DisclaimerAlles gehört Prof. Tolkien und seinen Erben (diese Glücklichen). Mir gehört nix, ist nur geliehen und wird wieder abgegeben.
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12. Kapitel: Bücher, Ringe und noch mehr
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Galen schrak durch eine leichte Berührung aus dem Dunkel auf, das nur ein tiefer Erschöpfungsschlaf gewesen sein konnte. Zu der ersten Verwirrung mischte sich Ärger, dass Schwäche ihn übermannt und davon abgehalten hatte, weiter seine Aufgabe zu erfüllen. Die nächste Empfindung war Schmerz, dessen Signale aus unterschiedlichen Teilen seines Körpers gesandt wurden. Am schlimmsten war das Brennen in seinem Nacken. Er war auf dem Boden neben Elronds Bett hockend eingeschlafen, die Arme auf dem Bett verschränkt, den Kopf darauf gelegt. Jetzt erreichte ihn der schmerzhafte Protest seiner Wirbelsäule gleich unterhalb seines Schädels.
Mit einem leichten Stöhnen drehte er den Kopf gerade und richtete sich noch etwas auf. Aufstehen selber war unmöglich, denn sein rechtes Bein war eingeschlafen und auch noch nicht wieder erwacht, es versagte einfach den Dienst.
Wieder spürte er eine leichte Berührung an der Schulter und diesmal erkannte er Gilníns vertraute Gestalt, die sich zu ihm heruntergebeugt hatte. Der Rhûnar-Heiler betrachtete ihn mit einem Ausdruck von freundlicher Besorgnis auf den ebenfalls von Müdigkeit gezeichneten Zügen, denen die übliche Verwirrung fehlte.
„Ihr müsst die Beine ausstrecken", riet er leise. „Wartet, ich helfe Euch."
Gilnín fasste unter Galens Arme und zog ihn hoch, um ihn dann behutsam in den Stuhl zu setzen, den jemand an Elronds Bett gestellt hatte. Galen nickte mit stummem Dank und rieb geistesabwesend seinen rechten Oberschenkel, um die Blutzirkulation wieder anzuregen. Dabei war sein Blick völlig auf die ruhige Gestalt auf dem Bett konzentriert. Galen hätte gerne geglaubt, dass Elrond in einen erlösenden Heilschlaf gefallen war, doch er spürte zu deutlich, dass der Herr von Imladris weiter gegen die Schatten ankämpfte, die von seinem Körper Besitz ergriffen hatten und zerstören wollten, was immer ihnen überlassen wurde.
„Es geht ihm nicht sehr viel besser", stellte Gilnín fest. Als er bemerkte, wie Galen sich unruhig im Raum umsah, machte er eine beschwichtigende Handbewegung. „Wir sind allein. Lord Elronds Söhne haben sich einen Moment zurückgezogen. Sie haben wohl schwerwiegende Dinge zu beraten."
Galen lächelte freudlos. Schwerwiegend und dennoch nur ein kleines, beinahe unauffälliges Schmuckstück, das an Elronds linker Hand steckte. Vilya oder eigentlich mehr die Kräfte, die in ihn eingeschlossen waren, litt ebenso unter dem Unglück seines Trägers wie dieser selbst. Das Herz Vilyas, dieser runde Saphir, der sonst von tiefblauer Farbe war, schien von dem gleichen Sturm heimgesucht zu werden, der jetzt über Bruchtal tobte. Helle Schatten schienen in dem Stein zu wirbeln, auf der Suche nach der lenkenden und vertrauten Kraft seines Trägers.
Aber Elrond führte seit Tagen einen Kampf, der ihm keine Zeit ließ, sich um Vilya zu kümmern. Galen hatte ohnehin keine genaue Vorstellung davon, wie der Elbenfürst die Kräfte des Ringes gewöhnlich kontrollierte. Eines wusste er jedenfalls genau, im Augenblick – eigentlich schon seit Tagen – war Elrond einzig damit beschäftigt, seine Existenz gegen Angriffe zu schützen, die auf einer anderen Ebene der Wahrnehmung wie eine riesige schwarze Welle gegen ihn anrannten und ihn unter sich zu begraben drohten. Galen hatte diesen Feind gesehen. Er stand zwischen ihm und Elrond selbst, der Herr von Bruchtal nur eine Ahnung goldenen Lichts, das kaum noch wahrnehmbar hinter diesem schwarzen hohen Wall stand.
Varya und Galen hatten diese Welle von der anderen Seite aus ebenfalls attackiert und so einiges an Druck von Elrond fortgenommen. Galen seufzte. Mit Varya zusammen war er um einiges effektiver gewesen, auch wenn ihn Varyas zum Teil wütende Angriffe auf diese seltsamen Wesen, die den Wall bevölkerten, etwas erschreckt hatten. Vielleicht war es doch besser, dass Glorfindel sie erst einmal weggeschickt hatte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, und sie wäre ohne Rücksicht auf Verluste mitten hinein in diese feindliche Kraft gestürmt.
„Ich habe mich in Lord Elronds Apotheke umgesehen", meinte Gilnín nach kurzem Schweigen. Etwas verlegen kratzte er sich an der Schläfe. „Seine Söhne meinten, es könne nicht schaden."
„Er ist da empfindlich", lächelte Galen schwach. „Aber im Moment wird er wohl keine Einwände haben."
Wie auch? Elrond ruhte wie eine Statue auf dem Bett, das Gesicht hager und gezeichnet von dem, was ihm schon so lange jetzt abverlangt wurde. Ein leicht bläulicher Schimmer lag auf seinen Lippen.
Gilnín nestelte in den Taschen seiner wie immer fleckigen, schmutziggrauen Robe aus grobem Tuch und zog schließlich eine kleine Glasflasche hervor. Galen glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die hellviolette Färbung der Phiole erkannte.
„Ist das…?" Verwundert nahm er die Flasche entgegen und drehte sie. „Wie habt Ihr das gemacht?"
„Es ist nicht wirklich Calagad", sagte Gilnín errötend. „Mir fehlten einige Zutaten, um es so herzustellen, wie es erforderlich wäre. Aber ich habe versucht, die fehlenden Bestandteile durch ähnliche zu ersetzen. Es hat eine Weile gedauert, Meister Galen, und die Wirkung ist kaum halb so stark wie die unseres Originals."
Galen sprang auf, um Gilnín in einem Anflug tiefster Dankbarkeit zu umarmen. Leider war sein rechtes Bein mit derartigen Spontanbewegungen nicht wirklich einverstanden und versagte immer noch seinen Dienst. So landete der Ithildrim zwar an Gilníns Hals, aber mehr deswegen, weil der andere Heiler in seltener Geistesgegenwart zupackte und verhinderte, dass Galen umfiel und womöglich auf Elrond landete.
„Ihr solltet vielleicht ein wenig umhergehen", befand Gilnín, der durchaus seine Stärken als Heiler hatte, wenn er dabei kein Blut sehen musste. „Ich werde es Lord Elrond einflößen. Dann werden wir abwarten müssen."
Mit einem schiefen Lächeln nickte Galen nur und humpelte zum Fußende des Bettes. An den halbhohen Bettpfosten geklammert, der die Form eines Schwanenhalses hatte, beobachtete er stumm, wie Gilnín den Inhalt der kleinen Flasche vorsichtig auf Elronds Lippen tropfen ließ. Der Herr von Bruchtal musste ahnen, dass ihm Hilfe zukommen sollte, denn er schluckte tatsächlich die Flüssigkeit nach und nach herunter.
„Könnt Ihr schon etwas spüren?" erkundigte sich Gilnín bei Galen, der sehr viel empfänglicher für die Ströme des Lebens war als der schüchterne Noldo.
Galen versuchte, die Veränderung zu erfassen. Calagad sammelte das Licht der Eldar in den Kranken, konzentrierte es sozusagen auf das Wesentliche. Neue Kraft führte er nicht hinzu, aber dennoch reichte Calagad oft aus, um auch in der Hoffnungslosigkeit noch etwas zu finden, in dem Leben war. Der Trank war eine Besonderheit, eine Erfindung Enachs aus den Zeiten, in denen sie noch nicht das Dunkel dem Licht vorgezogen hatte. Seine Kraft war stark und wirkte gewöhnlich schnell. Doch dies hier war nur ein schwacher Abglanz des eigentlichen Tranks. Galen war nicht einmal verwundert, dass sich eher zögerlich eine leichte Veränderung bei Elrond einstellte.
„Er findet seine Kraft, wenn auch nur langsam", erklärte er schließlich zu Gilníns Erleichterung. „Ich weiß aber nicht, wie lange die Wirkung anhalten wird. Könnt Ihr noch mehr davon herstellen?"
„Bestimmt", nickte Gilnín eifrig. „In einigen Stunden habt Ihr eine weitere Phiole davon. Eine Zutat muss ich allerdings erst draußen sammeln."
Galens Blick glitt unwillkürlich zu den hohen Fenstern. Trotz der geschlossenen Vorhänge aus dunkelrotem Samt war die Gewalt des Sturmes draußen deutlich zu hören und auch gelegentlich zu sehen, wenn ein Blitz über den nachtschwarzen Himmel zuckte und sein helles Flackern durch die schmalen Schlitze zwischen den Vorhängen hindurch drang. „Da könnt Ihr nicht hinaus, Gilnín."
„Ich war es doch schon", grinste der Rhûnar-Heiler beinahe munter. „Leiloss und Hinner haben mir geholfen. Sie sind froh, wenn sie etwas zu tun haben."
Galen runzelte die Stirn. Die beiden umtriebigen Unglücksraben hatte er in der ganzen Aufregung fast vergessen. Vielleicht war es sogar ganz gut, wenn Gilnín sie beschäftigte, sonst hatte sicher keiner hier mehr Zeit oder auch die Kraft dazu. „Scheucht sie ordentlich rum, Meister Gilnín. Die beiden brauchen das."
„Keine Sorge, ich hatte genau das vor."
Nachdenklich wanderte Galen noch etwas wackelig durch den Raum, nachdem Gilnín gegangen war. Im Augenblick beneidete er von allen hier wohl Elladan und Elrohir am allerwenigsten. So wie er es mit einem Rest Aufmerksamkeit seines auf Elrond konzentrierten Geistes mitbekommen hatte, war kaum noch jemand da, der den beiden die Entscheidung über Vilya abnehmen konnte. Glorfindel war unterwegs, um Erestor zur Hilfe zu eilen, begleitet von den Waldelben, Varya und Estel, dem die Ablenkung wohl gut bekommen würde.
Legolas war zwar in Bruchtal geblieben, doch so wie Galen den Kronprinzen kennen gelernt hatte, würde dieser sich wie immer zurückhalten. Es war nicht seine Art, andere zu beeinflussen, jedenfalls nicht in diesen schwierigen Entscheidungen. Ansonsten wusste Legolas zwar ganz genau, was er wollte und wie er es erreichte – zumindest behauptete das Varya – aber hier ging es um die Zukunft Bruchtals.
Galen humpelte zu einem bequemen Lehnstuhl, der vor einem der Fenster stand und ließ sich nieder. Von hier aus hatte er noch immer einen guten Blick auf Elrond und konnte im Zweifel sofort eingreifen. Eine Karaffe mit einem dunkelroten Wein stand auf einem Tisch neben ihm, ein unbenutztes Glas war ebenfalls vorhanden. Galen zögerte einen Moment, denn es schien sich hier um eine Art Ruheplatz Elronds zu handeln, dann goss er sich etwas ein und trank durstig einen großen Schluck.
Elrond war eindeutig in der Lage, auch die schönen Seiten des Lebens zu genießen, befand er, als der schwere, süße Wein seine Kehle hinunter rann. Galen konnte sich richtig vorstellen, wie der Elbenfürst an den späten Abenden, wenn Bruchtal endlich zur Ruhe gekommen war, hier noch einige Zeit verweilte, den Wein genoss und dabei in dem kleinen Buch blätterte, das auf dem Tisch lag.
Es war eine Fabelsammlung, die außerordentlich schön illustriert war, wie sich herausstellte, als er es zur Hand nahm und vorsichtig durchblätterte. Die meisten der abgebildeten Pflanzen waren ihm fremd. Einige wenige Insekten waren abgebildet, auf einer Seite sogar ein Frosch. Galen ignorierte die Geschichten, die jeweils auf der gegenüberliegenden Seite aufgeschrieben waren und betrachtete eingehend die Zeichnungen. Wenn man mit dem Finger vorsichtig darüber strich, konnte man sogar die Pflanzen riechen.
Obwohl das eigentlich ein wirklich herrliches Buch war, störte Galen etwas daran. Je länger er die Pflanzen betrachtete, desto größer wurde sein Misstrauen. Er war kein sehr begnadeter Apotheker, aber bei genauem Nachdenken erkannte er schließlich zwei Kräuter seiner eigenen Heimat. Unwillkürlich ließ er das Buch fallen und wischte sich die Finger an seiner Tunika ab.
„Wer kommt denn auf solche Ideen?" überlegte er laut. Suchend sah er sich um, bis er auf einer Kommode ein Paar Reithandschuhe aus hellgrauem Wildleder entdeckte, die Elrond dort wohl deponiert und dann vergessen hatte. Sie waren zwar etwas groß, aber ihren Zweck würden sie wohl erfüllen.
Mit den Handschuhen an den Händen nahm er das Buch wieder hoch und blätterte es nochmals durch. Er rieb auf jeder Seite über die Pflanzenbilder, bis er wieder bei dem letzten, dem Frosch, angekommen war. Diesmal spürte er es und mit einem leichten Knall schlug er das Buch zu. Mit spitzen Fingern packte er es an einer Ecke und marschierte aus dem Schlafraum.
Elladan und Elrohir standen vor dem kalten Kamin. Sie debattierten leise mit Legolas, der bei Galens Eintreten besorgt die Stirn runzelte und so die Aufmerksamkeit der Zwillinge auf den Rhûna lenkte.
„Was hast du?" wollte Elladan sofort wissen und sein Blick wanderte von Galen zur Tür des Schlafgemachs und wieder zurück. „Gilnín meinte, es geht unserem Vater etwas besser."
„Etwas", bestätigte Galen abwesend und hielt das Buch hoch. „Wisst Ihr, wer ihm dieses Buch geschenkt hat?"
„Das Buch?" echote Elrohir verblüfft. „Keine Ahnung. Elrond bekommt oft solche Geschenke. Warum?"
„Weil es dabei ist, ihn umzubringen."
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Erens Silberkrug in den Händen ließ Tykvar gedankenverloren seinen Blick durch den leeren Schankraum wandern. Das Wetter hielt ihm heute wirklich alle Gäste fern. Selbst Strauchdiebe und sonstige Betrüger mochten es gar nicht, bei Sturm und Wolkenbruch umher zu ziehen.
Mit einem Seufzer polierte Tykvar selbstvergessen an dem Krug herum, der schon so hell glänzte wie der Mond. Jedenfalls dann, wenn dieser nicht gerade hinter Gewitterwolken verschwunden war. Er hoffte nur, dieses Unwetter war kein böses Omen. Eren ging es nun wahrlich nicht gut. Hanne tat zwar, was sie konnte, aber der Elb wurde von Fieber geschüttelt und die Wunde in seiner Hüfte hatte sich bösartig entzündet. Hanne meinte, dass er innere Verletzungen hatte, die bei weitem ihre Fähigkeiten überstiegen und konnte sich nur noch darauf beschränken, voller Kummer an Erens Bett zu wachen.
Wenn Halbarad nicht bald mit Hilfe zurückkam, würde Eren sterben.
Der einzige andere Mensch im dunklen Schankraum war Linde, die gelangweilt an der Seite der Theke stand und sich mit Wein vollaufen ließ. Keine Kundschaft, kein Geld und somit auch keine neuen Kleider, denn darum drehte sich bei ihr zumeist alles. Das Mädchen war einfach zu dumm, fand Tykvar. Irgendwann würde die Zeit ihren Tribut fordern und wenn sie dann nicht genug zur Seite gelegt hatte, würde ihr Schicksal sich endgültig zum Schlechten wenden.
Er zuckte zusammen, als zuerst ein Blitz ganz in der Nähe einschlug und dann ein fürchterliches Donnergrollen sich genau über dem Haus entlud. Der Silberkrug entglitt seinen Händen und landete polternd zwischen zwei Weinfässern unter dem Schanktisch. Von Linde war sowieso keine Hilfe zu erwarten. Mühsam ließ sich Tykvar auf Händen und Knien nieder und suchte im Dunkeln herum, bis er endlich den Griff des Kruges ertastete. Sein Knie schmerzte, als er sich wieder aufrichtete.
„Ich werde alt", brummte er in Lindes Richtung, um überhaupt mal eine menschliche Stimme zu hören.
Sie starrte ihn nur an. Der Gesichtsausdruck war eine Mischung aus absolutem Erstaunen und Entsetzen. Tykvar wollte sie schon anfahren, ob ihm plötzlich Hörner gewachsen seien, als ihm auffiel, dass sie nicht wirklich ihn ansah, sondern über seine Schulter blickte. Mit einem sehr unguten Gefühl drehte er sich wieder um.
Der Silberkrug polterte zum zweiten Mal in Folge auf den Holzfußboden. Diesmal hob Tykvar ihn nicht wieder auf.
Der Schankraum war eben noch leer gewesen, doch nun…Tykvar schluckte schwer. Fünf sehr unheimliche Gestalten mit dunklen Umhängen und sehr tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen hatten sich im Halbkreis vor der Theke aufgebaut. Außerhalb des wenigen Lichts an der Theke waren noch mehr von ihnen zu erkennen. Sie alle standen ganz ruhig da, keiner hatte eine Waffe gezogen und dennoch fühlte Tykvar beinahe körperlich, dass Gefahr von ihnen ausging.
Er fragte sich, welcher Zauber diese Wesen in sein harmloses Haus gebracht hatte. Kein Geräusch war zu hören gewesen. Kein Öffnen der Tür zu spüren, nichts, gar nichts. Unheil war über den ‚Krummen Hund' gekommen. Böse Geister, die in Nächten wie diesen auf den Gewitterwolken ritten und wehrlose Sterbliche in Stücke rissen. Er hatte Geschichten von diesen Geschöpfen gehört. Sie dienten dem Bösen und niemand war ihnen gewachsen.
„Sind wir noch rechtzeitig?"
Beim Klang der Stimme wäre Tykvar beinahe endgültig in Ohnmacht gefallen. Die Geister sprachen Westron. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar war, dass ihn kein Geist angesprochen hatte, sondern eine weitere Gestalt, die gerade die Tür hinter sich geschlossen hatte und jetzt den triefnassen Umhang von den Schultern zog.
„Halbarad!" Tykvar hätte schluchzen können vor Erleichterung.
„Ja, sicher." Der Waldläufer runzelte etwas verwundert die Stirn. „Ich habe doch gesagt, dass ich mich beeilen werde."
Im gleichen Moment schoben die unheimlichen Gestalten ebenfalls ihre Kapuzen zurück. Tykvar fragte sich, ob man vor lauter Überraschung einfach tot umfallen konnte. Halbarad hatte wirklich Elben mitgebracht. Nicht nur einen, nein, es waren sofort ein ganzes Dutzend und die fünf, die so nah an der Theke standen, waren dabei ein Anblick, der schon etwas Unwirkliches hatte. Bis auf einen außen rechts waren die übrigen vier blond. Nicht nur einfach blond so wie Linde, die mit aufgerissenen Augen und runtergeklapptem Unterkiefer die Besucher anstarrte, sondern gesponnenes Gold bei jedem in einer anderen Schattierung war es, das ihre perfekten Gesichter umrahmte. Gesichter, die allerdings im Augenblick äußerst kühl erschienen.
„Wo ist er?"
Die Frage kam von dem Kleinsten der Fünf. Weißgold. Tykvar korrigierte sich schnell, als der Elb näher an die Theke trat und ungeduldig mit den Fingern auf dem Holz trommelte. Das war eindeutig eine Elbin. Himmel, war dieses Geschöpf schön und außerdem recht gereizt, schien es ihm, kaum durchbohrte ihn ein Blick wie eine Klinge aus einem geschliffenen Smaragd.
„Wer?" fragte er etwas dümmlich.
Die Elbin verzog etwas das Gesicht, als ob sie es nicht fassen konnte. „Lord Erestor natürlich!"
„Hier gibt es keinen Lord Erestor", erklärte er verwirrt.
„Thranduil!" Die Elbin drehte sich um und redete lebhaft auf den Elb mit dem hellblonden Haar ein, der offenbar einen besonderen Rang einnahm unter den anderen. Seine Reitkleidung, die nun unter dem zurückgeschlagenen, seltsamerweise kaum noch nassen Umhang sichtbar war, zeugte auch für Tykvars ungeübte Augen von mehr als nur durchschnittlichem Können der elbischen Schneider. Der Elb zu seiner Linken mochte einen ähnlichen Rang haben, während die beiden anderen offenkundig hochrangige Krieger waren, schloss man von ihrer fast schmucklosen Kleidung, die eindeutig eine Uniform war, den Waffen und der Art, wie sie wachsam und irgendwie unheimlich den gesamten Raum im Auge behielten.
„Sie meint Eren", erklärte Halbarad hastig. „Varya ist Heilerin. Bruchtal schickt sie, um Eren zu helfen."
„Oh." Mehr viel Tykvar im Moment nicht dazu ein.
„Lebt er noch?" forschte jetzt der andere der beiden Anführer und in seinen Augen leuchtete helle Sorge. „Sprich schon, Mann!"
Tykvar riss sich zusammen. „Er ist noch nicht tot, wenn Ihr das meint. Aber es geht ihm sehr schlecht. Hanne meint, dass ihm nur noch ein Wunder helfen kann."
Die Elbin machte eine herrische Handbewegung. „Wer immer diese Hanne ist, sie soll ihr Wunder haben. Führ mich zu ihm!"
Der dunkelhaarige Elb langte über die Theke, packte Tykvar am Kragen und zog ihn hinter dem Schanktisch vor. „Du hast die Heilerin gehört. Führ sie zu ihm, Mann!"
Während Tykvar sich beeilte, den ganzen Trupp die Treppe hinauf zu führen, fragte er sich, wo die sprichwörtliche Zurückhaltung der Erstgeborenen wohl geblieben war. Diese hier entsprachen nicht wirklich den Legenden, die allenthalben erzählt wurden. Abgesehen von der Arroganz, die man ihnen vorwarf. Die war allerdings ziemlich deutlich. Was dachten sie sich nur dabei? Erst verbannten sie Eren und nun tauchten sie im Dutzend auf und machten einen Aufstand, um sein Leben zu retten. Tykvar ahnte langsam, dass es irgendetwas gab, das ihm wohl entgangen sein musste.
Er war trotzdem erleichtert, als sie endlich Erens Zimmer erreichten. Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte die Elbin die Tür aufgedrückt und war hinein gestürmt. Hanne, die wohl eingenickt war, fuhr erschrocken hoch.
„Was hat das…?" Sie brach ab, als die Heilerin sich an ihr vorbei drückte und sich prüfend über den fiebrigen Elb beugte, der sich in durchschwitzten Kissen hin und her warf.
„Beruhigt Euch", erklärte der andere Anführer, der bislang geschwiegen hatte. „Meine Heilerin ist hier, um ihm zu helfen."
„Genau." Die silberblonde Elbin hob nur kurz den Kopf und rümpfte die Nase. „Öffnet ein Fenster. Hier stinkt es fürchterlich. Erestor braucht frische Luft."
Hanne bewegte sich erst einmal keinen Schritt mehr. Genau wie Tykvar wusste sie, dass die Elben aus dem Tal nur wenig von Eren hielten. Warum also sollte sie ihnen jetzt wirklich trauen?
„Glorfindel", sagte die Heilerin und der Rest war wieder in unverständlichem, aber sehr schönem Elbisch. Es musste eine Anweisung gewesen sein, denn der Elb, der so freundlich zu Hanne gesprochen hatte, marschierte durch den Raum und zog einen der kleinen Fensterflügel auf. Sofort griff der Wind in die kurzen Vorhänge und drückte die ganze Kraft des Sturms in den Raum.
Es war seltsam, aber mit dem Wind kam etwas Reinigendes. Neue Hoffnung breitete sich aus. Außerdem wurden binnen Sekunden alle rausgeworfen. Was allerdings weniger an der Stärke des Sturmes lag, sondern daran, dass die Elbin ein paar scharfe Worte an ihre Begleiter richtete, die sich daraufhin widerstandslos wieder vor die Tür verzogen, um im Gang abzuwarten, was nun geschah.
„Was hat sie gesagt?" erkundigte sich Tykvar neugierig bei Halbarad, der bereits die Klinke zu seiner eigenen Zimmertür in der Hand hatte.
Der Waldläufer lächelte etwas. „Lady Varya meinte nur, dass dies hier kein geselliges Beisammensein ist und sie in Ruhe arbeiten will."
„Recht hat sie ja", murmelte Hanne, die ganz froh schien, die Verantwortung los zu sein. Sie ließ ihren Blick über die dichtgedrängte Ansammlung von Elben im Gang schweifen. „Ihr solltet vielleicht unten warten. Ich lasse Euch Wein und etwas zu Essen bringen. Es scheint, Ihr habt einen schnellen Ritt hinter Euch."
„Und einen sehr nassen", erklärte der Elb, den die Heilerin mit Thranduil angesprochen hatte.
Etwas langsamer folgte Tykvar den Elben, die beunruhigend geräuschlos wieder die enge Treppe hinunterstiegen. Selbst die dritte Stufe von oben, die immer knarrte, egal wie vorsichtig man war, gab unter ihren Schritten keinen Laut von sich. In der Gaststube verteilten sie sich. Eigentlich setzten sich Thranduil und der andere an einen Tisch, an dem bereits ein junger Mann verweilte, der zuvor nicht da gewesen war. Ein Fremder, wenn auch kein üblicher Gast, soviel war gewiss. Tykvar konnte sich nicht vorstellen, dass die schweigsamen Elbenkrieger, die hier gewartet hatten, ihn sonst hereingelassen hätten. Außerdem war seine Ähnlichkeit mit Halbarad unübersehbar. Noch ein Waldläufer.
„Streicher", stellte er sich Tykvar mit einem knappen Kopfnicken vor. „Wie geht es Erestor?"
„Fragt Eure Begleiter", knurrte Tykvar und humpelte zum Schanktisch, um seinen besten Wein rauszustellen. Langsam wurde ihm dieses ewige Erestor-Gerede zuviel. Außerdem brachte der Name etwas in seiner Erinnerung zum Klingen. Es wurde viel über die Elben in Bruchtal geredet, aber nur wenig davon war genau. Natürlich kannte man Elrond, den Erbauer Bruchtals, aber darin erschöpften sich die meisten Erzählungen. Andererseits war es Tykvars Stärke, sehr genau zuzuhören und nur selten etwas zu vergessen.
Während er seine besten Zinnbecher vom Regal nahm – den Erens würden diese Elben auf keinen Fall bekommen – trieben die Fetzen dieser Erinnerungen durch seinen Geist. Welche Namen wurden erwähnt, wenn von den Elben die Rede war? Seine Augen blieben an dem einen der Anführer hängen.
Glorfindel hatte die Heilerin gesagt und wie ein passendes Mosaiksteinchen fiel der Name an die richtige Stelle. Glorfindel war der oberste Krieger Bruchtals. Es hieß, niemand könne ihn besiegen, weil er sogar von den Toten zurückkehren konnte.
Thranduil…der Elbenkönig aus dem Osten. Er wohnte angeblich in einem Palast, der einen ganzen Berg ausfüllte. Seine Schatzkammern waren bis zum Bersten mit Gold und Edelsteinen gefüllt und die Wände seines Palastes funkelten vor Diamanten. Außerdem sollte er jeden ungebetenen Gast mit einem Zauber belegen können, der diesen in einen endlosen Schlaf schickte.
Tykvar warf diesem Elb einen scheuen Blick zu. Wie ein Zauberer sah er nicht aus, aber eindeutig wie ein König, auch wenn er keine Krone trug. Auch sonst war von seinem sagenhaften Reichtum nur wenig zu erahnen. Lediglich zwei wunderschön gearbeitete Ringe trug er, einen an jeder Hand.
Übelkeit stieg in Tykvar auf, als aus dem Dunkel der Jahre dann die Erinnerung zu Erestor erschien. Erestor, der Seneschall Bruchtals, über den die seltsamsten Gerüchte kursierten. Kalt wie schwarzes Eis sollte er sein, mit einem Herzen aus Obsidian und über Bruchtals Geschicke mit noch größerer Aufmerksamkeit wachen als Elrond selbst.
Erestor…
Eren…
„Er wird es Euch erklären", drang eine freundliche Stimme an sein Ohr und vertrieb das leichte Schwindelgefühl, das ihn erfasst hatte.
Tykvar sah auf. Vor ihm stand Glorfindel, ein beinahe tröstendes Lächeln auf den schmalen und unglaublich perfekten Zügen. Etwas hilflos schob Tykvar ihm die Weinflasche entgegen. Die Geste hatte wenigstens etwas Vertrautes in diesem ganzen Chaos. „Erestor von Bruchtal…"
„Das ist er. Setzt Euch zu uns, Wirt. Es interessiert uns sehr, wie unser Freund in diese Lage geraten konnte. Und sorgt Euch nicht weiter so um ihn. Unsere Heilerin meinte eben, dass er nicht sterben wird." Glorfindel blinzelte ihm zu. „Jedenfalls nicht, solange Varya in der Nähe ist. Das hat sie selbst gesagt und glaubt mir, sie macht niemals leere Versprechungen."
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Elrohir grübelte ernsthaft darüber nach, ein Mitglied seines eigenen Volkes zu erwürgen. Das entsprach zwar sonst nicht seiner Art, aber hier musste man einfach eine Ausnahme machen.
„Nein", überlegte Galen laut und kaute dabei abwesend auf dem letzten Stück Hefegebäck herum. „Gilnín, wirklich! Das kann kein Meringfrosch sein. Ihr irrt Euch. Meringfrösche taugen außerdem zu überhaupt keinem Trank oder Zauber. Sie stinken nur, wenn man sie berührt. Das muss ein anderer sein."
„Stimmt auch wieder", murmelte Gilnín achselzuckend.
Die Köpfe der beiden Heiler beugten sich wieder über den zoologischen Atlas, in dem sie jetzt schon eine ganze Weile herumblätterten auf der Suche nach dem Frosch, der in diesem tödlichen Fabelbuch abgebildet war.
Elrohir spürte, wie sich seine Hände versuchsweise schlossen und öffneten. Schnell nahm er sie hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass er die beiden nicht hetzen durfte. Sie würden ihm und Elladan schon früh genug und auch ausführlich berichten, was sie herausfinden konnten. Dennoch…Elrond ging die Zeit aus, während diese beiden Genies sich regelrecht in der Bibliothek eingenistet hatten.
Ein Flügel der großen Bibliothekstür wurde geöffnet und Aristil wand sich mit einem vollen Tablett herein. Mit Schwung und ihrer reizvollen Kehrseite drückte sie die Tür wieder zu und huschte dann lautlos zu den beiden Heilern, um sie mit frischem Tee und neuem Gebäck zu versorgen. Gerade Galen holte offenbar alles auf, was er in den letzten Tagen an eigener Kraft bei dem Versuch verbraucht hatte, Elrond wenigstens beizustehen. Mit einem Becher dampfenden Tees kam die Dienerin dann zu Elrohir herüber, der etwas im Schatten an einem der deckenhohen Bücherregale lehnte.
„Du solltest etwas trinken", erklärte sie leise, noch bevor er ablehnen konnte.
Seufzend nahm er ihr den Becher ab und gehorchte. Als Aristil sich wieder abwenden wollte, hielt er sie mit einer knappen Geste zurück. Sie kannten sich schon lange genug, waren eher Freunde als alles andere und es tat ihm gut, sie um sich zu haben. „Bleib. Vielleicht färbt deine Ruhe auf mich ab."
„Du bist ruhig", erklärte sie und hakte sich bei ihm unter. Die Berührung hatte etwas Tröstendes. „Elladan ist viel unruhiger."
Unwillkürlich richtete sich Elrohirs Blick auf eines der Zwischenregale, ebenfalls fast deckenhoch. Ohne Leiter waren die Bücher in den oberen Fächern sowieso nicht zu erreichen. Im Augenblick stand sein Zwilling auf eben einer dieser Leitern und stieß sich etwas mit dem Fuß ab, damit die Rollen, auf denen die Leiter in einer Schiene an der oberen Kante der Konstruktion angebracht war, in Bewegung kamen. Elladan suchte ein Buch, um das Galen ihn gebeten hatte.
„Ich glaube, er benutzt diese Leiter das erste Mal in seinem Leben, um wirklich ein Buch zu finden", kicherte Aristil plötzlich. „Ihr habt früher sehr viel Unsinn damit getrieben, erzählt man."
Elrohir vergaß einen Moment den ernsten Anlass der Nachforschungen und schmunzelte. Sie waren wirklich noch Kinder gewesen, als sie die Leitern für Wettkämpfe benutzt hatten. Jeder hatte sich eine ausgesucht, meistens an nebeneinander liegenden Regalen und war dann bis ganz nach oben geklettert. Wenn der Gewinner des letzten Rennens das Startsignal gab, stießen sie sich immer mit voller Kraft mit den Füßen an den weiter unter liegenden Fächern ab und sausten das ganze Regal herunter. „Es hat Spaß gemacht."
„Und warum habt ihr damit aufgehört?"
„Weil Erestor irgendwann heimlich in der Mitte der Schiene Stopper hat installieren lassen. Bei unserem nächsten Rennen sind wir beide in hohem Bogen von der Leiter geflogen und haben uns ein paar Knochen gebrochen."
„Ihr hättet euch denken können, dass Lord Erestor euch so was nicht ewig durchgehen lässt."
Elrohir erkannte schmerzlich, wie schnell ihn die Realität wieder eingeholt hatte. „Ich würde mir gerne noch mehr Knochen brechen, wenn er dafür wieder heil hier nach Bruchtal zurückkehrt."
„Aber das wird er." Aristil war in ihrem Glauben an das Gute durch nichts zu erschüttern. „Lord Glorfindel ist unterwegs zu ihm und König Thranduil ist auch dabei."
Elrohir musterte sie einen Moment amüsiert. Die Art, wie sie Thranduils Namen aussprach, verriet sie. „Du schwärmst für den Waldelbenkönig."
„Er ist schon sehr beeindruckend", gestand sie errötend. „Aber ich würde mich nie mit Lady Varya anlegen. Außerdem sehe ich neben ihr aus wie eine graue Maus."
„Wir können nicht alle aus Mondlicht sein", tröstete diesmal Elrohir.
„Nein." Aristil seufzte. „Wohl nicht, obwohl es manchmal sehr schön wäre. Was soll's? Ich kann ja ein bisschen träumen."
Wenn nicht von Thranduil, dann aber zumindest von Glorfindel, vermutete Elrohir. Aristil war seit Jahrhunderten völlig in ihn vernarrt. Seltsamerweise hatte der Balrogtöter wohl niemals versucht, diese Vernarrtheit auszunutzen, was bei ihm sonst echten Seltenheitswert hatte. Er musste Aristil wirklich gern haben, wenn er sich so zurückhielt.
„Das müsste es sein", erklärte Galen und beendete damit die doch wohltuende Abwechslung in all der Düsterkeit, die Elrohir seit Tagen umfangen hielt. Der Ithildrim reckte sich etwas, um über den Stapel Bücher sehen zu können, der sich nach und nach vor ihm aufgetürmt hatte. „Elrohir, wir haben die Bestandteile, mit denen die Zeichnungen getränkt wurden."
„Siebzig verschiedene", ergänzte Gilnín mit beinahe widerwilliger Bewunderung.
Elladan verließ seinen Platz auf der Leiter kurzerhand mit einem Sprung und kam zu ihnen. Galen erhob sich gerade und streckte seine Arme, während Gilnín sich noch hastig ein Stück Gebäck in den Mund stopfte und dann wortlos hinauseilte.
„Wo will er hin?" erkundigte sich Elladan verwundert.
„Er versucht sich an einem Gegenmittel."
„VERSUCHT?" echote Elrohir etwas lauter. Der ursprüngliche Erwürgereiz kehrte wieder zurück. „Ich dachte, jetzt wisst ihr endlich, was getan werden kann."
„So einfach ist das nicht", verteidigte sich Galen unglücklich. „Es ist sowieso purer Zufall, dass wir die Ursache der Erkrankung deines Vaters gefunden haben. Ohne die Zeichnungen wäre keiner von uns darauf gekommen. Sogar Gilnín hat bisher nur davon gehört, dass es diesen Trank gegen soll, er hat niemals eine vollständige Rezeptur davon gehabt. Der Schlüssel ist der Frosch."
„Der Frosch." Elladan tauschte einen langen Blick mit seinem Zwilling, ebenfalls Mordlust in den Augen. „Galen, du fängst schon wieder damit an. Ich hasse es, wenn du in Rätseln sprichst und auch noch die Hälfte weglässt. Unser Vater stirbt!"
„Ich weiß!" fauchte der Ithildrim aufgebracht. „Aber deswegen kann ich auch nicht zaubern. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie es hier erforderlich wäre. Wir können nur mit einem Gegenmittel arbeiten, das die Vergiftung schwächt und eurem Vater die Gelegenheit gibt, den Rest zu machen. Ich habe nicht Vilya, ich habe überhaupt keine wirkliche Ahnung von Zauberei!"
Bei Vilyas Erwähnung hätte sich Elrohir beinahe zusammengekrümmt. Galen konnte nicht ahnen, welche Entscheidung gerade getroffen worden war, als er aus Elronds Schlafgemach gekommen war, dieses unselige Buch wie eine tote Ratte vor sich haltend.
„Wir sollten vielleicht besser zu Adar zurückgehen", erklärte Elladan mit stillem Verständnis für das Unbehagen seines Zwillings. „Legolas wird sich schon wundern, wo wir bleiben."
Düster folgte Elrohir seinem Bruder. Sie hatten das Thema Vilya lange Zeit vermieden. Waren darum herumgeschlichen wie Wölfe um einen Köder in einer Falle. Legolas hatte es schließlich ausgesprochen. Ruhig, wie es seine Art war, aber auch mit einem Tonfall, der keine Möglichkeit mehr ließ, dieser Entscheidung noch länger auszuweichen. Und er hatte natürlich Recht. Der Sturm, der über Bruchtal tobte und sich bereits ins Umland ausdehnte, zeigte nur zu deutlich, dass es so nicht bleiben konnte. Jemand musste Vilya übernehmen, wenn Elrond weiterhin in diesem hilflosen Zustand war.
Elrohir war eigentlich davon ausgegangen, dass Elladan als der Älteste zwangsläufig mit dieser Aufgabe betraut würde, aber so einfach hatte es ihm sein Bruder nicht gemacht. Herr über Bruchtal zu sein, bedeutete nach Elladans Meinung nicht gleichzeitig, Herr über Vilya zu sein. Elladan wollte den Ring nicht, Zauberkräfte hatten ihm noch nie besonders behagt und derartig alte und starke ohnehin nicht. Zumindest bei seinem nächsten Schachzug hatte Elladan dann bewiesen, dass er alle Qualitäten besaß, Bruchtal im Ernstfall zu leiten.
Du schuldest mir noch einen Gefallen! Die Worte klangen Elrohir noch immer in den Ohren. Denk an die Wette am Fuße des Nebelgebirges.
Es war typisch für Elladan, sogar in dieser ernsten Lage keine Skrupel zu haben und einfach die Schuld aus einer harmlosen Wette damit einzulösen, dass er sich die Bürde dieses Ringes vom Hals schaffte. Elrohir dachte an Glorfindels Warnung, sich nicht mehr auf diese Spielchen mit Elladan einzulassen. Beim nächsten Mal würde er sie beherzigen.
Elrohir war jedenfalls froh, dass Galen nun scheinbar doch einen Ausweg gefunden hatte. Im Augenblick war es wohl eher nur die Aussicht darauf, aber wenn der Ithildrim so felsenfest von Gilníns Qualitäten im Tränkebrauen überzeugt war, würde Elrohir ihm einfach nicht mehr widersprechen.
Als sie Elronds Gemach wieder betraten, flogen gerade die Flügel einer der Terrassentüren auf. Zusammen mit einer Windböe, die gut die Hälfte aller Kerzen und Öllampen ausblies, wurde Legolas regelrecht hereingeweht.
„Erus Licht!" Elladan schoss durch den Raum und half dem Waldelben, die Türen wieder zuzudrücken, bevor der Sturm die Einrichtung in Trümmer legte. „Was machst du denn draußen?"
„Frische Luft schnappen", war die unbehagliche Antwort.
„Hast du einen Ast gegen die Stirn bekommen?" wollte Elrohir wissen und tippte sich bedeutungsvoll an den Kopf.
„Mir war eben danach!" knurrte Legolas verärgert und zupfte sich ein paar Blätter aus den Haaren.
Die Zwillinge tauschten einen misstrauischen Blick. Selbst Legolas, der die Natur über alles liebte, war nicht so verrückt, bei diesem Wetter einen Spaziergang draußen zu machen. Außerdem hatte Elrohirs Geste eigentlich eine ganz andere Bedeutung gehabt.
„Du blutest", konstatierte Galen mit der üblichen Gelassenheit eines Rhûnar-Heilers angesichts kaum nennenswerter Verletzungen. „An der Stirn."
Hastig wischte sich Legolas mit dem Ärmel über den langen, blutigen Striemen, der seine Stirn von der Nasenwurzel bis kurz oberhalb der linken Schläfe zierte. „Das ist mir noch nicht aufgefallen. War wahrscheinlich wirklich ein Ast."
Galen schlenderte näher heran, legte etwas den Kopf schief und betrachtete die Verletzung genauer. „Nein, glaub ich nicht."
„Du musst es ja wissen", sagte der Waldelb finster. „Jetzt hört auf, wegen dieser Kleinigkeit zu nörgeln. Das war nur ein Unfall!"
Man merkte, dass er seit zwei Jahren mit einer Ithildrim unter einem Dach wohnte. Sie waren ja sogar bereit, die Sache damit abzutun. Elrohir wollte auch schon erzählen, was Galen herausgefunden hatte, da klopfte es an der Terrassentür. „Was war das?"
„Nichts!" schnappte Legolas. „Wahrscheinlich noch ein Ast."
„Hier sind aber zurzeit viele Äste unterwegs", erklärte Elladan mit einem boshaften Lächeln und schob Legolas unnachgiebig zur Seite.
Die Valar waren an diesem Abend gegen den Thronfolger Düsterwalds. Gerade als er den Platz vor der Tür räumen musste, erhellte ein Blitz die gesamte Terrasse und ließ keinen Zweifel mehr, wer da zu so später Stunde Einlass begehrte.
„Aber das ist…" Elladan gingen die Worte aus. „Wie hat er…"
Galen war weniger überrascht. „Ionnin. Du musst ihn reinlassen, Legolas, die Bergsalamander kommen nur schlecht mit einer derartigen Witterung klar."
„Ich hab ihn eben erst entdeckt", murmelte Legolas und zog die Tür auf. Ebenfalls wie ein Blitz, wenn auch ein schwarz-roter, huschte Ionnin herein, um sich begeistert auf seinen Lieblingselben zu stürzen.
„Jetzt weiß ich auch, wie er sich die Stirn angeschlagen hat", stellte Elladan nach kurzer Beobachtung der wilden Begrüßung fest, die eher Ähnlichkeit mit dem Kampf eines Elben gegen ein Untier Mordors hatte. Ein bisschen mehr Feuer und das Ganze wäre als Nachahmung von Glorfindels Balrog-Kampf durchgegangen. Ionnins langer Schwanz peitschte vor Freude hin und her und Legolas war wenigstens diesmal klug genug, dieser gepanzerten Peitsche auszuweichen, bevor sie ihm noch mehr Striemen ins Gesicht schlug.
Schließlich kam der Bergsalamander etwas zur Ruhe und strahlte regelrecht die anderen drei begeistert an. Für ihn war die Welt offenbar wieder völlig in Ordnung.
„Er folgt dir schon seit dem Anduin", erklärte Galen.
„Ich weiß", nickte Legolas und klopfte ein paar Mal auf Ionnins breiten Schädel. Vor Glück begann der Bergsalamander zu schielen. „Und ich hab mir jede Menge Sorgen gemacht, dass er in Schwierigkeiten kommt."
„Die Salamander sind zäh." Galen grinste plötzlich. „Dein Vater wird begeistert sein."
„Erinnere mich nicht daran."
„WAS ist DAS?" Thanbrethil stand in der Tür zu Elronds Schlafgemach und betrachtete aus schmalen Augen den vierbeinigen Neuankömmling.
„Ionnin", antwortete Elrohir gelassen. „Wie geht es unserem Vater, Meister Thanbrethil?"
„Etwas besser, dieser Trank von Gilnín hat ihm sehr geholfen." Thanbrethil beobachtete misstrauisch, wie Ionnin auf ihn zu stapfte. „Beißt es?"
„Nur, wenn Ihr eine Alge seid oder ein Salatblatt", beruhigte ihn Legolas. „Er ist völlig harmlos."
„Ehrlich", fiel Galen ein und es klang noch weniger vertrauenswürdig als Legolas' Beteuerungen.
Thanbrethil zeigte aber wahre Größe. Selbst als Ionnin an seiner Robe herumschnüffelte, blieb seine Miene absolut gelassen. „Nunja, wir verkraften hier schließlich auch einen Ork."
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Shelley: - AU-Schild aufpolier – ein bisschen künstlerische Freiheit zur besseren Dramatik sei mir doch vergönnt, büdde, ja? Wie siehst das denn aus, wenn es Elrond schlecht geht, draußen tobt das Gewitter des Jahrtausends und drinnen rätseln alle warum.
Dafür liege ich mit den Uruks eigentlich nicht wirklich falsch. Wenn ich mich nicht täusche, war der eigentliche Daddy dieser Uruks immer noch Sauron. Saruman hat sich zwar eigene gedengelt, aber die ersten GROßEN ORKS ihrer Art wurden schon vom Chef persönlich zusammengesetzt. Sie sind ja sozusagen das verbesserte Modell, das mindestens seit 2475 III für Ärger sorgte und leider auch Sonnenlicht ertrug.
Alidaja: OH, jetzt war schon wieder net so viel über Erestor. Aber das nächste fängt direkt mit ihm an, versprochen!
Ja, Thranduil fragt sich auch, warum er nicht lieber einen Abstecher nach Mordor gemacht hat. Schlimmer hätte es da auch nicht kommen können. Andererseits denke ich, dass diese verdammten Elben bei allem Streit, den sie untereinander so haben, in Zeiten der Not unbedingt zusammen stehen. Sie haben so lange durchgehalten und das verbindet dann wohl doch.
Lord Elo: Aha, jetzt weiß ich ja eine Menge von dir. Aber ich wäre ja gar nicht drauf gekommen, dass Elrond zu deinen Lieblingselben gehört (grins). Da kenn ich noch jemanden, der mir dann den Hals umdrehen würde, wenn ich ihm wirklich was antäte. Ich fand einfach, der Chef persönlich war eben mal fällig, oder nicht?
Och, mit Estel wäre ich aber nicht sauer. Der arme Junge ist doch nur ein Sterblicher, der hält eben nicht so lange durch wie die Elben. Der schläft eigentlich immer, wenn es interessant wird, fällt mir gerade so auf. Estel schöpft eben Kraft, so sollte man das vielleicht sehen.
Ithiliell: Heiler im Stress könnte man auch sagen, aber das hatte ich schon mal als Überschrift. Du ahnst es bestimmt schon. Ich schreibe eher keine Schwangere rein, wenn da nicht irgendwas passiert mit. (grins).
Bei Elrond sind die Heiler ja schon auf dem richtigen Weg. Der allerdings doch noch etwas lang und steinig ist. Ich mein, wenn schon was mit so vielen Zutaten zusammengebraut wird, dann muss es auch eine Weile dauern, das Gegenmittel zu finden. Soviel bin ich dem Giftmischer der sich echt Mühe gegeben hat, doch schuldig.
Mir Haldirs Familienleben auszudenken, hat übrigens eine Menge Laune gemacht, um ganz ehrlich zu sein. Sollte ich jemals was von Heiler in Lothlorien platzieren können, sind die beiden Jungs bestimmt gut dabei. Aber das hättest du nicht schreiben sollen mit den Orks an den Hacken. Jetzt hab ich immer das Bild dieses flüchtenden, von diesem Borzo angehimmelten Elben vor Augen.
Sarah0683: Elladan wird sicher sehr beherrscht sein, weil ich denke, dass er genau so erzogen wurde. Außerdem ist er kein Jüngling mehr, sondern eigentlich steinalt, auch wenn er sich bei mir oft anders benimmt. Aber das ist dann unterstellte Absicht (Zitat: Das Leben ist zu lang, um es ernst zu nehmen). In dieser Situation stelle ich mir vor, dass Elladan sogar sehr hart und beherrscht ist. Elronds Erbe und Vati ist ja auch nicht gerade ein Sensibelchen. Außerdem schlachtet der Bursche in seiner Freizeit zusammen mit seinem Zwilling gerne Orks ab. Das spricht für sich. Du sagst ja selbst, dass er wohl durchaus Bruchtal regieren kann und alles nur Fassade ist. Haben wir wahrscheinlich beide den gleichen Eindruck von ihm
Und Varya ist eben Varya, besessen davon, Lebe zu erhalten. Ihr fehlt einfach Elronds Erfahrung. Andererseits hat sie Thranduil, der passt schon auf sie auf. Ich versprech aber, dass es im Verlauf der Geschichte eine Szene geben wird, in der sie nichts unternehmen wird, um jemanden, der stirbt, aufzuhalten. Und dabei ist es kein Bösewicht, nee, ist es nicht.
Iary: Haldir liebt seine Brüder doch. Er hat bestimmt auch schon Erfahrung damit, die unglücklichen Mädels abzuwimmeln und die Orks in die Falle zu locken. Familie ist doch was Feines, gelle?
Die schweigsamen Zwei find ich klasse. Mal sehen,… die beiden haben wirklich so ihre Vorteile. Zumindest als Figwit-von-König-Ablöser ist Haldir einzigartig und unbezahlbar.
Wenn es nach Thranduil und den Hauptmänner geht, dann mal eben hin, Erestor retten und ganz schnell wieder zurück. Tja, es geht nur selten nach Thranduil und den Hauptmännern.
