Disclaimer: Ja, wie das Leben so spielt, liegen sämtliche Urheberrechte bei Prof. Tolkien (Eru hab ihn selig) und seinen Erben, die mit Sicherheit selig sind.

A/N: Amélie ist Fehlerfindel und sie ist fabelhaft. Wenn doch noch irgendwo was falsch ist, hab ich Depp es nicht korrigiert. Daran liegt's.

o

6. Kapitel: Man kennt sich

o

Erestor verließ Bruchtal noch während der Nacht, nachdem er sein Pferd von einer der abgelegener Wiesen gerufen hatte, auf denen sich Mornen am wohlsten fühlte. Trotz der Dunkelheit schlug er ein schnelles Tempo ein und Mornen hatte wenig Schwierigkeiten, dem vertrauten Pfad zu folgen, den sie in der Vergangenheit schon so oft zusammen geritten waren. Es ging fast direkt nach Westen, auf der Großen Oststraße entlang. Sie war die Verbindungsader zu fast allen wichtigeren Ansiedlungen in diesem Teil der Welt.

Gelegentlich zweigten kleinere Straßen ab, die zu den Städtchen und Landstrichen führten, deren Bewohner hier ein doch noch relativ beschauliches Leben führten. Es kam eben immer auf den Maßstab an. Erestor erinnerte sich noch an Zeiten, in denen ein solcher Übergriff auf die Lossidil völlig undenkbar gewesen war. Er erinnerte sich aber genauso an Zeiten, in denen er an der Tagesordnung gewesen wäre.

Das Umland Bruchtals war nicht unbedingt ein Hort des Bösen, aber es war eben auch kein friedliches Paradies. Unzählige Male war Erestor schon diese Straße zwei Tage lang bis zu einer vom Blitz gespaltenen Eiche entlang geritten, an der kaum mehr als ein besserer Feldweg nach Süden führte. In diesen Weg genau bog er ein. An seinem Ende lag der Ort, an dem er die Informationen zu finden hoffte, die das schreckliche Schicksal der Lossidil aufklären konnten. Wenn es nur um die Lossidil ging...der Gedanke, dass bereits davor Gruppen von hoffnungsvoll nach Westen ziehenden Elben den Tod gefunden hatten, ließ kalte Wut in ihm aufkommen.

Wie er Elrond kannte, verfasste dieser bereits einen Brief an Círdan, um sich nach dem Verbleib dieser Freunde und Reisenden zu erkundigen. Davon abgesehen, dass es Wochen dauern konnte, bis sie endlich eine Antwort hatten, konnte es genauso gut passieren, dass auch der Bote Opfer eines Überfalls wurde.

Erestor verlangsamte Mornens Tempo, als der Weg immer schmaler wurde und in ein kleines Wäldchen führte. Obwohl noch heller Tag war, lag der Weg im Schatten. Die Bäume zu beiden Seiten zeichneten unheimliche Schatten auf die staubige Erde und selbst die Geräusche der Tiere waren gedämpft. Ein sicheres Zeichen, dass Erestor sich seinem Ziel näherte.

Er zog die Kapuze seines Umhangs wieder über den Kopf. Es war weniger zur Tarnung, sondern weil es schlicht und ergreifend zu dem Alter Ego gehörte, das er für diesen Ort geschaffen hatte. Ganz zu Anfang seiner Karriere als angeblicher Dieb hatte er überlegt, sich als Sterblicher auszugeben. Ihm klingelten jetzt noch die Ohren, so schallend hatte Glorfindel bei diesem Vorschlag gelacht. Der Vanya war regelrecht aus dem Sessel gerutscht mit Tränen in den Augen und kurz vor einem Erstickungsanfall. Dabei hatte sich Glorfindel noch nicht wirklich davon erholt, dass ausgerechnet Erestor sich als Gesetzloser ausgeben wollte, noch dazu als Dieb.

„Haha", murmelte Erestor leise in die Dunkelheit um ihn herum.

Am Wegesrand stand ein morscher Pfahl mit einem schlecht gezimmerten Hinweisschild. ‚Krummer Hund' war darauf zu lesen und es sollte keine Beleidigung der Reisenden sein sondern verriet dem geneigten Leser den Namen des Etablissements, in dem Erestor die Nacht verbringen würde. Mornen jedenfalls freute sich und beschleunigte seine Schritte. Der schwarze Hengst, ansonsten ein etwas pingeliger Vertreter seiner Art was die Qualität seiner Unterbringung anging, hegte eine unverständliche Vorliebe für diesen Ort, wo er den Stall mit Reittieren teilte, deren Abstammung im gleichen Dunkel lag wie die des Wirts selber.

Schwacher Lichtschein wies Erestor in der einsetzenden Dämmerung den Weg auf eine kleine Lichtung. Dort erhob sich die Gastschenke ‚Krummer Hund', traditionsreicher Familienbetrieb seit fast zweihundert Jahren. So alt war auch das gar nicht mal kleine, aus massivem Stein errichtete Gasthaus, das selbst wenige Jahre nach seiner Errichtung bereits völlig heruntergekommen ausgesehen hatte. Absicht, vermutete Erestor und stieg vor dem Stall ab, der an das Haupthaus angebaut war. Eigentlich lehnte sich die windschiefe Scheune eher hilfesuchend gegen die Häuserwand - auch schon seit fast zweihundert Jahren. Sie würde selbst im Sturm wohl nicht zusammenbrechen, sonst hätte Mornen bestimmt nie einen Huf hineingesetzt.

Erestor wurde bereits erwartet. Orten wie diesem näherte man sich nicht unbemerkt, nicht einmal als Elb. Ein krummbeiniges Geschöpf, über dessen Volkszugehörigkeit sich Erestor schon eine ganze Weile den Kopf zerbrach, glitt aus dem Stall heran und fasste mit langen, gichtgezeichneten Fingern nach Mornens Zügeln.

„Meister Eren", kam es aus dem Bartgestrüpp, das das faltige Gesicht des Stallburschen verdeckte. „Ihr wart schon eine Weile nicht mehr hier. Geschäfte?"

Erestor ließ sich aus dem Sattel rutschen und betrachtete einen Moment scheinbar sinnend den Wicht vor sich. „Willst du es wirklich wissen, Sorben?"

„Damit Ihr mir dann die Kehle aufschlitzen müsst?" Sorben lachte gackernd. „Aber Ihr wäret doch enttäuscht, würde ich nicht mehr fragen. Schon mein Vater stellte Euch diese Frage und nach mir wird es wohl mein Sohn tun."

„Manche Dinge verändern sich eben nicht. Und wie geht es deiner Gemahlin?" Erestor hatte Frau Sorben noch nie gesehen, aber das hieß nichts. Sorbens Mutter war ihm auch nie begegnet.

„Wie immer." Sorben tätschelte sanft Mornens Hals. „Gut sieht er aus. Ich weiß schon, was er haben möchte."

Mornen wohl auch, denn er drängte den kleinen Sterblichen bereits Richtung Stall. Sorben hatte allerdings noch genug Zeit, die Goldmünze aufzufangen, die Erestor ihm zuwarf. Blitzschnell fischte er sie aus der Luft und ließ sie fast noch schneller irgendwo in den Tiefen seiner schmuddeligen Kleidung verschwinden. Erestor warf einen kurzen Blick durch die geöffnete Stalltür. Drei weitere Pferde standen dort auf einer Seite, keines davon war ihm bekannt. Auf der anderen Seite kaute eine bildschöne, sorgsam gepflegte Schimmelstute gelassen auf frischem Heu herum. Erestors Augen wurden etwas schmal, als er neben ihr ein rabenschwarzes Fohlen entdeckte. Schon jetzt war dem Tier die spätere Kraft und Schönheit anzusehen.

„Prächtiger Kerl", erklärte Sorben. „Wollt Ihr ihm einen Namen geben?"

„Ich?"

„Naja, der stolze Vater wird mir wohl keine Antwort geben", amüsierte sich Sorben und klopfte Erestors Hengst bedeutungsvoll gegen den Hals. „Er hatte bei Eurem letzten Besuch hier eine Menge Spaß."

„Später", zischte Erestor und steuerte mit großen Schritten die Eingangstür des Gasthauses an. Das hatte ihm noch gefehlt. Bruchtals vortreffliche Pferde verteilten ihre Blutlinie im gesamten Umland. Vom Ärger beschwingt stieß Elronds Seneschall das Türblatt auf und blieb erst einmal auf der Schwelle stehen. Plötzliche Stille schlug ihm entgegen.

Nichts hatte sich verändert. Der große Schankraum lag im Halbdunkel, keiner der Gäste hier legte viel Wert auf ausreichende Beleuchtung. Die Tische standen nicht wirklich dicht, außerdem war keiner von ihnen besetzt. Die wenigen Gäste saßen alle in den Nischen entlang der winzigen, bleiverglasten Fenster. Das einzige Zugeständnis an etwas Normalität waren die kleinen Öllampen auf den Tischen vor ihnen, die jedoch nicht wirklich ausreichten, die Nischen zu beleuchten. Sie genügten gerade, dass die Gäste die Zinnkrüge mit ihren Getränken vor sich erspähen konnten.

Jetzt im Sommer brannte auch nicht der große Kamin im Hintergrund des Raumes. So gab es noch weniger Licht und man musste sich schon auskennen, um die steile Treppe zu erkennen, die in den ersten Stock führte. Unter ihr war noch der Eingang zur Küche verborgen, aus der eigentlich recht genießbare Speisen gebracht wurden.

„Eren." Von der Theke zur Linken der Eingangstür kam langsam ein schmaler, weißhaariger Mann heran. „Du warst schon eine Weile nicht mehr hier. Hast du das Fohlen im Stall schon gesehen?"

„Den Bastard deines Maultieres?" erkundigte sich Erestor kühl. „Deine Pferde sind genauso schamlos wie deine Töchter, Tykvar."

Tykvar lachte leise. „Deinem heißblütigen Pferd scheint Loretta jedenfalls gut genug für ein bisschen Spaß gewesen zu sein. Du weißt, dass das Fohlen mir gehört? Du hast keine Ansprüche darauf."

„Ich bezahle es dir, wenn du daraus einen guten Braten machst." Erestor wunderte sich immer wieder, wie leicht es ihm doch fiel, diese Rolle zu spielen. „Lässt du mich jetzt hier in der Tür stehen oder bekommt man bei dir noch einen Sitzplatz, ohne dass ich vorher einen Mann dafür töten muss?"

Tykvar winkte mit einer seiner überraschend feingliedrigen Hände eine der unvollständig bekleideten Frauen heran, die am anderen Ende der Bar herumstanden. „Hanne, bring Eren einen Krug Bier und etwas zu Essen an seinen üblichen Platz. Und sag danach hinten Bescheid, dass sie sein Zimmer fertigmachen sollen."

Wortlos durchquerte Erestor den Raum und drückte sich in die Ecke der für ihn gedachten Nische. Von dort aus konnte er alles sehen, ohne dass andere im Schankraum mehr als einen dunklen, gesichtlosen Schatten hinter dem Licht der Öllampe erkennen konnten. Er beobachtete, wie Hanne in das Holzregal hinter der Theke fasste und einen leicht angestaubten, außen geschwärzten Silberkrug herunternahm. Erestor hätte sich eher die Zunge abgebissen, als aus den allen zugänglichen Zinnbechern zu trinken und so stand schon seit langen Jahren dieser Krug dort, der nur von ihm benutzt wurde.

Hanne kannte seine Gewohnheiten ebenso gut wie Tykvar selbst, dessen Bett und Leben sie teilte. Sie wusch den Krug aus, polierte ihn dann sorgfältig mit einem sauberen Leinentuch und füllte ihn schließlich mit frischem Bier. Mit wiegenden Schritten kam sie schließlich zu ihm herüber und stellte den Krug vor ihm ab.

„Schön, dass du dich mal wieder blicken lässt", begrüßte sie ihn leise und baute ihren üppigen, enggeschnürten Körper so vor ihm auf, dass niemand von den anderen Gästen ihn sehen konnte, als er den Kopf hob und sie anlächelte. „Ich hätte mir beinahe Sorgen gemacht, aber dafür kenne ich dich zu gut."

„Ach wirklich?" machte Erestor mit mildem Spott. Ausgerechnet diese gealterte Schankmaid gehörte zu den wenigen Sterblichen, deren Gegenwart er immer als angenehm empfunden hatte. „Irgendwelche Neuigkeiten?"

Scheinbar nachdenklich warf sie ihre kastanienroten Haare über die runden, weißen Schultern zurück. „Hm, unser Ältester hat einen Konditorladen in Bree eröffnet. Verzichte also darauf, ihn auszurauben, wenn du dich dort einmal rumtreiben solltest. Grüß ihn am besten gar nicht erst, er ist fürchterlich ehrbar geworden. Tykvar und ich müssen sogar behaupten, verheiratet zu sein, wenn wir ihn und seine hübsche, moralische Frau dort besuchen. Er hat wohl Angst, seine Schwiegereltern würden ihn sonst aus der Stadt jagen lassen."

„Wie heißt der Laden?" erkundigte sich der Noldo aus ehrlich gemeintem Interesse.

„Zuckerhut." Sie verzog leicht die rotgeschminkten Lippen. „Idee seiner Gemahlin. Aber das Konfekt ist gut. Ich lasse dir gleich eine Kostprobe bringen. Und was es sonst noch so neues gibt…hm, wir haben ein neues Mädchen hier. Die kleine Blonde drüben an der Theke, die dich schon fast mit den Augen verschlingt. Sei nicht so grob, Eren, wenn du sie abblitzen lässt. Mädchen ihrer Qualität sind rar, ich will sie noch eine Weile behalten."

„So wie zu dir damals?" Erestor erinnerte sich, er vergaß niemals etwas.

„So ähnlich", kicherte Hanne. „Heute ist nicht viel zu tun. Es wird bald ruhiger werden."

Erestor verließ sich auf ihre Einschätzung. Geduldig blieb er in seiner Nische sitzen, genoss den kalten Braten und das frische Brot, das sie ihm kurz darauf brachte und beschränkte sich darauf, die Anwesenden im Auge zu behalten, die wahrscheinlich genau dasselbe mit ihm machten, während sie gleichzeitig ihren Geschäften nachgingen, die auch nicht den Hauch der Ehrbarkeit inne haben würden.

Einige kamen im Laufe des Abends, andere gingen wieder. Laut geredet wurde ohnehin nicht. Nur die Schankmädchen sorgten für etwas Abwechslung. Tykvar bezahlte sie dafür, dass sie die Gäste mit Essen und Trinken versorgten und außerdem ein netter Anblick waren. Er zahlte nicht schlecht, aber es waren auch keine Reichtümer, also waren die meisten Mädchen noch etwas netter zu den Gästen, besonders nach der Arbeitszeit und besserten ihr Einkommen damit auf. Von Erestor hielten sie sich alle sorgsam fern. Die meisten hörten auf Hannes Rat, die meisten...

Es war schon recht spät in dieser Nacht und Erestor hatte mit milder Belustigung zur Kenntnis genommen, dass Tykvars Neue immer wieder zu ihm herüber geschielt hatte. Neugieriges Getuschel mit den zwei anderen Bedienungen waren damit einhergegangen und irgendwann entging den feinen Ohren des Noldo nicht, dass Linde – wie das Mädchen hieß – offenbar entschlossen war, allen anderen zu beweisen, dass sie jeden haben konnte. Sie sortierte ihr Kleid um ihre runden, für Erestors Geschmack zu runden Formen und schlenderte dann mit wiegenden Hüften zu ihm herüber.

„Ich bin Linde", erfolgte die nicht sehr originelle Begrüßung mit leicht heiserer Stimme, von der sie wohl annahm, dass es verführerisch klang. „Ihr seid der Elb."

Erestor schwieg und beobachtete sie nachdenklich aus dem Dunkel seiner Kapuze heraus.

„Man sagt, Ihr seid ein wahrer Meisterdieb und habt sehr geschickte Finger." Linde stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte und lehnte sich leicht vor, damit Erestor auch einen genauen Ausblick auf ihren Ausschnitt hatte.

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er sie noch ein bisschen weitermachen lassen, aber diesmal stand ihm einfach nicht der Sinn danach. Bevor Linde überhaupt begriff, was da passierte, stand er neben dem Tisch, eine Hand um die Kehle des Mädchens gelegt. Sorgsam achtete er darauf, dass er mit dem Rücken zum Raum stand und niemand der anderen Gäste sein Gesicht erkennen konnte.

„Geschickte Finger?" echote er sehr leise. „Du bist ein dummes kleines Mädchen, Sterbliche. In deinem Gewerbe solltest du Warnungen beherzigen, sonst endest du mit blauer Zunge im Rinnstein."

Es reichte. Linde war noch lange nicht so mutig wie Hanne, die ihm seinerzeit in einer ähnlichen Lage immerhin einen Tritt in den Unterleib verpasst hatte, bevor sie dann wie ein altes Marktweib schimpfend davon gezogen war. Linde sagte dagegen gar nichts mehr. Leicht taumelnd und keuchend flüchtete sie hinaus in die Küche, als er sie endlich wieder losließ. Niemand der Anwesenden wagte, irgendeinen Kommentar abzugeben, nur Hanne gestattete sich ein tadelndes Zungenschnalzen, das ebenso Linde wie Erestor gelten konnte.

Für den Rest des Abends wagte es keiner mehr, dem düsteren Elb in seiner Nische auch nur zu nahe zu kommen. Erst als sich auch der letzte Gast davongemacht hatte, die Tür verriegelt und die Schankmädchen alle verschwunden waren, kam Tykvar mit einer Flasche und einem weiteren Becher zu ihm herüber. Der Sterbliche hinkte kaum merklich. Es war das einzige Überbleibsel einer bösartigen Schlägerei, in der ihm Erestor zu Hilfe gekommen war. Das hatte ihn im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht nur zu Erestors Geschäftspartner gemacht, sondern auch eine Art freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden begründet.

„Sie wird die ganze Nacht heulen und dich verfluchen", grinste er und schenkte aus der Flasche einen wohlriechenden Kräuterschnaps sehr großzügig in ihre Becher.

„Da geht es ihr wie vielen Frauen", meinte Erestor achselzuckend. Oh ja, Glorfindel hätte wirklich einen Heidenspaß, sollte er jemals von diesen Unterhaltungen erfahren. „Ich bin nicht hier, um schnelles Vergnügen zu finden."

„Du bist niemals hier, um Vergnügen zu finden", widersprach Tykvar. „Weder schnelles noch langsames."

„Es gibt Vergnügen vielerlei Art." Erestor prostete ihm leicht zu.

„Und geheime Wünsche, die niemals erfüllt werden", ergänzte Tykvar melancholisch. „Wie lange willst du denen im Tal noch Auge und Ohr sein, Eren? Sie werden dich niemals wieder unter sich aufnehmen, was du auch tust."

„Ich habe Zeit." Trotz der seltsamen Freundschaft zwischen ihnen nahm der Wirt immer noch an, dass Erestor ein Ausgestoßener unter seinem Volk war und durch Gefälligkeiten versuchte, unter den Elben wieder Gnade zu finden. „Manche Dinge dauern beinahe ewig. Überlass die Entscheidung also mir."

Tykvar seufzte. Es war ein Streitpunkt zwischen ihnen schon seit Jahrzehnten. „Was wollen sie diesmal wissen?"

„Elben auf dem Weg nach Westen wurden getötet."

Tykvar war nicht so überrascht, wie Erestor eigentlich angenommen hätte. „Vor einigen Monaten tauchte ein fremdes Gesicht hier auf. Der Mann bot Stoffe an, nicht von Menschenhand gefertigt. Hanne hat einige Ellen für die Aussteuer unserer Töchter erstanden."

„Das muss noch nichts heißen", kommentierte Erestor mit erzwungener Ruhe.

„Er sprach davon, dass er mehr besorgen könnte. Immer mal wieder und nicht nur Stoffe, auch andere Dinge, noch kostbarer." Tykvar verzog das Gesicht. „Ein fieser Kerl, ich mochte ihn nicht, aber er macht keinen Ärger, wenn er hier ist. Bleibt immer ein paar Tage, verkauft seine Ware und vergnügt sich mit den Mädchen."

„Weißt du, wann er wiederkommt?" Es würde bald sein, der letzte Überfall war noch nicht so lange her.

Tykvar trank seinen Becher aus und betrachtete trübsinnig die so entstandene Leere darin. Hanne hatte sehr eigene Ansichten über Schankwirte, die sich selbst die besten Kunden waren. „Nein, aber ich kann dir eine Nachricht schicken. Bald, denke ich."

„Gut." Erestor erhob sich. „Ich bleibe noch einige Tage. War er dann nicht hier, hinterlass die Nachricht an der Brücke. Ich werde sie schon bekommen."

„Wie immer, Eren, wie immer."


Im Sommer waren die Täler des Anduin einer der schönsten Orte, die Legolas benennen konnte. Weite sanfte Ebenen in sattem Grün, Felder voller Wildblumen und tiefgrüne Flecken kleiner Haine verwandelten sie in ein Gemälde von Leben und Licht.

Die Alte Waldstraße führte genau auf die einzige Furt weit und breit zu, die es ermöglichte, den Anduin hier zu überqueren, ohne sofort zu ertrinken. Auch wenn der Strom jetzt recht ruhig und von strahlendem Blau wie ein Gürtel die Landschaft durchzog, war er eine Todesfalle für jeden, der den richtigen Weg nicht kannte. Auch so war es nicht einfach, denn diese Furt verdiente beinahe ihren Namen nicht. Über viele Meter in der Mitte des Stroms war sie immer noch tief genug, dass man sie nur schwimmend durchqueren konnte.

Legolas hatte diesen Weg bereits mehrfach zurückgelegt. Wenn er in Richtung Westen unterwegs war, bedeutete der Anblick der Furt, dass er den Düsterwald nun endgültig hinter sich gelassen hatte und ihm zunächst keine Gefahr mehr drohte. In der Ferne zeichneten sich die bläulichen Schatten des Nebelgebirges bereits deutlicher ab. Bei klarer Sicht konnte man sogar die dünne Linie des Hohen Passes erkennen, über den jeder Reisende hier ziehen musste. Eine Unmöglichkeit während des Winters, eine Schwierigkeit während der anderen Jahreszeiten.

War Legolas jedoch Richtung Osten unterwegs überschwemmte die Vorfreude auf seine Heimat jedes Mal sein Herz sobald er die Ufer des Anduin vor sich sah. Bald, dachte er dann und verschwendete keinen Gedanken daran, was an Gefahren entlang der Waldstraße auf ihn lauern konnte.

„Sind das Obstbäume?" riss ihn Galens neugierige Frage aus seinen Gedanken. „Die sind mir die letzten Male gar nicht aufgefallen."

Legolas wusste auch ohne hinzusehen, was der Rhuna gemeint hatte. „Ja, hier im Tal gedeihen alle Sorten, besonders aber die Pfirsiche."

„Das sind aber keine wilden Pflanzungen", verkündete Gílnin kritisch.

Legolas schüttelte nur stumm den Kopf.

„Gibt es hier eine Fähre?" wollte Varya wissen.

„Nein", antwortete Thranduil mit einem etwas boshaften Unterton. „Du wirst schwimmen müssen, meine Liebe."

„Nicht einmal eine Brücke?" entsetzte sich Gílnin.

„Keine Brücke."

„Und warum nicht?" Varya schien auch nicht sehr begeistert.

Legolas tauschte einen verwunderten Blick mit seinem Vater. „Es gab mal eine weiter oben an der Carrock-Furt. Sie wurde jedoch vor langer Zeit zerstört. Wo ist das Problem, Varya? Ich dachte, gerade Ithildrim schwimmen wie Fische. Galen ist sogar ein begabter Taucher. Das hat er am Celduin zur Genüge bewiesen."

„Bah", machte sie ungeduldig. „Wir tauchen nach Perlkrebsen im Celduin, aber wir schwimmen nicht mit Sack und Pack über ihn hinüber. Dafür gibt es doch Fähren. Ist hier noch niemandem der Gedanke gekommen, einfach ein Fährboot einzusetzen?"

„Die Orks würden sich freuen", kam es seelenruhig von Forlos, der hinter ihnen ritt. „Das macht es ihnen sicher leichter, sich auf beiden Seiten des Anduin in großer Zahl zu bewegen."

„Elrond würde sich bestimmt auch freuen", bestätigte Thranduil. „Ein regelmäßiger Fährverkehr zwischen dieser Seite und der des Nebelgebirges. Ganze Horden von Orks, die pünktlich jeden Morgen übersetzen, um nach Imladris zu ziehen. Nicht enden wollender Nachschub für eine Belagerung des Gastlichen Hauses."

„Ich hab es ja jetzt verstanden!" fauchte Varya beleidigt. „Können wir vielleicht etwas näher an die Pfirsichbäume reiten? Ich habe Hunger."

„Das würde ich mir überlegen", riet Legolas sanft.

„Wieso? Sind die Früchte etwa giftig? Oder ahnden die Obstbauern den Verlust eines Pfirsichs hier mit hohen Strafen?"

„Warum fragen wir nicht einfach einen von ihnen?" schlug Thranduil scheinheilig vor und deutete auf den Rand des Obsthains.

Legolas hatte die ihm bereits von früheren Begegnungen vertraute Gestalt erkannt und hob grüßend die Hand. Nach kurzem Zögern erwiderte der Mann die Geste und kam dann langsam die vielleicht hundert Schritte zur Straße herüber.

„Wer ist das?" fragte Galen leise.

„Grimbeorn", antwortete Thranduil, ohne den Blick von dem Mann zu nehmen. „Hier im Bereich der Alten Furt ist er der Anführer der Beorninger."

„Er ist Beorns Sohn", ergänzte Legolas leise. „Hier und hinauf auf den Hohen Pass hält er die Gegend sicher. Sein Vater vertraut ihm nach und nach die Führung der Beorninger an."

„Also sind es Freunde?" Galen betrachtete etwas zweifelnd den großen schwarzhaarigen Mann, der mit finsterer Miene auf sie zustapfte.

„In gewisser Weise schon." Legolas ignorierte das sarkastische Lächeln, mit dem sein Vater diese Worte kommentierte. „Sie hassen alle Orks leidenschaftlich und verabscheuen auch sonstiges Gesindel. Dadurch halten sie es von hier fern und wir können den Weg nach Westen weiter nutzen."

„Gegen Wegzoll", ergänzte Thranduil etwas missmutig. „Und nicht gerade wenig. Ich will gar nicht wissen, welchen Grund er jetzt wieder findet, um einen zusätzlichen Betrag zu bekommen."

Varya grinste Legolas an. Kein Wunder, dass Thranduil Grimbeorn mit gemischten Gefühlen beurteilte, immerhin streckte dieser Sterbliche die Hand nach königlichem Eigentum aus.

„Er ist seltsam", murmelte Galen plötzlich, der die Augen nicht von dem Beorninger gelassen hatte. „Sehr seltsam. Spürst du es, Varya?"

„Ein Gestaltwandler", sagte Legolas, ohne weiter nachzudenken. „Die Beorninger können sich in Bären verwandeln."

Forlos zischte noch warnend, aber es war zu spät. Alle drei Rhûna, sogar Gílnin, wirkten von einem Atemzug zum nächsten wie Kinder, vor denen man einen riesigen Berg Geschenke aufgebaut hatte.

„Oh", hauchte Varya und nur Thranduils schneller Griff zu ihrem Arm verhinderte, dass sie sofort aus dem Sattel rutschte, um Grimbeorn näher in Augenschein zu nehmen.

„Jetzt nicht!" knurrte der König unterdrückt. „Er ist nicht gerade ein sehr umgänglicher Charakter."

„Thranduil König!" knurrte Grimbeorn nun wie zum Beweis dieser Worte und blieb gut zehn Schritte vom Straßenrand entfernt.

Varyas Augenbrauen wölbten sich wie silberne Bögen Richtung Haaransatz, als sie Legolas einen langen Blick zuwarf. ‚Thranduil König?' formten ihre Lippen etwas spöttisch.

„Sie sagen das so", raunte der Waldelb gelassen.

Der Beorninger betrachtete mit düsterer Miene die Ansammlung berittener Elben vor ihm. Es schien ihm keineswegs zu gefallen, was sich da durch sein schönes Tal bewegte. Mit jedem Atemzug nahm die Düsterkeit auf seinen kantigen, tiefgebräunten Zügen zu. Ein Glück, dass Legolas Ionnin endlich hatte überzeugen können, doch wieder zurück zum Palast zu wandern. Der Bergsalamander hätte Grimbeorn wahrscheinlich den Rest gegeben. „Wichtige Reisende, ZU wichtig. Ihr werdet Gesindel anziehen wie ein Misthaufen Fliegen."

Thranduil blieb erstaunlich ruhig. „Unsere Reise endet vorerst hier. Ihr könnt also beruhigt sein und braucht auch gar nicht erst den Preis für unseren Schutz verzehnfachen, Grimbeorn."

„Wofür haltet Ihr mich?"

„Geschäftstüchtig?"

„Aber nicht gewinnsüchtig!"

„Hm, die Grenzen sind da eher fließend."

„Wollt Ihr, dass ich Euch das Genick breche, König?"

„Und wollt Ihr als Vorleger vor meinem Kamin enden?"

„Damit Ihr Euch zusammen mit dieser kleinen Schönheit an Eurer Seite darauf wälzen könnt?"

Wie bitte?" herrschte Varya den für ihre Begriffe sicher riesenhaften Mann an.

Was?" kam es beinahe gleichzeitig von Galen, der mit allen brüderlichen oder jedenfalls mangels Blutverwandtschaft ähnlich starken Instinkten auf Genugtuung aus war und bereits seinen Stab fester packte.

Grimbeorn stemmte die Fäuste in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Selbst Thranduil schmunzelte vergnügt, so hitzig hatten die beiden Ithildrim auf die kaum ernstgemeinten Beleidigungen reagiert.

„Wie macht Ihr das nur?" amüsierte sich der Beorninger, als er sich etwas beruhigt hatte. „Vor allen Dingen: wo habt Ihr soviel Feuer in so einer kleinen Person überhaupt gefunden? Irgendwann müsst Ihr mir Euer Geheimnis verraten, König."

„Irgendwann", nickte Thranduil. „Aber jetzt gibt es Wichtigeres zu bereden, Beorns Sohn."

Grimbeorns bernsteinfarbene Augen verengten sich etwas. „Ihr habt also ein ernstes Anliegen. Ein sehr ernstes, denke ich, denn sonst wärt Ihr nicht persönlich hier. Droht den Tälern Gefahr?"

Legolas grinste unwillkürlich. So konnte man es auch nennen.

„Wie man es nimmt", meinte Thranduil mit einem leichten Seufzen. „Wir suchen jemanden. Genauer gesagt suchen wir eine Elbin, die aus dem Volk meiner kampfbereiten Begleiter hier stammt."

„Nein", sagte Grimbeorn nach sorgfältigem Nachdenken. „Ich kann mich nicht erinnern, dass soviel Mondlicht hier durch unser Gebiet gekommen wäre. Das hätte ich bestimmt nicht vergessen. Aber ich kann nachhören, ob eine der anderen Ansiedlungen ihr begegnet ist."

Es war einerseits eine Erleichterung, dass sie Leiloss noch nicht verpasst hatten, andererseits konnte es auch bedeuten, dass die Ithildrim es überhaupt nicht bis zum Anduin geschafft hatte. Legolas entschied sich, ersteres anzunehmen.

„Dann werden wir wohl eine Weile hier abwarten müssen", kam es von seinem Vater, den wohl ähnliche Überlegungen bewegten.

„Aber nicht hier", verkündete Grimbeorn. „Unten am Fluss ist es kühler und angenehmer. Folgt mir, Thranduil König, wir werden einen Rastplatz für Euch und Eure Begleiter finden."

Die Elben rutschten aus dem Sattel, um nicht unhöflich zu erscheinen, während ihr Gastgeber näher zum Straßenrand rückte und dann den Weg Richtung Westen einschlug.

„Wieviel wird es mich kosten?" erkundigte sich Thranduil, der neben Grimbeorn ging und dabei beinahe zierlich wirkte.

„Das kränkt mich aber nun. Ich fühle mich geehrt, dass so hoher Besuch bei uns ist." Der Beorninger schlug die Augen zum Himmel. „Obwohl das natürlich doppelte und dreifache Verantwortung für uns bedeutet. Wir müssen die Wachen verstärken..."

„Wie.viel?"

Legolas bemerkte aus den Augenwinkeln, dass alle drei Rhuna nach kurzer Tuschelei näher gerückt waren und wieder fasziniert jede noch so kleine Regung Grimbeorns registrierten. Sie waren offenkundig von der Möglichkeit einer Gestaltwandlung völlig gefangen.

„Ihr seid ein Halsabschneider!" drang Thranduils mild empörte Stimme in seine Überlegungen.

„Dafür seid Ihr mein Gast", erinnerte ihn Grimbeorn gelassen. „Und Ihr wisst, wie viel uns Gastfreundschaft Wert ist."

„Aber sicher. Man kann es sogar in der Anzahl von Goldstücken bemessen."

„Elbenkönig, Ihr werdet doch nicht um die Sicherheit Eures einzigen Sohnes und der hübschen kleinen Silberelbin schachern!" Grimbeorn sah dabei über die Schulter und zuckte leicht zusammen, als er gleich beide Ithildrim, die auch noch von Gilnín wie von einer schlaksigen Riesenkrähe überragt wurden, so dicht hinter sich entdeckte. „Ist etwas?"

Zwei Paar Smaragdaugen durchbohrten ihn wie die Nadel eines Sammlers ein Insekt. Gleichzeitig schüttelten die Ithildrim den Kopf und Grimbeorn versuchte, sich wieder auf seine Verhandlungen mit Thranduil zu konzentrieren. Es bereitete ihm einige Mühe. Legolas war genauso fasziniert wie Galen und Varya selbst, wenn auch aus anderen Gründen. Bislang hatte er jedenfalls noch nie erlebt, dass etwas oder jemand den raubeinigen Beorninger aus der Ruhe bringen konnte. Die Beorninger verwandelten sich schließlich nicht umsonst in Bären. Andererseits hatte es Varya sogar schon geschafft, dass Thranduil erst vor kurzem einen sehr kostbaren Kristallpokal hinter ihr her durch den Gang geschmissen hatte und das sollte einiges heißen. Nicht, dass sein Vater nicht zornig werden konnte, aber er zerstörte dabei niemals wertvolle Gegenstände.

Legolas ließ sich etwas zurückfallen, um sich das ganze Schauspiel in Ruhe zu Gemüte zu führen. Nicht lange, und Forlos gesellte sich zu ihm. Die Miene des Hauptmanns war zwar beinahe ausdruckslos, aber das Glitzern seiner tiefblauen Augen hatte etwas Mutwilliges. Forlos amüsierte sich offenbar prächtig.

Genau wie Legolas.

Grimbeorn irgendwie nicht.

Er schnitt schlecht ab dieses Mal und Thranduil musste weniger Gold opfern als üblich, wenn der Beorninger persönlich besondere Konditionen heraushandelte. Außerdem waren die Verhandlungen kürzer und wurden zudem stockender geführt. Sie hatten nicht einmal die Hälfte des Weges herunter zum Anduin zurückgelegt, da waren sich die beiden auch schon einig.

Ein weiterer, sehr düsterer Schulterblick des Beorninger fiel auf das seltsame Trio hinter ihm. „Ich könnte schwören, Ihr habt sie nur dafür mitgebracht, Thranduil König."

Varya kicherte.

„Jetzt bin ich mir eigentlich sogar sicher", grollte Grimbeorn. „Und Ihr erwartet noch eine von dieser silbernen Art?"

„Ja." Einen Augenblick sahen sich Thranduil und er in ihrer Düsterkeit sehr ähnlich. „Sie ist offenbar auf dem Weg nach Imladris. Wir hoffen, sie hier an der Alten Furt abfangen zu können. – Wenn sie die Reise überlebt hat."

„Irgendwie bin ich fest davon überzeugt." Grimbeorn schüttelte nachdenklich den Kopf. „Als wären dies Zeiten, in denen man unbehelligt reisen kann. Oben auf dem Pass haben Orks einen Zugang geöffnet. Sie sind wirklich lästig und machen uns viel Arbeit."

„Das denke ich mir", nickte Thranduil. „Zum Glück müssen wir nicht so weit. Es reicht, wenn wir Leiloss hier aufgreifen und wieder nach Osten zurückschicken. Eure Leute werden also Ausschau halten?"

„Machen wir das nicht immer?" blaffte Grimbeorn und beschleunigte etwas seine Schritte, um mehr Abstand zu seinen drei Verfolgern zu bekommen. „Am besten schlagt Ihr Euer Lager in der Nähe meines Hofes auf. Da habt Ihr den besten Überblick über den Fluss und die Ebene."

Er versprach wahrlich nicht zuviel. Grimbeorns aus Holz errichtete Hofanlage thronte regelrecht über einem Teil des Anduin-Tals. Vom Haupthaus abgesehen, das den Charme einer massiven Holztruhe hatte, gab es noch zahlreiche, kleinere Nebengebäude. Sie hatten die unterschiedlichsten Zwecke: Ställe, Lagerhäuser, eine Backstube, Werkstätten. Alles, was für das Überleben der kleinen Beorninger-Gemeinschaft aus gut zwei Dutzend Menschen gebraucht wurde, war vorhanden.

Die Elben bezogen einen Lagerplatz mitten in einem der Pfirsichhaine. Wenigstens lenkte das Varya eine Weile von ihrem intensiven Studium des Gestaltenwandlers ab und man sah sie mit einem Pfirsich in jeder Hand herumstreunen, während die leichten Zelte aufgestellt wurden und die Waldelben sich auf eine längere Wartezeit gefasst machten.

Eines musste man Grimbeorn wirklich lassen: bei ausreichender Bezahlung geizte er nicht mit der nötigen Versorgung. Es wurden Körbe mit Früchten, frische Brote und Gebäck gebracht. Einige große, in Korb gefasste Krüge fanden ebenfalls den Weg zu den Elben und als man die Korken herauszog, breitete sich der süße Duft von frischem Pfirsichlikör zwischen den Zelten aus.

Dafür, dass man sich auf einer Rettungsmission befand, ließ es sich ganz gut aushalten, befand Legolas. Tagsüber streifte er zur Jagd umher, abends saßen alle am Feuer und genossen das gute Essen, die herrlichen Sommernächte mit ihren sternklaren Abenden und die Geschichten und Lieder, die jeder beisteuerte. Die Elben waren unter sich, denn die Beorninger waren nicht gerade ein sehr umgängliches Volk. Auch wenn gemeinsame Interessen sie auf dieselbe Seite gestellt hatten, gab es nur wenig Berührungspunkte. Ab und zu ertappte Legolas eines der Kinder, das sich heranschlich und mit staunenden Augen die Erstgeborenen beobachtete. Doch jeder Versuch, ein paar freundliche Worte mit diesen schlicht gekleideten, wortkargen Geschöpfen zu wechseln, scheiterte.

Vier Tage dauerte es, bis sich Grimbeorn wieder bei ihnen blicken ließ. Legolas beschlich der Verdacht, dass er vorher ausgekundschaftet hatte, wo sich die Rhuna gerade aufhielten, bevor er mit schnellen Schritten das Zelt seines Vaters ansteuerte, vor dem sich der König und Legolas gerade mit einer schon oft geführten Diskussion über unterschiedliche Jagdtechniken die Zeit vertrieben.

„Ich habe mich umgehört", begann Grimbeorn und seine Augen huschten wachsam umher.

„Varya ist gerade wieder Eure Pfirsiche stehlen", informierte ihn Thranduil. „Entspannt Euch also, Grimbeorn."

„Ah, gut." Der Beorninger straffte seine beeindruckende Gestalt etwas und das Kantige seiner Züge wurde gleichzeitig entspannter. „Wollt Ihr die gute oder die schlechte Nachricht zuerst?"

„Die gute", seufzte Thranduil.

„Euer Flüchtling lebt noch."

„Die schlechte?"

Sie will einen Orkhäuptling ehelichen und wir sind alle zur Vermählung eingeladen, schoss es Legolas durch den Kopf. Als Hauptgericht.

„Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber sie ist auf einem der Flusskähne", berichtete Grimbeorn und runzelte die Stirn. Das alleine war nicht schlecht, es musste also noch mehr kommen. „Das Schiff kennen wir. Es gehört einem Sklavenhändler."

Thranduils Fluch war sehr bildhaft und lang.

„Sicher?" fragte Legolas besorgt.

Grimbeorn bleckte die Zähne. „Ich hab sie gesehen. Eine Tagereise flussabwärts. Sie war an Deck, alleine allerdings und nicht gefesselt. Seltsame Sache, um ehrlich zu sein."

„Was ist seltsam?" Wie hergezaubert standen Varya und Galen hinter Grimbeorn, der einen hastigen Schritt zur Seite machte. Varya ignorierte ihn ausnahmsweise. „Thranduil, was ist so seltsam?"

„Leiloss ist auf einem Sklavenschiff hierher unterwegs." Nun, man konnte Legolas' Vater noch nie vorwerfen, übermäßig subtil zu sein.

„In ein paar Stunden müssten sie die Alte Furt passieren", ergänzte Grimbeorn. „Ich habe keine Ahnung, was dagegen zu unternehmen ist. Ein Angriff mitten in der Furt hat wenig Aussicht auf Erfolg."

„Ach wirklich?" meinte Galen und drehte sich um. „Geh schon vor, Varya, ich hole nur meinen Stab."

„Sofort." Die Ithildrim baute sich vor den beiden Waldelben auf. Ihr Blick wanderte zwischen ihnen hin und her. „Und? Was gedenkt ihr zu unternehmen? Ich kann ja verstehen, dass der Ambarahir nichts machen kann, aber ihr beide werdet doch wohl etwas einfallsreicher sein."

„Wie nennt sie mich?" wollte Grimbeorn wissen. „Etwa Feigling?"

„Bärenmann", fauchte Varya, ohne ihn wirklich zu beachten. „Wir werden Leiloss doch wohl befreien, oder? Oder?"

Vater und Sohn tauschten einen gequälten Blick. Die Vermählungsfeier mit dem Orkhäuptling wäre einfacher gewesen. Jetzt hatten sie ein Schiff zu kapern, das mitten in der Fahrrinne des Anduin unterwegs war. Es war ohnehin kein Vergnügen, gegen ein befestigtes Ziel vorzugehen, in dem sich die Angreifer verschanzten, aber ein Schiff war so ziemlich die schlechteste aller Möglichkeiten. Insbesondere, wenn man selber nicht einmal ein Ruderboot zur Verfügung hatte.

Thranduil seufzte. „Ja, werden wir. Legolas, gib Forlos Bescheid. Wir müssen kampfbereit sein. Aber erst sehen wir uns das ganze mal an. Und du, meine Blume, rührst dich dabei nicht von meiner Seite. Also keine Verzweiflungstaten in den Fluten. Haben wir uns verstanden?"

Varya murmelte etwas Unverständliches. Es musste das gleiche sein, das kurz darauf Galen von sich gab, als ihn Legolas anwies, sich nicht von seiner Seite wegzubewegen, allerdings verzichtete der Waldelb auf die nette Anrede aus dem Pflanzenreich und wechselte ins Tierreich zu den graufelligen Huftieren.

Zwei verstockte Ithildrim im Schlepptau zog der Elbentrupp kurz darauf runter zum Ufer des Anduin. Eilig hatten sie es nicht, denn nach Grimbeorn Einschätzung würde es noch eine Weile dauern, bis das Schiff endlich auftauchte. In aller Ruhe suchten sich die Krieger Verstecke im dichten Gebüsch und hinter den großen Felsen, die irgendwann einmal hier angeschwemmt worden waren. Nur Grimbeorn setzte sich deutlich erkennbar ans Ufer auf einen kugelrunden, grauen Findling. Vielleicht würden die Sklavenhändler zumindest ihre Fahrt verlangsamen, wenn sie den Beorninger entdeckten. Es war jedenfalls nicht so ungewöhnlich, einen der Furtwächter dort aufzufinden.

Außerdem konnten sie ohnehin nicht so schnell unterwegs sein, tröstete sich Legolas. Die Fahrrinne des Anduin verengte sich hier auf wenige Meter und zwang alle Schiffe, die aufgrund ihres Tiefgangs überhaupt in der Lage waren, sie zu passieren, sehr vorsichtige Manöver auszuführen, damit sie nicht auf Grund liefen. Die Beorninger hatten schon mehr als ein Schiff wieder freiziehen müssen und es sich teuer bezahlen lassen.

Ruhe umgab die Wartenden. Wahrscheinlich suchte jeder einzelne von ihnen nach einem Weg, diese Befreiung mit so wenigen Verlusten wie möglich zu planen. Aber noch hatte niemand einen Geistesblitz gehabt. Legolas jedenfalls bevorzugte die Taktik, das Schiff zu überfallen, wenn es während der Nacht ankerte. Denn das würde es machen. Auf dem Anduin konnte man hier auf Höhe der vielen Untiefen nur tagsüber bei guter Sicht reisen und auch nur, wenn man sich sehr genau auskannte.

„Sie kommen."

Grimbeorns leise Worte beendeten jede Spekulation. Die Augen des Beorninger waren scharf. Er hatte das Schiff bereits entdeckt, als es noch ein kleiner Punkt auf dem Wasser war. Langsam nur enthüllten sich Einzelheiten. Es wurde gerudert, da es hier stromaufwärts ging. Die Segel waren gerefft und nur wenige Gestalten an Deck zu erkennen.

„Da ist sie", raunte Thranduil nach einer Weile und auch Legolas erkannte die Varya so ähnliche Gestalt der Ithildrim, die vorne im Bug an der Reling lehnte und nicht gerade den Eindruck einer gequälten Gefangenen machte.

Eine weitere Gestalt kam aus einer Tür im Ruderhaus und Legolas blinzelte erst einmal. Das konnte gar nicht sein!

„Ist das Estel?" wunderte sich Galen. „Hat man ihn auch gefangen genommen?"

„Er sieht nicht gerade wie ein Gefangener aus", erklärte Forlos aus seiner Deckung heraus. „Sie sehen beide nicht so aus. Hoheit?"

„Noch warten wir", befand Thranduil.

„Ein Elb!" Varyas Ausruf beendete endgültig die Wartezeit.

Die hochgewachsene, blonde und vor allen Dingen bewaffnete Gestalt, die nun hinter Estel ebenfalls das Deck betrat, war so eindeutig ein Erstgeborener, dass es keine Zweifel mehr am wohl recht harmlosen Ausgang von Leiloss Ausflug geben konnte. Nach und nach erhoben sich die Wartenden am Ufer und fanden sich bei Grimbeorn ein.

„Kennst du den Elb?" erkundigte sich Galen bei Legolas.

„Ich denke schon", bestätigte der und musterte aus leicht zusammengekniffenen Augen den Ankömmling, der sich hinter Leilo und Estel aufgebaut hatte. „Ein Galadhrim aus Lorien, eindeutig."

„Nicht irgendeiner", berichtigte Thranduil kühl. „Es ist lange her, dass er Celeborn zu uns begleitet hat. Du warst zwar noch ein Kind, aber ihn vergisst man nicht so leicht."

„Haldir o Lorien", erkannte Legolas jetzt den Hauptmann, der damals gerade sehr frisch den Posten bekleidet hatte.

„Haldir o Lorien", nickte Thranduil finster und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und Estel. Heute ist mein Glückstag."


Tbc

Ithiliell: Des Jonglierens mit den einzelnen Schauplätzen müde, arbeite ich verstärkt daran, mal so eine Art großes Familientreffen aller Reisegruppen in Mittelerde zu organisieren. Da kann ich jetzt auch keine Rücksicht mehr auf Leiloss verständliche Sorge nehmen, dass Thranduil ihr den Kopf abreißt. Verstehst du das?

Haldir hat sich ja schon bis auf seine Kommentare zurückgehalten. Sehr ruhiger Elb (hüstel). Ist wahrscheinlich Kummer gewohnt von seiner Chefin

Shelley: Du hast mich echt dazu gebracht, noch mal tief die Nase in die Karte zu stecken. Leider nur im Postkartenformat und sie liegt immer am Bildschirm griffbereit. Aber nein, noch sind alle auf der richtigen Seite des Nebelgebirges. Eben da, wo jeder hingehört. Abgesehen natürlich von den Trollen. Bilbos Trolle dürften bereits platt sein, ich meine hart oder so (grins)

Und hier, wie es weitergeht. Die arme Autorin strebt langsam und mit wachsender Erleichterung dem Punkt zu, wo sich die ganzen Reisegruppen endlich begegnen. Zu dumm, dass sich gerade ein einzelner Wanderer in rabenschwarzer Kleidung von der Basisstation Bruchtal abgesetzt hat.

Airihnaa: Royal Düsterwalds met Royal Tannenbaums – Verzeihung Bruchtals. Das kommt noch, versprochen. Vorausgesetzt, die E² sind bis dahin nicht in Flammen aufgegangen, weil das Terpentin am Lagerfeuer zur Selbstentzündung neigt. Aber diesmal gab es ja die Düsterwalds. Beim letzten Mal wäre es dann doch zuviel geworden.

Ich hab mir diesmal die Dichterei verkniffen, dafür bist du doch eher der Spezialist. Hat mich schon beim letzten Mal mehr Hirnschmalz gekostet als ein halbes Dutzend Kapitel auf einmal.

Aragorn hat eigentlich eher ein Elbinnen-Problem. Die Ladies lieben ihn und ich hab keine Ahnung warum. Vielleicht, weil man ihn so gut manipulieren kann (zu Arwen schiel). Er sollte mal ein bisschen besser zuhören, wenn Glorfindel Tipps gibt.

Lord Elo: Elrond ist doch nicht faul! Das nennt man doch delegieren – will sagen, den Überblick behalten und alle anderen beschäftigen. Außerdem schätze ich, dass die Jogginghose ein modisches pastell-lachs sein wird.

Und ich bleibe dabei: keine verwandlungen, elrond würde so was wohl nie wagen. Und Borzo bleibt mir lieber so, wie Borzo ist. Ich brauch den kleinen Ork noch. Von Thranduils Brüdern hab ich allerdings noch nie gehört. Wo hast du das denn gelesen?

Iary: Ich find auch, jeder sollte einen Hausork haben. Der ist nützlich, wirklich nützlich. Wirst schon sehen. Und was die Ratten angeht, wenn sie nicht gerade an seltsamen Orten auftauchen, ist Elrond wohl auch ganz zufrieden. Erestor ist eben ein Zyniker und Figwit zu bedauern. Aber der bekommt auch noch seine große Stunde.

Varya braucht doch gar keine Laborratten, die nimmt immer sofort richtige Elben für ihre Wundermittel.

Feanen: Hi, lass dich drücken, auch wenn ich eine tiefe Depression hatte, dass ich noch nicht da war. Bin gerade bei Nr. 169 und dreh dabei diese süßen Münzen. Mein Gott, ich beneide dich immer mehr. Näheres kommt per Mail.

Donnfindel: Und was ist mit diesen Markierungen? Ja, schon wieder eine Nachfrage nach diesem süßen, kleinen Fabelbuch, das Elrond so gerne liest. Abwarten, sag ich nur.

Erestor ist auch faszinierend. Ich hab mich mal gehen lassen und ihn hier ausführlich in Action beschrieben, ich hoffe, es gefällt dir. Aber zu Estels Rettung hab ich ihn dann doch nicht eilen lassen. Erestor hätte sich wohl nur schlappgelacht und gewartet, bis sie Estel schon mal annagen. Hm, wer ist DOBBFINDEL? Dein Sekretär?