Leonel: Vielen Dank, dass du mich auch bei dieser Geschichte so treu begleitest. Im nächsten Kapitel kommen sich Boromir und Gwen etwas näher...
§§§§§§§§
Kapitel 3: Das Festmahl
Später gab es ein üppiges Festmahl und die Gäste aus Rohan staunten, was so alles an Denethors Tafel aufgetragen wurde. Es gab verschiedene Fleischsorten, darunter Wild und Geflügel, und sogar noch Fisch. Als Beilagen konntet man Kartoffeln, Gemüse, Salat, Weiß- und Schwarzbrot auswählen. In Rohan gab es so einen Luxus nicht, auch nicht an Festen . Der Truchseß war an diesem Abend ungewohnt guter Laune, was sogar seine Söhne irgendwie zu irritieren schien.
„Ich habe alle Pferde gekauft, die Herr Werhold dabeihatte", erzählte Denethor zufrieden grinsend und ließ sich seinen Weinkelch von neuem füllen. „Es waren durchwegs edle, starke Tiere. Sogar für euch beide haben ich zwei wunderschöne Hengste gekauft."
Faramir ließ vor Schreck fast seine Gabel fallen. Sein Vater hatte ihm ein neues Pferd gekauft?
Seit einigen Monaten lahmte sein Pferd, doch er hatte sich bisher nicht getraut, seinen Vater um ein neues Pferd zu bitten.
Auch Boromir machte ein ziemlich erstauntes Gesicht.
„Was ist denn?" fragte Denethor fast fröhlich. „Freut ihr euch denn nicht?"
„Das ist wunderbar, Vater", sagte Faramir schließlich leise. „Asfaloth lahmt nämlich seit einiger Zeit. Da kommt mir ein neues Pferd sehr gelegen. Ich danke dir, Vater."
„Dann ist ja jetzt alles in bester Ordnung", meinte Denethor und lud sich geschäftig Weintrauben auf den Teller.
Er wandte sich jetzt an die drei Rohirrim.
„Ihr werdet doch bleiben bis zum Turnier nächste Woche?"
„Natürlich gerne", erwiderte Prinz Théodred erfreut. „Was ist das genau für ein Turnier?"
„Es sind Schauwettkämpfe, die jedes Jahr ein Mal stattfinden", erklärte der Truchseß geduldig. „Es sind hauptsächlich Wettkämpfe, die zu Pferd ausgetragen werden wie das Ringstechen, das Lanzenreiten und die Sauhatz. Der einzige Wettbewerb, der nicht zu Pferde ausgetragen wird, ist das Bogenschießen."
Er blickte dabei Faramir an.
„Ich hoffe, du gewinnst auch diesmal wieder. Als mein Sohn und Hauptmann der Waldläufer bist du dazu verpflichtet."
„Ich werde mein Bestes tun", erwiderte der junge Mann höflich.
Gwen öffnete empört ihren Mund, um etwas zu sagen. Doch ihr Vater, der ihr gegenüber saß, warf ihr einen warnenden Blick zu, und sie blieb ruhig.
Das gibt es doch nicht, dachte sie entsetzt. Er kann doch nicht voraussetzen, dass Faramir diesen Wettbewerb gewinnt. Es kann doch immer mal was schief gehen.
„Ich freue mich schon auf das Turnier", meinte Théodred lächelnd. „Ich würde gerne am Lanzenreiten teilnehmen, wenn das erlaubt ist."
„Wie Ihr wollt", erwiderte Denethor freundlich.
„Gut, dann können wir ja ab morgen zusammen üben", rief Boromir dem Prinzen erfreut zu.
§
Mitten in der Nacht erwachte Gwen und verspürte einen großen Durst. Das gebratene Fleisch war sehr scharf gewürzt gewesen. Seufzend legte sie ihren Mantel um und verließ das Gemach. Sie hoffte, dass sie sich in den Wirrwarr der Gänge irgendwie zurechtfand. Vielleicht war auch noch irgendein Bediensteter unterwegs, den sie zur Not fragen konnte. Doch sie verirrte sich fürchterlich und landete schließlich in dem Flügel, in welchem die Truchseß-Familie hauste. Sie sah, dass ein schwaches Licht hinter einer offen stehenden Tür. Dann hörte sie gedämpfte Stimmen. Vorsichtig trat sie näher: vielleicht konnte man ihr hier weiterhelfen. Plötzlich erkannte sie die Stimmen: es waren Boromir und Faramir. Eigentlich hatte Gwen nicht vor zu lauschen, aber das Gespräch berührte sie. Boromir tröstete seinen jüngeren Bruder, der Angst hatte, im Turnier zu versagen.
„Wenn ich versage, wird mich Vater sofort wieder nach Henneth Annûn zurückschicken, ohne dass ich das Ende der Wettkämpfe miterleben darf und das Fest", sagte Faramir den Tränen nahe.
„Ich werde nicht zulassen, dass er das tut", sagte Boromir aufmunternd. „Sonst weigere ich mich, am Lanzenreiten und Ringstechen teilzunehmen. Aber du wirst sehen: du gewinnst wieder, wie alle Jahre."
„Danke, Boromir", seufzte Faramir ein wenig getröstet. „Ich wüsste nicht, was ich ohne täte."
Boromir tätschelte seine Schulter und wünschte ihm eine gute Nacht.
Gwen huschte jetzt schnell weiter. Sie war beeindruckt, wie liebevoll Boromir seinen Bruder behandelte.
Er ist wirklich ein beachtlicher Mann, dachte sie, vor sich hinlächelnd.
Dann erreichte sie das Ende des Korridors: hier ging es nicht weiter. Verwirrt blieb sie stehen. Wo ging es denn jetzt zur Küche?
„Guten Abend, Herrin!" rief plötzlich jemand fröhlich hinter ihr. Es war Boromir.
„So spät noch unterwegs?"
„Ich habe mich verlaufen", gestand Gwen und wurde rot. „Ich wollte eigentlich zur Küche und um ein Getränk bitten."
Boromir lachte herzlich auf.
„Hier seid Ihr leider total verkehrt. Ihr seid im Südflügel gelandet, wo wir wohnen. Wartet, ich bringe Euch zur Küche."
Er bot ihr seinen starken Arm an und sie hängte freudig ein.
„Wenn das Turnier vorbei ist, werden mein Vater und Prinz Théodred abreisen und ich werde dann zu meiner Tante in den fünften Festungsring ziehen", erklärte Gwen unterwegs.
„Ihr könnt auch gerne hier in der Zitadelle wohnen bleiben", meinte Boromir wohlwollend.
„Ich möchte Euch nicht länger als nötig zur Last fallen", sagte Gwen bescheiden. „Euer Vater wäre sicherlich auch nicht erfreut darüber."
„Ja, leider", seufzte Boromir bedrückt. „Er ist ein edler und gerechter Herrscher, doch leider nicht ohne menschliche Schwächen."
Gwen schwieg dazu: natürlich erwähnte der junge Mann nicht, wie schlecht sein Vater Faramir behandelte. Das durfte er als Sohn einfach nicht sagen, und schon gar nicht ihr, einer Fremden.
§
In den nächsten Tagen trainierten die Männer eifrig für das Turnier. Unten, vor der Stadt gab es eine große Wiese, auf der dann auch das Turnier ausgetragen wurde. Gwen ritt jeden Tag hinab zur Festwiese und sah dabei interessiert zu. Sie hatte vor allem Augen für Boromir, der am verbissensten von allen Rittern übte. Er hörte nicht eher auf, bis er jedes Mal beim ersten Versuch alle Strohringe auf seine Lanze aufspießen konnte. Faramir sah im ebenfalls dabei begeistert zu und feuerte ihn fleißig an.
Gwen trat zu ihm:
„Ihr nehmt nicht am Ringstechen teil, Herr Faramir?"
„Nein", erwiderte Faramir lächelnd. „Ich nehme nicht an den gleichen Wettbewerben wie mein Bruder teil. Das möchte unser Vater nicht. Mir genügt es, wenn ich beim Bogenschießen und bei der Sauhatz mitmachen darf."
Boromir kam grinsend auf die Beiden zugeritten. Er glitt von seinem Pferd und wischte sich den Schweiß von der Stirn und fegte die feuchten, blonden Strähnen beseite.
„Na, wie war ich?" fragte er Faramir überflüssigerweise.
Dieser grinste nur.
„Wie immer, der Beste von allen."
Jetzt lächelte Boromir Gwen an.
„Und was meint Ihr, Herrin aus der Riddermark?"
„Ich bin mir sicher, dass Ihr gewinnen werdet, Herr Boromir", sagte Gwen begeistert und lächelte Boromir ebenfalls an.
Faramir schmunzelte und beschloß, die Beiden alleine zu lassen.
„Ich gehe mal zu meinem neuen Pferd", sagte er zu ihnen.
Boromir sah Faramir bedauernd nach. Er wusste jetzt nicht, was er mit Gwen sprechen sollte. Er hatte noch nie einer Dame so richtig den Hof gemacht. Faramir war da etwas geübter. Er wusste genau, was junge Frauen hören wollten. Er war eben weitaus romantischer veranlagt als der ungestüme Recke Boromir.
„Ich würde mich freuen, wenn Ihr mit mir heute abend im Garten spazieren geht", brachte er schließlich mühsam hervor und errötete ein wenig dabei.
Gwen blickte ihn belustigt an. Ihr gefiel dieses etwas tollpatschige Werben.
„Gerne, Herr Boromir", sagte sie schließlich.
Dieser atmete sichtlich auf und grinste breit.
§
Es war ein lauer Abend in Minas Tirith, als Boromir und Gwen den Garten betraten, der hinter der Zitadelle lag.
„Es ist gar nicht kühl, obwohl die Sonne schon untergegangen ist", meinte Gwen erstaunt.
„In Rohan ist es abends bedeutend frischer, nehme ich an", erwiderte Boromir lächelnd.
Gwen fuhr mit der Hand durch die Blätter eines Apfelbaumes.
„Hier sind die Äpfel bald reif, doch in Rohan wird es noch lange dauern", fuhr sie nachdenklich fort.
„Gefällt es Euch hier in Gondor?" fragte Boromir leise und ergriff vorsichtig ihre Hand.
„Zuerst dachte ich, es würde mir niemals hier gefallen, aber jetzt fühle ich mich ganz wohl", sagte sie zu ihm und sah ihn zärtlich an.
Die beiden jungen Leute setzten sich auf eine Bank. Boromir rückte vorsichtig näher an sie heran. Er merkte, wie sie seine Nähe genoß. Er nahm wieder ihre Hand in die Seine und Gwen wagte es, den Kopf an seine Schulter zu lehnen. So saßen lange nebeneinander, bis die Sterne hervortraten und es deutlich kühler wurde.
