Lady: Mit Gwen geht es im nächsten Kapitel auch weiter. Ich glaube, Denethor würde Thorongil auch nicht in die Stadt lassen, wenn Boromir in diesem Zustand wäre.
Meleth: Genau, Aragorn alias Thorongil besitzt diese Hände. Danke noch mal für die Osterwünsche!
Leonel: Nee, Denethor hat viel zu sehr Angst um seine Regentschaft. Das ist ihm wichtiger als seine beiden Söhne.
Tanja: Ups, vor dem letzten Kapitel habe ich dich versehentlich als Gwen betitelt. Mit Gwen geht es jetzt auch weiter...
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Kapitel 13: Thorongil und ein unverhofftes Wiedersehen
Gwen spürte, wie sie sanft vom Boden hochgehoben wurde, und ihr Kopf auf eine Decke gebettet wurde. Sie öffnete langsam ihre Augen und blickte in die stahlblauen Augen eines dunkelhaarigen Fremden.
„Geht es Euch besser, meine Dame?" fragte er vorsichtig.
„Mein Kind - ich habe Angst, dass ich es verliere", murmelte sie schwach.
„Ich gebe Euch etwas gegen die Schmerzen", sagte der Fremde und ging zu seinem Pferd.
Gwen sah ihm ihn nach. Woher kam dieser Mann? Der Kleidung nach kam er weder aus Rohan noch aus Gondor. Er war jedoch dunkelhaarig wie viele Gondorianer. Als er wieder zurückkam, musterte Gwen sein Gesicht. Es war gutgeschnitten und wirkte jedoch schmal, fast asketisch. Ein dunkler Bart umrahmte sein Gesicht. Er reichte Gwen jetzt einige getrocknete Kräuter.
„Wenn Ihr sie zerkaut, dann wird es Euere Schmerzen lindern", versprach er.
Gwen nahm sie etwas widerwillig in den Mund und kaute darauf herum. Schon bald merkte sie, dass ihre Schmerzen tatsächlich fast verschwanden. Langsam rappelte sie sich hoch.
„Wo ist mein Pferd?" fragte sie leise.
„Euer Pferd weidet da vorne bei meinem Hengst", erwiderte der dunkelhaarige Mann freundlich. „Aber reiten würde ich an Euerer Stelle nicht mehr."
„Wie soll ich dann nach Minas Tirith kommen?" fragte Gwen erschrocken.
„Keine Bange, meine Dame", sagte er beruhigend. „Auch mein Weg führt nach Minas Tirith. Wir befinden uns hier auf der breiten Weststraße, auf der für gewöhnlich viele Händler ziehen. Es wird Mittel und Wege geben, Euch behutsam in die Weiße Stadt zu schaffen."
„Ich danke Euch, mein Herr", sagte Gwen erfreut. „Wie ist eigentlich Euer Name? Ich bin Gwen, die Tochter von Ritter Werhold aus Rohan."
Der Fremde lächelte erneut:
„Angenehm, Euere Bekanntschaft zu machen, Frau Gwen. Man nennt mich Streicher."
„Streicher? Ein sehr ungewöhnlicher Name", meinte Gwen erstaunt.
„Ich habe viele Namen", fuhr Streicher geheimnisvoll fort. „Wenn es Euch besser gefällt, dann könnt Ihr mich auch Thorongil nennen."
„Dieser Name gefällt mir wahrhaft besser!" rief Gwen lächelnd aus.
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Einen Abend später kam der Falke zu Gandalf zurückgeflogen. Sofort suchte der Zauberer Boromir auf.
„Es ist soweit, mein Freund. Thorongil befindet sich vor dem Tor der Stadt. Mache deinen Bruder bereit und bringe ihn dann hinab in den ersten Festungsring."
Boromir nickte. Im ersten Festungsring hatten er und Gandalf heimlich ein leerstehendes Haus angemietet. Dort wollten sie Faramir und Thorongil zusammenbringen. Während sich Gandalf auf den Weg zu Thorongil machte, suchte Boromir seinen Bruder auf. Dieser saß bereits in seinem Nachtgewand auf dem Bett.
„Boromir, was ist los?" fragte Faramir, der die Nervosität seines Bruders spürte.
„Ich bringe dich zu jemanden, der dich vielleicht heilen kann", sagte Boromir aufgeregt. „Gandalf und ich haben unten im ersten Festungsring ein Häuschen angemietet. Dorthin kommt ein guter Freund von Gandalf, der allerdings ein Dorn in den Augen unseres Vaters zu sein scheint. Deswegen auch diese Heimlichtuerei."
Jetzt war es auch mit Faramirs Ruhe vorbei. Er erhob sich vom Bett.
„Bitte hilf mir, mich anzukleiden", murmelte er hastig und tastete nach seiner Kleidung.
Boromir half ihm rasch. Dann verließen sie auf leisen Sohlen das Zimmer. Ausgerechnet jetzt begegnete ihnen Denethor. Entsetzt schloß Boromir kurz die Augen: was sollte er denn seinem Vater nun für eine Ausrede erzählen?
„Wo wollt Ihr beide denn so spät abends noch hin?" fragte der Truchseß neugierig.
„Boromir will mit mir in eine Taverne gehen, damit ich etwas Abwechslung habe", erwiderte Faramir mit fester Stimme.
„Dann pass gut auf deinen Bruder auf, Boromir", mahnte der Truchseß lächelnd.
„Jawohl, mein Herr", erwiderte Boromir, dem ein Stein vom Herzen fiel.
Der Truchseß ging wieder in seine Privaträume.
„Du bist ein Schatz!" flüsterte Boromir seinem Bruder zu. Dieser musste lächeln.
Rasch verließen die beiden die Zitadelle und gingen zu den Stallungen. Boromir sattelte sein Pferd und hob Faramir zu sich hinauf. So ging es schneller. Dann sprengten sie rasch durch die einzelnen Festungsringe der Stadt, bis den untersten erreichten.
§
Gandalf war vor die Stadt geritten. Dort sah er eine kleine Händlerkarawane aus Anorien nahen. Thorongil winkte ihm bereits von weitem zu. Gandalf ritt ihm jetzt entgegen.
„Sei gegrüßt, Aragorn!" begrüßte der Zauberer seinen Freund. „Ich bin froh, dass du so schnell gekommen bist."
Aragorn erwiderte seinen Gruß, doch er wirkte etwas beunruhigt.
„Gandalf, du weißt, dass ich in der Weißen Stadt kein gerngesehener Gast bin. Ich befürchte, dass der Truchseß mich hier nicht dulden würde."
Gandalf sah ihn bedrückt an.
„Ich weiß das, mein Freund. Trotzdem ist es mir ein großes Anliegen, dass du dir den Sohn des Truchsessen ansiehst. Er ist durch einen Unfall erblindet. Aber ich bin mir sicher, dass du ihm helfen könntest."
Aragorn lächelte matt.
„Du musst große Sympathien für diesen jungen Mann empfinden, wenn du mich hierherbestellst. Ich hatte mit Truchseß-Söhnen bisher keine gute Erfahrung gemacht. Du weißt, von wem ich spreche."
„Faramir ist anders als sein Vater", erklärte Gandalf gefasst. „Er besitzt Eigenschaften, die sein Vater niemals hatte. Genau wie dieser besitzt der junge Mann die Gabe, in die Herzen der Menschen zu sehen. Denethor ist oft erzürnt von dem, was er sieht, doch Faramir hat Erbarmen mit den Menschen."
„Von Faramir sprichst du also", meinte Aragorn schief lächelnd. „Ich habe hier eine junge Dame aus Rohan bei mir, die behauptet, Boromir zu kennen."
Gwen hatte inzwischen den Wagen verlassen, auf dem sie gesessen hatte. Sie holte ihr Pferd und ging langsam zu Thorongil und dem Zauberer hin. Sie war immer noch sehr blaß und wirkte erschöpft.
Aragorn hatte inzwischen Gandalf erzählt, was mit Gwen los war. Während ihrer Reise hatte Gwen sich ihm anvertraut und ihre ganze Geschichte erzählt.
Gandalf überlegte kurz.
„Nun, da Frau Gwen auch kein gerngesehener Gast in dieser Stadt zu sein scheint, nehmen wir sie mit in das Haus im untersten Ring."
§
Boromir und Faramir hatten das Haus endlich erreicht. Vorsichtig ließ Boromir seinen Bruder absitzen und band das Pferd an einem Pfosten an. Dann betraten die beiden Brüder das leerstehende Haus. Faramir spürte, dass noch niemand da war. Enttäuscht ließ er sich auf einem Stuhl nieder.
„Bist du sicher, dass dieser Mann überhaupt kommt?" fragte er seinen Bruder leise.
„Gandalf hat es mir versprochen", brummte Boromir missmutig vor sich hin und kratzte sich an seinem Kinnbart.
Kurz darauf ging die Tür auf und Gandalf trat zusammen mit Aragorn und Gwen ein. Als Boromir Gwen sah, war er wie erschlagen.
„Das gibt es doch ... nicht", stammelte er ungläubig.
Gwen fiel ihm weinend in die Arme. Boromir küsste und herzte sie.
„Es tut mir so leid, Liebste, aber mein Vater hat den Brief abgefangen, den ich dir senden wollte. Ich erfuhr es leider zu spät."
„Boromir, ich erwarte ein Kind von dir", sagte Gwen unter Tränen.
Boromir konnte es nicht fassen, als er das hörte.
„Ich werde Vater!" murmelte er kopfschüttelnd.
Faramir hatte alles mitgehört und lächelte.
„Das ist ja wunderschön. Jetzt muß Vater Euerer Heirat einfach zustimmen."
Gandalf und Aragorn hatten der Szene schmunzelnd zugesehen. Doch nun war es Zeit, sich um Faramir zu kümmern.
Gandalf und Aragorn führten Faramir zu einer Lagerstatt, damit er sich dort hinlegen konnte. Aragorn sah in die blicklosen, blauen Augen des jungen Mannes und seufzte leise. Er hatte keine Ahnung, ob er die Erwartungen, die Gandalf in ihm setzte, auch erfüllen konnte. Er hieß Gandalf, kochendes Wasser herbeizuschaffen.
Der Zauberer entzündete rasch ein Feuer im Kamin und dank eines magischen Tricks gab es sehr schnell kochendes Wasser. Aragorn grinste ein wenig, als er das sah und warf Athelas-Blätter in den Topf. Sofort zog ein würziger Duft durch das Zimmer. Auch Boromir und Gwen spürten, dass sie plötzlich besser atmen konnten und sie sahen sich lächelnd an. Faramir merkte ebenfalls, dass etwas geschehen war. Er roch den Duft des Athelas und schloß die Augen.
Aragorn machte einen Lappen feucht mit dem Sud und legte ihn Faramir auf die geschlossenen Augenlider. Dann legte er seine rechte Hand auf Faramirs Stirn.
„Er hatte eine schlimme Kopfverletzung erlitten", murmelte Aragorn. „Ich spüre, dass ein winziger Knochensplitter sich noch in seinem Kopf befindet. Und zwar an der Stelle, die für das Sehen wichtig ist."
Er presste erneut fest seine Hand auf Faramirs Stirn. Plötzlich stöhnte dieser laut auf und wurde bewusstlos. Boromir sprang besorgt auf. Doch Gandalf bedeutete ihm, ruhig zu bleiben.
Dann sahen alle, wie eine blutige Tränen aus Faramirs rechtem Auge rann.
„Was geschieht mit meinem Bruder?" zischte Boromir jetzt Aragorn zu.
Dieser fing das Blut seelenruhig mit dem Lappen auf und zeigte ihm Boromir.
„Seht Ihr den winzigen Knochensplitter hier? Er hat verhindert, dass Euer Bruder sehen konnte."
Faramir regte sich jetzt langsam und begann seine Augen aufzuschlagen. Plötzlich lächelte er.
„Bei den Valar! Ich kann wieder sehen!"
Rasch setzte er sich auf und blickte alle an, die im Raum waren.
„Ich kann euch alle sehen", wiederholte er strahlend.
Boromir fiel lachend und weinend zugleich um seinen Hals. Faramir wandte sich an seinen Retter.
„Wie soll ich Euch jemals dafür danken, Fremder?"
„Schon gut", winkte Aragorn lächelnd ab. „Ich bin froh, dass ich Euch helfen konnte. Allerdings muß ich jetzt auf dem schnellsten Wege diese Stadt verlassen. Ich bin kein gerngesehener Gast hier."
„Das ist unmöglich!" rief Faramir entsetzt aus. „Vater muß Euch die höchsten Ehren dieses Landes zuteil werden lassen."
„Faramir, das ist Thorongil", flüsterte Boromir ihm zu.
„Dann ist er Gondors Thronerbe und hat das höchste Recht, hier zu verweilen", widersprach Faramir leidenschaftlich.
Aragorn ergriff Faramirs Hände freundlich.
„Laßt es gut sein, Faramir. Ich strebe nicht nach dem Thron Gondors und ich möchte keine Unruhe in diese Stadt bringen. Zwischen Euerem Vater und mir gibt es einige Unstimmigkeiten, die man leider nicht aus der Welt schaffen kann. Ich bitte Euch, mich in Frieden ziehen zu lassen."
„Wie kann ich Euch eine Bitte verweigern!" erwiderte Faramir und verneigte sich kurz vor Aragorn.
Alle verabschiedeten sich von Thorongil. Gwen bedankte sich noch einmal für seine Hilfe auf ihrem Weg nach Minas Tirith.
Doch nun galt es, zu Denethor zu gehen. Boromir wusste, dass dieser Weg sehr schwer werden würde, auch wenn Faramir nun sein Augenlicht wieder hatte.
TBC...
