aber ich kenne sie doch kaum."

"Dem können wir leicht Abhilfe schaffen." Voller Vertrauen in sich selbst legte Cody seine Hand auf den schlanken Arm der jungen Frau und lächelte gewinnend. "Wir haben ohne Zweifel mehr gemeinsam als sie ahnen."

"Ist das so, Mr. Cody?"

Erfreut bemerkte er, dass sie ihm ihren Arm trotz der kühlen Worte nicht entzog. "Ganz ohne Zweifel, Miss Moyer."

Sie runzelte ihre perfekte Stirn. "Mr. Cody, ich denke nicht, dass...."

"Cody!"

Ärgerlich für der junge Pony-Express-Reiter herum. Eine Störung war ihm in diesem Augenblick höchst unwillkommen. Als er jedoch Sam Cain über die Straße auf sich zukommen sah, wandte er sich seufzend um. "Marshall?"

"Cody. Miss Moyer", Sam Cain legte grüßend seine Hand an die Hutkrempe.

Allison Moyer nickte höflich. "Marshall Cain, wie schön sie wiederzusehen."

Cody verzog das Gesicht. Er sah, dass Sam sich nur mühsam ein Grinsen verbiss.

"Cody, hat sich auf der Station etwas ergeben? Habt ihr irgendetwas über das Mädchen erfahren? Hat sie vielleicht etwas gesagt, dass mir bei meinen Nachforschungen weiterhelfen könnte?"

"Nein. Tut mir leid, Marshall Cain." Auch wenn das nicht die ganze Wahrheit war, schämte sich Cody nicht wegen dieser kleinen Lüge. Denn schließlich war im Krieg und in der Liebe beinahe alles erlaubt. "Sie hat nichts gesagt."

Enttäuschung machte sich auf Sams sonnenverbranntem Gesicht breit. Doch Cody scherte sich nicht darum. Statt dessen ließ er die zauberhafte Allison Moyer nicht aus den Augen.

"In Ordnung", Sam zuckte mit den Achseln. "Da kann man nichts machen. Aber sag' bitte Teaspoon, dass er mir Nachricht schicken soll, sobald sich etwas Neues ergibt, ja?"

Cody nickte gedankenverloren.

"Ach, und Cody...."

Der junge Reiter sandte dem Marshall einen bösen Blick zu, der bei ein breites Grinsen hervorrief.

"Grüß Emma von mir!"

"Das mache ich, Marshall."

Aus den Augenwinkeln beobachtete Cody, wie Sam Allison freundlich zunickte und mit einem Augenzwinkern den Weg zurück zu seinem Büro antrat.

"Das Rätsel um unseren geheimnisvollen Gast lässt noch nicht einmal unserem Marshall Ruhe", erklärte Cody hastig, als er Allisons fragend hochgezogene Augenbraue bemerkte, deren perfekter Schwung sich einem Halbmond gleich über ihre hohe Stirn zog. "Nun ja, das ist ja auch wahrlich kein Wunder."

"Sie haben einen Gast auf der Station, Mr. Cody? Aber ich dachte, nur Postreiter leben dort draußen."

"Das ist auch so, Miss Moyer. Doch vor wenigen Tagen erst hat einer unserer Reiter in der Ebene bei Eagle Plains eine schwerverletzte Frau gefunden und zur Station gebracht."

"Eine verletzte Frau?" Allison Augen wurden rund vor Neugier und Erstaunen. "Aber was ist denn mit ihr geschehen?"

"Das erzähle ich ihnen gern ganz genau, Miss Moyer", Cody legte erneut seine Hand auf ihren Arm und lächelte. "Vielleicht jetzt gleich? Bei einem Kaffee?"

Zufrieden beobachtete er, wie Neugier und ihre gute Erziehung in Allisons schmalen, strahlendem Gesicht miteinander rangen.

"Mr. Cody..."

"Also ein Kaffee. In Pierres Restaurant? Wäre ihnen das recht, Miss Moyer? Dann erzähle ich ihnen gerne alles, was ich über diese Geschichte weiß."

Siegesgewiss führte Cody die junge Frau davon. Dabei war er so sehr mit sich und seiner Eroberung beschäftigt, dass er den narbengesichtigen Mann nicht einmal bemerkte, der an einem Pfeiler lehnend jedes ihrer Worte belauscht hatte.

Während die beiden jungen Leute in ein lebhaftes Gespräch vertieft die Straße hinuntergingen, verschwand der Fremde mit großen Schritten hinter dem Mietstall. Nur wenige Minuten später galoppierte er in einer Staubwolke auf einem Apfelschimmel davon, auf die Stadtgrenze zu.

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