15. In guten wie in schlechten Zeiten
Das Licht war gedämpft, die Vorhänge waren zugezogen, und außer Harry und Hermione war der Siebtklässler-Jungenschlafsaal leer an diesem Sonntagmorgen. Harrys Herzschlag war rasch und seine Atmung flach als er auf dem Bett lag und Hermione sich über ihn beugte.
"Schnäuzen!" befahl das Mädchen und hielt ein Taschentuch unter Harrys Nase.
"Ich bin kein Kind mehr", jammerte er. "Ich kann das auch alleine."
"Sicher", sagte Hermione und gab das Tuch in Harrys Hand. "Na los."
Harrys Hand sackte nieder als würde sie eine Tonne wiegen.
"Das reicht. Und jetzt mach schon und schnäuz' dich!" Sie hielt das Taschentuch zurück unter seine Nase.
"Ich fühl' mich nicht so gut", wimmerte Harry mitleiderregend. "Und es ist allein deine Schuld." Er schnäuzte sich wie ein artiger Bub, was Hermione dazu brachte, vor schlechtgetarntem Ekel zusammenzuzucken. "Ich hab' die schlimmste Erkältung, und nirgendwo ist ein Pepper-Up-Trank in Sicht. Bin ich so unwichtig, dass du mich gar nicht in deinen Plan B einkalkuliert hast?" schluchzte er und rotumrandete Augen wurden vor Fieber ganz glasig.
Hermione strich eine schweißfeuchte Strähne zurück und lächelte traurig. "Es tut mir leid, Harry. Ich hätte für diesen Fall eine Phiole zurückhalten sollen. Es wird dir bald besser gehen; ich verspreche es. Ich hole dir etwas heiße Milch mit Honig von Dobby, okay?"
"Eww", protestierte Harry schwach und schloss seine Augen. "Hasse diesen G'schmack." Innerhalb weniger Sekunden schlief er.
Seufzend stand Hermione vom Bett auf und glättete die Decken über dem liegenden Jungen-Der-Schlief. Sie fühlte sich außergewöhnlich wagemutig und küsste sogar seine Stirn während sie ihm "Süße Träume" wünschte.
Sie war schon wieder aus dem Schlafsaal verschwunden als Harry sich tiefer in seine Decke kuschelte und in seinen Träumen lächelte.
Severus Snape jedoch war weit entfernt vom Lächeln. Er hatte nicht einen einzigen Grund, es zu tun; sogar weniger als gewöhnlich. Snape fühlte sich miserabel. Seine Augen tränten, seine Gesicht war ungesund angelaufen und seine Nase würde laufen, wenn er sich nicht zwei Taschentücher in die Nasenlöcher geschoben hätte. Er schätzte, dass er so aussah wie er sich fühlte: Scheiße.
Der einzige Vorteil dieser Situation war, dass er nicht mehr riechen musste, wie sein Zimmer nach diesen parfümierten L-Briefen (wie er sie schaudernd nannte) stank.
Snape beäugte die Phiole mit Pepper-Up-Trank angeekelt, aber wissend, dass er den Trank entweder schlucken oder aber seinen Haufen Schwachköpfe in diesem Zustand unterrichten musste, half ihm gewaltig, sich umzuentscheiden.
Der Tränkemeister leerte den Trank in seinen Mund (und schwor sich dabei, nie wieder das Gebräu eines anderen zu trinken, selbst wenn sein Leben davon abhängig wäre) und schluckte tapfer – seine Geschmackszellen waren dankbarerweise betäubt. Snape versuchte den Kopfschmerz aus seinen Schläfen zu massieren, und als der Rauch aus seinen Ohren schoss, bemerkte er nicht, dass er die falsche Farbe hatte.
"Wie geht es ihm?" fragte Ron.
"Er ist verschroben. Höchst emotional." Hermione ließ sich neben den Rotschopf plumpsen und stöhnte leise.
"Ich schnall' es einfach nicht. Wie kann der Typ gegen Dunkle Lords und Todesser kämpfen, aber wenn er mit einer einfachen Erkältung konfrontiert wird, ist er so ein Baby..."
"Ich schätze, es hat etwas mit seiner Kindheit zu tun-"
"Ist es nicht immer so?"
"-mit seiner Kindheit zu tun", wiederholte Hermione verärgert aufgrund der Unterbrechung. "Da war niemand, der ihn verhätschelt hätte, wenn er krank war. Und jetzt nutzt er es aus. Es macht mir nicht wirklich etwas aus. Er verdient es, oder?"
"Solange ich nicht seine benutzten Taschentücher anfassen muss..."
"Depp."
"Ein liebenswerter, hoffe ich."
Hermione lächelte einfach.
"Ich kann kaum bis morgen warten", krähte Ron vor Aufregung. "Ich würde wirklich gerne sehen, wie der schmierige De- Professor mit einer Erkältung aussieht. Ha!" Er seufzte. "Macht jetzt auch nichts mehr."
"Wir konnten ihn nicht krank lassen, Ron", sagte Hermione. "Irgendwie hätte Snape einen Pepper-Up-Trank gefunden, und unserer wäre dann umsonst gewesen. Nein; so ist es besser. Außerdem wäre Tonks sicherlich nicht wirklich erfreut gewesen-"
"Ja. Stell dir einen kranken Snape vor, der ihr den Hof macht", lachte Ron. "Würde er ihr Blumen oder liebe eine Atemmaske mitbringen?"
Hermione lächelte leicht. "Wäre das nicht romantisch? Wenn er sich mehr um ihre Gesundheit als um seine Sorgen machte?"
"Jjja." Ron schoss ihr einen komischen Blick zu. "Was immer du sagst, Liebe."
Tonks' innerer Snape-Radar klingelte und machte sie somit darauf aufmerksam, dass ihr Liebling entweder in tödlicher Gefahr, verletzt, krank oder am Schmollen war (was alles recht gleich oft vorkam). Der Metamorphmagus dachte schnell und entschied sich sogar noch schneller und dann verließ Tonks auch schon ihr Zimmer auf der Suche nach ihrem Herzstück.
Als Harry von tanzenden Taschentüchern träumte, Ron und Hermione über den Unterschied zwischen romantischem Material und schnulzigem Mist stritten, Tonks nach ihrem Liebling in Nöten suchte, und Snape von alledem um ihn herum keine Ahnung hatte, entschied sich Crookshanks dazu, eine Runde Verstecken mit sich selbst zu spielen.
Niemand hörte, wie die Katze gegen das Tischbein in Hermiones Zimmer stieß (was die Nase der Katze noch platter machte), und niemand wurde Zeuge von dem folgenden Krach als die Glasphiole zu Boden stürzte, in Teile zerbarst und den Boden mit Feuchte benetzte.
A/N: Die Uhr, die zeigt, wann Snape schmollt, ist von poy-sin.
