A/N: Diese Geschichte ist vor dem Erscheinen des fünften Harry Potter Bandes geschrieben worden.
Faden 1
Halloween, 1986
Godric's Hollow
James und Lilly Potter waren auf Dumbledores Halloweenball gewesen, wo sich ein großer Teil der Zauberer aus dem Kreis um Hogwarts' Direktor versammelt hatten. Die Veranstaltung war nicht ausschließlich zur Unterhaltung gedacht gewesen, aber zumindest hatten sie einige Stunden lang die Ernsthaftigkeit der Lage vergessen können, bevor sie zusammen mit so vielen anderen in Dumbledores Arbeitszimmer gerufen worden waren. Erst sehr viel später hatten sie sich verabschieden können
Ihren sechsjährigen Sohn Harry wussten die beiden unter der zuverlässigen Aufsicht eines guten Freundes, und so apparierten sie ein gutes Stück von ihrem Heim entfernt, um bei einem Spaziergang einen der so selten gewordenen friedlichen Tage zu genießen.
Der Mond stand hoch am Himmel, und die Nacht war der Jahreszeit entsprechend sehr kühl, obwohl die letzten Tage angenehme Temperaturen gebracht hatten. In ihrem dünnen, aber äußerst eleganten Königinnenkleid, das mehr von Magie als von Stoff gehalten wurde, spürte Lilly die Kälte schnell. Sie schauderte unwillkürlich.
"Kalt?" erkundigte sich James leise. Sie gingen so eng nebeneinander her, daß sie den Luftzug seiner Worte an ihrem Ohr fühlen konnte.
Sie hatten gerade eine Stelle erreicht, von der aus sie ganz Godric's Hollow überblicken konnten. Die beiden hielten an, während James seinen roten Königsmantel auszog und um die Schultern seiner Ehefrau legte.
Lilly zog den weichen und warmen Mantel enger um sich, und lehnte sich leicht gegen James' Körper. Eine kleine Zeitlang standen sie so da ohne sich zu bewegen und genossen ihre Gesellschaft und den Ausblick.
Auf einmal deutete James.
"Siehst du das auch?" fragte er Lilly aufgeregt.
Die Frau blickte in die Richtung die ihr seine Hand wies, und zuckte zusammen. Grüner Rauch steig von einem Haus auf und formte das drohende dunkle Mal in der Luft.
Der ersten Schreck saß so tief, daß es einen weiteren Augenblick dauerte, bis sie die wahre Bedeutung dieser Erscheinung begriffen. Lilly wirbelte herum und starrte James aus vor Angst geweiteten Augen an. "Das ist unser Haus!" schrie sie, und rannte so schnell es ihr Kostüm erlaubte den Weg hinunter, James dicht hinter ihr.
Die Todesser hatten ganze Arbeit geleistet, so viel war sofort zu erkennen. Sie waren sich offensichtlich nicht zu schade dafür gewesen, auch ohne Magie zu zerstören was ihnen in die Finger kam. Das Gartentor lag mehrere Meter vom Zaun entfernt in mehrere Teile zerbrochen auf dem Boden. Die Haustüre hing schief in den Angeln, und einige Fenster schienen einer Druckwelle von innen zum Opfer gefallen sein.
James betrat als erster stumm und mit gezogenem Zauberstab das Haus. Gleich hinter der Türe blieb er wie angewurzelt stehen und schluckte schwer. Vor ihm breitete sich ein Schlachtfeld aus. Kein einziges Möbelstück stand noch - selbst die schwersten Gegenstände waren umgestoßen worden. Bei jedem Schritt trat er auf Scherben oder zerfetztes Pergament. Der Geruch von Blut lag in der Luft, gemischt mit etwas anderem. Die Wand ihm gegenüber zeigte einen großen, dunklen Fleck.
Lily stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sie ihrem Ehemann folgte.
Eine reglose Gestalt lag mit dem Gesicht nach unten vor ihren Füßen. Zögernd bückte sich James, um den Mann auf den Rücken zu drehen. "Goyle..." zischte er leise. Zumindest waren die Todesser nicht ohne eigene Verluste geblieben. Dieses Wissen erfüllte ihn mit einer bitteren Genugtuung.
Obwohl sie genau wusste, was sie finden würde, rannte Lily, dicht gefolgt von ihrem Mann, zum Kinderzimmer. Ihr Kleid blieb an einer Kante des umgestoßenen Tisches hängen, der die Türe fast völlig blockierte. Sie bemerkte es nicht einmal, als der dünne Stoff mit einem protestierenden Geräusch riß.
Augenblicke später hatte sich bestätigt, was sie beide im Grunde genommen schon gewußt, aber bis zum letzten Augenblick nicht hatten wahrhaben wollen. Die Todesser hatten sich nicht damit zufrieden gegeben, das Haus zu verwüsten.
Harry war offensichtlich unter einem Avada Kedavra gestorben. Daß dieser Tod ein schneller und schmerzloser war, war den beiden Potters allerdings kaum ein Trost.
Lily stiegen die Tränen in die Augen, aber sie kämpfte sie mit aller Kraft nieder. Sie wusste, daß sie sich nicht einmal damit aufhalten durften, hier und jetzt um ihren toten Sohn zu trauern. Zu groß war die Gefahr, daß die Todesser, die das wahrscheinliche Ziel ihres Überfalls nicht vorgefunden hatten, zurückkehren könnten um ihren Auftrag zu vollenden.
Wenn Harrys Tod nicht ungerächt bleiben sollte, mussten sie zurück nach Hogwarts, um mit Dumbledore zu sprechen. Vorher allerdings blieb noch eines zu tun...
James beleuchtete seinen Weg mit einem Lumos-Spruch, als er der Spur aus Blutflecken und Trümmern folgte, bis er nach etwas, das ihm wie eine Ewigkeit vorkam, endlich fand was er suchte. Allem Anschein nach hatte Severus den Angreifern einen erbitterten Kampf geliefert. Der Raum war von Trümmern übersät, die kaum noch einem Gegenstand zuzuordnen waren. Verkohlte und angesengte Stücke wechselten sich mit zersplittertem Holz ab. Der Geruch von frischem und halb geronnenem Blut vermischte sich mit den abstoßenden Gestank von verbranntem Fleisch und etwas stärkerem, scheußlicheren, das James auf Anhieb weder identifizieren konnte noch wollte.
Der Mann, der nach Abschluß ihrer gemeinsamen Schulzeit in Hogwarts zu James' und Lilys bestem Freund geworden war, lag leblos zwischen den Trümmern in einer Ecke ihres zerstörten Wohnzimmers. Seine linke Hand umklammerte noch immer krampfhaft die zersplitterten Reste seines Zauberstabes. Wenn er noch am Leben war, konnten sie die Todesser nur um Minuten verpasst haben.
Mit langsamen Schritten, die Augen krampfhaft auf Snapes abgewandtes Gesicht gerichtet, näherte sich James, um das Unvermeidliche hinter sich zu bringen. Er presste seinen Handrücken gegen seinen Mund, um nicht aufzuschreien oder sich zu übergeben, als er sich neben seinen Freund auf den blutdurchtränkten Teppich sinken ließ.
Ein leises Stöhnen bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Anders als bei dem Kind, hatten die Todesser sich bei dem Erwachsenen nicht den Spaß nehmen lassen, indem sie ihn mit einem unkomplizierten Avada Kedavra aus dem Weg geschafft hatten. Ihre Wut darüber, Lily und James nicht anzutreffen, hatten sie ausgiebig an dem Babysitter Snape ausgelassen.
Kein Mann in einem vergleichbaren Zustand sollte von Rechts wegen noch am Leben, geschweige denn bei Bewußtsein sein. Daß dieser noch beides war, konnte nur bedeuten daß er unter mehreren außergewöhnlich starken Zaubersprüchen stand.
Ein Blick nach unten bewies, daß jede Hilfe für Snape zu spät kam. Es sah aus, als hätte ihm jemand nach allen Regeln der Kunst den Bauch aufgeschlitzt, in die Wunde gegriffen und herausgerissen was immer er gerade zu fassen bekommen hatte. Wesentlich wahrscheinlicher war zwar, daß es ein Querschläger-Spruch gewesen war, der beim Zerstören der Einrichtung hatten helfen sollen, aber das Ergebnis war dasselbe, und bestätigte die Annahme, daß Snape nur noch von Zauberkraft am Leben gehalten wurde.
"Sev..." murmelte James, während er eine zitternde Hand ausstreckte, um ihm die mit Blut verklebten Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. Fieberhaft versuchte er, sich an einen Spruch zu erinnern, irgendeinen Spruch mit dem er seinem Freund helfen konnte, egal auf welche Art, aber es wollte ihm keiner einfallen.
Unendlich langsam drehte sich Snapes Kopf in James' Richtung. Seine Augen waren geöffnet, blickten aber glasig und blind durch James hindurch. Sein schmerzverzerrtes Gesicht gab mehr Einzelheiten über den Kampf preis als dem anderen Mann lieb war. Die rechte Gesichtshälfte war von einem Brandzauber gestreift worden. Der Spruch hatte dort, wo er ihn berührt hatte, eine geschwärzte Spur hinterlassen. Die Hitze hatte ausgereicht, um die Haut weit darum herum Blasen werfen zu lassen. Auf der anderen Seite liefen vier tiefe, blutige Schnitte vom Haaransatz bis zum Kinn. Hier musste ihn ein Animagus angesprungen haben. Obwohl seine Kraft gerade noch zu einem leisen Wimmern reichte als James' Hand versehentlich eine dieser Wunden berührte, wollte etwas zu sagen. Statt der Worte kam nur ein Schwall Blut aus seinem Mund.
"Ganz ruhig, Sev. Versuch nicht zu sprechen", sagte James überflüssigerweise. Hätte er genug Konzentration aufgebracht, wäre er versucht gewesen, einen Avada Kedavra auszusprechen.
Während er aber nichts weiter tun konnte, als falsche Beruhigungen zu murmeln, um seinem sterbenden Freund beizustehen, betrat Lily leise das Zimmer. Mit bewundernswerter Beherrschung kniete sie neben den beiden Männern nieder, und breitete den Mantel, den ihr James vor etwas, das ihr jetzt wie eine Ewigkeit vorkam, gegeben hatte, über Snape. Ihr Gesicht war kreidebleich. Sie biß sich auf die Lippen, und Tränen standen in ihren Augen, aber sie setzte sich ebenfalls auf den Boden. Sie streichelte vorsichtig Snapes linke Hand - von der rechten war nicht mehr genug übrig um diesen Begriff zu rechtfertigen - .
"Ganz ruhig, Sev. Wir sind bei dir", versicherte sie ihm mit erstickter Stimme und ohne zu wissen, ob er sie überhaupt hören konnte.
Noch einmal bewegte Snape den Mund, ohne in der Lage zu sein, ein verständliches Geräusch zu machen. Das Wort das seine blutigen Lippen formten, war allerdings deutlich genug. ‚Bitte'
Tränen ließen die Welt vor Lilys Augen verschwimmen. "Finite Incantatem", flüsterte sie.
Ein Schaudern lief durch den Körper des verletzten Mannes.
Während Lily und James nur hilflos zusehen konnte, atmete Severus ein letztes mal quälend langsam ein, dann fiel sein Kopf kraftlos zur Seite, als der Zauber der sein Leben so qualvoll verlängert hatte sich auflöste.
