Faden 2

4. September 1996

Winkelgasse

Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu, und der Tropfende Kessel fing an, sich mit Kundschaft zu füllen. An den Tischen und an der Bar saßen Zauberer und Hexen und unterhielten sich scheinbar glänzend.

Im Kamin blitzte es auf, als jemand via Flohnetzwerk ankam.

Einige Köpfe hoben sich und blickten hinüber zur Feuerstelle.

Der Zauberer der gerade gekommen war, klopfte sich schnell den Ruß von der Robe - man hätte doch denken sollen, daß Örtlichkeiten wie der Tropfende Kessel ihre Feuerstelle etwas sauberer hielten! - und ging dann zu einem freien Tisch in einer Ecke um sich zu setzen.

Er war ein unauffälliger Mann. Sein blauer Umhang hatte schon bessere Zeiten gesehen, und er hätte neue Stiefel vertragen können. Sein blasses Gesicht war scharf geschnitten und mit einem Übermaß an Nase ausgestattet, aber nicht hässlich. Harmlose braune Augen blickten desinteressiert zu der Theke hinüber, hinter der Tom der Bartender stand. Er fuhr sich schnell mit einer Hand über die kurz geschnittenen kastanienbraunen Haare, die von einigen wenigen grauen Strähnen durchsetzt waren, hielt dann inne als hätte er sich bei etwas unanständigem ertappt, und legte seine Hand entschieden auf den Tisch..

Für einen Zauberer sah er bemerkenswert langweilig aus. Er war es nicht wert, sich mit ihm zu beschäftigen oder ihn auch nur eines zweiten Blickes zu würdigen. Lediglich Tom kam zu ihm herüber, um seine Bestellung aufzunehmen.

"Ein Butterbier", sagte der Fremde mit leiser, rauer Stimme. Er drückte Tom einige Münzen in die Hand und widmete sich dann nur noch seinem Getränk.

Gesprächsfetzen fingen an, zu ihm durchzudringen.

"... gesagt, mach deinen Kram doch alleine, und sie..."

"...bis das Wasser kocht..."

"Meinst du, ich soll am Freitag den blauen Festumhang..."

"...bist hier nicht gefragt!"

"...klein schneiden und eines nach dem anderen..."

"Aber Rhea, ich..."

"...passt zu meinen Augen hat er gesagt..."

"...du schlecht?"

"...blutrot wird hörst du auf zu rühren..."

"...kleine Kinder verstehen so was! Warum also..."

"...Löffel voll Käferbeine..."

"...keinen Babysitter gefunden..."

Die Tür zur Winkelgasse knallte als eine der beiden Hexen die sich gestritten hatten hinaus rauschte. Er ignorierte es.

"...zwei Krötenaugen dazu, rührst um, nimmst den Kessel vom Feuer..."

"...nicht verboten gut aus?"

"...gehört, er soll etwas mit dem Tod von Lupin zu tun haben."

Ha! Was war denn das? Wer sollte etwas mit dem Tod von Lupin zu tun haben? Der Zauberer drehte sich unauffällig zu demjenigen um, von dem der letzte Satz gekommen war. Da. An einem der langen Tische saß eine kleine Gruppe, die sich angeregt unterhielt. Gerade hatte ein älterer Mann in einem grünen Umhang gesprochen.

"Blödsinn!" widersprach eine junge Hexe die ihm gegenüber saß. "Ich hatte ihn im Unterricht. Er ist fies und gemein und immer sauer, aber ich glaub' nicht daß er einen umbringt."

"Hat ja keiner gesagt daß er's selbst war. Vielleicht hat er nur was arrangiert", brummte die tiefe Stimme eines Mannes in einem dunkelroten Umhang, der am Kopfende des Tisches saß.

Auf der anderen Seite wurde zustimmend genickt. "Gelegenheit hätte er auf jeden Fall genug. Ein kleiner Trank, schnell, sicher, nicht nachweisbar..."

"Aber keinen Grund." Platzte die jüngere Hexe wieder heraus.

"Ach Anna", meinte ihre Freundin. "man könnte ja fast glauben, du stehst auf Snape!"

Die Angesprochene lief rot an und murmelte etwas unverständliches.

"Sag mal", fragte der einzige aus der Gruppe, der noch nichts gesagt hatte. "Stimmt es, was man sich so erzählt?"

"Was erzählt man sich denn?" gab Anna zurück. Ihre Stimme war vorsichtig, fing aber an, einen gereizten Tonfall anzunehmen.

"Daß Professor Snape ... du weißt schon." er bekam nur einen leeren und viele erwartungsvolle Blicke, also sprach er weiter. "Daß er es gerne mit Schülerinnen treibt, meine ich!"

Der unauffällige Zauberer am Ecktisch spuckte beinahe sein Butterbier zurück ins Glas und verschluckte sich.

"Also, ich hab' gehört er war schon lange auf Lupins Job scharf!" ersparte ein Zwischenruf Anna die Antwort.

"Mein Cousin hat gesagt, er ist wegen Lupin mal von 'nem Werwolf gebissen worden."

"Dein Cousin spinnt ja!" kommentierte der Zauberer in rot.

"Gar nicht!" widersprach die Hexe neben Anna. "Er ist mit der Schwester vom Mann der Nichte von Filch zusammen, und der ist Hausmeister in Hogwarts und weiß so was."

"Der Squib?"

"Vielleicht hat er's für Ihr-wißt-schon-wen getan." Schlug der grüne Zauberer vor.

"Ich dachte, er arbeitet für's Ministerium?"

"Außerdem soll er Dumbledores Schoßhündchen sein. He, Anna, wenn er's nicht mit den Kids macht, wie sieht's dann mit dem Alten aus? Hat er mit dem was?"

"David, du bist-"

" --nur realistisch - welche Frau würde den schon wollen.. ? "

Die anwesenden Hexen schauderten bei dem Gedanken.

"Na also." David fühlte sich in seiner Meinung bestätigt. "Wer weiß was auf der Burg so alles läuft..."

Zwei Butterbiere später war es vor den Fenstern des Tropfenden Kessels dunkel geworden. Der aufmerksame Zuhörer stand von seinem Platz auf und ging zu der Türe, die hinaus in die Winkelgasse führte. Abgesehen von vielen alten und neuen Gerüchten einen gewissen Hogwarts-Professor betreffend hatte er nicht viel Interessantes gehört. Allerdings kannte er sich nun was die angeblichen Beziehungen in Hogwarts betraf wesentlich besser aus als vorher.

Nachdem die Mauer ihn durchgelassen hatte, stand er einem seltenen Anblick gegenüber: Einer fast völlig verlassenen Winkelgasse. Die meisten Läden hatten geschlossen. Eine Katze scheuchte eine Ratte über das Straßenpflaster, bis sie einen ihrer Artgenossen erblickte. Fauchend gingen die beiden Tiere aufeinander los. Die Ratte war vergessen und rettete sich in ein Mauerloch.

Der Zauberer vergewisserte sich schnell, daß sein Zauberstab griffbereit in seinem Ärmel steckte, und ging dann mit schnellen, zielstrebigen Schritten die schlecht beleuchtete Gasse hinunter.

Er bog in die um einiges belebtere Nokturngasse ein.

Hier hatten die Läden nicht nur noch geöffnet, es herrschte sogar Hochbetrieb.

Jeder respektable Zauberer hätte auf der Stelle kehrt gemacht und die Flucht ergriffen.

Der Blick des Mannes glitt über die Schaufenster. In der Nokturngasse gab es die etwas dunklere Variante fast jedes Ladens der Winkelgasse. Vor der Buchhandlung blieb er stehen und betrachtete die Auslage. Ein Sortiment an Büchern über Flüche war im Fenster ausgestellt. Ein kleines Zeichen verkündete, daß "100 Nicht nachweisbare Tränke" wieder im Bestand vorhanden war.

Das Innere des Ladens war düster und roch nach Staub und altem Papier. Die Ölfunzeln die die einzige Lichtquelle waren, konnten für das Papier kaum gut sein.

Er ging an der Sektion für Zaubertränke vorbei, würdigte die Biographien dunkler Zauberer und Hexen nur eines flüchtigen Blickes, und bog bei den Bestiaries rechts ab in die Abteilung für Zauberkunst und Flüche.

Hier stand er vor den Regalen, und las die Titel auf den Buchrücken. Hin und wieder nahm er eines heraus, schlug es auf und blätterte darin herum. Einige der Bücher waren mit Ketten ausgestattet, die sie entweder am Regal fest- oder die Deckel geschlossen hielten.

Sein Blick blieb auf einem in weiches grünes und rotes Leder gebundenes Buch hängen. Es stand hier ganz sicher falsch, und er hatte im Augenblick auch keinen Bedarf dafür. Dennoch ließ er seine Hände über den Einband gleiten, während das Buch seine Geheimnisse flüsterte und ihn dazu einlud, es zu kaufen oder es sich anderweitig anzueignen. Es war ein wunderschönes Exemplar, so gut erhalten wie es nur wenige Bücher waren die sein Alter erreichten. Die Schlange auf dem Buchrücken hob den Kopf und zischte ihn an, bevor sie sich wieder in ein wirres Knäuel sinken ließ.

Seine Finger zogen die goldenen Buchstaben des Titels nach, während er mit verliebtem Blick jedes Detail, jeden kleinen Riß im Einband und jeden noch so kleinen Fleck aufnahm.

Plötzlich ließ er das Buch fallen als hätte er sich daran verbrannt. Er ließ es liegen wo es war und wandte sich wieder seiner eigentlich Aufgabe zu. Sein Herz pochte laut in seinen Ohren, und die Hand die er nach dem nächsten Buch ausstreckte zitterte. Beinahe hätte er einen furchtbaren Fehler begangen. Dunkle Gegenstände waren häufig so verzaubert daß sie den unschuldigen Betrachter fesselten.

Mit zwei Büchern in der Tasche verließ er den Laden einige Zeit später wieder. Die Hexe die neben der Türe auf der Straße ihren Stand aufgebaut hatte und Erfrischungen verkaufte die zum großen Teil aus menschlichen Zutaten bestanden, grinste ihn mit ihrem zahnlosen Mund an, und er bekam das unangenehme Gefühl, daß sie genau wusste, was dort drinnen vorgefallen war.

Er schüttelte sich kurz, und steuerte dann auf einen kleinen Laden zu, der zwischen der Apotheke und einer Tierhandlung zu hocken schien wie ein Raubtier das auf Beute lauerte.

Als er wieder herauskam, klimperte in seiner Tasche eine Flaschen Dragonsbreath. Verstohlen blickte er in beide Richtungen, um zu sehen ob ihn jemand gesehen hatte. Zwar wagten sich Auroren üblicherweise nicht einmal in Verkleidung nach Einbruch der Dunkelheit in die Nockturngasse, aber man konnte nie wissen...

In jedem Fall war es das beste, die Flasche mit dem hochprozentigen, süchtigmachenden und äußerst illegalen Getränks so schnell wie möglich wieder loszuwerden - und er wusste auch genau, wo.

Mit langen Schritten ging er an Läden vorbei die dunkle Amulette und Fluchzubehör verkauften, und duckte sich schließlich in eine im Verfall begriffene Hütte, die sich wie ein Anbau an einen kleinen Laden lehnte.

Es stank nach Alkohol und ungewaschenem Mensch. Ein Zauberstab presste sich gegen seine Brust sobald er seinen Kopf unverletzt durch die niedrige Türe gebracht hatte. Er hob die Hände um zu zeigen, daß er ohne böse Absichten gekommen war.

"Lumos", sagte eine hohe, dünne Stimme. Licht flammte an der Spitze eines Zauberstabes auf, der für diese Unterkunft und ihren Bewohner viel zu gute Qualität hatte, und daher einiges über seine Herkunft verriet. Im Augenblick wurde er von einem alten Männchen gehalten, das gut eineinhalb Köpfe kleiner war als der Zauberer. Es blickte zu ihm auf und grinste, wobei er eine ganze Anzahl faulender Zähne zeigte. In seinen langen, verfilzten grauen Haaren krochen Dinge herum, die die meisten Zauberer nicht einmal als Tränkezutat benutzt hätten.

Er ließ den Zauberstab sinken. "'n Abend, mein Freund", sagte er, wobei seine Betonung klar machte, daß er seinem ,Freund' bestenfalls so weit traute wie er ihn sehen konnte. Er zwinkerte einige Male, so als hätte er Schwierigkeiten dabei, ein scharfes Bild vor die winzigen Augen zu bekommen. Plötzlich schrie er überrascht auf. "Was in Merlins Namen hast du denn mit deinen Ha-"

Eine Hand legte sich fest auf seinen Mund. "Kein Wort mehr", zischte der Zauberer dem alten Mann ins Ohr.

Der andere nickte schnell. Die Hand zog sich zurück, und das Männlein wuselte zu dem schiefen Tisch der in der Mitte des einzigen Raumes stand und beschäftigte sich damit, zwei Gläser herauszuziehen und aufzustellen. "Was zu trinken?" erkundigte er sich.

"Nein danke. Wenn ich was trinken will geh' ich dahin, wo's saubere Gläser gibt." Meinte der Zauberer abfällig.

Der Bewohner dieser schäbigen kleinen Behausung zuckte mit den Schultern und goß sich ein Glas ein, um es sofort auszutrinken und nachzuschenken. "Was willst du?" erkundigte er sich ungeduldig und gereizt.

Der Zauberer nahm dem Alten gegenüber auf einem Hocker Platz, der drohte unter seinem Gewicht den Geist aufzugeben. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und sagte sachlich: "Ein Freund von mir wurde umgebracht."

"Was hab ich damit zu tun?" gab der Kleinere zurück. Er trank ein weiteres Glas. Wenn er so weitermachte würde die Flasche keine zwanzig Minuten halten.

"Ich schlage vor, du erzählst mir alles, was du darüber weißt..." Die vorher so raue Stimme des Zauberers hatte einen samtig-weichen Tonfall angenommen. Es klang als würde ein anderer Mensch sprechen.

"Woher soll ich wissen, wer deinen Freund um die Ecke gebracht hat? Ich weiß ja nicht mal, wen du meinst." Seine Worte fingen an, schneller zu werden, und der beiläufige Tonfall klang gezwungen.

Eine Hand schoß über den Tisch und packte den Arm des kleinen Mannes, gerade als er sein Glas wieder eingießen wollte. "Versuch's mal mit raten, Roach", zischte er.

"Ich weiß nicht wer den Werwolf erledigt hat! Ehrlich!" kreischte Roach.

Die braunen Augen des Zauberers hatten alle Freundlichkeit verloren. Sie bohrten sich gnadenlos in das Gesicht des Alten, als wollten sie ihn dazu zwingen, sein Wissen preiszugeben. "Bist du sicher?"

Er nickte langsam.

"Weshalb habe ich nur das Gefühl, daß du mir nicht ganz die Wahrheit sagst?" meinte der Zauberer nachdenklich. "Schon irgendwie schwer zu glauben, daß du ein einziges Mal nichts gehört hast..."

Roach warf ihm einen vielsagenden Blick zu als er die Schultern zuckte. "Man wird alt", entschuldigte er sich. "Mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es mal war."

Der Zauberer seufzte. Er griff in seine Tasche, um die Flasche herauszuziehen. "Würde das deinem Gedächtnis irgendwie auf die Sprünge helfen?" erkundigte er sich.

Die Augen des Alten blitzten auf, und er streckte die Hände nach der Flasche aus. Der Zauberer zog sie schnell weg. "M-mm", machte er. "Erst will ich wissen was du über Lupins Tod weißt."

Der gierige Blick des Mannes wich nicht von der Flasche, die so quälend gerade außerhalb seiner Reichweite in der Hand des Zauberers lag. "Ein Glas im Voraus könnte vielleicht helfen. Dann kann ich besser denken", erklärte er.

Der Zauberer verdrehte die Augen, zog den Korken aus der Flasche und schenkte ihm das Glas halb voll.

Die Hand des Alten zitterte als er es hinunterkippte. Er wollte nach der Flasche greifen um nachzuschenken, aber der Zauberer hielt sie fest. "Und?" fragte er.

"Also gut", seufzte Roach. "Wurmschwanz war vor ein paar Tagen im Tanzenden Teufel. Er hat sich betrunken und mit Lucius Malfoy ange-"

"Roach!" zischte der Zauberer. "Lupins Tod..."

"Bin ja dabei!" jammerte der kleine Mann. "Er hat Malfoy gedroht. Er hat gemeint, er hätte heute schon den Werwolf kalt gemacht, da wäre so ein Großmaul gar kein Problem mehr. Das ist alles! Undjetztgibmirbittedieflasche!" bettelte er.

Der Zauberer hob die Augenbrauen, ließ aber den Flaschenhals los, bevor Roach vor Gier auf den Tisch sabberte. Das war ein Anblick auf den er gut verzichten konnte. Als der Mann ein randvolles Glas Dragonbreath geleert hatte, seine Augen anfingen einen weit entfernten Blick zu bekommen, und er sein Glas wieder füllte, zog er ein Blatt Papier aus der Tasche. "Eine Frage hätte ich noch." Meinte er ruhig. "Weißt du was das ist?"

Roach warf einen Blick auf das Zeichen auf dem Zettel, und verschüttete vor Schreck das Glas der er gerade an den Mund setzten wollte. Er sprang auf wie von der Tarantel gestochen auf und riß dem Zauberer das Pergament aus der Hand. Daß er dabei das zweite Glas und die Flasche vom Tisch stieß, beachtete er nicht.

Während das Glas auf dem Boden klirrend zerbrach, und der teure Inhalt der Flasche in die Erde sickerte, fetzte der alte Mann das Pergament in kleine Stücke.

Er schien schlagartig nüchtern geworden zu sein. "Wo hast du das gesehen?" kreischte er. "Das darfst du nie, nie, nie aufzeichnen! Nie! Nirgends!"

Erschrocken über die starke Reaktion, und noch mehr darüber, daß er dem Dragonbreath dessen letzte Tropfen gerade den Boden tränkten, keine Beachtung schenkte, hob der Zauberer wieder abwehrend die Hände. "Ist ja gut. Ich mach's nie wieder." Versicherte er ihm. "Was ist es?"

Der kleine Mann sah sich nervös nach allen Seiten um, als erwarte er daß jeden Augenblick jemand aus den Schatten auf ihn losspringen würde. Seine Hände krallten sich in den Umhang des Zauberers, um ihn über den Tisch nahe an sich heran zu ziehen. Der Zauberer verzog kurz das Gesicht, als ihm der Gestank von Dragonbreath entgegen kam. Er wiedersetzte sich aber nicht.

"Dieses Zeichen", flüsterte Roach, "Ist ein Portal. Mit genug magischer Energie..." Er brach ab und tastete nach seinem Glas. Erst als er es an die Lippen setzte, bemerkte er, daß es leer war.

"Ein Portal wohin?" fragte der Zauberer verständnislos. "Roach! Wohin?" seine Stimme wurde eindringlicher.

Aus weit aufgerissenen Augen blickte ihn der alte Mann an. "Es verbindet die-" Seine Stimme wurde zu einem würgenden Geräusch. Seine Hände fuhren an seinen Hals, als würde ihm etwas die Luft abschnüren. Er schlug nach einem nicht vorhandenen Angreifer und kippte mitsamt seinem Stuhl hintenüber.

Als der Zauberer um den Tisch herum gerannt kam und sich zu dem kleinen Mann hinunter beugte, war er tot. Sein Gesicht war zu einer Fratze unaussprechlichem Schreckens verzerrt. Was er in seinem letzten Augenblick gesehen hatte musste... der Zauberer wollte es sich nicht einmal ansatzweise vorstellen.

Er wollte auch nicht mit einer Leiche gefunden werden, nicht einmal mit der eines alten Zauberers, der das Leben eines Bettlers und Säufers in der Nokturngasse führte. Er verließ die kleine Hütte so unauffällig er konnte. Als er die Türe erreichte, schauderte er. Er hätte schwören können, daß ihn etwas Eisiges berührt hatte. Etwas mit scharfen Krallen und stinkendem Atem.

Er lief mit schnellen, beinahe hektischen Schritten die Nokturngasse hinunter. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, in den Tropfenden Kessel zurückzukehren um noch ein Butterbier zu trinken. Im Augenblick allerdings brauchte er etwas stärkeres, und so fand er sich kurz darauf vor dem Tanzenden Teufel wieder.

Qualm und Alkoholgeruch schlug ihm entgegen als er die Türe öffnete und eintrat. Eine Vielzahl von Augen richteten sich auf ihn, und die wenigsten davon waren ganz menschlich. Er wusste daß viele der hier Anwesenden die Fähigkeit besaßen, magisch verändertes Äußeres zu erkennen. Unter den bohrenden Blicken ging er zur Bar und setzte sich dort. Als ihn nach einigen Minuten noch immer niemand verflucht hatte, fingen seine verspannten Schultern an, sich ein bißchen zu lockern. Es war allerdings nur ein kleines bißchen. Der Tanzende Teufel war nie ein ungefährlicher Ort.

Endlich war der Bartender mit den anderen Kunden fertig, und kam zu ihm. Die Bestellung gab er mit derselben rauen Stimme auf, die er im Tropfenden Kessel benutzt hatte. Jede Spur von Samt war daraus verschwunden, so vollkommen daß es schwer war sich vorzustellen daß er in der Lage war, überhaupt anders zu sprechen.

Glas und Flasche wurden vor ihm abgestellt.

Er erntete ein paar anerkennende Blicke, als er das erste Glas in einem Zug leerte. Er würde aufpassen müssen, nicht zu viel zu trinken. Ein Portal, hatte der Alte gesagt. Wohin? Vor seinem Fall war er ein großer Zauberer, beinahe ein Gelehrter, gewesen, auch wenn kaum jemand der ihn aus dieser Zeit kannte Scott Morrigan in dem vom Dragonbreath halb wahnsinnigen Bettler und Gelegenheitsdieb ,Roach' erkannt hätte.

Er trank gerade sein zweites Glas Schnaps, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte. Vier kleine, spitze Krallen stachen in sein Fleisch. Er drehte sich um und schluckte.

Hinter ihm stand ein Katta. Die humanoiden Katzenwesen waren von Natur aus einzelgängerisch und beanspruchten große Gebiete, was dazu führte, daß sie sehr selten waren. Der, der jetzt die Hand auf seiner Schulter hatte, musste sich außergewöhnlich sicher fühlen. Er hatte die Kapuze seines Umhangs zurückgeworfen und trug weder Handschuhe noch Stiefel, womit er seine Natur deutlich offenbarte.

"Du ssssitzt ... aufff mmmeinemmm ... Platzzz, Mensch", zischte er leise. Die englischen Worte schienen ihm Schwierigkeiten zu machen. Die ausfahrbaren Krallen an den Enden seiner mit grauem Fell bedeckten Finger drückten sich ein Stück weiter in die Schulter des Zauberers.

Die vernünftige und zu erwartende Reaktion wäre es gewesen, aufzustehen und dem Wesen seinen Willen zu lassen. Unglücklicherweise hatte der Schnaps den sonst kaum an Alkohol gewöhnten Zauberer bereits unvernünftig werden lassen. Er zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Drink zu.

Normalerweise fiel es Menschen schwer, im Gesicht eines Katta zu lesen, aber in den grünen Augen dieses bestimmten Exemplars zeigte sich klar und deutlich Überraschung. Einen Augenblick später wich sie ungläubigem Ärger, der schnell zu Wut wurde.

Dieses Mal durchstießen die Krallen die Haut des Zauberers.

Er drehte sich wieder um "Was?" Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich, ob er gerade wahnsinnig geworden war.

Der Katta zog die Lippen zurück und fauchte, wobei er zwei Reihen spitzer Zähne und ein Paar nicht zu verachtender Reißzähne sehen ließ.

Der Zauberer fauchte zurück, auch wenn seine eigenen Zähne wesentlich weniger eindrucksvoll waren.