Disclaimer: Alles gehört Prof. Tolkien bzw. seinen Erben. Mir nix, immer noch nix. Nur ausgeliehen.

A/N: Danke an Fehlerfindel Amélie. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wo man überall Fehler einbaut..

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8. Kapitel: Wer trifft wen und warum eigentlich?

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Samtig weiche Lippen knabberten an Erestors Ohren, arbeiteten sich dann langsam an seiner rechten Schulter herunter, den Arm entlang und machten kurz Pause auf seiner Hand. Der warme Atem strich über die bloße Haut und hinterließ ein sehr angenehmes Gefühl.

„Alle!" brummte Erestor und schob das aufdringliche Pferdemaul fort, das seinen leichten Dämmerschlaf so sanft, aber hartnäckig störte. „Du hattest schon genug. Hanne wird mich umbringen, wenn ich ihr noch ein einziges Zuckerstück stehle."

Enttäuschte braune Augen blinzelten ihn an, bevor der vierbeinige Bettelkönig wieder zurück zu seinen Eltern stapfte, die zusammen in einer großen Box des fast ganz im Dunkeln liegenden Stalls standen und die Aktionen ihres Sprösslings mit milder Nachsicht beobachtet hatten. Es war die letzte Nacht, die sie hier in diesem Stall stehen würden. Erestor hatte jetzt fast eine Woche lang Tykvar bearbeitet, damit er ihm die Stute mit ihrem Fohlen überließ und er war erfolgreich gewesen. Was auch sonst? Immerhin hatte es kaum etwas anderes gegeben, mit dem er sich die Wartezeit hätte vertreiben können.

Dieser Mann, von dem Tykvar gesprochen hatte, war bislang noch nicht aufgetaucht und Erestors ansonsten unendliche Geduld half ihm hier nicht weiter. Er konnte sich nicht zulange im ‚Krummen Hund' aufhalten, sonst fiel das einfach auf. Morgen früh würde er abreisen.

Erestor beendete seine Überlegungen, als die üblichen Geräusche um ihn herum von einem anderen gestört wurden. Langsam setzte er sich auf dem duftenden Heuhaufen auf, auf dem er es sich für eine Weile bequem gemacht hatte. Es war nicht Sorben, soviel war schon sicher. Das leicht rasselnde Atemholen des Stallburschen war ihm zu vertraut. Dieser Eindringling atmete dagegen flach, kaum hörbar, gezwungen ruhig. Außerdem setzte er seine Füße sehr vorsichtig auf den Boden. Er schlich sich an.

„Soll das ein Hinterhalt werden?" fragte Erestor laut und spöttisch in Westron. „Auf einen Elben?"

Ein ärgerlicher, nur fast unterdrückter Laut antwortete ihm. Dann näherten sich nun deutlich lautere Schritte aus dem Hintergrund des Stalles. Erestor musterte aufmerksam die nicht sehr große Gestalt, die die Deckung verlassen und auf dem breiten Mittelgang zwischen den offenen Boxen auf ihn zukam.

Unauffällige Jagdkleidung, strapaziert, wenn auch nicht völlig ungepflegt und anstelle eines Schwertes zwei lange Messer gekreuzt im Gürtel. Der lange Umhang verbarg etwas die eigentliche Figur seines nächtlichen Besuchers. Aber die Kapuze war herunter geschoben und je näher er dem Lichtkreis der Stalllaterne kam, umso offensichtlicher war, dass es sich wohl nicht um den Mann handelte, den Tykvar beschrieben hatte.

„Kein Hinterhalt." Die Stimme war der letzte Beweis. Sie gehörte eindeutig einer Frau.

Oder einem bedauernswerten Mann, ergänzte Erestor im Stillen nicht ohne Bosheit. „Wie beruhigend."

In sicherer Entfernung zu ihm blieb sie stehen und schien einen Moment zu überlegen, was sie nun sagen sollte. Zögerlich genug war sie jedenfalls, dass Erestor sie in Ruhe in Augenschein nehmen konnte. Ihm gefiel nicht, was er sah. Das lag nicht an ihrem Äußeren, das nicht schlechter oder besser als das anderer Frauen war. Dürr, so hätte man sie bezeichnen können, auch wenn die grobe Kleidung viel verhüllte. Aber die Hände und Handgelenke waren zu knochig, dann lieber jemanden wie Linde, die ihn mittlerweile mit kindischer Bewunderung aus der Ferne anhimmelte. Die knapp über die Schultern reichenden Haare von dunkler Farbe waren glatt, ohne großen Ehrgeiz gestutzt und umrahmten ein sehr schmales Gesicht, das leichte Ähnlichkeit mit dem einer Maus hatte. Aber ihre Augen waren bemerkenswert – sehr blau, sehr groß und viel zu schön für dieses Geschöpf, auf dessen Haut zu allem Überfluss eine Schmutzschicht lag, die nicht erst aus den letzten Tagen stammte.

Das alles hätte Erestor nicht bewogen, solche Abneigung gegen sie zu empfinden, dafür war er einfach zu alt. Äußerlichkeiten beeinflussten ihn nur selten. Es war ihre Körperhaltung, die leicht vorgezogenen Schultern, der seltsam unruhige Blick, der eine Ahnung von dunklen Schatten gab, die in ihr lauerten.

„Was macht ein Elb im ‚Krummen Hund'?" überlegte sie laut und ihre Finger spielten unbewusst mit den Griffen ihrer Messer.

„Rast", antwortete er und erhob sich zu seiner vollen Größe. Er wusste genau, wie es auf sie wirken musste. Prompt wich sie einen kleinen Schritt zurück.

„Blödsinn!" Sie ärgerte sich offenbar über ihre Reaktion und dementsprechend unfreundlich kam diese Bemerkung heraus. „Das ist kein Rasthaus, weder für Elben noch für sonst jemanden."

„Und wer sagt das?"

Es dauerte einen Moment, bis sie verstand, dass er ihren Namen wissen wollte. „Man nennt mich Hestia."

„Hestia", wiederholte er und deutete eine unverhohlen spöttische Verbeugung an. „Ich bin überzeugt, du weißt, wer ich bin."

„Eren", stieß sie hervor. „Der Dieb."

Ah, irgendwie schmerzte das schon! Sollte es zumindest. Erestor verzog etwas das Gesicht, um ein Lächeln zu verbergen. Lord Erestor von Imladris, Seneschall Elronds, Krieger und Gelehrter seit Jahrtausenden – reduziert auf einen Kriminellen. Glorfindel, du wirst Tränen der Heiterkeit in den Augen haben. „Kein Dieb, Hestia. Ich verteile nur neu."

Das jedenfalls schien ihr zu gefallen, denn unwillkürlich grinste sie. „So kann man es wohl auch nennen. Zurzeit scheint es für dich aber nur wenig zu verteilen zu geben. Du bist schon einige Tage hier."

Erestor ließ sich mit der Antwort Zeit. Hestia war nicht zufällig hier und sie war auch nicht überrascht, ihn zu treffen. Es schien fast… „Komm zur Sache, Frau. Was willst du von mir?"

„Seltsame Frage." Sie legte den Kopf etwas schief und warf ihm einen schlauen Blick zu. „Bis du sicher, dass du nicht vielmehr etwas von mir willst, Elb?"

„Sicher nicht deinen Körper."

Das absichtliche Missverständnis brachte sie erneut für kurze Zeit aus dem Konzept. Sie stand kurz davor, mit den Messern auf ihn loszugehen, so wütend war sie über die Zweideutigkeit und ein bisschen wohl auch über die darin enthaltene Zurückweisung. „Arrogant wie alle deiner Art. Ihr haltet uns für schmutziges, niederes Pack."

Erestor beugte sich ein wenig zu ihr vor und lächelte böse. „Schätzchen, du bist so dreckig, dass man deine Hautfarbe nicht mehr erkennen kann. Du treibst dich in der übelsten Spelunke diesseits des Nebelgebirges herum und machst dich an einen Elb ran, der auch nicht gerade einen makellosen Ruf hat. Was erwartest du also von mir? Respekt?"

Gerade als er zu der Überzeugung kam, es wohl doch falsch angepackt zu haben, entspannte sie sich und nickte. „Du machst deinem Ruf wirklich alle Ehre, Eren. Bist ein echter Bastard."

Und es gefiel ihr offenbar. Erestor deutete ein gelangweiltes Gähnen an. „Wie nett, dass du jetzt glücklich bist, Hestia. Wenn das alles war, solltest du hier wieder verschwinden. Ein Pferd hast du ja wohl nicht untergestellt, also gibt es keinen Grund, meine Ruhe weiter zu stören."

„Vielleicht doch", sagte sie und kletterte auf den obersten Querbalken der Boxentrennwand. „Ein Elb ist schon was Besonderes, selbst wenn er so wie du zum Abschaum gehört."

„Oh, das schmerzt mich aber jetzt wirklich, meine Liebe."

„Das war ein Kompliment."

„Dann sollte ich es wohl erwidern. Abschaum erkennt einander also, keine sehr neue Erkenntnis. Was hab ich nun von deiner Bekanntschaft, Hestia?"

„Hast du Interesse an etwas Arbeit?" Sie wippte mit den Füßen auf und ab. Nervosität lag unter ihrer frechen Oberfläche. Es fragte sich nur, was sie so beunruhigte. „Lukrative Arbeit."

„Ich brauche keine Partner", erwiderte er kühl.

„Partner." Nach ihrem leisen Lachen zu urteilen, war diese Bemerkung ausgesprochen witzig, auch wenn Erestor nicht den Grund dafür erkannte. „Nicht als Partner, Elb, dafür bist du nicht gut genug."

„Wirklich?" Er musterte sie aus schmalen Augen. Auch wenn sie es zu verbergen suchte, so trieb unter ihrer Beunruhigung noch ein ganz anderes Gefühl, sehr viel stärker und älter. Hass, erkannte er mit einem Mal. Sie hasste ihn und nicht nur ihn allein. Alle seiner Art waren ihr zuwider.

„Es heißt, Elben töten sich nicht gegenseitig", meinte sie gedehnt.

„So heißt es."

„Gilt das für euch alle?"

Nein, das galt nicht für alle, schon sehr lange nicht mehr. Erestor verdrängte die Erinnerung an die Schrecken des Brudermordes. Er hatte nicht daran teilgenommen, aber bei dem späteren Einzug in die Hafenstadt Valinors das Ergebnis betrauern müssen. Es hatte ihn fortgetrieben von der vorher so makellosen Insel, deren Frieden und Glück für alle Ewigkeit mit einem blutroten Schatten befleckt war. Elben hatten Elben getötet und die Strafe der Valar lastete deshalb immer noch auf ihnen. „Du solltest nicht so viel auf alte Märchen hören, Frau."

„Hast du schon Elben getötet?"

„Warum glaubst du wohl stehe ich hier an diesem verrotteten Ort und unterhalte mich mit einer Sterblichen wie dir? Bestimmt liegt es nicht daran, dass ich bei meinem Volk so großes Ansehen genieße." Eigentlich hatte es genau damit zu tun, aber das brauchte sie ja nicht zu wissen. „Ich schätze, damit haben wir genug geplaudert. Meine Vergangenheit ist meine Sache. Verzieh dich, wenn du nichts Wichtiges mehr zu sagen hast."

„Uh, da sind wir aber empfindlich", freute sie sich und ihre Augen leuchteten regelrecht vor Bosheit.

„Hast du Todessehnsucht, Hestia?"

Beschwichtigend hob sie die Hände. „Ist ja schon gut. Ich wollte nur sicher sein, dass ich den richtigen Elb gefunden haben."

„Wo doch so viele meines Volkes hier rumlaufen."

„Diesen Spott kannst du dir schenken. Ich habe eine Botschaft für dich."

Er hob nur fragend die Brauen.

„Von einem Freund. Er hätte dir ein Geschäft vorzuschlagen." Sie überlegte einen Moment. „Wohl eher so eine Art Mitgliedschaft."

„Komm zur Sache."

„Nicht hier. Er wartet weiter nördlich auf dich. Wenn du Interesse hast, werde ich dich hinführen."

Erestor zögerte. Eigentlich war es Wahnsinn, sich darauf einzulassen. Es konnte genauso gut eine Falle sein. In Imladris wusste niemand, wo er sein würde. Eigentlich wusste er selber nicht genau, was sie mit ‚weiter nördlich' meinte. Es konnten nur die Trollhöhen sein, wo auch die Überfälle stattgefunden hatten. Doch was half ihm das? Erestor erinnerte sich an die Lossidil und den sterbenden Avathim, der so große Qualen gelitten hatte. Er gab sich einen Ruck.

„Ich hoffe für dich, es lohnt sich auch, Frau."

„Warte ab, Elb, du wirst staunen."

Und Elrond würde ihn dafür mit einem Donnerwetter vom Allergemeinsten überziehen, sollte er dahinter kommen, dass Erestor diesmal gegen eine ausdrückliche Anweisung des Herrn von Imladris verstieß.

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Er spürte die Qualen. Die seltsame Schwäche, die nacheinander die Glieder befiel, den Geist ermüdete und sich wie ein Schleier über alle Sinne legte. Das Gift der Orks breitete sich in Elladans Körper aus und Elrohir empfand es so stark, als hätte ihn selbst ebenfalls ein Pfeil getroffen.

„Wie geht es ihm?" zischelte er gerade laut genug, dass Glorfindel es auf der anderen Seite des Weges verstehen musste.

„Wieder schlechter", war die Antwort. „Aber er hält durch bis Sonnenaufgang."

Elrohir schwieg. Bis die Nacht sich verabschiedete, waren es noch mindestens zwei Stunden. Wenigstens versuchte Glorfindel nicht mehr, ihn über Elladans Zustand zu täuschen. Es war ohnehin zwecklos. Zwischen ihnen lag nicht genug Entfernung, dass die natürliche Verbindung der Zwillinge nicht schon längst die Signale weitergegeben hätte, die das Elend des einen aussandte.

Das Gift und diese Orks. Elrohir hatte sich schon in hoffnungsvolleren Lagen befunden. Sie saßen so fest wie ein Nagel in einer Eichenbohle. Natürlich konnten sie einfach abwarten, dass die Sonne aufging und die Orks wieder in die dunklen Löcher vertrieb, aus denen sie gekommen waren. Allerdings waren es genau diese Löcher, die Elrohir die größte Sorge machten. Irgendwo mussten diese dunklen Kreaturen hergekommen sein und da waren mit Sicherheit noch mehr von ihnen.

Bislang hatte er nur die üblichen Orks erkennen können, keine Uruk'hai. Das hätte dann wirklich das Ende bedeutet. Uruks waren noch lange nicht so lichtscheu wie die niederen Angehörigen der Orkstämme. Sauron lebte stärker in ihnen und schützte sie effektiv vor den Strahlen der Sonne.

Also hatten sie eigentlich noch Glück.

Elrohir seufzte. Er beruhigte sich selbst, das war zu deutlich. Einen Angriff hatten sie schon zurückschlagen können, aber er befürchtete, dass noch vor Sonnenaufgang der nächste folgen würde. Die Orks schienen sich wieder zu sammeln, es war viel Bewegung in den höheren Hängen. Zahlenmäßig waren ihnen diese Kreaturen immer noch überlegen, auch wenn sie bereits eine große Anzahl von ihnen getötet hatten.

Elrohirs Finger glitten ohne hinzusehen über die Schäfte der Pfeile, die sorgfältig neben ihm aufgereiht auf dem Boden lagen. Sie hatten zwei weitere Krieger verloren, weil sie nach dem letzten Angriff mit Todesverachtung alle ihre Deckung verlassen hatten, um die Pfeile einzusammeln, die halbwegs in Reichweite lagen. Nun, nicht gerade lagen, sondern eher steckten, in Orkkadavern zumeist.

Auf der anderen Seite kullerte ein kleiner Stein den Hang herunter. Drüben rührte sich was. Elrohir vernahm sofort danach den warnenden Laut, den Glorfindel ausstieß. Der neue Angriff begann also. Direkt danach zersplitterte dicht neben seinem Kopf ein Orkpfeil und einer der Holzsplitter zog eine sengende Spur über seine rechte Wange. Es war keine großartige Verletzung, aber Elrohir hatte endgültig die Nase voll.

„Drecksäcke!" stieß er mit zusammengebissenen Zähnen vor und schoss aus seiner Deckung heraus.

„Elrohir!" Elladans warnende Stimme klang schwach. Noch ein Grund, dass Elrohir in unbändiger Wut den gegenüberliegenden Hang hochstürmte. Sein Bogen war vergessen, er hielt in der rechten Hand sein Schwert, in der linken das lange Messer, das ihm vor langer Zeit seine Mutter geschenkt hatte.

Orkblut für das Blut seiner Mutter…Elrohir verspürte die vertraute Wut, die sein sonst so besonnenes Wesen nun wenigstens für eine Weile zum Schweigen verdammen würde. Als erstes nahm er sich die beiden Orks vor, die oberhalb von Elladans Deckung in den Felsen gehockt hatten und von denen wohl auch der Pfeil gekommen war, der ihm den Kratzer im Gesicht beschert hatte.

Orks waren beherzte Kämpfer, ohne Zweifel, aber ihr Gehirn funktionierte nur in den üblichen Bahnen und dann auch nicht gerade schnell. Ein Elb, der mit lautem Geschrei auf sie zustürmte, dabei seine Deckung völlig vernachlässigte, war jedenfalls keine übliche Bahn. Mit aufgerissenen Augen starrten sie ihm entgegen. Sie wirkten sogar noch sehr überrascht, als er dem einen den Dolch in den Brustkorb trieb und dem anderen in einem einzigen Schlag den Kopf von den gedrungenen Schultern trennte.

Um diese beiden kümmerte er sich nicht weiter. Seine nächsten Opfer warteten bereits auf ihn. Vier diesmal, die sich bei seinem Angriff auf ihre Kumpane etwas verblüfft erhoben hatten und sich wohl nicht im Klaren waren, wie sie nun reagieren sollten. Elrohir nahm ihnen die Entscheidung ab. Mit wenigen Schritten war er bei ihnen, hörte dabei noch, wie ein Pfeil dicht an seinem Ohr vorbeizischte und spießte sofort den Bogenschützen auf. Die drei anderen attackierten ihn gleichzeitig, aber nicht schnell genug. Seine Klinge fuhr quer über die Körpermitte eines recht mickrigen Orks, durchschnitt die dreckige Frontpanzerung aus gehärtetem Leder, um sich durch die dicke Haut des Orks tief in seine Eingeweide zu wühlen. Den zweiten erledigte er zeitgleich mit einem Messerwurf in die Brust und den Dritten traf ein Fußtritt gegen den Hals, der seinen Kehlkopf zersplittern ließ.

Elrohir betrachtete mit einem finsteren, aber zufriedenen Lächeln, wie sich der Ork verzweifelt an die Kehle griff, durch die nicht der geringste Luftstrom mehr seine Lungen erreichen wollte. „Da stockt einem der Atem, was?"

„Allerdings!" erklang hinter ihm Glorfindels wutentbrannte Stimme. Beinahe gleichzeitig wurde Elrohir gepackt und zu Boden gerissen. Pfeile jagten über seinen Kopf hinweg, schwarz und von weiter oben kommend.

Die beiden Elben robbten hinter den Felsbrocken, auf dessen anderer Seite nun die vier Orkkadaver lagen. Um sie herum herrschte Chaos. Bruchtals Krieger waren mit dem Mut der Verzweiflung Elrohirs Beispiel gefolgt und versuchten, die Orks wenigstens soweit zurückzudrängen, dass sie einen Fluchtweg den Pass herunter öffnen konnten.

„Willst du dich umbringen?" fauchte Glorfindel, der wohl bei Elrohirs Verfolgung einige Zusammenstöße mit Orks hinter sich gebracht hatte. Schwarze Blutsprenkel bedeckten sein Gesicht und seine Kleidung. Sobald Sonne darauf fiel, würde das Zeug bestialisch anfangen zu stinken. Elrohir sah wohl kaum anders aus.

„Es wirkt", verteidigte sich der Zwilling. „Wir drängen sie zurück."

„Du bist so ein Narr!" Mit einer knappen Geste deutete Glorfindel auf die andere Seite des Passes.

Kaum folgten Elrohirs Blicke dieser Bewegung, wünschte er sich aus ganzem Herzen, dass dies eine wolkenverhangene Nacht war. Er brauchte nicht das überaus klare Mondlicht, das nun sehr genau die ganze Horde Orks beleuchtete, die hinter einer Felsgruppe vorströmte und unter lautem Gebrüll daran ging, ihre schon arg dezimierten Kameraden zu unterstützen.

„Darauf haben sie gewartet", knurrte Glorfindel. „Verstärkung und wir machen es ihnen jetzt doppelt leicht, weil wir uns dank deiner heldenhaften Aktion im ganzen Gelände verstreut haben."

Elrohir stöhnte nur leise.

Glorfindel schüttelte noch einmal resigniert den Kopf und lächelte plötzlich. „Also dann, sterben wir wenigstens einen Heldentod."

„Du bist verrückt."

„Ich weiß ja, wer es sagt."

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Eile beschrieb nicht annähernd das Tempo, in dem sie seit Stunden unterwegs waren. Seit Grimbeorns Rückkehr am Morgen um genau zu sein. Der Beorninger war fast die ganze Nacht fort gewesen, um seine Männer zu suchen, die den Pass bewachen sollten. Er hatte niemanden gefunden. Mittlerweile war es Nacht geworden, aber weder Thranduil noch ein anderer der Krieger machte Anstalten, eine Rast einzulegen.

Nicht, dass Galen groß überrascht war. Irgendwie lag Ärger in der Luft, großer Ärger. Er war nicht der einzige, der es spürte. Wohin er auch blickte, erkannte er angespannte Mienen. Sie alle trieben ihre Pferde den Passweg hinauf und erwarteten jederzeit, auf den Feind zu treffen.

Orks waren am wahrscheinlichsten. Grimbeorn hatte schließlich bereits seit einiger Zeit gewusst, dass es ihnen wohl gelungen war, weit oben am Pass einen Zugang aus den Nebelbergen heraus zu öffnen. Bislang hatten sie sich jedoch auf kleinere Attacken der Reisenden beschränkt und sich von den Beorningern wenn möglich fern gehalten. Damit war es jetzt vorbei.

„Warum warten wir eigentlich nicht auf Verstärkung?" wollte Leiloss wissen, die neben ihm mit der ihr eigenen Zähigkeit mithielt. „Das ist doch sinnvoller, oder?"

„Nein, ist es nicht", antwortete er kopfschüttelnd. „Ohne den Pass ist dieser Teil der Welt fast ganz vom Westen abgeschnitten."

„Außerdem dürfen sich die Orks nicht dort einnisten", ergänzte Varya und löste von ihrem Sattel den Bogen und den ausgesprochen kostbar gearbeiteten Köcher mit Pfeilen. „Umso schwerer werden wir sie wieder los. Hier, nimm das, Leilo. Ich hab sowieso keine Ahnung, warum ich so eine Waffe mitnehmen musste."

„Damit du nicht so erbärmlich wehrlos bist", knurrte Thranduil, ohne sich umzudrehen.

„Da ist ein Bogen aber eine ganz tolle Idee." Varya rollte leicht mit den Augen. „Ich bin ja auch so gut damit. Nicht wahr, Forlos?"

„Ihr seid besser geworden."

„Viel besser", bestätigte sie. „In letzter Zeit habe ich Euch nicht einmal mehr fast abgeschossen, sondern weit daneben getroffen."

„Ich finde, wir sollten es etwas vorsichtiger angehen", piepste Gilnín verschüchtert.

„Eigentlich hat er ja Recht", nicke Hinner, der sich bislang sehr zurückgehalten hatte.

„Und ich finde, ihr beide solltet den Mund halten", wurden sie sofort von Thranduil angeranzt.

Als hätte Grimbeorn Gilníns Worte gehört, stoppte er überraschend sein Pferd. Einige Flüche wurden laut und es dauerte einen Moment, bis sich der in die Länge gezogene Trupp der Reiter wieder formiert hatte. Galen wunderte sich, warum der Beorninger so dicht unter dem Scheitelpunkt des Passweges anhalten ließ. Seine Verwunderung währte genauso lange, wie es brauchte, bis Stille eintrat. Der Beorninger hatte den rechten Zeigefinger an seine Lippen gelegt und deutete weiter den Weg hoch.

Nur einen kurzen Augenblick später konnten sie es alle hören. Vor ihnen wurde gekämpft. Metallische Geräusche von Schwertern, Geschrei und das Einschlagen von Pfeilen überlagerte die friedliche Stille dieser Nacht.

„Viele", murmelte Haldir und nahm seinen Bogen vom Rücken. „Auf jeden Fall Orks."

„Und Elben", ergänzte Thranduil, als ein feines Sirren unter all den Geräuschen auszumachen war. „Nur unsere Bögen klingen so. Estel, ich will, dass Ihr mit den Rhûna und Hinner hier abwartet, bis wir genau wissen, was dort oben los ist."

„Wir werden jeden Schwertarm brauchen", meinte Legolas sehr leise. „Haldir hat Recht, es sind sehr viele."

„Dann haben wir mit Varya und Gilnín den Sieg schon fast in der Tasche", murmelte Forlos ergeben.

„Ich kann auch hier warten", schlug Gilnín entsetzt vor. „Und auf Hinner achten."

Der Ilegonder musterte ihn einen Moment etwas kritisch, nickte dann aber doch lieber. „Ich wäre Euch dort oben nur im Weg."

„Gute Idee", meinte Grimbeorn und rutschte aus dem Sattel. „Dann kannst du auf mein Pferd achten, Junge. Ich werde einen anderen Weg dort herauf nehmen."

Kurze Zeit verdrängte das Interesse an dem Gestaltenwandler sogar Galens Anspannung über den bevorstehenden Kampf. Grimbeorn würde sicherlich in seiner Tiergestalt in das Geschehen eingreifen. Der Gedanke, die äußere Form ändern zu können, hatte etwas Faszinierendes, fand er. Außerdem lief da noch diese Wette mit Varya und Gilnín, in was für eine Art Bär sich Beorns Sohn denn verwandeln würde. Varya tippte auf die großen Rotbären, die es auch im Düsterwald gab, Galen auf die etwas kleineren Felsenbären, die mit ihrem dunkelgrauen Fell so überaus gut getarnt waren und Gilnín behauptete mit wilder Entschlossenheit, dass ein so griesgrämiger Mann wie Grimbeorn nur ein Ambara sein konnte. Etwas unrealistisch, wenn man bedachte, dass diese Art nur in Rhûnar vorkam.

Alleine warten?" fragte Gilnín erschüttert.

Thranduil lächelte versonnen und Galen zog vorsichtshalber den Kopf ein. „Meister Gilnín, aber nicht doch. Ich lasse die gesamte Garde hier…ach, ich lasse einfach alle hier und reite nur mit Estel weiter. Wo kämen wir denn hin, wenn Ihr Euch fürchten müsstet! NATÜRLICH alleine!"

„Hinner ist bei Euch", ergänzte Forlos bemerkenswert ernst.

Damit war das dann geklärt. Nach dieser letzten Verzögerung stürmten alle los – ausgenommen Gilnín und Hinner natürlich. Galen war zwar nicht wohl, ihm war nie wohl vor einem Kampf, aber er würde es nicht zulassen, dass Elben starben, wenn Hilfe so nah war. Kurz darauf fragte er sich, ob die Helfer vielleicht auch sterben würden, weil der Tod noch viel näher war. Oben auf dem Pass waren tatsächlich Elben, höchstens ein Dutzend.

Und eine halbe Hundertschaft Orks.

„Als hätte ich es geahnt", kam es von Thranduil. „Forlos, seht Ihr die zwei Verrückten weiter oben?"

„Erus Licht!" stöhnte Legolas auf. „Das sind Glorfindel und Elrohir."

„Und wo ist Elladan?" fragte Estel beunruhigt.

„Den finden wir schon", sagte Galen beschwichtigend.

„Fragt sich nur, in welchem Zustand", orakelte Varya mit dem Instinkt des Heilers.

Das waren dann auch die letzten normalen Worte, die für eine ganze Weile gewechselt wurden. Dies war wahrlich kein Kampfplatz, wie ihn sich ein Krieger wünschte. Abgesehen von der Rinne des Passweges, zogen sich Geröllhänge zu beiden Seiten die Bergwände hinauf. Überall wurde gekämpft, nirgendwo war eine deutliche Linie der beiden Seiten zu erkennen. So mussten sich auch die Waldelben aufteilen und versuchen, immer da zur Stelle zu sein, wo die Bruchtal-Krieger in erbitterte Einzelkämpfe verwickelt waren.

Gleichzeitig strömten immer mehr Orks hinter einem hohen Felsen weiter oben am Berg hervor und stürzten sich ohne langes Zögern auf alles, was sich bewegte und dabei nicht genauso hässlich war wie sie selbst. Galen und Estel folgten ohne sich abzusprechen dem König und einer Handvoll seiner Garde, die zielstrebig auf Elronds obersten Krieger zuhielten. Glorfindel stand Rücken an Rücken mit Elrohir auf halber Höhe vor dem Hauptstrom der Orks. Beide mähten nieder, was gerade in Reichweite ihrer Schwerter kam. Es war ein Wunder, dass sie noch nicht überrannt worden waren.

Ein kurzer Schulterblick zeigte Galen, dass auch die anderen nicht gerade untätig waren. Haldir und Legolas hatten die Spitze eines Felsens erklommen, der dort etwas abgeflacht war. Bei ihnen – ob nun freiwillig oder nicht – war Leiloss, die zwar wirklich gut mit einem Bogen umgehen konnte, aber neben diesen beiden Meistern wie ein noch sehr junger, wenngleich talentierter Schüler wirkte. Die drei waren insgesamt sehr effektiv, deckten fast alle Seiten ab und halfen so den anderen Kriegern, die in kleinen Gruppen ausschwärmten, um die bedrängten Bruchtaler zu unterstützen.

Galen unterbrach seine Betrachtung einen Augenblick, um einen vorwitzigen Ork, der ihn wohl für leichte Beute hielt, mit dem Stab erst den Unterarm zu brechen und ihm dann den metallenen Kampfstab gerade ins Gesicht zu stoßen. Kurz bevor er die hässliche Fratze traf, lösten seine Finger den verborgenen Mechanismus am Griff aus. Ohne Verzögerung teilte sich die Silberhülse am Ende des Griffs in ihre einzelnen, messerscharfen Segmente und grub sich in das Orkgesicht. Als sich die Klingen knirschend durch die nicht gerade schwachen Schädelknochen fraßen, fing Galen einen kurzen Blick von Thranduil auf.

„Ihr überrascht mich immer wieder, Meister Galen", meinte Thranduil, ohne sich dabei unterbrechen zu lassen, einen Ork auszumanövrieren und abzustechen.

„Das war ein Kompliment", raunte Estel, weil Galen etwas irritiert blinzelte.

„Wirklich?"

„Wirklich." Estel tauchte unter dem Streich einer gifttriefenden Orkklinge weg und rammte dem Angreifer sein Schwert in den Magen. Er sprang ein Stück zurück, als der Ork auf ihn zu fallen drohte.

Unten auf dem Passweg huschte Varya entlang. Forlos und zwei weitere Krieger folgten ihr dicht wie der eigene Schatten. Das war auch gut so. Sie hielt zwar ihr Langmesser in der Hand, aber Galen kannte sie zu gut. Sie war auf der Suche nach Elladan und nichts anderes interessierte sie mehr. Weder zwei brüllende Orks, die genau auf sie zuhielten und auf halber Strecke von Pfeilen durchsiebt umfielen, noch der dritte Ork, der von einem Felsen sprang und genau vor ihr landete.

„Forlos!" brüllte Thranduil, der Varya offenbar nie aus den Augen ließ.

Der Hauptmann weiter unten hob bestätigend eine Hand. Während Varya einfach unter dem Arm des Ork hindurchtauchte, machte Forlos ihm kurzerhand den Garaus. Dann stürmte er hinter seiner Schutzbefohlenen her, die einen Felsüberhang angesteuert hatte und jetzt darunter verschwand.

„Waldelben findet man aber auch überall", wurden sie von Glorfindel begrüßt, dem deutlich die Erleichterung über die unerwartete Verstärkung anzumerken war. „Hast du kein Königreich zu regieren, mein Freund?"

„Zu langweilig", winkte Thranduil ab.

Mit den Neuankömmlingen verbesserte sich die Lage wenigstens etwas. Was vorher hoffnungslos ausgesehen hatte, war jetzt nur noch verzweifelt. Die Orks waren einfach zu zahlreich. Immer mehr von ihnen strömten aus diesem Loch, das sich hinter dem Felsen weiter über ihnen befinden musste.

„Wir müssen es verschließen", erklärte Glorfindel schweratmend.

„Nichts einfacher als das", grollte Thranduil. „Leider kommen wir nicht einmal bis dorthin."

„Das brauchen wir wohl auch nicht", kam es von Estel. „Seht nur!"

Noch bevor alles in die angegebene Richtung blicken konnte, übertönte ein fürchterliches Brüllen die Szenerie. Für einige Herzschläge waren alle wie gelähmt. Selbst die Orks erstarrten mitten in der Bewegung. Es war sicher nicht der größte Bär, den Galen je erblickt hatte. Ausgewachsene Ambaras waren mindestens doppelt so mächtig. Aber selbst diese riesigen Raubtiere seiner Heimat konnten nicht so viel Schrecken verbreiten, wie das rotbraune Exemplar dieser Gattung, das nun mit weit ausgreifenden Sätzen von rechts kommend den Hang hinaufstürmte und dabei alles zerriss, was sich nicht schnell genug vor seinen messerscharfen Pranken in Sicherheit bringen konnte.

„Grimbeorn", hauchte Galen und war sich nicht sicher, ob er fasziniert oder entsetzt sein sollte.

Der Beorninger wütete gnadenlos unter den Orks, die seltsam unvorbereitet auf die Begegnung mit ihm wirkten. Kopflos rannten sie durcheinander und versuchten, dem massigen Angreifer zu entgehen, der zuerst den Zustrom aus dem höher gelegenen Loch teilte und sich dann weiter nach oben fraß.

„Das wurde auch langsam Zeit", war der trockene Kommentar von Thranduil. „Hast du noch ein bisschen Kraft, Vanya, oder willst du alles einem Bären überlassen?"

„Darüber reden wir später", grinste Glorfindel nur und machte sich genau wie die anderen daran, wegzuräumen, was Grimbeorn ihnen übrig ließ.

Es war genug, wenn auch nicht mehr unbedingt viel. Grimbeorns Schrecken gründete in seinem tiefen Hass auf die Orks, den er sich auch in dieser Gestalt bewahrte. Die Elben konnten es körperlich spüren, als sie ihn endlich erreichten. Kurz vor einem schmalen, dunklen Einschnitt im Fels richtete sich der Beorninger zu beeindruckender Größe auf und fegte mit seinen Pranken beiseite, was an Orks sich noch wagte, die Dunkelheit des Ganges zu verlassen. Die Elben um ihn herum löschten die wenigen Orks aus, die ihm noch entgangen waren, bevor sie der Einfachheit halber die Kadaver tief in den Zugang hineinwarfen, die restlichen davor aufschichteten und sie entzündeten. Damit würde eine Weile Ruhe sein. Um die endgültige Absicherung musste sich Grimbeorn selber kümmern. Etwas, dass er wohl bereits in die Wege leitete, denn so schnell wie der Bär aufgetaucht war, so schnell verschwand er dann auch wieder.

Die Elben blieben alleine zurück auf diesem Schlachtfeld voller toter Orks, einiger weniger toter Elben und sehr vielen Verletzten. Galen hätte gerne etwas ausgeruht, aber angesichts der Verwundungen um ihn herum war anderes wichtiger. Heilende Kraft und Heilmittel vermischten sich zu der rettenden Kombination wie schon so oft in seinem Leben. Und wie schon so oft blieb er am Ende so erschöpft zurück, dass er am liebsten an Ort und Stelle auf den Boden gesunken wäre, um erst einmal eine ganze Zeit auszuruhen.

„Schön, dich zu sehen." Elrohir umarmte ihn kurz und zog ihn dann mit sich. „Elladan wurde verletzt. Ich hoffe, du kannst ihm helfen."

„Varya ist bei ihm", wehrte Galen mit heiserer Stimme ab. „Schon die ganze Zeit."

„Mag ja sein", nickte Elronds Sohn, ohne seinen schnellen Gang zu verlangsamen. „Aber es wäre mir doch lieber, du wirfst ebenfalls einen Blick auf ihn."

„Traut Ihr mir etwa nicht?" Varya, die neben Elladan kniete, musste Elrohirs letzte Worte gehört haben.

„Erst denken, dann reden", kam es von Glorfindel. „Das hab ich den Burschen schon so oft gesagt."

„Vielleicht lernt er es jetzt", amüsierte sich Thranduil. „Sehen wir uns die Schäden an, begleite mich."

Galen ließ sich auf Elladans anderer Seite nieder. Varya musste ihn nach Ende der Kämpfe aus seiner unbequemen Deckung geholt haben, denn er lehnte nun noch immer etwas blass und mit den Spuren von kaltem Schweiß auf der Stirn am Felsen.

„Wo hat dich der Pfeil getroffen?" wollte Galen wissen.

„An der Stelle, die diese liebreizende Heilerin hier schon die ganze Zeit mit einem Griff wie eine Adlerklaue umklammert."

„Sind eigentlich alle Bruchtaler so wehleidig?" erkundigte sich Varya mit hochgezogenen Brauen. Den Druck ihrer Hand auf seinem Arm lockerte sie keinen Deut. „Der kleinste Kratzer und er jammert wie ein windeltragendes Krabbelkind."

„Ich wurde vergiftet!" empörte sich Elladan, während sein Bruder sich angesichts der offensichtlichen Genesung langsam entspannte und breit grinste.

„Da hörst du es", lächelte Galen. Elladan würde in Windeseile wieder auf den Beinen sein. Noch während er hier rummeckerte, ließ Varya weiter viel von ihrer eigenen Kraft in ihn strömen.

Mit der freien Hand kramte Varya in ihrem Lederbeutel herum. „Ich frag mich nur, was er gleich macht, wenn ich die Heilpaste aufstreiche."

„Schreien", verkündete Galen. „Wie am Spieß. Das tun sie alle."

„Du musst zugeben, dass dieses Zeug fürchterlich brennt", kam Estel seinem Ziehbruder zu Hilfe.

„Bah, man kann sich aber auch anstellen", wurde dieser Einwand von Varya abgetan. Triumphierend zog sie den Tiegel vor. „Da ist sie ja. Und wenn Euch das immer noch nicht reicht, um die Genesung Eures Bruders abzurunden, Lord Elrohir, dann pinsel ich diesen Kratzer auch noch mit der Tinktur Eures Vaters ein, nach der dieser Schwerverletzte hier die ganze Zeit jammert."

„So war das vorhin nicht gemeint", murmelte Elrohir verlegen.

„Oh, kein Problem", erklärte Varya mit einem boshaften Funkeln in den Augen. „Wir wollen doch nicht, dass die Gesundheit Eures Bruders nur in meinen ungeübten Händen liegt. Allerdings solltet Ihr Euch dann langsam in Bewegung setzen und Eure Pferde wieder ranschaffen. Wenn ich Lord Elladan richtig verstanden habe, befindet sich das einzig wahre Wundermittel nämlich in einer der Satteltaschen."

„Es war nicht so gemeint!" wiederholte Elrohir zähneknirschend und marschierte davon.

„Klang aber so." Der lorische Hauptmann hatte es sich oben auf dem Fels gemütlich gemacht. Das ganze schien ihn hochgradig zu amüsieren, wenn man bei ihm von einem derartigen Gemütszustand überhaupt sprechen konnte. „Ich grüße dich, Elladan. Warum steckst du immer in Schwierigkeiten, wenn ich dich und deinen Bruder treffe?"

Elladan lehnte den Kopf weit in den Nacken. Mehr als Haldirs Stiefel konnte er allerdings wohl kaum erkennen. „Haldir! Seit wann treibst du dich in solcher Gesellschaft rum?"

Haldirs mit Sicherheit nicht sehr schmeichelhafte Antwort ging in Elladans plötzlichem Geschrei unter. Galen hatte mit leichtem Stirnrunzeln verfolgt, wie Varya drei Finger tief in den Salbentiegel getaucht und dann mit einer wirklich leuchtendgelben Menge vom Grund des Tongefäßes bedeckt wieder herausgezogen hatte. Am Grund der Gefäße sammelte sich immer das wirksamste Substrat zusammen. Sehr wirksam, sehr stark, sehr intensiv.

Galen fühlte, wie sich ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Das macht sie extra", raunte ihm Legolas ins Ohr. „Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen, ob Varya eigentlich immer so rachsüchtig war."

„Nur, wenn man an ihren Fähigkeiten zweifelt", sagte Galen achselzuckend. Sein Mitleid mit Elladan hielt sich in Grenzen. „Was macht ihr eigentlich hier, Elladan?"

„Dich retten", brummte Elronds Ältester und stemmte sich etwas wackelig wieder auf die Beine. „Eigentlich Leiloss und Hinner."

Leiloss seufzte hingerissen und Galen schwante Schreckliches. Bei Estel konnte er sich wenigstens sicher sein, dass der überhaupt kein noch so leichtes Interesse an ihr hatte, aber Elladan war da schon eine ganz andere Nummer. Und prompt lächelte Elronds Sohn der Ithildrim mit etwas arg gequälter Miene zu, schwankte leicht und seufzte dankbar, als Leiloss sofort an seine Seite sprang, um ihn zu stützen.

„Elladan", knurrte Galen tief in der Kehle. „Mach es nicht."

Ich weiß nicht, wovon du redest, besagte Elladans Gesichtsausdruck, bevor er übermäßig geschwächt von dannen humpelte.

„Er hat gar nichts am Fuß", erklärte Varya stirnrunzelnd. „Galen, kümmere dich um diese Geschichte. Du weißt, wie Leiloss ist."

Leider hatte er keine Gelegenheit, genau das zu machen, da Ablenkung in Form von Neuankömmlingen nahte, die den Pass aus Osten hochkamen. Eigentlich trabten sie gemütlich heran, denn es handelte sich um die Pferde der Bruchtaler, angeführt von Asfaloth. Mitten zwischen ihnen ritten Gilnín und Hinner, die erleichtert winkten, kaum erkannten sie die entspannte Lage vor ihnen.

„Wir sind Euch noch ein Stück gefolgt", erklärte Gilnín, als er bei ihnen ankam. „Die Pferde hier hatten wohl in der Nähe einfach abgewartet."

„Und da habt Ihr Euch ihnen angeschlossen", ergänzte Legolas belustigt. „Ihr hättet unterwegs Lord Elrohir begegnen müssen."

„Er kommt nach", nickte Hinner. „Grimbeorn ist zurückgekommen und hat wohl etwas mit ihm zu bereden."

„Grimbeorn war nie weg", meinte Thranduil kopfschüttelnd. „Nicht wirklich. So, wenn Elrohir wieder da ist, sollten wir diesen gastlichen Platz schnellstmöglich verlassen. Ich habe nicht den Wunsch, mich erneut mit diesen Kreaturen auseinanderzusetzen."

„Westen oder Osten?" erkundigte sich Glorfindel und blinzelte in Varyas Richtung. Der Vanya wusste ganz genau, welche Richtung Thranduil einschlagen würde und auch, dass es ihm nicht behagte.

„Westen", fauchte Thranduil. „Und spar dir jeden Kommentar dazu."

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tbc

Ithiliell: Und ich freu mich immer wieder, wenn ich ein Review von dir bekomme (knuddel). Die Ähnlichkeit mit den Haus- und Hofkatzen hatte ich auch so vor Augen, als ich ihm die Macke mit den Rattengeschenken angedichtet habe. Er hat ja wirklich was von einem leicht zerzausten, seltsamen Kater an sich, den keiner eingeladen hat, der sich aber breit macht und zum Inventar gehört.

Ich befürchte, Elrond ist nicht nur einfach so eben gestresst. Dafür ist der Halbelb zuviel gewöhnt und selbst mit einem Figwit würde er wohl fertig. Ja, seufz, der arme Elrond…

Feanen: Oh, das mit der Musik wäre klasse. Ich bin noch nicht zu der Mail gekommen. Bisschen viel vor Weihnachten zu werkeln, stöhn, aber sie kommt noch. Es sieht jedenfalls alles sehr toll aus und mein Neidfaktor wird nicht gerade weniger, wenn ich ehrlich bin. Große, blonde, breitschultrige Männer mit blonden, langen Haaren sind immer gut (grins)

Iary: Asfaloth weiß schließlich, was sich für ein Elbenpferd gehört. Gut, dass Erestors vierbeiniger Kumpel nicht auch noch dabei war. Die beiden hätten die Orks wahrscheinlich alleine aufgemischt. Hat mir aber Spaß gemacht, das ganze zu schreiben. Genauso, wie ich immer Spaß hab, wenn Borzo, der Hausork, auftaucht. Dabei sollte Elrond froh sein, dass der Ork sich im Untergrund von Bruchtal rumtreibt (Autorin weiß was, was Leser noch nicht wissen)

Shelley: Figwit macht sich halt Sorgen, der arme Kerl. Wahrscheinlich haben alte Elben einfach nicht mehr genug Ruhe für so was. Und andere alte Elben haben wohl einfach nicht mehr die Nervenstärke, sich noch lange in Diskussionen mit jungen Elbinnen zu stürzen. Thranduil kann ihr eben einfach nix abschlagen. Er hatte ja auch nicht gerade sehr viel Unterstützung (mal Mitleid für den armen König einfordere)

Sarah0683: Manchmal bist du mir ja unheimlich. Noldo-Gene? Oder hast du dich in meinen PC gehackt und ein paar Kapitel vorgelesen?

Ich schätze, Galadriel weiß einfach alles. Frag Celeborn, der ertränkt nicht umsonst seinen Frust. Wahrscheinlich kann er nicht mal einer Elbin hinterherpfeifen, ohne dass Frau Spiegelgucker das schon vorher gewusst hat.

Ach, Sarah, das ein oder andere Rothemd muss halt dran glauben, das geht nicht anders. Und die Orks…Frage in diesem Kapitel beantwortet? Auch die Frage, ob Elrohir als Zwilling was von Elladans Qualen spürt? Jedenfalls zeigen mir die Fragen, dass ich gut daran getan habe, hier im Kapitel das anzusprechen. Asfaloth und sein Name kommen später (smile).

Und was Elladan angeht: eigentlich mag ich den Kerl, ehm, Elb eigentlich sehr. Mag ja sein, dass er so seine besondere Art hat, die kann man in fast 3 Jahrtausenden ja auch kultivieren, aber er ist doch Elronds Sohn. Elladan sieht wohl nur nicht so ganz ein, seinen wahren Charakter allen zu zeigen. Denk ich mir jedenfalls.

Amélie: Nöö, du bist gar nicht voreingenommen. Gönnst dem alten König bloß, dass die Ithildrim den Willi mit ihm machen. Ich weiß es, leugne nicht!

Asfaloth scheint sich ja allgemeiner Beliebtheit zu erfreuen mit den blutigen Hufen, die er nach der Aktion bestimmt hatte. Er, Borzo und Ionnin wären wahrscheinlich unschlagbar.