31. August, 1996
Ein Sumpf
Remus fluchte laut und ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu halten, als der Boden unter ihm nachgab. Der leuchtende Behälter den er in der Hand gehalten hatte fiel hinunter, aber er hatte im Augenblick wichtigeres zu tun als darauf zu achten. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als der Sumpf seinen Fuß wieder freigab. Schnell bückte er sich, und angelte mit der Hand nach dem Schuh, der noch immer im Schlamm steckte. Er zog ihn heraus, und kippte das faulige Wasser aus so gut es ging, bevor er ihn wieder anzog.
Der Werwolf verzog angewidert das Gesicht, als er an sich hinunter blickte. Seine Robe war, wie die Hose die er darunter trug, bis zu den Knien durchnässt und schlug bei jedem Schritt schwer und unangenehm feucht gegen seine Beine. Das Geräusch, das das restliche Wasser in seinem Schuh bei jedem Schritt machte, half seiner Stimmung nicht gerade auf die Sprünge.
Beinahe hätte er den Grund seines abendlichen Ausfluges in eines der gefährlichsten Sumpfgebiete die er kannte vergessen. Er hechtete nach dem Behälter, der gerade mit einem leisen Glucksen abtauchen wollte.
Die drei Lichtkugeln, die hinter den magischen Glasscheiben in dem kleinen käfigartigen Behälter schwebten, schienen ihn mit ihrem Tanz zu verspotten. Im Grunde genommen war es zum Schreien komisch. Der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste war beim Will-o'Wisp-Suchen für seinen Unterricht beinahe selbst vom Weg abgekommen. Setzen, sechs, Lupin!
Keine fünf Meter vor ihm schwebte ein weiteres kleines Irrlicht. Lupin duckte sich und zog seinen Zauberstab.
"Accio", flüsterte er, aber die Lichtkugel tanzte aus dem Weg, und sein Spruch ging ins Leere. Das Irrlicht schwebte gerade außerhalb der Reichweite eines genau gezielten Zaubers.
Dieses Mal prüfte er den Boden vor sich vor jedem Schritt den er machte vorsichtig mit einem Fuß. Er hatte keine Lust auf ein weiteres Beinahe-Bad.
Eine halbe Stunde später packte er ziemlich außer Atem und ohne große Begeisterung das vierte Irrlicht in seinen Behälter. Wenn er in dieser Geschwindigkeit weitermachte, würde er noch bei Tagesanbruch unterwegs sein, wenn es zu hell wurde um seine Beute zu sehen.
Er blieb kurz stehen um zu verschnaufen, als er ein leises Flüstern hörte.
Langsam hob er den Kopf und konzentrierte sich auf das Geräusch. Rein menschliche Ohren hätten das Geräusch nicht vom Pfeifen des Windes unterscheiden können, aber ein Teil der schärferen Sinne des Werwolfes blieben Remus auch in der Zeit zwischen den Vollmondphasen erhalten.
Die Gesprächsfetzen, die ihm der Wind entgegentrug, waren zu leise, um Worte verstehen zu können. Ohne sich daran erinnern zu können, eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, bewegte er sich mit bereit gehaltenem Zauberstab in die Richtung, aus der das Flüstern kam.
Im Zentrum des Sumpfgebietes existierte eine kreisrunde Fläche mit verhältnismäßig zuverlässigem Untergrund. Sie war vor Jahrhunderten magisch geschaffen, und von ihren Bewohnern vor langer Zeit verlassen worden. Die Sprüche die den Boden trocken und fest hielten fingen an, sich aufzulösen, so daß sich langsam wieder schlammige Pfützen bildeten. Das Moor holte sich zurück, was ihm rechtmäßig gehörte.
Noch aber lief man hier nicht Gefahr, auf immer und ewig zu versinken. Die Ruine eines kleinen Häuschens hob sich in einer unheimlichen grünlichen Beleuchtung vom Himmel ab, die die Kanten der Mauern und die Schatten, die die Steine warfen zusätzlich betonte. Von den Pflanzen, die hier einmal gewachsen waren, waren nur noch einige knorrige, verdorrte oder halb verfaulte Baumstämme übrig, die schief und ohne Laub in den Himmel zeigten, Zeugen aller Ereignisse, die sich auf dieser Insel je zugetragen hatten.
Hinter einer dieser Baumruinen stand Remus, die Hände an die glitschige Rinde gelegt, den Behälter mit seinem Fang neben seinen Füßen abgestellt, und beobachtete die Szene die sich vor ihm abspielte.
Die dürre Gestalt, die auf dem freien Platz vor der zerfallenen Hütte stand, war nicht mehr als ganz menschlich zu bezeichnen. Rote Augen glühten in einem haarlosen, reptilienhaften Schädel. Ein bodenlanger Umhang hing von Voldemorts Schultern. Der Körper des dunklen Lords war nicht kräftig genug um ihn auszufüllen, und so flatterten die Stoffalten im Wind um ihn herum. Gegen die Feuchtigkeit schien er allerdings immun zu sein.
Neben dem düsteren Wesen stand ein kleiner Mann. Er ließ die Schultern hängen und sah aus, als würde er sich jeden Augenblick auf die Knie werfen, und seinen Herren um Gnade anbetteln. Seinen ängstlichen Gesichtsausdruck konnte Remus aus seiner Position zwar nicht erkennen, aber er kannte Peter Pettigrew noch immer gut genug, um ihn sich vorzustellen. Was auch immer Lord Voldemort dort trieb, es jagte dem kleinen Kerl eine Heidenangst ein.
Gut.
Sollte es doch!
Remus brachte es nicht über sich, sich selbst für die gehässige Genugtuung zu tadeln die ihm dieser Gedanke brachte.
Zögernd wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem dunklen Lord zu. Er hatte mit seinem Zauberstab ein leuchtendes Gebilde in die Luft gezeichnet. Das grelle Licht tat Lupin in den Augen weh, aber er konnte sich nicht abwenden. Dann verschmolzen die grün-glühenden Linien zu einem Rahmen, in dessen Mitte sich eine Gestalt bildete...
Vor Schreck wich Remus einen Schritt zurück. Sein Fuß traf dabei den abgestellten Behälter. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber in den Dreck.
Bevor er sich wieder aufgerappelt hatte, war Wurmschwanz schon auf dem Weg zu seinem Versteck. Remus Lupin ließ seinen Irrlichtbehälter liegen, und rannte so schnell er konnte.
Pettigrew fiel es nicht schwer, ihm zu folgen. Der Werwolf hinterließ deutliche Spuren: Mit jedem Schritt sank er bei seiner blinden Flucht tiefer ein. Wasser sammelte sich in den Vertiefungen die seine Schuhe hinterließen. In gemütlichem Tempo ging Voldemorts Diener hinter seinem früheren Freund her, der früher oder später in einer Sackgasse landen musste.
Schwer atmend blieb Remus wie angewurzelt stehen, als vor ihm das ‚plop' ertönte, das jedes Apparieren begleitete, und Voldemort persönlich ihm den Weg verstellte.
Erst jetzt wurde ihm sein letzter, tödlicher Fehler klar: In seiner Panik hatte er instinktiv gehandelt und war weggerannt, anstatt in die Nähe von Hogwarts zurück zu apparieren, solange er noch die Chance hatte, zu entkommen.
Während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen, blickte er dem dunklen Wesen, das über dem Sumpf zu schweben schien, so ruhig er konnte entgegen. Seine Augen zeigten nur Entschlossenheit und Widerstand. Die Angst hatte er in den hintersten Winkel seiner Seele verbannt, wo sie noch immer mit aller Kraft an ihm nagte. In seinen Adern musste im Augenblick mehr Adrenalin fließen als Blut.
Unbeweglich stand Voldemort da, und erwiderte seinen Blick mit unverhohlenem Haß. Er hob seinen Zauberstab, und deutete damit auf Lupin.
In dem Augenblick in dem sein Spruch ihn traf, disapparierte der Werwolf.
Der Schmerz nahm ihm die Konzentration, und beinahe auch die Besinnung. Er verlor das Gleichgewicht, taumelte und schlug hart auf dem Boden auf. Stöhnend drehte er sich auf den Rücken. Sterne glitzerten zwischen den Ästen der Bäume.
Er war in einem Wald. Ob es der Verbotene Wald, sein Ziel, war, konnte Remus nicht erkennen. Er musste froh sein, daß er in einem Stück angekommen war, egal wo. Seine Hand fuhr an die schmerzende Stelle an seiner Seite. Der Stoff seines Umhangs war schon durchnässt. Die Berührung brannte als hätte ihn ein neuer Zauber getroffen. Remus schloß die Augen, bis die Welt aufhörte, sich um ihn zu drehen.
Albus!
Albus musste erfahren was er im Sumpf gesehen hatte.
Langsam und schwankend kam er zuerst auf die Knie, dann auf die Füße. Wieder zu apparieren war undenkbar. Er konnte sich nicht konzentrieren.
Eine Hand auf die Wunde in seiner Seite gepresst lief er los. Jeder Schritt ließ ihn durch die Hölle gehen, aber er zwang sich weiter. Daran zu denken was geschah, falls er nicht im verbotenen Wald war, erlaubte er sich nicht.
Seine Gedanken waren nur noch auf eines fixiert: Vorwärts, weiter, nach Hogwarts. Er stolperte, fiel hin, und stand irgendwie wieder auf. Äste schlugen ihm ins Gesicht und rissen an seiner Kleidung. Die Wesen des Waldes witterten ihn, rochen das Blut und nahmen seine Fährte auf. Er hörte ihre Laute nicht, sah die glühenden Augen nicht, die in der Dunkelheit in beunruhigender Nähe auftauchten. Nur der Werwolfgeruch bewahrte ihn davor, bei lebendigem Leib aufgefressen zu werden.
Endlich - Der Waldrand. Vor ihm, die Form des Schlosses von Lichtern an den Nachthimmel gemalt. Hagrids Hütte war ein verschwommener Lichtfleck, nicht ganz so weit entfernt.
Remus stolperte weiter. Dann musste er stehen bleiben um zu versuchen, das Schwindelgefühl zu vertreiben, das ihn immer öfter überkommen hatte. Er hatte nicht einmal mehr seinen Zauberstab, geschweige denn die Kraft, um ein Signal abzugeben. Schritt für Schritt schleppte er sich vorwärts.
Der Boden schien sich unter seinen Füßen zu drehen. Er verlor das Gleichgewicht.
Seine Arme zitterten vor Anstrengung, als er versuchte, sich wieder aufzurichten. Er kam nicht weit, bevor er zurück auf den Boden sank.
