Jay´s POV

Endlich öffnet sich die Tür und Chris kommt heraus. Leise lässt er die Tür ins Schloß fallen.

Ich stosse mich von der Wand ab, an die ich gelehnt stand.

"Und?", frage ich erwartungsvoll.

Chris´ Augen strahlen, aber zeugen auch von einer gewissen Traurigeit. Er legt einen Arm um meine Schulter und bewegt mich dazu, mit ihm zu gehen, Richtung Ausgang.

Als wir draussen sind, widersetze ich mich seiner Willkür.

"Was hat sie gesagt?", frage ich ungeduldig.

Chris atmet tief ein und meine Hoffnung sinkt: "Sie erinnert sich an so gut wie gar nichts mehr."

"So gut wie?", hake ich nach, neuen Mut schöpfend.

"Sie wusste wer ich bin und das sie als kleines Mädchen Wrestlerin werden wollte."

"Das ist doch super", freue ich mich.

Chris schüttelt missmutig den Kopf: "Sie konnte sich um´s verrecken nicht dran erinnern, dass sie Wrestlerin ist, wie es zu dem Unfall kam, an nichts. Es ist einfach weg."

"Die Ärzte sagen..."

"Scheiß auf die Ärzte, Jay, das sind doch alles nur unqualifizierte Fachidioten!", schimpft Chris.

"Sehr aufbauend", erwidere ich trocken.

Er lächelt entschuldigend.

Nach einer Stille, die mir unendlich vorkommt, meint er schließlich: "Gib ihr Zeit."

Zeit? Ja, genau! So ein Schwachsinn! Aber was bleibt mir Anderes übrig?

Ich seufze und nicke im stillen Einverständis.

Sein nächster Satz ist wie ein Schlag in die Magengrube: "Du solltest nach Hause fahren."

"Was? Warum?"

"Komm schon, Jay, du kannst hier eh nichts ausrichten. In zwei Tagen müssen wir wieder auf Tour. Und du könntest ein bisschen Ruhe gebrauchen. Nimm es nicht persönlich, aber du siehst echt Scheiße aus."

Ich starre ihn fassungslos und dann bricht alles aus mir heraus: "Das kommt dir alles ganz gelegen. Du warst doch schon immer dagegen, dass ich mit Jordan zusammen bin. Du denkst ich bin nicht gut genug für sie. Aber so leicht gebe ich sie nicht auf. Ich liebe sie, verdammt!"

Chris schaut mich an, als ob ich meinen Verstand verloren hätte: "Red keinen Scheiß, Junior!"

"Nun kannst du es doch zugeben!"

"Okay, am Anfang war ich skeptisch, aber nicht wegen dir. Ich wollte nicht, dass es ihr genauso ergeht wie meiner Mutter, dass sie immer allein ist und ihren Mann nur eins, zwei Tage in der Woche sieht. Das war bevor sie selbst auf Tour gegangen ist. Das Jordan glücklich ist, ist das Einzige, was ich will."

"Und sie war glücklich mit mir", erwidere ich ruhiger.

Er nickt: "Du bist ein guter Kerl und gut zu meiner Schwester. Mehr will ich nicht."

Plötzlich komme ich mir so dumm vor. Ewig hatten diese Gedanken an mir gefressen und nun habe ich mir alles nur eingebildet.

"Glaubst du es wird alles wieder wie früher?", frage ich Chris mit zitternder Stimme.

Ohne lang zu überlegen sagt: "Ja!"

Aber ich kann in seinen Augen lesen, dass er nicht wirklich davon überzeugt ist.

Ich beiße mir auf die Lippen und setze den Weg Richtung Parkplatz fort: "Ich fahre jetzt nach Hause. Du rufst mich aber sofort an, wenn du etwas Neues weißt?"

Er klopft mir aufmunternd auf die Schulter und nickt.

"Pass auf dich auf, Jay!"

Ich steige in mein Auto, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen.

Ich habe Angst davor allein zu sein. Ich war noch nie von Jordan getrennt. Wir haben jeden Tag zusammen verbracht. Wir waren zusammen auf Tour, haben uns ein Hotelzimmer geteilt. Wir haben jeden freien Tag in unserem Haus verbracht. Unser Haus. Sie erinnert sich sicher auch nicht mehr daran. An die vielen schönen Stunden, die wir dort verbracht haben. Der Gedanke daran macht die Heimfahrt noch unerträglicher.

Einige Stunden später

Nun bin ich zu Hause. Alles erinnert mich an Jordan. Jede kleine Einzelheit: Die Couch auf der wir sassen, wenn wir keine Lust hatten auszugehen und einen ruhigen Abend vor dem Fernseher verbringen wollten. Wie wir uns gestritten haben, was für einen Film wir schauen sollen. Sie war für Liebe, ich für Action. Zum Schluß konnten wir uns immer auf einen trashigen Teenie-Horror-Film einigen. Der Kamin, vor dem wir sassen und stundenlang über Gott und die Welt geredet haben. Ich kann meinen Blick nicht auf die Fotos richten, die darüber hängen. Die Bilder von dem glücklichen Paar, die mir jetzt so verdammt ironisch vorkommen, dass ich die Tränen von Wut und Selbstmitleid nur schwer unterdrücken kann.

All die Erinnerungen lassen mich zusammenbrechen. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr. Ich fühle mich müde und kaputt. Meine ganze Welt ist in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus im Wind. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so kommen würden. Was wir hatten, war so etwas unbeschreiblich Besonderes.

Ich möchte nur noch schlafen und erst wieder aufwachen, wenn alles ist wie früher.

Vielleicht ist alles nur ein böser Traum aus dem ich nur aufwachen muss.

Wach auf, Jay, wach auf!