Tanja: Danke für deine guten Wünsche! Ich hoffe, dass mir meine blühende Phantasie auch weiterhin hold bleibt.
Lady: Das ist typisch für Denethor, dass erst was schlimmes passieren muß, bevor er seine Liebe zu Faramir entdeckt.
Leonel: Boromir ist schwer beschäftigt. Immerhin kann er sich durchringen, einen Brief an Gwen zu schreiben. Ob Denethor tatsächlich so nervlich fertig ist, wie er momentan tu, wird sich im nächsten Kapitel zeigen...
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Kapitel 10: Denethors List
Irolas begab sich mit der Pergamentolle Boromirs in der Tasche zu den Stallungen. Er gehörte zu den besten und schnellsten Reitern Gondors. Denethor fing ihn im Hof vor den Stallungen ab.
„Gebt mir die Pergamentrolle, die Ihr in der Tasche habt!" befahl der Truchseß streng.
Der junge Soldat zögerte.
„Aber Herr Denethor, Euer Sohn hat es mir befohlen,..." begann er schüchtern.
„Wer ist hier der Truchseß – Boromir oder ich?" bellte Denethor ungehalten.
Langsam öffnete Irolas seine Tasche und gab Denethor die Rolle.
„Ich habe für Euch einen anderen Befehl", erklärte der Truchseß finster. „Reitet hinauf in den Norden, nach Eriador, und sucht nach Mithrandir, dem Grauen Pilger. Vielleicht kann er etwas für Faramir tun."
Irolas nickte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Denethors Befehl auszuführen. Er musste auf der Stelle losreiten, damit Boromir nichts mitbekam von dem geänderten Befehl. Denethor jedoch verbarg die Schriftrolle unter seinem Umhang.
Dann suchte er Faramir auf, der sich in den Archiven der Stadt befand. Ganz unten in der uralten Bibliothek Gondors fand er seinen Sohn. Er ließ sich gerade von einem jungen Mann aus den alten Schriften vorlesen. Denethor blickte Faramir traurig an. Dieser lauschte gerade hingerissen einer Geschichte über die Altvorderen-Könige.
„Wie geht es dir heute, mein Sohn?" fragte er bedrückt.
Faramir lächelte.
„Danke, Vater. Ich fühle mich wie immer."
„Kannst du schon irgendetwas sehen, einen Lichtschimmer oder so etwas?" wollte Denethor wissen.
Faramir schüttelte traurig den Kopf.
„Es ist immer gleich dunkel vor meinen Augen", murmelte er.
Denethor legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Ich habe nach Mithrandir geschickt. Ich hoffe, dass dir vielleicht der alte Zauberer helfen kann."
„Ich weiß es nicht", erwiderte Faramir leise. „Auf jeden Fall freue ich mich, wenn Gandalf zu Besuch kommt. Das ist etwas Abwechslung."
Denethor lächelte säuerlich. Er konnte seine Eifersucht auf Gandalf kaum verbergen. Faramir hatte schon immer die Nähe des alten Zauberers gesucht. Dass es an seinem bisher ablehnenden Verhalten gegenüber Faramir gelegen hatte, darauf kam der Truchseß nicht.
Denethor ging wieder nach oben in seine eigenen Privaträume. Dort verbrannte er erst einmal die Schriftrolle im lodernden Kaminfeuer. Zufrieden sah er zu, wie sich das Pergament allmählich schwarz verfärbte und dann zu Asche zusammenfiel.
§
Viele Wochen vergingen. Während Boromir sehnsüchtig auf die Rückkehr von Irolas wartete und auf eine Antwort von Gwen hoffte, wurde diese immer unruhiger in Edoras. Als Bedienstete von Éowyn durfte sie in Meduseld bei der königlichen Familie mitwohnen. Bedrückt suchte sie ihre Herrin auf, Frau Éowyn, die Königsnichte, die sich gerade vergeblich an einer Näharbeit versuchte.
„Wartest du immer noch darauf, dass dieser Sohn des Truchsessen zu dir kommt?" fragte Éowyn und ließ seufzend die Näharbeit sinken.
„Boromir liebt mich und er wird mich nicht im Stich lassen", erklärte Gwen stolz. „Er hat es mir versprochen."
„Ich würde keinem Gondorianer mehr trauen", erwiderte Éowyn kopfschüttelnd. „Sie sind wohl alle so wie Javaleth und der Truchseß selbst. Sie verachten uns."
„Boromir ist anders, und auch sein Bruder Faramir", erzählte Gwen eifrig. „Fragt Eueren Vetter Theodred. Er ist mit den Beiden gut befreundet."
„Du bist schwanger", meinte Éowyn besorgt. „Wenn du nicht bald jemanden heiratest, wirst du Schande über dich und deinem Vater bringen. Ich weiß, dass Hauptmann Erkhold dich um jeden Preis heiraten will."
Gwen traten die Tränen in die Augen und sie strich über ihren Bauch, der sich inzwischen merklich wölbte.
„Es ist Boromirs Kind, das ich in mir trage", sagte sie leise. „Ich möchte, dass er mich heiratet. Am liebsten würde ich nach Gondor zurückkehren und es ihm sagen."
„Nein, das tust du nicht!" erwiderte Éowyn entsetzt. „Vergiß nicht deinen Stolz, Gwen. Ich möchte dir eine weitere Demütigung in Minas Tirith ersparen. Womöglich beabsichtigt Boromir tatsächlich nicht, dich zu ehelichen. Denke an das Kind, Gwen. Vielleicht wäre ihm Erkhold ein besserer Vater als Boromir."
Gwen blickte Éowyn wortlos an und die Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie wusste, dass ihre Herrin recht hatte. Doch noch wollte sie warten.
§
Denethor war längst nicht so nachlässig, wie es Boromir vorkam. Er zog schon seit einiger Zeit wieder die Fäden im Hintergrund, ohne dass es sein Sohn mitbekam. Vor Boromir jedoch spielte er den alten, gebrochenen Mann, der teilnahmslos in seinen Privaträumen saß und Faramirs Schicksal bejammerte. Die Räte übten derweil immer mehr Druck auf Boromir aus. Sie forderten eine Beratung mit dem Truchseß wegen der Gefahr, die aus Mordor drohte.
„Vater, du musst unbedingt endlich wieder eine Ratsversammlung einberufen", mahnte der junge Mann eindringlich, als er Denethor in seinem Kaminzimmer antraf.
Dieser saß in einem hohen Lehnstuhl und stierte mit einem Weinkelch in der Hand in das lodernde Feuer.
„Ich muß gar nichts", murmelte dieser tonlos. „Ich fühle, dass meine Kräfte dahinschwinden. Warum wurde unsere Familie so grausam von den Valar gestraft? Erst stirbt euere Mutter, und dann geschieht dieses entsetzliche Unglück mit Faramir. Halte du die Ratsversammlung ab, mein Sohn. Die Räte werden es verstehen."
Boromir seufzte.
„Ich weiß nicht, ob diese älteren, erfahreren Männer ihr Vertrauen in mich setzen werden. Ich bin nicht der Truchseß."
„Noch nicht", ergänzte Denethor ernst. „Aber du wirst einmal mein Nachfolger sein. Und schon heute bist du der größte Krieger, den Gondor je gesehen hat. Sie werden alle zu dir ehrfürchtig aufschauen."
Boromir seufzte erneut.
„Wie du wünscht, Vater", murmelte er schließlich und verließ das Zimmer.
Kaum war Boromir weg, erhob sich Denethor lächelnd aus dem Lehnstuhl und stellte den Kelch auf einem Tisch ab.
„Warum soll ich mir das lästige Gerede der Ratsherren anhören, wenn es einen anderen gibt, der das für mich tun kann?" sprach er amüsiert zu sich selbst.
Boromir suchte derweil seinen Bruder auf. Dieser saß in den Gärten und spielte eine traurige Weise auf seiner Harfe. Als er Boromir kommen hörte, legte er seine Harfe rasch nieder.
„Schon an deinem festen Schritt höre ich, dass du es bist, Bruder", meinte Faramir lächelnd.
Boromir war jedoch nicht nach einem Lächeln zumute. Er ging bedrückt neben seinem Bruder in die Hocke.
„Du scheinst mir traurig zu sein, wenn ich mich nicht täusche", fuhr Faramir nachdenklich fort.
„Manchmal denke ich, du bist gar nicht blind", murmelte Boromir erstaunt.
„Vergiß nicht, dass ich in die Herzen der Menschen schauen kann", erwiderte Faramir amüsiert.
„Tatsächlich: das kann man auch ohne Augen", sagte Boromir herzlich lachend.
„Also, was gibt es für Probleme?" fragte der jüngere Mann ernst.
„Ich soll in Vaters Namen die Ratsversammlung einberufen. Ich habe jedoch Bedenken, dass die Räte auf mich hören werden. Ich wäre sehr froh, wenn du mitkommen würdest und mir mit Rat und Tat beistehen würdest."
„Wie kann ich dir schon helfen", sagte Faramir verbittert. „Ich bin doch nur noch ein Krüppel."
Boromir nahm jetzt seine Hände in die seinen.
„Du weißt in so manchen Dingen besser Bescheid als ich. Und dazu braucht man keine Augen."
Faramir überlegte kurz, doch dann nickte er.
„Gut, ich komme mit."
Zwei Stunden später begann die Ratsversammlung im Thronsaal, die Boromir einberufen hatte. Als dieser zusammen mit seinem blinden Bruder erschien, gab es nicht Wenige, welche die Stirn in Falten legten. Faramir konnte es nicht sehen, doch er hörte so manch ungläubiges Gemurmel. Er presste die Lippen zusammen und tastete sich zu dem Stuhl, der für ihn gedacht war.
Boromir ging zu dem Platz, auf dem sein Vater sonst saß – dem Truchsessstuhl. Doch Boromir mochte sich auf den Stuhl nicht setzen und blieb daher stehen. Er räusperte sich kurz.
„Nun, ich habe diesen Rat einberufen, da Gondor in großer Gefahr schwebt. Die schwarzen Heere Mordors beginnen allmählich in dieses Land einzufallen."
Die Räte murmelten beifällig.
„Wir müssen Truppen nach Ithilien schicken, welche die Orks und Südländer zurückdrängen", fuhr Boromir sicherer fort.
„Die Waldläufer brauchen einen neuen Hauptmann", meldete sich jetzt Devorin zu Wort.
Alle blickten wie gebannt auf Faramir, der bisher noch nichts gesagt hatte.
„Madril soll der neue Hauptmann der Waldläufer werden", erklärte Faramir gefasst. „Er hat die meiste Erfahrung von allen."
„Wer von Euch ist dafür?" fragte jetzt Boromir aufgeregt in die Runde.
Fast alle meldeten sich.
„Das war ein weiser Vorschlag, Herr Faramir", meinte Devorin anerkennend.
Einige Räte klatschten sogar. Faramir lächelte leicht. Er spürte, wie ihm Boromir die Hand auf die Schulter legte.
Die Versammlung dauerte noch einige Stunden und einige Male noch konnte der blinde Truchseß-Sohn kluge Ratschläge vorbringen.
„Ich bin froh, dass du dabei warst", meinte Boromir aufatmend zu seinem Bruder, als es vorbei war.
„So bin ich doch noch zu etwas nütze", erwiderte Faramir ein wenig stolz.
Die beiden Brüder verließen den Thronsaal, um ihrem Vater von der Versammlung zu berichten.
