Er hörte etwas und richtete sich auf die Ellenbogen auf. Seine schwarzen Augen starrten auf die Tür, die aufging. Herein kam ein Tablett, vollgestellt mit allerlei Kram, getragen von einem – ja, es musste wohl ein Mann sein, an den Gesichtszügen konnte man es erkennen. Das Wesen trug auch so ein albernes Kleidungsstück, auch diese Puschen und sein langes hellbraunes Haar glänzte ölig. Snape verzog einen Mundwinkel. Hellbraune Augen blitzten amüsiert.
"Na, endlich aufgewacht?" Der Mann kam herein und stellte das Tablett auf einem kleinen silbernen Tischchen ab. "Haben Hoheit genug geruht?" Snapes Mund verzog sich. Wie kam diese – Kreatur – dazu, ihn so zu behandeln. Blitzschnell sprang er auf, um gleich wieder umzufallen. Er war wohl doch schwächer, als er gedacht hatte.
"Sachte, sachte", sagte der andere Mann. "Dornröschen konnte auch nicht gleich wieder aufstehen. Iss erst mal was." Snape kniff die Augen zusammen. Richtig. Das sah aus wie eine Art Nahrung, was auf diesem Tablett war. Und er verspürte Hunger, jetzt wo der andere es erwähnte. Er achtete normalerweise nicht so auf seine Körperäußerungen, aber wenn er jetzt nachdachte, wann er das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte ... Hoffnungslos. Sein Magen kam jedenfalls mit einem gewaltigen hörbaren Satz zum Leben. Der andere Mann lachte und sank dann graziös in den Schneidersitz. "Iss". Eine manikürte Hand, die nichtsdestotrotz kräftig war, hielt ihm ein Büschel Weintrauben unter die Nase. Sie rochen verführerisch. Snape sah das Wesen noch einmal verächtlich und schweigend an, dann biss er zu.
Lange Zeit später fragte er: "Wo bin ich?" Der Mann der anmutig und still neben ihm gesessen hatte, während er alles verzehrte, was auf dem Tablett gewesen war, sah ihn an. "Meinst du das geographisch oder metaphysisch?" Snape schnaubte. Das sollte wohl Humor sein. Er hielt nicht viel davon, das hatte er nie. "Kontinent, Staat, Ort, das reicht für den Anfang. Spar dir den Schmu". Der andere kreuzte seine Beine von neuem. Snape sah nicht, dass sich das Material seines Kleides bewegte, als würde es leben. Nein. Gewiss nicht. Dass sich seine eigenen Beine in einer unwillkürlichen Abwehrreaktion schlossen, fand er hingegen gut.
"Nun gut". Der Mann hatte wirklich ein unverschämtes Grinsen. "Wenn du es so willst. Kontinent – Asien, oder Afrika? Das weiß ich immer nicht so genau." Snape schnaubte wieder. Das sah ihm ähnlich. Im Ungefähren, Irgendwo, Nirgendwo. "Wir sind hier auf der arabischen Halbinsel, soviel ist klar" sagte der andere und strich sich sein langes Haar aus dem Gesicht. Snape bemerkte eine aristokratische Nase. Nicht so herrschaftlich wie seine eigene, aber dennoch. Sie stand in absolutem Gegensatz zu den weiblichen Manieren und der Kleidung. Er schnaubte wieder. Wenn das bei dem anderen schon so wirkte, wie sah dann er selber aus? Nicht dass ihn das interessierte. Sein Aussehen hatte er mit 17 aufgegeben, als klar war, dass die Nase nicht kleiner werden würde, egal was er tat.
"Staat? Ich weiß nicht, ob das hier überhaupt zu irgendwas gehört. Ich war nie sehr gut in Geographie". Das hätte Snape nicht von allein gemerkt. "Ort – ich nenne es Shangri-La, wie du es nennen wirst, Himmel oder Hölle, das kommt ganz auf dein Verhalten an."
Ah. Wirklich. "So". "Ja". Die beiden Männer sahen sich an und wenn Snape es nicht albern gefunden hätte, so etwas zu denken, hätte er gedacht, dass die Luft zwischen ihnen bebte.
Snape brach das Schweigen. Er hasste es, das als erster zu tun, aber wenn es nicht anders ging – schließlich war klar, dass der Andere im Moment seine einzige, wenn auch noch so dürftige Informationsquelle war. Und Snape wollte gewappnet sein. Er hatte eine gewisse Vorstellung von dem, was ihn erwartete, er war nicht umsonst jahrelang über alle sieben Meere gefahren, hatte einiges gesehen, noch mehr gehört und auch einiges erlebt. Er wusste, dass es solche Orte gab, Orte, an denen kein westliches Gesetz galt, sondern an denen Potentaten herrschten wie zu alter Väter Zeiten. Er wusste, was das gewöhnlich einschloss. Die frauenfeindliche Erziehung führte oft weiter als beabsichtigt. Knaben wurden von Frauen entfernt gehalten und sollten sich dann wieder an sie gewöhnen, um Söhne zu zeugen. Oft klappte das nicht. Nicht so ganz. Nun, was konnte er dagegen sagen? Eigentlich nichts. Nur dass er, als westlicher Mann, bisher in seiner Entscheidung frei gewesen war. Jedenfalls hatte er das geglaubt. Und nun war er hier gefangen, in diesem Luxuskäfig. Er merkte, wie sein Blut wieder zu brodeln anfing. Abschätzig sah er den anderen an. Nein, es würde nichts bringen, den zu überfallen. Der war nicht der Feind. Er schien auf der gleichen Stufe zu stehen wie er selbst. Er war eine Informationsquelle.
"Und ich bin hier als – Sklave?" Das Wort kam kaum über seine Lippen. Der andere sah ihn an und griff nach einer einsamen Traube, die Snape wohl übersehen hatte. "Isst du das noch? Nein? Dachte ich mir." Irgendwie obszön, wie er die Traube lutschte. "Sexsklave", sagte er dann. Es klang genüsslich. "Natürlich nur, wenn du dich nicht zu blöd anstellst. Was ich aber nicht glaube". Wieder dieser abschätzige Blick. Severus wollte ihn doch umbringen. Er wurde nicht rot, verdammt. Höchstens vor Wut.
"Und was, wenn ich mich – blöd anstelle? Oder mich einfach weigere?" Der andere starrte ihn lange an und zuckte mit den Achseln. "Wer weiß? Ab in die Wüste? Oder – entmannt ihn? Es gibt hier auch einen Frauenteil, und die Wächter dort haben ziemlich hohe Stimmen."
Snape starrte ihn an. Entzückend. "Und du – bist ...?" Der andere zuckte wieder mit den Achseln. "Ich habe mich nicht blöd angestellt. Zumindest nicht lange." Er schlug die Augen nieder, eine rührende Geste bei jemand, der so viel von sich gezeigt hatte. Snape war nicht zu rühren. "Die Peitsche hat mir nicht gefallen. Und so schlecht ist der Prinz nicht. Und das Leben hier – es ist ein Gefängnis, aber ein bequemes. Mehr, als man über andere Orte auf der Welt sagen kann. Und was ist überhaupt Freiheit? Ist sie nicht eine Illusion?"
Snape starrte ihn an und hob die Hand. "Erspar mir das." Der andere grinste. Gleichmütig. Und erhob sich. "Du bereitest dich besser vor. Prinz Achmed der Erhabene wird sich seine Neuanschaffung sicher noch heute anschauen wollen. Am frühen Abend muss er eine seiner Frauen besuchen, das wird so von ihm erwartet. Tradition, du verstehst? Aber danach wird er sicher kommen." Er grinste anzüglich, nahm das Tablett und verbeugte sich. Und war verschwunden, nicht ohne noch etwas von Körperreinigung innen und außen zu murmeln.
Snape sank auf sein Kissen zurück. Das konnte einfach nicht wahr sein. Severus Snape als Sexsklave im Harem. Wenn er sich nicht blöd anstellte, wie diese – Kreatur gesagt hatte. Ihm entkam ein schnaubendes völlig humorfreies Lachen. Lucius, du Mistkerl. Du perverses Schwein. Du Dreckstück mit einem Sinn für Humor, der seinesgleichen sucht. Snape beruhigte sich wieder. Sinnlos, sich jetzt so aufzuregen. Es galt, einen Ausweg zu suchen. Das ging mit klarem Kopf besser.
Eine Stunde später sank er wieder auf die Kissen. Erschöpft. Es gab keinen Ausweg. Wüste, wohin das Auge blickte. Von Wächtern ganz zu schweigen, die auftauchten, sobald er den kleinen Innenhof überschritt. Die einzige andere Tür ging in ein Badezimmer, das fensterlos war. Verdammt. Verdammt verdammt verdammt.
Und er wollte verdammt sein, wenn er dem Rat, oder was auch immer es gewesen war, dieses – Wesens – folgte. Wenn dieser Prinz – Snape lachte höhnisch –kam, dann würde er ihn so nehmen müssen wie er war. Er war sauber genug. Doch. Sauberer als er je auf einem Schiff gewesen war. Auf Schiffen blieb man nicht sauber. Aber er war sein eigener Herr gewesen. Verdammt. Nun ging es wieder los. Er war Severus Snape und er gab nicht der Neigung nach, Selbstmitleid zu empfinden. Nein. Es gab nichts zu tun. Er konnte nur warten. Severus schloss die Augen und schlief.
