Erstmal eine Danksagung an alle Reviewschreiber von Heiler und Geister, besonders die vom letzten Kapitel, auf die ich noch gar nicht antworten konnte.
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Shelley, Ithiliell, Serena, Sarah, Michi, Eowyn, Seniwallenstein, Lord Elo und Blacky: Ich weiß, ich hab die Geduld auf die Probe gestellt. Jetzt hoffe ich nur, das Warten hat sich gelohnt. Sie sind wie versprochen alle wieder dabei. Erestor natürlich auch, der lag mir besonders am Herzen.
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Ein riesiges Dankeschön an Amélie die sich damit rumschlägt, jedes Kapitel mit der Lupe auf Fehler zu prüfen. Falls ihr doch noch welche findet, ist das nicht ihre Schuld, dann war ich zu schusselig, ihre Korrekturen auch alle zu übernehmen. Lass dich drücken, Amélie!
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Heiler und Schatten
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DisclaimerEs hat sich nichts geändert, noch immer gehört alles Prof. Tolkien bzw. seinen Erben. Ich hab den Spaß noch nicht verloren, mir dieses ganze Universum auszuleihen, aber Geld ist leider nicht damit zu verdienen.
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1. Kapitel: Drei Haselnüsse für Aragorn
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Die Gegend war geeignet, dem Betrachter ein Gefühl des Wohlbehagens zu vermitteln. Sanfte Hügel, grasbewachsen, von bunten Blumen durchsetzt, deren grazile Stängel sich sacht im leichten Wind wiegten. Immer wieder durchbrachen Wälder diese Idylle, kaum weniger angenehm in ihrem satten, dunklen Grün, das kühlen Schatten in der Hitze des Sommer verhieß, der über das Land gekommen war. Der Anduin schlängelte sich seinen Weg Richtung Süden, in einem breiten Bett und in ruhigem Fluss. Die Wasseroberfläche glitzerte wie flüssiges Silber und ließ noch nicht ahnen, dass er viele Meilen stromabwärts gefährliche Stromschnellen in sich barg.
Noch war es allerdings kein Sonnenlicht, das die Landschaft beschien, sondern die mithrilgleiche Helligkeit eines perfekten Vollmondes. Unglaublich schön und leider auch sehr unangenehm, wenn man eine Horde Orks an den Fersen hatte.
Aragorn ignorierte schon seit Stunden die Schönheit der Landschaft. Er lief um sein Leben, seine Lungen erreichten langsam einen Punkt, an dem sie jegliche Mitarbeit bei seiner weiteren Flucht für eine Zumutung hielten und dies durch schmerzhaftes Ziehen bei jedem seiner schnellen Atemzüge kundtaten.
Gerade eben schlossen sich auch seine Beine dieser Arbeitsverweigerung an. Eines knickte einfach weg und er überschlug sich mehrfach, bevor er etwas benommen auf den Knien zum Sitzen kam. Den Kopf hielt er gesenkt, seine Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus, während sein verschleierter Blick auf seine linke Faust gerichtet war, die auf seinen Beinen ruhte. Er würde seine Beute auf gar keinen Fall aufgeben, auf gar keinen Fall. Immerhin war sie der Grund, warum er überhaupt in diese Lage gekommen war.
Mühsam rappelte er sich auf und spähte kurz hinter sich. Die sechs Orks kamen gerade über einen Hügel, eine Meile trennte sie wohl noch von ihm. So wie er erkennen konnte, waren sie nicht sonderlich erschöpft. Die Fressgier beflügelte sie wohl. Ein schönes Stück Menschenfleisch stellte eine nette Abwechslung auf ihrem Speiseplan dar. Hungrig waren sie jedenfalls, das hatte er mitbekommen, als er sich am Abend an ihr Lager geschlichen hatte.
„Noch habt ihr mich nicht", stieß er wütend hervor und rannte wieder los.
Er war Aragorn, Arathorns Sohn und er würde nicht mit einem Bratspieß in den Eingeweiden über dem Lagerfeuer dieser verrotteten Kreaturen enden. Er stellte sich schaudernd vor, dass von einer ganzen Linie bemerkenswerter Könige nur ein Haufen sauber abgenagter Knochen übrig blieb. Das fehlte ihm gerade noch. Als Aragorn, das Hauptgericht, wollte er jedenfalls nicht in die Geschichte eingehen.
Mit ein bisschen Glück konnte er das Waldstück nah im Westen erreichen. Dort hatte er größere Möglichkeiten, sich vor diesen blutrünstigen Kreaturen zu verstecken. Der Plan war gut, besser als die meisten, die sein Bruder Elladan so zu entwickeln pflegte. Allerdings hatte er auch seine Tücken. Zum einen stieg das Gelände merklich an, so weit war es schließlich auch nicht bis zum Nebelgebirge und zum anderen gab er den Orks nun doch die Möglichkeit, ihm den Weg abzuschneiden. Vorausgesetzt natürlich, sie verstanden überhaupt, was er vorhatte.
Ein kurzer Blick über die Schulter, während er sich seinen Weg über den immer steinigeren Boden suchte, belehrte ihn, dass auch Orks nicht unbedingt völlig unintelligent waren. Und ob sie begriffen, dass ihre Beute ihnen durch die Lappen zu gehen drohte. Mit hörbarem Gebrüll wechselten sie gerade die Richtung, um ihn noch vor dem Waldrand abzufangen.
Man sollte wirklich niemanden unterschätzen. Selbst einen Ork nicht.
Aragorn seufzte innerlich. Das sollte es also gewesen sein. Mutterseelenallein, fernab von seiner Familie, die wahrscheinlich nie erfuhr, was ihm zugestoßen war, beendete er sein Leben in den Ebenen des Anduin. Dabei hatte er nur die Schwertelfelder sehen wollen, die Geschichte seines eigenen Blutes suchen. Jetzt würde sein Blut höchstwahrscheinlich einen Tagesmarsch davon entfernt in rauen Mengen vergossen. Wie sich die Vergangenheit wiederholte. Irgendwie tragisch…
Den Waldrand konnte er nicht mehr erreichen. Und selbst wenn, sein Vorsprung war nicht mehr groß genug, um dort ein Versteck zu suchen. Aragorn verlangsamte seine Schritte, warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Bäume, die ihm Zuflucht geboten hätten und drehte sich dann mit gezogenem Schwert zu seinen Verfolgern um. Sollten sie doch kommen, ihr Abendessen mussten sie sich schon erkämpfen.
Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Gute zwanzig Schritt von ihm entfernt blieb der stinkende Haufen abrupt stehen. Sie waren unruhig, die eckigen Schwerter bewegten sich hin und her, während sie leicht gebeugt von einem Bein auf das andere traten. Zum Glück hatten sie bislang noch nicht daran gedacht, ihn einfach abzuschießen.
„Feiglinge!" schrie er ihnen entgegen. Warum bin ich nicht schon eher auf die Idee gekommen, mit ihnen zu kämpfen? Das Naheliegende ist wohl am schwersten zu glauben.
Diese Orks hatten Angst. Hunger und Furcht stritten sichtbar in ihnen. Sie wagten nicht einmal, ihm ins Gesicht zu sehen, sondern blickten fast durchgehend auf einen Punkt zu Aragorns Linken. Dabei knurrten sie zumeist leise, ab und zu hob einer von ihnen drohend sein Schwert.
Ahnungsvoll drehte Aragorn den Kopf nun ebenfalls in diese Richtung. Er sah ihn sofort. Auf einem Felsen, übergossen mit Mondlicht stand ein Bogenschütze. Reglos wie eine Statue stand er da, den Bogen erhoben, einen Pfeil in der gespannten Sehne. Aragorn kannte diese Bögen aus dem sanft geschwungenen Holz. Wer sie spannen wollte, musste besondere Kräfte haben. Der Schütze dort oben auf dem Fels jedenfalls hatte keinerlei Mühe, die Sehne weiter dicht neben seinem Ohr zu halten. Er konnte wohl noch lange so verharren, beinahe eine Ewigkeit.
Erleichterung überkam Aragorn, auch wenn er den Elb nicht kannte, der ihm gerade Rettung brachte. Die sechs Orks waren verloren, wenn sie nun noch weiter versuchten, ihn zu töten. Niemand würde ihm mehr zu nahe kommen, solange der Elb mit dem Bogen dort wachte.
Einer der Orks versuchte es allerdings doch. Er hatte den ersten Schritt in Aragorns Richtung noch nicht beendet, da wurde er von einem hellen Pfeil zwischen die Augen getroffen und nach hinten mitten unter seine fresslustigen Kumpane geworfen.
Aragorns Kopf zuckte von ihm zurück zu dem Elb oben auf dem Hügel. Er schien sich überhaupt nicht bewegt zu haben. Ein neuer Pfeil lag in der Sehne, die auch noch ebenso weit gespannt war. Wenn nicht ein leichter Windhauch aufgekommen wäre und seine langen, in einfachen Flechtsträngen zurückgehaltenen Haare in die fließenden Bewegungen eines Seidentuchs versetzt hätte, wäre kaum erkennbar gewesen, dass er keine Statue war.
Den Orks jedenfalls reichte es. Sie fauchten noch einige Beschimpfungen in Richtung des Elben, packten dann den Kadaver und zogen sich murrend zurück. Hungrig würden sie wohl nicht bleiben. Aragorn schüttelte sich. Er blieb wachsam, bis die Entfernung zwischen ihm und der Orkhorde groß genug war, dass ihm auch von schwarzen Pfeilen keine Gefahr mehr drohte, dann endlich steckte er sein Schwert weg und wandte sich seinem elbischen Retter zu.
Der hatte zwar den Pfeil wieder in den Köcher gesteckt und den Bogen leicht gesenkt, aber er machte keinerlei Anstalten, seinen erhöhten Platz zu verlassen.
„Ich danke Euch!" rief Aragorn ihm zu und erntete ein knappes Nicken.
Unschlüssig wippte er auf den Fußballen. Was nun? Wenn er den Elb genauer betrachtete, war es keiner von einem Volk, das ihm bereits begegnet war. Außerdem war er groß und sehr viel beeindruckender in der Statur als die meisten anderen, die er kannte. Und kein Noldo, auf gar keinen Fall.
„Ihr habt mir das Leben gerettet." Ein neuer Versuch. Vielleicht kam er ja so weiter.
Der Elb auf dem Hügel neigte ein wenig den Kopf zu Seite. Er wirkte nicht sehr begeistert über seine Tat. Aragorn beschloss, dem Ganzen nun auf den Grund zu gehen. Mit einem entschlossenen Schnaufer machte er sich daran, den Hügel zu erklimmen, schweigend und reglos von dem Elb dabei beobachtet. Je näher er kam, desto weniger erschien dem Waldläufer sein Vorhaben als eine so blendende Idee.
Elben konnten sehr verschlossen sein und ein wenig arrogant. Dieser hier schien beides perfektioniert zu haben. Blaugraue Augen verfolgten seinen schwerfälligen Aufstieg, eine vollendet geschwungene dunkle Augenbraue wanderte spöttisch höher, je lauter sich der erschöpfte Waldläufer den Weg erkämpfte. Irgendwie schien es ihn zu amüsieren, dass Aragorn vor Müdigkeit und Erschöpfung einige Male stolperte.
„Ihr hättet auch heruntersteigen können", schnaubte Aragorn impulsiv, als er endlich oben angekommen war.
Nun schoss auch die zweite Augenbraue hoch. „Und warum sollte ich?"
Immerhin konnte er reden, auch wenn der Tonfall vor Sarkasmus beinahe vibrierte. Aber es war dennoch gut, die vertrauten elbischen Klänge zu hören. Aragorn lächelte. „Weil ich eigentlich zu müde bin, um mich noch zu rühren?"
„Ihr habt es doch geschafft, oder?" Der Elb verstaute endgültig seinen Bogen wieder auf dem Rücken.
Aragorn bedauerte es fast, denn es war ein ausgesucht schönes Stück, aus leicht grünlich schimmerndem Holz gefertigt, mit feinsten Schnitzereien und mattgoldenen Intarsien verziert. Die gleiche Qualität fand sich auf dem langen Schwertgriff, der an der linken Hüfte des Elben unter dem schlichten, grauen Umhang herausragte.
„Gerade eben", murmelte Aragorn. „Erfahre ich den Namen meines Retters?"
„Erfahre ich zunächst den Namen des Geretteten?"
Das war immerhin sein gutes Recht. „Man nennt mich Streicher."
„Ah", machte der andere und seine Mundwinkel hoben sich in einem spöttischen Lächeln. „Und wie nennt man Euch bei meinem Volk?"
Misstrauisch blinzelte Aragorn ihn an. „Wieso sollte ich unter den Eldar einen anderen Namen haben?"
„Weil wir niemandem so einen albernen Namen wie Streicher geben würden."
„Wollt Ihr mich beleidigen, Herr Elb?"
„Was glaubt Ihr wohl?" In einer eleganten Bewegung hob der Elb eine Gepäckrolle vom Boden neben sich auf und hängte sie um. Dann begann er, den Hügel hinabzusteigen.
Aragorn starrte ihm einen Moment fassungslos nach. Und dafür war er erst hinaufgekrochen, um nun wieder hinter diesem Kerl herunterzustolpern? Die Zähne zusammengebissen schloss er zu dem anderen auf.
„Nun?" fragte der ihn, ohne ihn anzusehen. „Wie nennt man Euch?"
„Estel", knirschte Aragorn. „Jetzt Ihr!"
„Estel aus Imladris", meinte der Elb nachdenklich. „Ich hörte von Euch."
„Wie schön. Ist Euer Name ein Geheimnis, oder warum wollt Ihr ihn nicht sagen?"
Der Elb blieb stehen und deutete eine leichte Verbeugung an. „Haldir o Lorien."
„Oh!" machte Aragorn überrascht. Der Hauptmann der lorischen Grenzwachen und Heerführer Celeborns in Kriegszeiten. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er hatte von ihm gehört, jeder hatte das. Jetzt erkannte er auch die grauschattierte, schlichte Uniform der Grenzwachen, die er zuvor nur in Büchern erblickt hatte.
Haldir hatte ihn schweigend beobachtet. „Hat es Euch die Sprache verschlagen, Estel?"
„Ich wundere mich nur", erklärte Aragorn nach einem Räuspern. „Was macht Ihr hier draußen? Der Goldene Wald ist weit weg."
„Das ist er allerdings", bestätigte Haldir und nahm seinen Marsch Richtung Waldrand wieder auf. „Ich reise, Estel, so wie Ihr wohl auch. Allerdings lasse ich mich nicht dabei von Orks jagen. Wie kam es überhaupt, dass sie Euch an den Fersen klebten?"
„Nur ein dummer Zufall", murmelte Aragorn ausweichend. „Sie entdeckten mich."
„Einen Waldläufer?"
„So etwas passiert den besten."
„Zumindest unter den Sterblichen."
Er war wirklich arrogant. „Hattet Ihr etwa noch nie Schwierigkeiten mit Orks?"
„Zumindest jagten sie mich noch nie stundenlang den Anduin entlang", erklärte Haldir boshaft. „Ich fragte mich schon, wann Ihr endlich den Wald ansteuern wolltet. Das Warten wurde mir etwas lang."
„Ihr habt mich die ganze Zeit beobachtet?"
„Ja." Haldir betrachtete prüfend den Waldrand und schlug dann einen wohl nur ihm offensichtlichen Weg ein. „Wobei entdeckten sie Euch, Estel?"
„Ich schlich mich an ihr Lager."
Erneut blieb der Galadhrim stehen. Diesmal lag offene Missbilligung auf seinen Zügen. „Ihr seid alleine unterwegs und diese sechs Orks sind es nicht wert, sie auszuspionieren. Habt Ihr das nicht bemerkt?"
„Darum ging es nicht", brummte Aragorn und strich verlegen einige Grashalme von seinem Mantel.
„Worum dann?"
„Nicht so wichtig."
„Wichtig genug, dafür zu sterben", war die ruhige Antwort. „Ich habe Euer Leben gerettet, Estel, vielleicht schuldet Ihr mir einfach die Wahrheit."
Eru, dieser Mistkerl hatte wahrscheinlich Recht. Aragorn kämpfte einen Moment mit sich, dann streckte er wortlos den linken Arm aus und öffnete langsam die Faust. Schweigend betrachtete Haldir, was dort die ganze Zeit verborgen gewesen war.
„Ich weiß, dass es lächerlich ist", fauchte Aragorn, als ihm das Schweigen zu lang wurde. „Aber ich liebe Haselnüsse und das war der erste Strauch, den ich seit Monaten zu Gesicht bekommen habe. Diese verdammten Orks haben direkt daneben ihr Lager aufgeschlagen. Natürlich…"
Er verstummte, als ein breites Grinsen auf Haldirs vorher so beherrschten Zügen erschien.
„Ich schätze", sagte der Galadhrim dann gedehnt, „das wird eine sehr abwechslungsreiche Reise."
…
Elrond schritt schnell, aber ohne gleich zu laufen durch die schattige Eingangshalle. Er würde niemals rennen, wenn es nicht um Leben und Tod ging und das war hier nicht der Fall.
Der junge Elb an seiner Seite hatte ein derartiges Maß an Selbstbeherrschung noch nicht erreicht. Wahrscheinlich würde er es auch nie, erkannte Elrond mit einem stillen Seufzer.
„Er hätte längst hier eintreffen müssen", jammerte Figwit unter heftigen Gesten, die beinahe eine sehr grazile Glasvase von einem Podest geschlagen hätten.
Elrond runzelte die Stirn. Diese Vase war ein Lieblingsstück seiner Gemahlin gewesen. Figwit spielte gerade mit seiner Gesundheit. „Beruhigt Euch, er wird rechtzeitig da sein."
„Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?" Mit großen Augen umklammerte Figwit Elronds Unterarm. „Da draußen lauern die schrecklichsten Gefahren. Er weiß doch gar nicht, was ihm alles passieren kann. Ihr solltet ihm wirklich nicht mehr erlauben, so völlig ohne Begleitung seine Exkursionen zu unternehmen. Ich meine, er kann doch hier in Bruchtal Pflanzen sammeln. Warum macht er das überhaupt? Er hat sich noch nie dafür interessiert."
Elrond blickte bedeutungsvoll auf seinen Arm, bis Figwit errötend die Hand herunternahm. „Ich denke nicht, dass eine Einmischung von mir Erfolg zeigen würde, mein Junge und jetzt sammelt Euch bitte. Es ist Jahrhunderte her, dass ich hier in Bruchtal Schnee-Elben als Gäste begrüßen durfte. Ich werde ihre Ankunft nicht durch Eure unsägliche Hektik verderben lassen."
Gekränkt, aber gehorsam senkte Figwit den Kopf und schlich die letzten Schritte hinaus auf den obersten Absatz der großen Hoftreppe hinter Elrond her. Dem Herrn von Bruchtal tat es beinahe leid, den jungen Elb so angefahren zu haben, aber in dem einen Jahr, das Figwit nun hier in Bruchtal lebte, hatte er ihn mehr als einmal an den Rand seiner Geduld gebracht. Er fragte sich, was Erestor bewogen hatte, ausgerechnet diesen Elb zu seinem Gehilfen zu machen. Aber zumindest verstand er, warum Figwits Eltern soviel Wert darauf gelegt hatten, den Burschen weit von ihrem Heim unterzubringen.
„Sie sind beinahe da", wurde er von Glorfindel empfangen, der in eine prächtige silberweiße Robe gehüllt war. „Hast du Erestor irgendwo gesehen? Er wollte rechtzeitig zurück sein."
„Nein", brummte Elrond. Angestrengt verdrängte er jeden aufkeimenden Gedanken daran, dass sein Seneschall vielleicht doch in Schwierigkeiten steckte.
Glorfindel runzelte zwar die Stirn, sagte aber nach einem kurzen Seitenblick auf Figwit nichts weiter. Elbenohren hörten gut und im Hof und auf beiden Seiten der Treppe hatten sich noch mehr Bewohner Bruchtals eingefunden, um die seltenen Gäste zu begrüßen.
Schon früh hatten sich die Lossidil von den anderen Elbenvölkern getrennt. Sie lebten weit verstreut im Norden Mittelerdes und liebten die schneebedeckten Berge. Es gab nicht mehr viele von ihnen und auch die hier so neugierig erwartete Gruppe war auf dem Weg zu den Grauen Anfurten, um endgültig Abschied zu nehmen. Es freute Elrond dennoch, dass er sie einige Tage unter seinem Dach beherbergen durfte, bevor sie in Gildors Begleitung weiter zu Círdan reisen würden.
Trotzdem trübte jetzt ein nagender Zweifel seine gute Laune. Ausgelöst von Figwits sturer Besorgnis um seinen Herrn, der sehr viel wehrhafter war, als sich der naive Noldo je vorstellen konnte. Elrond hatte nicht übel Lust, beiden gleichermaßen eine Strafpredigt zu halten. Figwit, weil er eine unelbische Nervosität verbreitete und Erestor, weil er ausgerechnet in diesen Tagen zu einer Strafexpedition ins Umland aufgebrochen war.
Bevor sich Elronds Laune noch weiter verschlechtern konnte, trafen seine fünf Gäste auf den Pferden ein, die er ihnen zusammen mit seinen beiden Söhnen entgegengeschickt hatte. Eine leichte Bewegung ging durch die Zuschauer. Der Anblick der hell gekleideten Lossidil war wirklich beeindruckend. Sie waren reinblütige Teleri, allesamt mit silberhellen Haaren und leuchtenden, eisblauen Augen. Groß und grazil bewegten sie sich mit der leichten Eleganz von Tänzern auf die Treppe zu, nachdem sie von ihren Pferden gestiegen waren.
„Eru sei Dank, da seid Ihr ja", murmelte ein höchst erleichterter Figwit hinter Elrond. „Wo ward Ihr denn?"
„Denkt Ihr, das hat Euch zu interessieren?" kam die scharfe Gegenfrage.
Elrond unterdrückte ein Lächeln. Erestor hatte es also doch rechtzeitig geschafft. Wie hatte er auch je daran zweifeln können? Sein Berater kam niemals zu spät. Er hasste es.
Elladan und Elrohir geleiteten die Gruppe Lossidil die Treppe hinauf. Sie flankierten den vordersten der Lossidil und jede ihrer Bewegungen zeugte von großem Respekt. Die Zwillinge konnten sich durchaus benehmen, wenn es erforderlich war, auch wenn sie einige Jahrhunderte länger als andere ihres Alters gebraucht hatten, es zu erlernen.
Durchdringende, aber müde Augen richteten sich auf Elrond, dann verneigte sich der Elb leicht.
„Avathim o Helloth", stellte Elladan ihn vor. „Und dies ist unser Vater, Elrond o Imladris."
„Willkommen in meinem Haus", begrüßte ihn Elrond. „Seid unsere Gäste und genießt unbeschwert alle Annehmlichkeiten, die ich Euch bieten kann, so bescheiden sie auch sein mögen."
„Ich danke Euch", war die leise Antwort. „Eure Gastfreundschaft ist berühmt in allen Himmelsrichtungen, Lord Elrond. Schon die Aufmerksamkeit, müden Reisenden die Erleichterung einer Reitgelegenheit zu senden, hat uns bewiesen, dass nicht übertrieben wurde."
Elrond nickte nur stumm und wandte sich dann zur Seite, um Glorfindel vorzustellen. Der Vanya wirkte zu seiner Verwunderung etwas angespannt, entbot aber dennoch einen freundlichen Gruß. Noch immer etwas irritiert drehte sich Elrond seinem Seneschall zu und hätte fast bei dessen Vorstellung gestottert. Zwei Dinge waren es, die Elrond sofort in höchste Alarmbereitschaft versetzten. Zum einen war unter Erestors prächtiger Samtrobe der nur schlicht bestickte Kragen eines schwarzen Wildlederhemdes zu sehen, das eindeutig zu seiner Reisekleidung gehörte. Ein Stilbruch, der für den eigentlich immer perfekten Erestor völlig undenkbar war. Außerdem stieg in Elronds Nase der kaum wahrnehmbare, metallische Geruch von frischem Blut.
„Ihr wollt sicher erst etwas ruhen", hörte er Glorfindel zu Avathim sagen. „Figwit hier wird Euch Eure Unterkünfte zeigen. Bitte folgt ihm und zögert nicht, Eure Wünsche zu nennen."
Glorfindels praktischer Verstand hatte mal wieder die beste Lösung gefunden, insbesondere Erestors unmöglichen Gehilfen für eine Weile zu beschäftigen. Figwit war nun wirklich der letzte, den sie um sich brauchten.
Elronds Blick glitt prüfend über Erestors unbewegliche Gestalt auf der Suche nach einem Anzeichen für die Art und den Ort der Verletzung. Nur mit halber Konzentration begrüßte er auch die übrigen Lossidil und sehnte einfach nur den Moment herbei, dass endlich alle im Haus verschwunden waren. Einschließlich seiner Söhne natürlich, die jetzt gemütlich auf dem Treppenabsatz herumlungerten, um mit ihm und Glorfindel den Einzug der Lossidil zu beobachten und womöglich noch von ihrer Zeit mit ihnen zu berichten.
Und in der Zwischenzeit stand sein Seneschall einfach nur da, das ihm eigene sparsame Lächeln auf den Lippen und verblutete langsam. Denn genau das tat er wohl gerade. Elrond erstarrte, als er an Erestors linkem Fuß eine sich gerade langsam vergrößernde Blutlache auf dem hellen Steinboden entdeckte. Und wieder eilte Glorfindel zur Rettung. Er trat neben Erestor, drapierte dabei mit einem eleganten Schwung seine damit endgültig ruinierte Robe über dem Blutfleck und legte dem schwarzhaarigen Noldo scheinbar kameradschaftlich den Arm um die Schultern.
„Na, hast du die Pflanzen gefunden, die du so dringend gesucht hast?" erkundigte er sich bei seinem Freund. „Du warst reichlich lange weg."
„Aber zumindest nicht ohne Erfolg", sagte Erestor ruhig. Also war es ihm gelungen, die Felder abzubrennen, auf denen ganz in der Nähe von Bruchtal von reichlich dunklen Gestalten ein Kraut angebaut wurde, das die Bauern der Umgebung langsam aber sicher zu willenlosen und vor allen Dingen abhängigen Schwachsinnigen machte.
Wenigstens ein Trost, wenn auch nur ein schwacher. Jetzt mussten sie nur noch die Zwillinge loswerden. Elrond überlegte fieberhaft, womit er sie beschäftigen konnte. Die beiden waren sowieso in den letzten Jahrhunderten immer argwöhnischer geworden, wenn Erestor aus Bruchtal verschwand, aber bislang hatten Elrond und Glorfindel immer noch verhindern können, dass sie die wahre Natur seiner Reisen entdeckten. Bislang, wenn Erestor gleich zu Boden sinken sollte, war es wohl damit vorbei.
Aber offenbar hatte der Noldo noch nicht vor, Elronds Söhne in ihr Geheimnis unfreiwillig einzuweihen. Sein missbilligender Blick wanderte von einem zu anderen.
„Habt ihr einen Tunnel gegraben, um die Lossidil zu erreichen?" erkundigte er sich boshaft. Dafür, dass er hier auf den Stufen des Hauses verendete, war ihm wenig anzumerken.
„Was meinst du?" fragte Elladan verwirrt.
Erestor lächelte. Etwas, das bei ihm nur selten freundlich gemeint war. „Ihr seht aus, als wäret ihr tagelang durch die Erde gekrochen. Und ihr riecht auch genauso."
„Wir sind geritten", empörte sich Elrohir. „Das ist eine staubige Angelegenheit."
„Wie erfreulich, dass dir das bewusst ist, Elrohir. Dann sollte auch nichts dagegen sprechen, nun ein Bad zu nehmen. Es sei denn, du willst mit deinem Bruder in den Stallungen übernachten."
„Wir hätten wetten sollen", hörten sie Elladan noch schimpfen, als er mit seinem Bruder im Haus verschwand.
Schweigend warteten die drei Elben, bis sie sich sicher waren, dass niemand mehr in der Nähe war, auch wenn der angespannte Zug um Erestors Mund sich dabei immer weiter vertiefte.
„Was diesmal?" stieß Elrond schließlich leise hervor.
„Ein Pfeil." Erestor schwankte leicht. Ohne Glorfindels Unterstützung wäre er wohl in die Knie gegangen. „Sie hätten sonst Mornen getroffen."
„Nichts gegen dein Pferd, mein Freund, aber das wäre mir im Moment die angenehmere Alternative. Hast du ihn entfernt?"
„Abgebrochen, sonst hätte ich die Robe nicht überziehen können." Erestor quittierte Glorfindels kurzes Auflachen mit einem Stirnrunzeln. „Was ist daran so komisch?"
„Du hättest auch einfach nur nicht hier auftauchen brauchen", grinste sein Freund.
„Leider fehlt mir deine angeborene Unzuverlässigkeit, Balrogtöter. Dies war immerhin ein offizieller Empfang."
„Wir hätten ihn auch ohne dich überstanden."
„Bist du sicher?"
Elrond blickte sich derweil suchend um, bis er auf einem der Pfeiler eine flache Vogeltränke entdeckte. „Glorfindel, bring ihn in mein Arbeitszimmer. Ich komme sofort nach."
Er packte die Steinschale und schüttete den Inhalt schwungvoll über den Blutfleck, der geblieben war, nachdem Glorfindel Erestor möglichst unauffällig ins Haus geschleppt hatte.
„Ich bin zu alt für solche Sachen", schimpfte der Herr von Imladris dabei unterdrückt. „Diese Geheimniskrämerei ist nichts für mich. Und irgendwann wird er noch seinen Kopf dabei verlieren. Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen, niemals. Das war diesmal wirklich das allerletzte Mal, ich schwöre es."
Der Hof war leer und seine Worte verhallten ungehört.
…
„Findest du das nicht seltsam?"
Legolas beobachtete die dunkle Rauchwolke, die Varya auf ihrem Weg durch die große Eingangshalle folgte. „Allerdings. Brennt ihre Tunika vielleicht?"
Thranduil sah irritiert an seinem Sohn vorbei. „Das meinte ich doch nicht."
„Du findest es nicht seltsam, wenn unsere Palasthexe qualmt?" Legolas' Aufmerksamkeit richtete sich nun vollends auf seinen Vater.
„Sie versucht immer noch, die richtige Zusammensetzung für diesen Nârandir-Qualm zu finden", erklärte Thranduil mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Du hättest ihr damals nicht davon erzählen sollen, Legolas. Letztes Jahr hat sie von dem Zeug fürchterlichen Ausschlag bekommen und vor ein paar Wochen fing sie regelrecht an zu glühen, sodass ich sie in der Badewanne stundenlang mit Eiswasser löschen musste."
Varya war stehen geblieben und rieb hektisch an den Ärmeln ihrer Tunika herum. Sofort verstärkte sich der Rauch noch und stieg zur hohen Gewölbedecke hinauf, an der Ionnin seit einigen Tagen vor sich hindöste. Triumphierend winkte die Rhûnar-Heilerin, die eigentlich seit nunmehr zwei Jahren die Heilerin des Waldelbenvolkes war, Legolas zu. Er winkte mit einem freundlichen Lächeln zurück. Solange sie nur qualmte und nicht brannte, konnte er wohl beruhigt sein und sich wieder auf das Gespräch mit seinem Vater konzentrieren.
„Und was ist nun wirklich seltsam?"
„Das hier", erklärte Thranduil und hielt seinem Sohn eine Pergamentrolle unter die Nase. „Es kam gerade über unsere Händler aus Esgaroth an, deswegen habe ich dich ja gesucht. Dein Freund Galen ist auf dem Weg hierher."
„Galen?" Ein reines Gefühl der Freude erfasste Legolas. So schnell hatte er nicht damit gerechnet, den anderen so begabten Rhûnar-Heiler wiederzusehen. „Wann kommt er an?"
„In vier Tagen, wenn ich die Angaben richtig deute." Thranduil verschränkte die Arme, den Blick auf Varya gerichtet. „So wie ich diesen Ithildrim kenne, ist das kein reiner Höflichkeitsbesuch."
Legolas überflog kurz den Brief. Viel stand wirklich nicht darin. Galen kam auf dem Landweg nach Düsterwald. Eine langwierigere Strecke als mit den Handelsschiffen den Celduin hinauf. Dabei hätte er jederzeit in Esgaroth auf eines der Lastschiffe der Tawarwaith umsteigen und dann über den Waldfluss weiter bis in die unteren Gewölbe des Palastes fahren können. Bei Galens Neigung, in unerwartete Schwierigkeiten zu geraten, wäre dies sicherlich die bessere Lösung gewesen.
„Hm", machte Legolas und überschlug die Daten in diesem Schreiben. „Er kann jeden Tag die alte Waldstraße erreichen. Hauptmann Caeril fällt in Ohnmacht, wenn er Galen erblickt."
Thranduil schmunzelte. „Woran das wohl liegen mag?"
„Ich werde ihm entgegen reiten", erklärte Legolas ebenso lächelnd.
„Wem?" Varya war endlich bei ihnen angekommen. „Wem denn, Legolas?"
„Galen kommt", rutschte es ihm raus, woraufhin sein Vater gequält zusammenzuckte.
Varyas Begeisterungsschrei hallte von der Kuppeldecke wider. Ionnin hängte den Kopf nach unten und betrachtete irritiert, was ihn wohl so in seiner Ruhe störte. „Galen? Das ist wunderbar."
Sie fiel Thranduil um den Hals und eine kurze Zeit verschwand der König der Waldelben in dichtem schwarzem Rauch. Hustend machte er sich daraus frei.
„Ich hoffe, das hört bald wieder auf!" knurrte er und rieb sich die Augen.
„Das denke ich doch." Varya klatschte in die Hände. „Worauf warten wir noch? Ich begleite dich, Legolas."
„Nein!" bellten Vater und Sohn gleichzeitig.
„Auf gar keinen Fall", bekräftigte Thranduil nochmals und ergriff vorsichtshalber Varyas Arm. „Du bleibst hier. Legolas' Aussichten, heil bei deinem Freund anzukommen, sind eindeutig größer, wenn du nicht dabei bist."
„Du übertreibst", murrte sie und versuchte, seinen eisernen Griff von ihrem Oberarm zu lösen. „Das waren alles nur Unfälle."
„Aber sicher doch", sagte Thranduil und bedeutete Legolas mit einer Geste, möglichst rasch zu verschwinden. „Diese schwarzen Eichhörnchen, die dich quasi schon vor dem Palasttor erwarten, sind immer nur Unfälle. Du kommst jetzt erst mal mit, damit wir dieses qualmende Zeug von dir runterkriegen."
„Wenigstens funktioniert die Mischung jetzt", erklärte sie hoheitsvoll.
Legolas drehte sich mit einem breiten Grinsen um und steuerte auf den Ausgang der Halle zu. Er hing sehr an Varya und mit jedem Jahr, das die kleine Hexe hier bei ihnen lebte, vertiefte sich seine Zuneigung noch.
„Wenn du heute Abend immer noch qualmst, schläfst du auf dem Balkon", hörte er seinen Vater noch sagen, bevor er die Halle in Richtung der Ställe verließ. „Das werde ich mir nämlich nicht antun."
„Es fragt sich, wer dann schlechter einschlafen kann", lautete die spitze Antwort.
Eine Stunde später verließ Legolas den Palast über die breite Brücke, die den Nebenarm des Waldflusses überspannte. Er ritt nicht alleine. Hauptmann Forlos und ein Dutzend Mitglieder der Leibwache begleiteten ihn. Auf den eigenen Wunsch des Kronprinzen hin und sie alle waren schwer bewaffnet und gerüstet. Nicht, dass Legolas um sein Leben fürchtete. Er verbrachte oft genug alleine viele Wochen draußen im Düsterwald. Bislang war ihm noch nie etwas Ernsthaftes zugestoßen.
Doch dieses Mal waren sie immerhin unterwegs, Galen Ithilos aus Rhûnar zu treffen. Kein gefährlicher Elb, ganz im Gegenteil. Der Ithildrim, wie er wegen seiner silbernen Haare und leuchtenden Smaragdaugen von seinem eigenen Volk genannt wurde, gehörte zu den harmlosesten Elben, die Legolas je begegnet waren. Zwar legte er gelegentlich eine überraschende Härte gegen sich und andere an den Tag, aber zum Leidwesen aller waren Galens Überlebensinstinkte nicht sehr ausgeprägt. Und er hatte Unfälle. Genau wie Varya. Ithildrim eben.
Zunächst jedoch hatten sie noch eine relativ friedliche Zeit. Zwei Tage durchquerten sie den Wald ziemlich exakt in südlicher Richtung bis sie auf die alte Waldstraße trafen, um dort dann östlich weiter zu reiten. Legolas schätzte, dass Caeril Galen und wen immer er mitgebracht hatte, am Waldrand abgefangen und dann mit Bewachung auf der Waldstrasse weitergeschickt hatte.
Und er täuschte sich nicht. Sie waren erst wenige Stunden auf der Waldstraße unterwegs, als ihnen eine Gruppe Elben entgegenkam. Zu Fuß, allesamt und die Grenzwachen unter der Führung von Hauptmann Caeril bildeten eine Art Schutzwall um drei Elben in ihrer Mitte, die Legolas allesamt vertraut waren.
„Was hat er sich denn dabei gedacht?" murmelte Hauptmann Forlos verwundert. „Und warum sind sie alle ohne Pferde? Der Junge kann unmöglich den ganzen Weg von Rhûnar gelaufen sein, das dauert doch ewig."
„Wir werden unsere Antworten wohl gleich erhalten", meinte Legolas versonnen und stieg langsam von seinem Pferd. Es beruhigte ihn zumindest, dass keiner der drei Rhûna verletzt schien. Verwirrt, ja, zumindest Gilnín, der Doppelgänger von Erestor, aber jedenfalls nicht verletzt.
„Legolas!" freute sich Galen und stob an Caeril vorbei, um den Kronprinzen erfreut zu umarmen. „Dann hast du also die Nachricht erhalten."
„Vor zwei Tagen", bestätigte Legolas lachend und drückte den zierlichen Rhûna kurz an sich. „Du hättest besser den gleichen Weg wie dieser Brief nehmen sollen, dann wärst du bereits im Palast."
Augenblicklich wanderte ein Schatten über Galens feingezeichnete Züge. „Das ging nicht."
„Was ist passiert, Galen?"
„Leiloss ist weg!" platzte der Rhûna heraus. „Schon seit drei Monaten und wir haben es nicht bemerkt. Sie ist nicht zufällig hier?"
Legolas warf einen fragenden Blick zu Caeril.
„Wir hätten es in jedem Fall bemerkt und sie nicht weiterreisen lassen", erklärte der Hauptmann mit einem ehrlich bedauernden Kopfschütteln.
Ein kalter Hauch schien über die Gruppe Elben zu streichen. Leiloss war noch sehr, sehr jung und niemals außerhalb Rhûnars gewesen. Wenn sie sich weggeschlichen und einen derart großen Vorsprung hatte, konnte ihr bereits alles Mögliche zugestoßen sein. Grässliche Bilder blitzten in Legolas Vorstellung auf, die er mühsam verdrängte. Legolas räusperte sich. „Und du bist sicher, dass sie Richtung Westen unterwegs ist?"
„So hörten wir in Ilegond", erklärte Amonir, der bisher geduldig gewartet hatte. Die Anwesenheit des Jägers beruhigte Legolas wenigstens etwas und es erklärte wohl auch, warum die Reisenden so unversehrt die lange Strecke überstanden hatten. „Und sie hat Hinner dort aufgegriffen. Der Junge begleitet sie nun."
„Wenn sie nach Westen will, dürfte Imladris ihr Ziel sein", überlegte Legolas.
„Estel", knurrte Forlos und es folgte noch ein recht heftiger Fluch. „Diese Ithildrim sind noch mal mein Tod."
„Was machen wir denn nun?" fragte Galen hilflos. „Ich hatte die ganze Zeit die Hoffnung, dass sie hier angekommen und in den Palast gebracht worden ist."
„Wir werden sie schon finden", erklärte Legolas und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Wo sind eigentlich eure Pferde?"
„Weg", meinte Galen ausweichend.
„Gestohlen", stotterte Gilnín heftig gestikulierend. „In der Ebene, von Wegelagerern. Wilde, das könnt Ihr mir glauben, Hoheit."
„Jedes Wort", nickte Legolas und stieg wieder auf sein Pferd. Er streckte Galen die Hand hin. „Steig auf, mein Freund. Wir reiten jetzt erst einmal in den Palast zurück und besprechen alles mit meinem Vater."
„Thranduil wird begeistert sein", seufzte Forlos und hievte Gilnín hinter sich aufs Pferd.
…
tbc
