Lady: Boromir will unbedingt diesen Feldzug so rasch wie möglich hinter sich bringen wegen Gwen. Deswegen will er auch nicht einsehen, dass Faramir recht hat.
Leonel: Diese Javaleth steht als Synonym für die Adelsschicht in Gondor, die auf die sogenannten Pferdeherren aus Rohan verächtlich hinabblickt. Was mit Faramir geschieht, wird im nächsten Kapitel beschrieben.
Enessa: Schön, dass sich noch eine neue Leserin gefunden hat. Ich wollte endlich mal eine Story schreiben, in der Boromir sich mal verliebt. Ich denke, dass auch dieser Mann sehr romantische Seiten hat. Faramir hat in meinen Stories öfters mal Probleme mit temperamentvollen Pferden. Als Waldläufer ist er ja meistens zu Fuß unterwegs und weniger zu Pferd. Es ist schon ärgerlich, dass Boromir seine Warnung in den Wind schlägt...
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Kapitel 8: Schreckliche Gewissheit
Ancir - so hieß der Heiler von Pelargir - wurde höchstpersönlich von Boromir beauftragt, sich um Faramir zu kümmern. Ancir war fast ebenso berühmt wie Ioreth, die Heilerin von Minas Tirith. Er war ein alter, erfahrener Heiler, der schon viele Todgeweihte gerettet hatte. Mit besorgter Miene untersuchte er Faramir: er wusste natürlich, um wen es sich hier handelte, und er wollte alles versuchen, was in seinen Mitteln stand, um den jungen Fürsten wieder gesund zu machen. Boromir sah traurig zu, wie Ancir Faramirs Kopf genau betrachtete.
„Ich fürchte, er hat einen Schädelbruch erlitten", erklärte der Heiler schließlich.
Boromir fuhr sich hilflos durch das blonde Haar.
„Und, und was bedeutet das?" stammelte er mit heiserer Stimme.
„Seine Überlebenschancen sind gering", fuhr Ancir ernst fort. „Es ist möglich, dass er nie wieder erwacht. Er kann noch einige Tage in diesem Zustand dahindämmern, dann wird sein Herz versagen."
„Das ist unmöglich", widersprach Boromir kopfschüttelnd. „Faramir ist zäh. Er wird das irgendwie durchstehen. Ich weiß das."
„Ich will Euch nicht zuviel Hoffnungen machen, mein Herr", sagte Ancir bedrückt. „Aber es gibt eine kleine Chance, dass er überlebt."
Boromir wich keine Sekunde von der Seite seines Bruders. Er hielt die ganze Zeit seine Hand und redete beruhigend auf ihn ein, in der Hoffnung, Faramir würde es hören. Er war unendlich zerknirscht darüber, dass er auf seinen Bruder nicht gehört hatte. Die ganze Zeit über quälte er sich mit Selbstvorwürfen. Er wusste nicht, was er machen würde, wenn Faramir sterben würde. Seine Gedanken an Gwen waren in weite Ferne gerückt.
Am Morgen des zweiten Tages geschah das Wunder: Faramir erwachte aus dem Koma. Boromir war am Bett eingeschlafen, die Hand seines Bruders auch im Schlaf festhaltend.
„Boromir?" fragte der junge Mann leise.
Sofort erwachte der Angeredete. Die Freudentränen traten ihm in die Augen.
„Faramir, du bist wieder ins Leben zurückgekehrt. Den Valar sei Dank!"
Faramir lächelte schwach.
„Mein Kopf tut immer noch weh", murmelte er. „Warum ist es eigentlich so dunkel hier? Kannst du bitte eine Kerze anzünden?"
Boromir erschrak, als er das hörte: es war nämlich helllichter Tag und die Sonne schien zum Fenster herein.
„Aber Faramir, die Sonne scheint", krächzte er tonlos.
„Ich kann nichts sehen", sagte Faramir entsetzt.
Er begann sich vorsichtig im Bett aufzusetzen. Boromir rief sofort nach Ancir, dem Heiler.
Dieser untersuchte Faramir sofort. Dann gab er dem Kranken ein beruhigendes Getränk und wartete, bis dieser wieder eingeschlafen war. Boromir wartete derweil ungeduldig vor der Kammer. Endlich kam Ancir wieder heraus. Seine Miene war sehr ernst.
„Euer Bruder wird am Leben bleiben, Herr Boromir", erklärte er leise. „Aber er ist blind."
Boromir schloß entsetzt die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein!
„Und...wird er blind bleiben?" fragte er fassungslos.
„Das wissen nur die Valar", seufzte Ancir traurig und ließ den Kopf hängen.
§
Zwei Wochen später konnte Faramir die Häuser der Heilung verlassen. Boromir wollte ihn nach Hause bringen. Noch wusste Denethor nichts vom Unglück seines jüngsten Sohnes. Auch Faramir wollte heim. Er trug sein Schicksal mit Fassung. Wieder saß er auf Gildan, dem temperamentvollen Schimmel. Eigentlich hatte Boromir das Tier in seiner Wut töten lassen wollen, aber Faramir hatte darum gebeten, Gildan am Leben zu lassen. Er liebte dieses Pferd inzwischen und er gab ihm keine Schuld an seinem schrecklichen Unfall.
„Es waren die Haradrim, die Gildan erschreckten", beteuerte Faramir.
„Nein, kleiner Bruder", murmelte Boromir betroffen. „Es ist meine Schuld. Ich hätte auf dich hören sollen. Du bist eben doch der Klügere von uns beiden. Mein falscher Stolz und meine Sturheit sind schuld an deinem Schicksal."
Faramir streckte tröstend die Hand nach Boromir aus und dieser ergriff sie. In diesem Moment war Boromir froh darüber, dass sein Bruder seine Tränen nicht sehen konnte.
§
Gwen erging es derweil auch nicht gut. Javaleth hatte begonnen, sie nach Strich und Faden zu schikanieren. In den ersten Tagen hatte sie sich noch Mühe mit Gwen gegeben, und ihre einige Tisch- und Hofsitten beigebracht. Doch dannach hatte Javaleth keine Lust mehr gehabt und sie ließ Gwen niedere Arbeiten in der Zitadelle verrichten, wie zum Beispiel die Nachttöpfe ausleeren und säubern. Für Gwen war das alles sehr schrecklich: solch niederen Arbeiten hatte sie noch nie in ihrem Leben verrichten müssen.
„Ich wette, Ihr habt in Rohan gar keine Nachttöpfe, sondern entleert Euch in der Wildnis hinter Büschen und Sträuchern!" spottete Javaleth gehässig. „Es ist also ganz gut, wenn du lernst, wie man einen Nachttopf verwendet."
Sie stand mit verschränkten Armen dabei, während Gwen den Nachttopf von Denethors Kammerjunker unter dem Bett hervorzog. Weil es Javaleth zu langsam ging, stieß sie Gwen mit der Fußspitze ins Kreuz. Das war zuviel für die temperamentvolle junge Frau aus Rohan. Impulsiv drehte sie sich mit dem Nachttopf um und schüttete Javaleth den Inhalt ins Gesicht. Die Edeldame kreischte entsetzt auf. Gwen sah sie mit einem haßerfüllten Grinsen an.
„Oh, was für ein Unglück, ich bin gestrauchelt", sagte sie mit einem falschen Bedauern.
„Das hast du extra gemacht, du Unglückselige!" schrie Javaleth wie von Sinnen und tastete nach einem sauberen Tuch.
Denethor, der zufällig draußen auf dem Korridor vorbeiging, hörte das Geschrei. Er sah durch die offene Tür hinein und entdeckte die schreiende Javaleth und Gwen.
„Was ist hier los?" fragte er streng.
„Dieses Pferdeweib hat mir den Nachttopf ins Gesicht geschüttet!" beschwerte sich Javaleth, während sie sich das Gesicht und die Kleidung abtupfte.
Denethor unterdrückte ein Schmunzeln, denn er mochte Javaleth auch nicht besonders gerne. Aber sie war nun mal eine Frau von hohem Rang in Gondor und was Gwen getan hatte, war unverzeihlich. Außerdem bekam er so eine günstige Gelegenheit, Boromirs Liebschaft endlich außer Landes zu schicken.
„Was fällt Euch ein!" herrschte der Truchseß Gwen an. „Ihr habt somit die Gastfreundschaft Gondors verwirkt. Ich will, dass Ihr auf der Stelle heimreist nach Rohan – in Eueren Pferdestall!"
Gwen sah Denethor mit blitzenden Augen an.
„Tut, was Ihr nicht lassen könnt, Fürst Denethor! Aber Boromir liebt mich und er wird mir nach Rohan folgen."
„Boromir wird nichts dergleichen tun!" donnerte der Truchseß erbost. „Hier in Gondor geschieht immer noch mein Wille, und nicht seiner!"
„Wir werden sehen!" fügte Gwen dreist hinzu und verließ rasch das Gemach des Kammerjunkers.
§
Denethor ging schlechtgelaunt in den Thronsaal zurück. Dort erwartete ihn ein Eilbote aus Pelargir.
„Gibt es was neues von der Front?" fragte er verdrießlich.
„Ich bringe schlechte Kunde, mein Herr", sagte der Bote ernst. „Einem Euerer Söhne ist etwas zugestoßen."
Denethor wurde blaß und sprang auf.
„Was? Sprich!"
„Der junge Herr Faramir verunglückte mit seinem Pferd während eines Überraschungsangriffes der Haradrim."
„Das hätte ich mir fast denken können", knurrte Denethor leise vor sich hin.
„Er hat schwere Kopfverletzungen erlitten und lag einige Tage bewusstlos in den Häusern der Heilung von Pelargir", fuhr der Bote fort.
„Wie geht es ihm jetzt?" fragte der Truchseß nervös.
„Mein Herr", sagte der Bote und stockte plötzlich.
Denethor spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Was war mit Faramir?
„Sprich weiter!" forderte er mit heiserer Stimme. „Ich muß wissen, was mit meinem Sohn ist."
„Herr Faramir ist erblindet", sagte der Bote und senkte traurig den Kopf.
„Das...das ist doch nicht möglich", stammelte der Truchseß entsetzt und taumelte rückwärts.
Dabei stolperte er über seine lange Robe und fiel auf den Rücken. Der Bote half ihm rasch wieder auf die Beine. Denethor entließ ihn schließlich. Als er alleine war, brach er in Tränen aus. Er weinte um den Sohn, um den er noch niemals Tränen vergossen hatte.
