Faden 2

2. September 1996

Ein Sumpf

Sirius wusste, wo sein alter Freund an jenem verhängnisvollen Abend gewesen war. Er apparierte zu eben diesem Sumpf, um in seiner Hundegestalt Remus' Fährte aufzunehmen. Es sollte nicht weiter schwer sein: Der Werwolf hinterließ einen klaren Raubtiergeruch, den er sich noch nach Tagen zu finden zutraute.

Jetzt allerdings wurde seine empfindliche Nase von etwas angegriffen, das jede Spur die Remus hinterlassen haben konnte ebenso wie den eigentlich Übelkeit erregenden Gestank des schlammigen Wassers selbst um ein vielfaches übertönte.

Er hatte noch nie etwas Vergleichbares wahrgenommen, weder als Hund noch als Mensch. Nicht einmal in Azkaban hatte es etwas gegeben, das auch nur entfernt dem Nahe kam, das jetzt auf ihn eindrang - dort hatte es nur nach Angst, Haß, Rost und Dementoren gerochen.

Harry Potters Patenonkel biß die Zähne zusammen, atmete so gut er es als Hund konnte, durch den Mund und fing an, die Quelle dieses Gestanks zu suchen. Es war zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, daß es einen Zusammenhang mit Lupins Tod gab. In jedem Fall war es ungewöhnlich genug um eine genauere Untersuchung zu rechtfertigen. Auf den Gedanken, nach Hogwarts zurückzukehren und Bericht zu erstatten oder Hilfe zu holen, kam er nicht.

Mehrmals war er nahe daran, aufzugeben und umzukehren. Immer wieder ging er in Gedanken die Punkte durch, die für eine schnelle Rückkehr nach Hogwarts sprachen. Etwas so Widerliches hätte zumindest in kleinen Spuren auch an Remus' Leiche haften müssen; er würde die Spur seines verstorbenen Freundes hier nie finden können; er bekam kaum noch Luft, weil der Geruch allen Sauerstoff aufzubrauchen schien.

Mit einem entschiedenen Kopfschütteln nahm er seine eigene Gestalt an. Als Mensch war seine Nase nicht ganz so empfindlich. Dafür musste er nun bewußt darauf achten, auf den sicheren Wegen zu bleiben.

Er wechselte noch mehrmals zwischen seiner menschlichen und seiner Animagusform, während er sich langsam bis zu der magischen Insel vorarbeitete.

Hier war der Geruch noch um ein vielfaches stärker als am Rand des Sumpfgebietes.

Der größte Schock erwartete den Mann aber, als er den magisch gefestigten Boden betrat.

Blitz oder Feuer hatte ein kompliziertes geometrisches Muster in den Boden gebrannt, das zu regelmäßig war um zufällig entstanden zu sein. Soweit er es beurteilen konnte, ging der Gestank von diesen Linien aus. Das erschreckendste an der Erscheinung vor ihm allerdings war etwas anderes. Mit dem Muster im Zentrum liefen tiefe Risse durch die künstliche Insel. In den nächsten konnte er das dreckige Wasser des Sumpfes sehen. Die Sprüche die auf dieser Stelle lagen waren zwar vom Alter geschwächt gewesen, sich aber die Kraft vorzustellen die sie so buchstäblich auseinandergerissen hatte, ging über Sirius' Fantasie hinaus.

Ein kaltes Schaudern durchlief ihn, als er Remus' Irrlichtbehälter neben den Resten eines halb verfaulten Baumes fand, der aussah als hätte ihn erst vor kurzer Zeit etwas mit Gewalt aus dem Boden gerissen und fallen lassen. Sein Freund war also hier gewesen. Hatte er gesehen, was diese Vernichtung verursacht hatte? War dasselbe Etwas für seinen Tod verantwortlich?

Eines war ihm klar: Das Muster das in den Boden eingebrannt war, musste etwas damit zu tun haben.

Den Gedanken, es sich aus der Nähe anzusehen, verwarf Black in dem Augenblick, in dem er sah daß der feste Boden langsam aber unaufhaltsam weiter in die Risse bröckelte. Er wollte beim besten willen nicht dort oben sein, wenn die letzten Zaubersprüche, die diesen Ort noch zusammenhielten, ihren Geist aufgaben. Er musste eben sein Bestes geben, sich das Zeichen genau einzuprägen, so daß er später Dumbledore danach fragen konnte. Verdammt, er würde sogar Snape danach fragen, wenn er glauben würde daß es etwas nützen könnte.

Minuten später apparierte Sirius Black zurück zum Verbotenen Wald.

Die Reste der magischen Insel lagen verlassen da. Nur ein leichter Wind bewegte das Wasser.

Dann kam urplötzlich Leben in die leere Landschaft. Eine Entladung grell-grüner Energie zog in der Luft eine senkrechte Version des Musters auf dem Boden nach. Sekundenbruchteile später fingen dunkle Wesen in zerfledderten grauen Kutten an, im Zentrum des Zeichens aus der leeren Luft hervorzukommen wie aus einem Tor. Sie erinnerten entfernt an die Dementoren aus Azkaban. Ihre Hände und die augenlosen Gesichter, die einzigen Teile von ihnen, die unter der Kleidung zu sehen waren, waren die von Leichen, die seit langem unter der Erde hätten sein sollen. Jeder Finger endete in einer langen, gebogenen Kralle. An einigen Stellen konnte man sehen, wie Maden in ihrem Fleisch herumkrochen, während sie sich stolpernd aber zielstrebig vorwärts bewegten. Der Verwesungsgeruch den sie ausströmten ging im Hintergrundgestank des magischen Zeichens auf dem Boden unter.

Sie waren hungrig. So hungrig, daß mehr als einmal einer über den anderen herfiel. Im Gegensatz zu den Dementoren ernährten sie sich nicht ausschließlich von Gefühlen.

Trotz solcher Verluste wimmelte die Insel bald von ihnen wie ein Ameisenhaufen, und noch immer strömten sie aus dem Portal.

Endlich gaben die alten Zaubersprüche unter dem Ansturm fremdartiger, fast zur Unkenntlichkeit verzerrter Magie nach. Wie ein düsteres Atlantis aus einem Alptraum zerbrachen die letzten Stücke des festen Bodens, und versanken im Sumpf. Mit ihnen gingen die Wesen unter, die sich auf der Insel aufgehalten hatten.

In dem Augenblick, in dem das Zeichen zerbrach, hörte der Strom auf.

Sekunden später deutete nichts mehr darauf hin daß die Insel, oder die schreckliche Armee, je existiert hatte. Übrig waren nur sieben der Wesen, die bereits den Weg auf die festen Pfade durch den Sumpf gefunden hatten, der nun wieder still und verlassen da lag.

Nur der Wind bewegte das schlammige Wasser leicht.