DisclaimerAlles gehört Prof. Tolkien und seinen Erben. Mir gehört nix, ist nur geliehen und wird wieder abgegeben.

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14. Kapitel: Nur nicht hetzen

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„Ich nehme an, Ihr habt Euch die ganze Zeit auf Kosten meiner Familie amüsiert, Lord Erestor."

„Tykvar, tu mir das jetzt nicht an. Wir sind schon lange Freunde."

„Und deswegen werde ich also belogen. Eine seltsame Art von Freundschaft pflegt man in Bruchtal."

„Ich entschuldige mich dafür."

Unauffällig sah Glorfindel hinüber zu Erestor und Tykvar, die beide am Schanktisch standen und sich leise, aber nicht leise genug für Elbenohren unterhielten. Eigentlich war es die Aussprache, die Glorfindel hatte kommen sehen, seit er im Gesicht des Sterblichen die Erkenntnis gelesen hatte, wer sein Freund Eren denn wohl wirklich war.

Erestor entschuldigte sich für den Betrug und das allein war Beweis genug, dass ihm die Freundschaft zu diesem Mann sogar einiges bedeutete. Erestor entschuldigte sich gewöhnlich bei niemandem. Im Gegenteil, er sorgte dafür, dass alle anderen den Eindruck hatten, sie wären die Schuldigen. Die Art, wie Thranduil leicht eine Braue hob, kaum waren die geflüsterten Worte gefallen, zeigte nur zu deutlich, dass auch der Waldelbenkönig diesen denkwürdigen Moment bemerkt hatte.

„Ich hätte dein Geheimnis bewahrt." Tykvar klang zwar noch immer gekränkt, aber wenigstens ließ er jetzt die förmliche Ansprache wieder weg. „So wie viele andere."

„Das weiß ich", pflichtete Erestor ihm bei und verlagerte etwas sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Varya mochte erfolgreich gewesen sein, aber auch sie konnte nicht völlig die Spuren dieser Verletzung in so kurzer Zeit tilgen. „Doch Geheimnisse wie dieses sind gefährlich und ich wollte es dir nicht auch noch aufbürden."

Glorfindel unterdrückte ein Lächeln. Erestor sprach sicher nur die halbe Wahrheit. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals einem Sterblichen wirklich zur Gänze getraut hatte. Doch es nun so zu erklären, bewies seine durchaus vorhandene Gabe der Diplomatie.

Ein Wimmern aus dem Geschoss über ihnen lenkte Glorfindels Gedanken wieder auf ihre etwas verzwickte Lage. „Dauern Geburten immer so lange?" erkundigte er sich bei Thranduil, der ihm gegenüber an einem der Tische saß und sich an seinem Weinbecher festhielt.

„Woher soll ich das denn wissen?" war die verblüffte Gegenfrage.

„Du bist immerhin Vater eines Sohnes."

Thranduil rollte leicht mit den Augen. „Und es ist ewig her, dass er zur Welt kam. Ich war damals auf der Jagd, als es passierte. Aber nach allem, was ich weiß, geht es bei Elbinnen doch schneller und vor allen Dingen weniger schmerzhaft ab."

„Sicher?"

„Nein, ich sag doch, ich war noch nie dabei." Thranduils Laune war auf einem Tiefpunkt und Glorfindel konnte ihn sogar verstehen. „Schaff dir selber Kinder an und bleib bei der Geburt dabei, dann wirst du es wissen."

„Es ist nicht üblich", verkündete Linde, die mal wieder durch den Raum schlenderte und versuchte, alle anwesenden Elben zu betören. Ausgenommen Erestor, um den sie aus unerfindlichen Gründen einen weiten Bogen machte.

Glorfindel platzierte ein strahlendes Lächeln auf seinen Lippen, um Linde zum Weitersprechen zu ermutigen. „Nein?"

„Nein", bekräftigte die propere Schankmaid und zupfte etwas an den Bändern ihres Mieders herum. Wenn sie den Knoten versehentlich aufzog, würde es sicher eine interessante Abwechslung sein. „Sie quält sich schon sehr lange."

„Eine Nacht und einen Tag. Wir warten schließlich schon die ganze Zeit hier", ergänzte Thranduil kühl und fing sich einen strafenden Blick von Glorfindel ein. Thranduil war nicht sehr hilfreich im Beschaffen von Informationen. „Ein Glück, dass das Unwetter die anderen Gäste fernhält."

„Vielleicht liegt es daran, dass es ihr erstes Kind ist", überlegte Linde und ihre hübschen, aber auch nicht sehr geistvollen Züge spiegelten ihre eigene Ratlosigkeit wieder. „Hanne murmelte vorhin so was."

„Wie geht es Hanne?" erkundigte sich Erestor, der unbemerkt wieder zu ihnen getreten war.

Linde zuckte zusammen. „Besser. Es war eben doch etwas anstrengend für sie."

Sprach's und verschwand Richtung Haldir, bei dem sie sich wohl mehr versprach als bei Erestor. Sie würde eine Überraschung erleben, schätzte Glorfindel etwas mitleidig. Celeborns Hauptmann lehnte an einem der kleinen Außenfenster und wer nur etwas von Elben verstand, erkannte sofort, dass seine Stimmung sich ebenfalls auf einem Tiefpunkt befand. Kein Wunder, sie waren alle so angespannt, dass es förmlich zu spüren war. Abgesehen von Estel natürlich, dessen Kopf vor einiger Zeit auf seine vor ihm auf der Tischplatte verschränkten Arme gesunken war und der nun geräuschvoll im Schlaf atmete. Er schnarchte, um genau zu sein. Auch so eine menschliche Gabe, über deren Nützlichkeit man besser nicht länger nachdachte.

„Wir sollten längst nicht mehr hier sein", sagte Thranduil und nahm noch einen Schluck Wein. „Als hätte ich nicht geahnt, dass es Schwierigkeiten geben wird."

„Wie schön, dass du mittlerweile auf Ahnungen hörst", stichelte Erestor.

„Etwas anderes bleibt mir schließlich nicht, da meine Freunde mir die ihren nie mitteilen."

„Wie bitte?"

Oh wie interessant, dachte sich Glorfindel und lehnte sich genüsslich in seinem Stuhl zurück. Wird jetzt also eine dreitausend Jahre alte Rechnung präsentiert.

Thranduils Augen leuchteten Unheil verkündend, als er sich etwas zu Erestor vorbeugte. „Wir waren mal so was wie Freunde und du wusstest ganz genau, was sie für einen Charakter hatte."

„Sicher wusste ich das." Erestors Augen funkelten auch. Eine seiner außergewöhnlichen Spezialitäten, wenn man bedachte, dass seine Augenfarbe eigentlich ein tiefes Schwarz war. „Und ich habe es dir sogar gesagt."

„Hast du nicht!"

„Und ob!"

„Wann?"

„Zwei Tage vor deiner Vermählung."

Leicht verunsichert runzelte Thranduil die Stirn. „Zwei Tage vor meiner Vermählung?"

„Sicher", begann Erestor, um plötzlich zu schlucken. „So betrunken warst du doch gar nicht!"

„Wir waren im Weinlager", überlegte Thranduil angestrengt. „Der Weinkeller war noch gar nicht fertig gestellt. Danach fehlen mir ein paar Stunden."

Beide schwiegen irritiert.

„Du hast mich wirklich vor ihr gewarnt?" fragte Thranduil dann zögerlich.

Erestor breitete entschuldigend die Arme aus. „Ja, aber ich hätte lieber noch einmal nachfragen sollen am nächsten Tag. Damals dachte ich, du bist einfach zu stur, um auf mich zu hören."

„Hm", machte der König der Waldelben. „So kurzfristig hätte man die Vermählung ohnehin nicht absagen können. Das hätte politische Verwicklungen gegeben."

„Und Legolas würde heute nicht existieren", erinnerte ihn Glorfindel der Vollständigkeit halber.

Trotz des Unwetters war zu hören, wie im Obergeschoss eine Tür geöffnet und dann wieder geschlossen wurde. Die alte Fehde zwischen Thranduil und Erestor war vergessen und alle sahen erwartungsvoll zur Treppe, wo kurz darauf Varya auftauchte. Ein Blick in ihre fast schon verkniffene Miene genügte, um zu erkennen, dass sie keineswegs frohe Botschaften zu überbringen gedachte.

„Es ist noch nicht soweit", verkündete sie dann auch erwartungsgemäß und baute sich vor dem Tisch der drei Elbenfürsten auf. „Aber allzu viel Zeit bleibt ihr nicht mehr. Ich brauche jetzt Hilfe."

Drei gestandene Elben erstarrten zeitgleich zu Stein.

Varya klopfte ungeduldig mit den Knöcheln der rechten Hand auf den Tisch. „Also? Wer hilft mir?"

Glorfindel mochte Varya wirklich sehr, er liebte sie regelrecht. Sie gehörte zu den Geschöpfen, für die er ohne auch nur einen Moment zu überlegen sein Leben riskieren würde, aber Geburtshelfer…

Thranduil, der sie sicher noch um einiges heftiger liebte als Glorfindel es je konnte, schien ähnliche Überlegungen zu wälzen. Eine Geburt war immer noch ein Wunder und sehr geheimnisvoll. Zu geheimnisvoll wohl auch für einen König, den sonst so leicht nichts schreckte.

Es war Erestor, der widerstrebend Anstalten machte, sich zu erheben. „Ich verdanke ihrem Gemahl, dass mein Leben gerettet wurde, also…"

„Nein!" Die Rhûnar-Heilerin schüttelte energisch den Kopf. „Genesende waren von dieser Frage ausgeschlossen. Und jetzt braucht Ihr Euch nicht wieder die Kleider vom Leib zu reißen, um mich zu beeindrucken. Ihr kommt gar nicht erst in Frage."

Seine Gegenwehr war nicht gerade energisch, eigentlich gab es überhaupt keine. Glorfindel konnte sich täuschen, doch Erestor atmete verstohlen und voller Erleichterung aus.

Tykvar war herbeigeschlendert. „Was ist mit Linde?"

„Ich meinte echte Hilfe", wehrte Varya nach einem kurzen, kritischen Blick auf die Haushure ab, die einen immer noch stoisch gelassenen Haldir anhimmelte.

„Vielleicht ist Hanne wieder etwas erholter…"

„Sie ist vorhin zusammengebrochen", erinnerte ihn Varya mit wachsender Ungeduld. „Seit Tagen war sie fast ohne Pause auf den Beinen. Ich denke nicht, dass sie irgendjemand jetzt wecken kann und das ist auch gut so. Eure Gemahlin ist kein junges Mädchen mehr, ihre Kräfte sind begrenzt. Habt Ihr schon einmal eine Geburt erlebt, Tykvar?"

Unbehaglich schob er sich beinahe schutzsuchend hinter Erestors Stuhl. „Ja, von hier unten. Hanne hatte eine Hebamme, wenn es überhaupt nötig war."

„Halbarad ist doch schon dabei." Thranduil war ganz begeistert von seiner Feststellung. „Reicht dir diese Hilfe nicht?"

„Halbarad muss gleich wieder Wasser abkochen. Sehr viel Wasser." Varya schien selber jeden Moment zu kochen und zwar vor Wut.

„Wozu brauchst du eigentlich das ganze Wasser?" lenkte Glorfindel ab, als ihr fragender Blick nun auf ihn fiel.

„Um Halbarad zu beschäftigen", war die unfreundliche Antwort. „Das darf doch nicht wahr sein! Ihr seid gestandene Elben und sollt mir nur helfen, ein Kind in diese Welt zu führen."

Am Nebentisch rappelte sich Estel noch recht verschlafen auf. „Ist es schon da?"

„Nein!" fauchte Varya. „Und wenn es nach den Fürsten hier geht, wird es auch nie ankommen. Estel, du musst mir helfen, komm mit."

Verschlafen wie er war, gehorchte er erst einmal prompt. „Worum geht es denn?" hörten sie ihn fragen, während er ihr die Treppe hinauf folgte.

„Du musst mir jetzt bei Marain helfen."

„Varya…"

Die Antwort der Ithildrim war nicht mehr zu vernehmen, aber sie musste herrisch genug gewesen sein, dass der junge Waldläufer nicht die Flucht wieder hinunter in die Gaststube antrat. Kurz darauf eilte Halbarad denkbar aufgelöst die Treppe wieder runter und verschwand in der Küche.

„Mich haben sie auch immer Wasser abkochen geschickt", grübelte Tykvar. „Unmengen, die kein normaler Mensch verbrauchen konnte."

Sie sahen ihm nach, wie er gedankenverloren an seinen Schanktisch zurückhinkte.

„Warst du eigentlich betrunken, als du diese kleine Hexe zu deiner Gefährtin gewählt hast?" erkundigte sich Erestor mit hochgezogenen Brauen bei Thranduil.

„Nein, sie war es." Thranduil grinste. „Mein Glück, sonst würde ich ihr heute noch nachlaufen."

„Sie passt zu dir." Erestor schüttelte leicht den Kopf. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Iluvatar in seiner Weisheit hat tatsächlich ein Wesen erschaffen, das es mit dir aushalten wird."

„Dann dürfte für dich ja auch noch nicht alle Hoffnung verloren sein."

„Habt ihr schon immer diesen freundlichen Umgangston gehabt?" fragte Glorfindel mit unterdrücktem Lachen.

„Noch sind wir höflich", entgegnete Erestor von oben herab. „Du vergisst, dass er ein cholerischer Sinda ist. Sindar verstehen nur einfache, deutliche Worte oder sofort einen Schlag mit einer Keule."

„Und das von einem Noldo, der zum Lachen in den Keller verschwindet", sagte Thranduil. „Erestor…"

Die neue Beleidigung blieb ungesagt. Zusammen mit einem Schwall Regen kam Forlos hastig zur Tür herein. Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und baute sich wie zuvor Varya am Tisch der Elbenfürsten auf. Und genau wie die der Ithildrim war seine Miene äußerst verkniffen.

„Was?" blaffte Thranduil nur.

„Wir sollten in den nächsten zwei Stunden aufbrechen, Hoheit."

„Das liegt leider nicht an uns", antwortete stattdessen Erestor. „Es mag Euch entgangen sein, aber Halbarads Frau und sein Kind halten wenig von der Planung eines Soldaten."

„Sie werden tot sein, wenn wir bis dahin nicht hier weg sind", erklärte Forlos ungerührt. „Ich habe vorgeschobene Wachen an der Großen Oststraße postiert. Einer der Krieger ist eben eingetroffen und meldet, dass sich einige Dutzend recht finstere Gestalten nähern. Wir könnten sie noch durch den Wald umgehen, sollten aber möglichst bald hier verschwinden."

„Marsden", murmelte Erestor und seine Miene wurde kalt.

Glorfindel warf ihm einen forschenden Blick zu. Erestor hatte ihnen alles erzählt, was sich zugetragen hatte. Auch wenn der Noldo so wie meistens einen beinahe neutralen Ton angeschlagen hatte, war Glorfindel nicht entgangen, wie sehr Erestor danach gierte, den Anführer dieser Mörder in die Finger zu bekommen. Erestor mochte immer sehr beherrscht sein, aber Glorfindel hatte ihn schon im Zorn erlebt und im Kampf. Jedes für sich war beängstigend, aber es würde fürchterlich werden, wenn beides zusammenspielte.

„Vielleicht schützt uns noch etwas dieses Unwetter", meinte Glorfindel hoffnungsvoll.

„Es flaut ab." Haldir war näher getreten, eine frustrierte Linde zurücklassend. „Nicht völlig, aber es beruhigt sich offenkundig."

„Manchmal hasse ich gute Nachrichten." Thranduil erhob sich und griff nach seinem Umhang. „Forlos, Haldir, begleitet mich. Wir müssen uns auf eine Belagerung einrichten. Ich will, dass zumindest das Haupthaus halbwegs gesichert ist."

„Gute Nachrichten", echote Erestor und sah den dreien abwesend nach. „Elrond erholt sich?"

„Es könnte sein", stimmte Glorfindel zu. „Dieses Unwetter hängt mit Vilya zusammen. Er scheint die Kontrolle zurückzuerlangen."

„Dann sollten wir uns vielleicht diesem verdammten König anschließen", erklärte Erestor mit einem sparsamen Lächeln. „Ich habe nicht vor, hier zu sterben und Elrond um das Vergnügen zu bringen, mich für meine Leichtsinnigkeit äußerst wortgewaltig zu verdammen."

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Elrond betrachtete betrübt den Elb, der ihm gegenüber vor dem Kamin der zu dieser späten Stunde leeren Halle saß. Es war still in Imladris, nur die Holzscheite im Kamin gaben ab und an ein leises Knacken von sich. Ardalos schien weit weg zu sein in Gedanken.

„Was kann ich sagen, um Euch noch einmal zum Umkehren zu bewegen?" fragte Elrond nach einer Weile des Schweigens. Er wollte diesen Elb nicht gehen lassen, Ardalos war einer der ersten in Imladris gewesen, er hatte Elrond viel von dem beigebracht, was er heute über die Heilkunst wusste.

„Nichts", war die leise Antwort. Müdigkeit schwang in der Stimme mit, die sonst soviel Zuversicht und Ruhe verströmen konnte. „Ich habe das Ende meines Weges erreicht, Elrond. Zuviel Leid ist in meinen Erinnerungen und zuviel Wissen, das ich nicht länger ertragen will."

Elrond seufzte etwas ungeduldig. „Auch wenn Ihr in den Westen aufbrecht, wird dieses Wissen bei Euch sein."

„Aber es kann keinen Schaden mehr anrichten."

„Das hat es nie."

„Ich ertrage es einfach nicht mehr." Ardalos löste seinen Blick vom Feuer und richtete ihn auf Elrond. Die Bürde seiner Erinnerungen ließ die graugrünen Augen stumpf erscheinen. „Immer trieb mich die Neugierde an und was sie mir gab, belastet mich nun. Mein Freund, ich kenne tausend Arten, ein Leben zu retten. Aber ich kenne sehr viel mehr, es zu zerstören. Selbst vor Euren Kräften würde mein Wissen nicht kapitulieren müssen."

„Ardalos…"

„Habe ich Euch je erzählt, dass es einen Weg gibt, die Pforten der Dunkelheit zu öffnen und sie auf jeden zu hetzen, der Ziel dieses Zaubers ist? Es ist gar nicht einmal schwierig, müsst Ihr wissen. Eine Verbindung von Gift und dunkler Kraft und schon würdet Ihr völlig alleine den Kampf Eures Lebens führen müssen." Ardalos schüttelte leicht den Kopf. „Nein, Elrond, es wird Zeit, dieses Wissen in die sichere Verwahrung Valinors zu bringen. Meliara sehnt sich ebenfalls nach Frieden, sie wird mich begleiten."

Ardalos war offenbar nicht der Einzige gewesen, der über dieses spezielle Wissen verfügte. Anders konnte sich Elrond nicht erklären, dass er nun in einem tödlichen Kampf gefangen war, der ausgelöst worden war durch ein lächerliches Buch. Soviel wusste er jedenfalls mittlerweile.

Zu Anfang war es ihm nicht klar gewesen, was überhaupt mit ihm geschah. Seine Existenz trennte sich in ihre zwei Formen. Während sein Körper hilflos in Bruchtal gegen Gift und Fieber kämpfte, stritt seine Seele hier völlig abgeschnitten von jeder Hilfe gegen eine Flutwelle dunkler Angreifer, die ihren Ursprung tief im Bösen hatten.

Elrond korrigierte sich. Nicht völlig ohne Hilfe. Von Anfang an hatte Vilya ihm zur Seite gestanden. Der Ring besaß eine eigene Seele, die sich jedoch ihrer selbst nicht in dem Maße bewusst war, wie die eines Elben oder Sterblichen. Es reichte, dass der Ring die Gefahr erkannte und alles gab, damit sein Träger wenigstens etwas Schutz vor der dunklen Welle erhielt. Elrond mochte nicht über die Konsequenzen dieses Tuns nachdenken. Vilya stritt mit der Vehemenz eines angegriffenen Löwen und die Auswirkungen seiner instinktiven Wut mussten in Bruchtal verheerend sein.

Dennoch spürte der Herr von Bruchtal, wie er in den schwarzen Fluten zu ertrinken drohte, die von seltsamen Schattenwesen bevölkert waren und sich in ihrem Hass auf jede Form des Lichts zu verzehren schienen. Näher kam diese Welle, die sich vor der Barriere Vilyas zu einer hohen Wand aufgetürmt hatte und sich an den Kräften brach, die ihr unablässig entgegengestellt wurden.

Als Elrond sich schon fragte, wie lange er noch durchhalten würde und warum er es eigentlich sollte, so verlassen und hilflos fühlte er sich in einer Form, in der er sonst reine Macht verspürte, endete plötzlich die vernichtende Einsamkeit, die ihn so geschwächt hatte. Er erkannte sofort, wer sich eingefunden hatte, um einen vorher so aussichtslosen Kampf doch noch zum Guten zu wenden.

Elrond schwankte, ob ihn Freude oder Besorgnis erfüllen sollte. Seine beiden Helfer mochten stark sein, aber ihre Unerfahrenheit und besonders ihre Verbissenheit, die beinahe der Vilyas gleichzusetzen war, brachten sie ebenfalls in Gefahr. Am Ende siegte die Erleichterung, nicht länger allein zu sein. Seine Mitstreiter waren erst nicht zu erkennen. Erst als das Dunkel dieser Flut unter den Attacken aller gemeinsam zu einem diffusen Grau zunehmender Schwäche wurde, waren die beiden silbernen Formen auf der anderen Seite der Welle zu erkennen.

Sie waren nicht immer zugleich anwesend und das war für Elrond das beruhigende Zeichen, dass andere darüber wachten, dass weder Galen noch Varya in ihrem Eifer zu weit gingen und sich selber verloren. Es beflügelte ihn zusätzlich, diese Sorge von den Schultern genommen zu wissen.

Und noch etwas geschah, das ihn wieder mit Hoffnung füllte. Aus einem Grund, den er in dieser Form seiner Existenz nicht erkennen konnte, füllte ihn nach einer Weile neue Kraft. Sie kam nicht von außen, sondern es schien sich nur alles zu sammeln, was in ihm seine Quelle hatte. Elrond fühlte sich wieder stärker, siegesgewiss wie schon lange nicht mehr. Zu seiner stillen Freude hielt dieses Gefühl auch an. Seit einiger Zeit nun konnte er auch wieder seine Gedanken um den eigentlichen Ursprung des Problems kreisen lassen. Selbst Vilya schien sich etwas zu beruhigen und das würde bedeuten, dass Imladris wohl ebenfalls eine Ruhepause beschert wurde.

Elrond hatte kein wirkliches Zeitgefühl. Er schätzte zwar, dass es doch schon einige Tage dauerte, dass er sich nun hier befand, aber sicher war er sich nicht. Was mochte in der Zwischenzeit geschehen sein? Es war unmöglich, dass man den Zauber erkannt hatte. Obwohl…

Selbst als Gestalt aus Licht schüttelte Elrond den Kopf. Nein, Galen oder Varya konnten diese dunkle Mixtur nicht kennen. Sie waren zu jung und sie scheuten den Umgang mit Kräften dieser Natur. Ardalos hatte sein Wissen mit nach Valinor genommen. Es musste noch einen anderen geben, der damit vertraut war.

Elrond schob alle Überlegungen beiseite, als sich beinahe unbemerkt eine erneute Veränderung einstellte. Galen war wieder da. Das alleine war keine wirkliche Veränderung, aber zusammen mit seiner Ankunft fühlte sich Elrond noch etwas stärker als zuvor. Auch in der dunklen Flut schien ein Wechsel stattzufinden. Sie wurde durchscheinender und die bösartigen Fratzen, die aus ihr herausdrängten, zeigten eine seltsame Beunruhigung. Elrond zögerte nicht länger. Die alten Sprüche drängten an die Oberfläche, mit einer Stimme, die keine wirkliche war hier in dieser Existenz brachte er die Kraft zum Klingen, die ihnen innewohnte. Anfangs war er noch stockend in seinen Worten, er wollte nicht wirklich glauben, dass der Weg sich ihm öffnete. Aber er gewann an Sicherheit, als sich das Schwarz der Flut weiter erhellte, bis es zu einem nebelfeinen Grau wurde. Ein vielstimmiger Schrei antwortete aus der hellen Flut heraus. Soviel Zorn war ihm bislang selten begegnet.

Und noch seltener hatte es ihn mit soviel Zuversicht erfüllt. Wenn diese Dämonen sich quälten, konnte es nur bedeuten, dass sie ihre Niederlage schon spürten. Elrond vervielfachte seine Anstrengungen und auch von der anderen Seite, nun ganz deutlich zu erkennen, wurde gegen die Welle angekämpft. Galen – so erstaunlich es war – musste ebenso wie Elrond doch die Natur der Gefahr erkannt haben und auch einen Weg gefunden haben, sie zu bekämpfen.

Es war eine letzte gemeinsame und wirklich gewaltige Anstrengung, die beide Elben gegen diesen beängstigenden, jedoch schon fast geschlagenen Feind zuwege brachten.

Dann herrschte Ruhe.

Absolute Stille.

Elrond spürte den Sog, der wieder zusammenführen sollte, was zuvor ohne sein Dazutun getrennt worden war. Einen Augenblick verlor er die Orientierung, um im nächsten Atemzug eine nie gekannte Schwäche in den Gliedern zu verspüren.

Dennoch lächelte er unwillkürlich. Er atmete und er erkannte seinen Körper. Er war wieder zurückgekehrt.

„Adar…" Die Stimme brach fast vor Gefühl.

Als Elrond die Augen aufschlug, waren das erste, was er erblickte, die Gesichter seiner Söhne. Goldfarben glitzerten Tränen im Schein der Lampen auf ihren blassen Wangen.

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„Sowas…" Aragorn konnte es irgendwie immer noch nicht fassen. Völlig fasziniert starrte er auf das kleine Bündel in seinen Armen. Ein zerknittertes, rotes Gesicht mit fest zusammengekniffenen Augen war das einzige, was in den ganzen angewärmten Decken jetzt zu erkennen war. „Müsste sie nicht schreien?"

Varya zog eine weitere Decke um Marain herum fest. Die Frau schlief tief und fest. Sie war so erschöpft, dass sie nur einen kurzen, glücklichen Blick auf ihre Tochter geworfen hatte, bevor die ganze Anstrengung ihren Tribut gefordert hatte. „Sie hat geschrieen."

„Aber nur so kurz." Vorsichtig kitzelte Aragorn das Baby an der Wange, um eine Reaktion hervorzurufen. „Babys schreien doch dauernd."

„Nein, und du solltest es ihr nicht beibringen", meinte Varya kopfschüttelnd. „Lass sie zufrieden, Estel. Besser, du gibst sie an Halbarad weiter. Und sag ihm, er kann jetzt aufhören, Wasser abzukochen."

Er hatte sich sowieso schon gewundert, warum sie den Waldläufer dauernd nach unten in die Küche geschickt hatte, nur um Aragorn nach seinem Weggehen dann damit zu beschäftigen, die vollen Kessel aus dem Fenster zu kippen. Nur einen Teil hatte sie benutzt, um sich beinahe dauernd die Hände zu säubern. „Er wird Marain sehen wollen."

„Später." Varya schob mit dem Fuß einen Berg blutiger Laken in einer Ecke zusammen. „Sie braucht alle Ruhe, die sie bekommen kann. Das war keine leichte Geburt, Estel. Es hat zu lange gedauert und dieser kleine Wurm wollte einfach nicht in diese Welt."

Aragorn mochte noch immer fasziniert von dem winzigen Geschöpf in seinem Arm sein, aber während der letzten Stunden war ihm nicht entgangen, wie verbissen Varya darum gekämpft hatte, dass das Kind überhaupt lebend das Licht der Welt erblickte. Und er wusste, dass jeder Mensch nur eine begrenzte Menge Blut verlieren durfte. Angesichts der vielen damit getränkten Laken bezweifelte er, dass Marain sich unterhalb dieser Menge gehalten hatte.

„Es ist nicht gut gelaufen", stellte er leise fest und Varyas Miene schien von einem Schatten bedeckt zu werden. „Sie hat viel Blut verloren und du hast mehr als ein Mal zu deinem Messer gesehen, als ob du das Kind aus ihr herausschneiden willst, um wenigstens einen von beiden zu retten."

„Das Kind wird leben", murmelte Varya und beugte sich über die Schlafende, um ihr eine schweißverklebte, blonde Locke aus der Stirn zu streichen. „Wir kommen alle an unsere Grenzen, Estel. Die Heilkunst der Rhûna vermag vieles, aber wir können den Tod am Ende doch nicht besiegen. Ein bisschen Zeit ringen wir ihm manchmal ab, das ist wohl wahr. Aber manchmal will er einfach nicht nachgeben."

„Und das von dir?"

„Sie ist eine Sterbliche, das macht es sehr viel schwerer, so seltsam es klingt. Ich habe nicht gelernt, mit ihren zerbrechlichen Körpern umzugehen." Varya seufzte und zog sich die blutverschmierte Schürze von den Schultern, die sie sich von Hanne geborgt hatte. „Warten wir ab. Und jetzt bring Halbarad endlich seine Tochter."

Mit einem letzten Blick auf die regungslose Mutter, die so leichenblass war wie das Weiß der Laken, die sie nun bedeckten, verließ Aragorn das kleine Zimmer, in dem er so einiges über Schmerzen und Lebenswillen gelernt hatte. Er ging sehr langsam, weil er immer noch befürchtete, das kleine Bündel in seinen Armen fallen zu lassen. Oder womöglich etwas abzubrechen oder zu beschädigen, wenn er das Baby zu fest hielt. Sie war wirklich winzig in seinen Händen, die ihm noch nie so groß und grob erschienen waren.

Aragorn war so vertieft in die simple Tätigkeit des Festhaltens, dass er wie vom Donner gerührt auf der Treppe stehen blieb, kaum hatte er einen Einblick in den Schankraum. Als er den Raum vor einer Ewigkeit wie es schien verlassen hatte, herrschte dort eine zwar nicht schläfrige, aber doch umfassende Ruhe. Es wirkte umso mehr, als das Unwetter zum Stillstand gekommen war. Wind war noch zu hören, der um das Haus strich und die Läden zum Klappern brachte, aber das Gewitter war verstummt und auch kein einziger Regentropfen schlug mehr gegen die Fenster, die alle von Elben bewacht wurden.

„Estel!" Glorfindel kam mit langen Schritten zu ihm, nur ein kurzer Blick glitt über das Kind. „Wir werden angegriffen. Eine der Frauen soll sich um das Kind kümmern. Wir brauchen dich jetzt hier dringender."

„Es ist ein Mädchen", erklärte Aragorn etwas lahm. „Von wem werden wir angegriffen?"

„Ein Mädchen?" Der glückliche Aufschrei kam von Halbarad, der mit Haldir ebenfalls eines der Fenster bewachte. Sofort stürmte der Waldläufer zu ihm herüber und bestaunte mit großen Augen seine Tochter. „Sie ist hübsch."

„Hm", machte Aragorn.

„Marain geht es gut?" Halbarad strich etwas scheu mit dem Finger über die zerknitterte Stirn des Babys. „Sie ist aber klein."

„Varya sagt, sie ist ganz ordentlich in Größe und Gewicht. Und gesund."

„Hat sie…ich meine…"

„Alles dran", nickte Aragorn, der ganz froh war, die Frage nach Halbarads Frau nicht beantworten zu müssen.

Glorfindel war es jedenfalls nicht entgangen, das bemerkte er daran, wie der Vanya kurz die Lippen zusammenpresste. Dann war der Moment vorbei und Glorfindel winkte Hanne herbei, die völlig eingeschüchtert zusammen mit Linde und Tykvar neben dem Kamin an die Wand gedrückt stand. „Kümmert Euch um das Kind, Frau. Halbarad, es muss später Zeit dafür sein, dass Ihr Eure Familie feiert. Estel, du musst draußen nachsehen, ob Forlos zusammen mit diesem Sorben die Pferde endlich aus dem Stall geschafft hat. Geh schon!"

Hanne streckte Aragorn die Hände entgegen und er lud umständlich das Bündel bei ihr ab. Dann ergriff er seine Waffen und den Mantel, den er an seinem Tisch abgelegt hatte und stürmte hinaus. Er war beinahe froh, das Haus verlassen zu können.

Forlos war nicht schwer zu finden. Er stand zusammen mit Haldir in der Nähe des Stallgebäudes, aus dem Sorben und eine Handvoll Krieger der Leibgarde die Pferde herausführten, um mit ihnen hinter dem Gasthaus in der Dunkelheit des Waldes zu verschwinden. Beide Hauptmänner machten nicht den Eindruck, als wären sie sonderlich begeistert über ihre Lage und Aragorn fand sich im Fokus recht durchdringender Blicke wieder. Angenehm war es nicht, von diesen beiden so gemustert zu werden, selbst wenn sie in ihm nicht gerade einen Feind sahen.

„Ein Mädchen", erklärte er, um überhaupt etwas zu sagen.

Beide nickten nur kurz. „Wie lange braucht Halbarads Gemahlin, um wieder reisebereit zu sein?" wollte Haldir wissen.

Aragorn hob zweifelnd die Schultern. „Es geht ihr nicht gut. Varya ist besorgt."

Forlos' einzige Reaktion bestand aus einem leichten Stirnrunzeln. Haldir hingegen nickte, als hätte er bereits damit gerechnet. Für eine Weile standen sie alle drei nur da und beobachteten, wie das letzte der Pferde weggeführt wurde. Es war eine Stute mit einem rabenschwarzen Fohlen und eine etwas seltsame Gestalt führte das Tier am Zügel.

„Nettes Fohlen", murmelte Forlos.

„Starke Ähnlichkeit mit Mornen", ergänzte Haldir.

„Hoffen wir, dass es das einzige Bruchtal-Erbe ist, das hier verteilt wurde."

„Wäre doch zu schade um das kostbare Blut gewisser Hochelben."

Lorien und Düsterwald grinsten sich an, während Aragorn einen Moment brauchte, um den tieferen Sinn dieser Bemerkung zu verstehen. Er schnappte nach Luft.

„Estel, mein Lieber!" Haldirs Hand landete schwer auf Aragorns Schulter. Die Art, wie die blaugrauen Augen des Hauptmanns schimmerten, ließ jede Empörung nebensächlich sein. In Haldirs Blick stritt eine beunruhigende Mischung aus Vorfreude und Vergeltung um die Oberhand. „Was haltet Ihr davon, wenn wir uns diese Kreaturen einmal genauer ansehen, die unbedingt Elbenblut vergießen wollen?"

In Aragorns Vorstellung gehörte zum Auskundschaften, dass man sich unbemerkt an den Feind anschlich und herausfand, was er eigentlich plante. Es gehörte auch dazu, dass man die Zahl seiner Krieger feststellte, seine Strategie und das Tempo seines Vormarsches. Das war Aragorns Vorstellung vom Anschleichen und damit stand er im Einklang langer Waldläufer-Traditionen. Eine Viertelstunde nach seinem Aufbruch zusammen mit Haldir war ihm klar, dass ein lorischer Hauptmann unter ‚näher ansehen' etwas anderes verstand. Etwas VÖLLIG anderes…

Erst war ja alles auch ganz normal, wenn man davon absah, dass Haldir sich in einem Tempo bewegte, das Aragorn bedauern ließ, dem Elb nicht zu Pferd gefolgt zu sein. Obwohl es rund um das Gasthaus jedes Mal stockduster war, sobald der Mond hinter den schnell dahintreibenden Wolken verschwand, fand Haldir mit elbischer und damit also absoluter Sicherheit den Weg durch die dichtstehenden Bäume entlang des Weges, der von der großen Oststraße in Richtung ‚Krummer Hund' führte.

Eine gute halbe Stunde bewegte sich der Elb immer an diesem Weg entlang, gefolgt von einem still vor sich hinfluchenden Estel, der langsam bedauerte, eine Karriere als Waldläufer und nicht als Schreiber oder Gärtner in Bruchtal eingeschlagen zu haben. Irgendwas musste an diesen Bäumen und Büschen verhext sein, anders ließ sich nämlich nicht erklären, warum sie es alle mit ihren Ästen und Dornen genau auf ihn abgesehen hatten. Während Haldir völlig unbeschadet zwischen ihnen hindurchhuschte, fingerten diese Gewächse ständig nach Aragorns Kleidung, seinem Gesicht, seinen Haaren. Sie hassten ihn, eindeutig.

Als Haldir schließlich anhielt, kam Aragorn wie ein gerupftes Huhn bei ihm an. Der Galadhrim musterte ihn einen Moment nachdenklich und wandte sich dann mit einem leichten Schulterzucken ab, um tiefer in den Wald zu verschwinden.

„Haldir", zischelte Aragon hinter ihm her. „Wo wollt Ihr hin? Die Räuber kommen doch hier entlang."

„Ich weiß", erklärte der Hauptmann über die Schulter. „Zumindest der Großteil von ihnen."

„Aber…" Aragorn wedelte Richtung Straße. „Wollten wir nicht zählen, wie viele es sind?"

„Drei Dutzend", lautete die Antwort. „Das haben die Wachen an der Hauptstraße bereits getan."

„Und was…?" Aragorn seufzte. „Ihr habt gar nicht vor, sie auszukundschaften."

Statt einer Antwort bedeutete der Galadhrim ihm in einer schnellen Geste, still zu sein und in Deckung zu gehen. Haldir selber zog die Kapuze seines Umhangs über seinen Kopf und schien auf gespenstische Art mit den Schatten dieses Waldes zu verschmelzen.

Nein, er hatte eindeutig nicht vor, sich als bloßer Beobachter hier draußen aufzuhalten. Die ersten, die dies zu spüren bekämen, würden wohl die drei Gestalten sein, die sich überraschend vorsichtig ein Stück weiter vor ihnen durch das Dickicht schlichen. Kundschafter Marsdens, deren Aufgabe es sein musste, die Lage am Wirtshaus abzuschätzen. Der Anführer der Wegelagerer war vielleicht ein Ungeheuer in Menschengestalt, aber dumm sicher nicht.

Andererseits war er auch nicht so schlau, wie er wohl annahm und die Elben nicht so ahnungslos, wie er hoffte. Insbesondere ein Elb nicht und der stand nun neben Aragorn und zog gerade sehr langsam seinen Dolch.

„Zwei für mich, einen für Euch?" schlug Haldir leise vor.

Aragorn nickte. „Wir können den dritten ja schlecht teilen", brummte er dann und zog ebenfalls seinen Dolch.

„Nicht?" Selbst in dieser Dunkelheit war zu erkennen, dass Celeborns Hauptmann ausgesprochen böse grinste.

Waldelben, dachte Aragorn missmutig, sind alle nicht normal. Egal, wo sie herkommen. Das muss an den Bäumen liegen.

Haldir schien von solchen Überlegungen nichts zu ahnen und wahrscheinlich hätte er es sowieso abgestritten, denn wie ein Schatten in der Nacht näherte er sich dem sehr vorsichtig durch den Wald vorrückenden Dreigestirn aus Marsdens Männern. Aragorn hatte gar keine andere Wahl mehr. Er erkannte, dass Haldir sich zuerst den hintersten der Kundschafter vornehmen wollte, die in einer strategisch nicht sehr günstigen Linie hintereinander voranstapften. Schleichen wollte Aragorn ihr Getrampel nun nicht nennen. Andererseits brauchte er sich selber auch kaum Mühe zu geben, sich leise zu bewegen. Der Dauerregen mochte aufgehört haben und auch der Sturm war zwar abgeflaut, aber es wehte immer noch genug Wind, um für ständiges Rascheln und Rauschen zu sorgen.

Haldir tauchte wie ein dunkler Waldgeist hinter dem Letzten auf, legte ihm einen Arm um die Kehle und stieß ihm das Messer in den Rücken. Es ging wirklich schnell und Aragorn erahnte die ganze Szenerie eher, da er sich mangels ausgeklügelten Plans etwas spontan entschlossen hatte, den vordersten der drei Kundschafter erst einmal umzurennen.

Im vollen Lauf stürmte er aus dem Gebüsch, hinter dem er sich versteckt hatte, fluchte, weil sich seine Haare natürlich in den Dornenranken verfangen hatten und warf sich dann brüllend auf den verdutzten Mann. Der fiel um, Aragorn mit ihm und sein Dolch bohrte sich schon fast unbeabsichtigt in dessen Brust.

Das Ergebnis zählt, tröstete sich Aragorn und sprang wieder auf die Füße.

Der dritte Kundschafter, eigentlich der einzig noch überlebende Kundschafter stand genau zwischen Aragorn, Haldir und zwei Leichen. Der Mann war wie vom Donner gerührt, völlig fassungslos starrte er von den Toten zu den Angreifern und wieder zurück. Schließlich zuckte seine Hand zu der Waffe an seinem Gürtel.

„DAS", erklang Haldirs kühle Stimme, „würde ich doch lieber bleiben lassen."

Der Mann sah zu Aragorn.

„Doch, er meint es nur gut", erklärte dieser in dem festen Wissen, dass der Kerl sowieso nicht auf ihn hören würde.

Marsdens Spießgesellen waren Elben gewohnt, die dieser Welt müde geworden waren und sich auf eine friedvolle Reise in den Westen begeben hatten. Haldir war weder müde noch friedvoll. Außerdem war er nach Aragorns bescheidener Meinung so weit vom Aufbruch in den Westen entfernt, wie Mordor von einer Auszeichnung als Gartenlandschaft. Seine Einschätzung bestätigte sich, als der Meuchelmörder tatsächlich die Waffe zog und auf den Elb zusprang. Er war tot, bevor sein Körper den Boden zu Haldirs Füßen berührte.

„Ich hab ihn sogar gewarnt." Haldirs linke Augenbraue bildete einen perfekten Bogen der Arroganz. „Etwa nicht, Estel?

„Aber sicher", murmelte der so Angesprochene und drehte den letzten Toten mit dem Fuß auf den Rücken. Wenigstens hatte Haldir diesmal darauf verzichtet, seinen Dolch im Auge des Räubers zu versenken und sehr sauber das Herz getroffen. Aragorn zog den Dolch heraus, wischte ihn sorgfältig an der Kleidung des Toten ab und reichte ihn dann wortlos an Haldir zurück.

„Sehr aufmerksam", nickte der Galadhrim und neigte höflich den Kopf. „Also dann, jeder nimmt, was er gerade getötet hat."

„Wie bitte?"

„Estel, Ihr wollt diese Kreaturen doch wohl nicht hier mitten im Wald liegen lassen." Haldir beugte sich etwas vor, griff erst den einen Toten am Gürtel und dann den anderen. „Kommt schon, ich habe nur zwei Hände."

Bei Haldir sah das so aus, als würde er zwei leichte Kleiderbündel rechts und links neben sich hertragen. Aragorn schleifte sehr viel uneleganter den dritten Toten am Bein hinter sich her durch den nicht gerade lichten Wald. „Was wollt Ihr mit den Leichen?"

Etwas später wünschte er sich, er hätte nicht gefragt. Er wünschte sich eigentlich, er wäre gar nicht erst mit Haldir mit auf diese Erkundung gegangen. Die erste Leiche wurde sorgfältig am Wegesrand positioniert, aufrecht sitzend, dank eines in den Boden gerammten Astes hinter ihm. Die zweite stellte der Galadhrim ebenfalls am Rand des Weges – nur etwas näher zum Gasthaus hin – mit Hilfe einiger Streifen, die er aus dem Umhang des Toten abriss, an einem Baum auf.

Es war gespenstisch, wie diese Männer dort scheinbar auf ihre Kumpane zu warten schienen. Aragorn bedachte den zweiten beim Weitergehen mit einem scheuen Blick und kämpfte gegen die bizarrsten Vorstellungen an, was denn nun mit dem dritten geschehen würde. Schließlich stellte er fest, dass er nicht annähernd genug Vorstellungskraft hatte, um Haldirs Plan vorherzusehen.

Der Galadhrim kletterte nämlich auf einen der großen Bäume, der einen recht dicken Ast über den Waldweg streckte und balancierte diesen dann entlang, bis er einer Astgabel kam. „Estel, reicht mir doch diesen so hilfreich symbolträchtigen Meuchelmörder herauf."

„Was?"

„Raufreichen, die Leiche", wiederholte Haldir mit einem auffordernden Winken.

„Ihr wollt ihn auf den Ast setzen?"

„Nein."

„Elbereth", murmelte Aragorn schockiert, machte sich aber trotzdem daran, das schlaffe Bündel Mensch zuerst auf seine Schulter zu hieven und dann weiter nach oben zu reichen. Haldir beugte sich gelassen vor, als befände er sich auf dem sichersten Untergrund überhaupt und nicht auf einem leicht schwankenden Ast und nahm die Leiche entgegen.

„Das ist nicht Euer Ernst", meinte Aragorn zwei Minuten später erstickt und starrte nach oben.

„Ich finde es recht gelungen." Mit einem eleganten Sprung landete Celeborns Hauptmann wieder auf dem Weg und setzte sich sofort in Bewegung Richtung Gasthaus. „Ihr solltet mir besser folgen, Waldläufer. Marsdens Männer dürften nicht mehr weit sein."

Aragorn trottete ihm zwar gehorsam hinterher, aber immer wieder drehte er sich zu der Stelle um, an der der Tote kopfüber an dem Ast baumelte, den Fuß in der Astgabel eingeklemmt und leicht im Wind schwankend wie ein Gehenkter an einer Wegkreuzung. Vielleicht war das sogar Haldirs Absicht, diese Ähnlichkeit. Marsden und seine Männer würden die Warnung verstehen. Deutlicher ging es kaum noch.

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Iary: Der Blumenstrauß gebührt dir – für die 120 (ich fass es kaum) und natürlich für die 10 Punkte. Was will man mehr?

Ich hab nie gesagt, dass Orks nicht nützlich sind. Wahrscheinlich gehören sie zu den am meisten unterschätzten Mitbürgern Mittelerdes, verfolgt wegen einer langen Kette von Missverständnissen und Vorurteilen, die sich nur auf so Kleinigkeiten wie ihre Essgewohnheiten, den Körpergeruch oder die Hygiene an und für sich beziehen (giggle)

Sarah0683: Warum sollte ich dich schlagen? Ich find die Reviews gut. Aber machen eine Menge Arbeit, was? Wäre zwar schade, aber tränenden Auges würde ich ja auch damit leben, wenn sie wieder kürzer werden. buhu, plärr Ach, ich freu mich schon, dass du die Story liest. Ein review erfreut zwar das Herz, aber ist ja keine Verpflichtung. ABER ES ERFREUT DAS HERZ JEDEN AUTORS; UM DAS MAL HIER ALLGEMEIN FESTZUHALTEN.

Was den Bekanntschaftsgrad in dieser anderen Existenz angeht, denke ich, hängt das auch davon ab, wie fit die jeweiligen Teilnehmer sind, die sich da begegnen. Varya hatte sich ja damals einfach nur ein wenig verfranst in der Dunkelheit und außerdem eine kleine Attacke von Enach über sich ergehen lassen. Sie war ansonsten gesund, während Erestor kurz davon stand, ein Ticket nach Mandos Hallen zu ziehen.

Ich hab übrigens einfach mal so unterstellt, dass Erestor von Valinor aus eingewandert ist, also noch älter als Elrond ist und möglicherweise gleich alt wie Glorfindel, wenn auch dauerhaft alt und nicht mit diesen nicht wertbaren Unterbrechungen in Mandos Hallen.

Je nach Windstärke muss man doch kein Elb sein, um Fliegen zu lernen. Wenn ich mir manchmal die Bilder so im Fernsehen angucke, wird mir immer ganz anders. Wenn Häuser wegfliegen können, kann ich das auch grins und dann stell man sich mal so einen luftleichten Elben vor. Shelley hat schon Recht: im Herbst ist wieder Elbenfliegen.

Shelley: Aber sicher doch, bei mir geht immer alles gut aus. Erestor ist in der Tat wieder fit, Elrond ja gerade eben erwacht und den Rest schaffen wir auch noch. Ich würde niemandem ein Haar krümmen, geschweige denn ihn abmurksen. Keine Sorge, wenn es so weitergeht, senke ich das Rating auf G.

Feanen: Ithildrim sind eben hart – in erster Linie gegen andere grins. Den Eiswein aber erst austrinken, wenn die Klausuren rum sind und alle Punkte eingefahren, sonst könnte es schwierig werden.

Ithiliell: Ich glaube, ich sollte mir nicht zu oft vorstellen, wie er so ganz ohne alles aus dem Bett steigt, sonst werde ich unruhig.

Es kommen wieder mehr Szenen mit Thranduil und Varya, versprochen. Einige recht furiose und ein paar, an denen ich noch rumknabbere. Aber solange die mitten in einem Pulk Elben und Menschen stehen, sind sie beide recht zurückhaltend. Mehr oder minder jedenfalls. Lass sie erst wieder in Bruchtal sein, da hat man dann Zeit für so was.