Es war bereits weit nach Mitternacht, als Pony und ich am Abend ins Bett kamen. Der Film war klasse gewesen und im Anschluss waren wir alle noch ein bisschen Pool Billard spielen gegangen. Ich hatte die anderen ordentlich abgezockt. Darry war noch in der Küche, keine Ahnung was er da tat. Es hatte wie versprochen angefangen zu gewittern. Im Augenblick war das Gewitter anscheinend genau über uns, denn das heftige Donnergrollen traf fast gleichzeitig mit dem grellen Aufzucken der Blitze ein und der Regen prasselte nur so gegen unser Fenster. Pony hatte sich in meinen Armen zu einer kleinen Kugel zusammen gerollt und machte leise Schnurrgeräusche während ich ihn streichelte.

„Du bist der süßeste Junge den ich je gesehen habe", flüsterte ich und Ponys Mundwinkel zuckten. Ich weiß, das klang ein bisschen mädchenhaft, aber es war die Wahrheit. Pony war einfach nur süß, man konnte es nicht anders sagen.

„Findest du? Dann solltest du dich mal angucken. Besonders wenn du schläfst… einfach zum anbeißen", meinte Pony grinsend und begann meinen Oberarm zu streicheln.

„Ich wusste gar nicht dass du mich beim Schlafen beobachtest".

„Oh doch. Ich kann stundenlang da liegen und dir zugucken". Oh ja, das hatte ich auch reichlich getan.

„Was treibt Darry eigentlich so lange?"

„Keine Ahnung, vielleicht steht er wieder vor dem Spiegel und bewundert seine Muskeln", überlegte Pony. Ich fing an zu lachen.

„Ja, das passt zu ihm".

„Nein ehrlich, neulich habe ich ihn dabei beobachtet. Aber zum Glück hat er mich nicht bemerkt. Der hätte Hackfleisch aus mir gemacht".

„Kleiner Spanner du…"

„Musst du grad sagen", grinste Pony und ich errötete.

„Aber du findest doch auch, dass er seine Muskeln durchaus zeigen kann, oder?", fügte er hinzu.

„Klar, er hat wirklich einen sexy Körper…", meinte ich grinsend.

„Hey! Du wirst mir doch nicht am ersten Tag schon gleich untreu?", neckte Pony und piekte mich mit dem Finger in die Seite.

„Nicht doch", antwortete ich und fing seine Hand ab. Dann gab ich ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte, denn Pony hatte offensichtlich Blut geleckt. Er rollte sich auf mich drauf und versuchte, mich erneut zu küssen. Eine Weile ließ ich ihn gewähren, doch dann musste ich ihn von mir schieben, so Leid es mir auch tat. Aber Darry konnte jeden Augenblick herein kommen und ich wollte nichts riskieren.

„Pony du musst das verstehen…", fing ich an aber Pony fiel mir ins Wort.

„Keine Angst, ich verstehe schon. Ich wünschte nur, wir hätten das Haus mal einen Tag lang ganz für uns alleine…"

„Du klingst ja gerade so als wären wir schon seit Monaten zusammen".

„So kommt es mir auch vor".

„Sag mal", fuhr er nach einer kleinen Pause nachdenklich fort, „sind wir jetzt eigentlich richtig zusammen? Ich meine so richtig?"

„Ich weiß nicht… ich denke schon…"

„Gut…"

Ich lächelte.

Als Darry kurz darauf ins Zimmer kam, waren Pony und ich eingeschlafen, fest umschlungen. Er zog eine Grimasse als er uns sah und nahm sich vor, mal wieder ein ernstes Wörtchen mit uns zu reden. Das ging ihm langsam wirklich etwas zu weit.

- - - - -

Die nächsten Tage verliefen relativ ereignislos. Dally tauchte, wie bereits gesagt, wieder auf und er und Johnny verbrachten viel Zeit bei uns. Johnny kam vor allem wegen Ponyboy und Dally hatte ungewöhnlich viel mit Darry zu bereden. Das verwunderte uns beide, denn eigentlich hielt Darry nicht sehr viel von ihm, er fand, dass er ein schlechter Umgang für uns war. Na ja, das war er auch, aber das erklärte nicht, warum er plötzlich so häufig bei uns auftauchte und sogar ab und zu zum Essen blieb, was er früher nie getan hatte.

Nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten und gelegentlichen Achtlosigkeiten, durch die wir des Öfteren beinahe aufgeflogen wären, waren wir inzwischen sehr viel vorsichtiger geworden. Gekuschelt wurde so heimlich und unauffällig wie möglich, küssen war nur erlaubt, wenn mit Sicherheit kein anderer im Haus war (oder überhaupt in der Nähe, kam darauf an, wo wir uns gerade befanden) und alles andere war sowieso tabu. Viel zu riskant.

Manchmal fiel es uns furchtbar schwer uns zurück zu halten, aber wir mussten uns immer wieder die Konsequenzen vor Augen führen, sollten wir erwischt werden.

Es war an einem Donnerstagnachmittag. Darry war bei der Arbeit und ich hätte eigentlich auch mit Steve an der Tankstelle sein müssen, aber wir hatten seit zwei Tagen eine neue Aushilfe und ich wurde praktisch nicht mehr gebraucht. Also hatte ich mir den Nachmittag frei genommen und stand nun in der Küche und versuchte zwei Schnitzel zu braten.

Ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich nicht mitbekam, wie Pony von der Schule kam, seinen Rucksack auf die Couch schmiss und überrascht in der Küchentür stehen blieb, als er mich bemerkte. Ich bemerkte erst, dass jemand im Raum war, als ich zwei Hände auf meinem Hintern spürte. Und so dreist konnte eigentlich nur einer sein. Als sich dann auch noch zwei nackte Arme um meinen Bauch legten, hatte ich keine Zweifel mehr.

„Mmh, Sodapop, was machst du denn schon hier?", fragte Pony während er seinen Kopf an meinen Schultern rieb.

„Ich hab mir den Nachmittag frei genommen. Wir haben doch diese neue Aushilfe".

„Das ist schön… Was machst du da?"

„Schnitzel. Sieht man doch. Also wenn du…ah, Pony!"

„Was denn?"

„Lass das! Ich versuche hier zu kochen!"

„Ich mach doch gar nichts…" Natürlich nicht. Und die Hände waren nur ganz zufällig etwas zu weit südwärts gerutscht. Sicher.

„Du weißt genau was ich meine! Wenn du was Vernünftiges zu essen haben willst…" Aber mehr konnte ich nicht sagen, denn der Rest des Satzes ging in einem lauten Stöhnen unter.

„Lass doch die blöden Schnitzel. Es ist kein Mensch zu Hause, wir sind also ganz für uns…" Nun, das klang in der Tat verlockend. Und ich kann nicht behaupten, dass ich so was nicht zum Mindest im Hinterkopf gehabt hatte, als ich vorhin nach Hause gefahren war… Seufzend drehte ich den Herd ab (nicht dass uns nachher noch die Bude abbrannte) und drehte mich zu meinem Bruder um. Seine Augen glänzten. Als erstes bekam er dann erstmal einen innigen Kuss zur Begrüßung.

Es dauerte nicht lange und aus einem harmlosen Kuss wurde schnell mehr. Im nächsten Moment stand Pony ohne T-Shirt da und machte sich an meinem Gürtel zu schaffen. Dabei hatte er seinen Mund die ganze Zeit fest auf meinen gepresst und seine Zunge tief in meinen Hals gesteckt.

Wir hörten weder das Auto vorfahren, noch wie jemand ausstieg und die Treppe zu unserer Haustür hinauf sprang. Auch wie sich die Haustür öffnete und jemand hereinkam bemerkten wir nicht. Was wir jedoch hörten war das scharfe Einziehen von Luft, knapp zwei Meter neben uns.

Entsetzt drehten wir uns zur Küchentür. Dort stand niemand anderes als Witz Mathews, der uns vollkommen entgeistert anstarrte. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, aber er brachte keinen Ton heraus. Auch Pony und ich konnten nicht viel mehr tun als geschockt da stehen. Da stehen und auf das Unvermeidliche warten.

„Was zum Teufel…", begann Witz, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. Ich wollte ihm sagen, dass es nicht das war, wonach es aussah, dass ich alles erklären könnte. Aber ich konnte nicht. Es war genau das, wonach es aussah, und bedurfte keiner weiteren Erklärung. Ich wusste das und Pony wusste das und auch Witz wusste das.

„Ich kann nicht glauben was ich hier sehe…" Ich sah betreten zu Boden, während Pony plötzlich zu zittern begann.

„Bitte Witz, sag es nicht Darry… ich bitte dich… was immer du tust, aber sag es nicht Darry…", stieß er hervor. In seiner Stimme klang Panik.

„Ich…"

„Ich flehe dich an! Er wird uns hassen! Er wird uns rausschmeißen! Er wird uns töten! Er wird…"

„Halt die Luft an Ponyboy, ich werde niemandem etwas sagen", unterbrach Witz ihn, bevor er ganz durchdrehte.

„Aber ich verlange eine Erklärung. Was… was soll das hier werden?"

„Ich denke es ist offensichtlich was hier abläuft. Pony und ich… na ja… wir hegen Gefühle für einander… mehr als nur brüderlicher Natur", erklärte ich, wobei ich den noch immer leichenblassen Pony in meine Arme zog. In meinem Kopf hatten sich die Worte noch so gut angehört, aber ausgesprochen klangen sie bescheuert. Ich streichelte Pony ein paar Mal beruhigend über den Kopf und es dauerte nicht lange, bis er sich wieder einigermaßen gefasst hatte.

„Ok… und seit wann… ich meine…wie…", stammelte Witz, offensichtlich nicht in der Lage auszusprechen, was er dachte.

„Noch nicht lange. Etwa zwei Wochen. An Steves Geburtstag haben wir uns zum ersten Mal gesagt, was wir füreinander empfinden. Und seitdem… na ja… sind wir halt zusammen", versuchte ich zu erklären.

„Hm…" Witz ließ sich auf einem unserer Küchenstühle nieder und betrachtete uns eine Weile eingehend. Pony und ich rührten uns nicht.

„Ok", begann er nach einer Weile, „wenn es nun mal so ist, kann man es wohl nicht ändern, nicht wahr? Ich muss zwar sagen, dass ich mehr als ein bisschen geschockt bin, mit so was hätte ich bei euch beiden niemals gerechnet, aber ich denke ich werde mich an den Gedanken gewöhnen müssen wenn ich weiter mich euch befreundet sein will, nicht?" In dem Moment wäre ich Witz am liebsten um den Hals gefallen. Aber ich konnte mich zum Glück beherrschen.

„Witz… das ist… danke!", sagte ich nur.

„Du weißt nicht, was das für uns bedeutet", stimmte Pony mit ein. Er hatte inzwischen aufgehört zu zittern und sogar wieder etwas Farbe im Gesicht bekommen. Witz machte eine abwinkende Handbewegung.

„Hey, ich bin tolerant, was soll ich sagen. Und so ein großes Drama ist es ja nun auch nicht".

„Witz, du bist ein Schatz! Ich könnte dich küssen", rief ich glücklich. Aber Witz setzte sein gewohntes breites Grinsen auf und meinte: „Lieber nicht. Und ich wette der da – er deutete auf Pony – kann das eh viel besser als ich".

Jetzt mussten auch Pony und ich grinsen.

„Aber, was ist mit deiner Freundin Pony?", fragte er nach einer Weile nachdenklich. Pony und ich setzten ein betretenes Lächeln auf und blickten Witz an. Es dauerte einen Moment, aber dann schien bei ihm der Groschen zu fallen.

„…verstehe… blonde Haare, braune Augen… tsk, Soda, Soda!" Ich zuckte nur entschuldigend mit den Schultern.

„Und du wirst Darry wirklich nichts sagen?", hakte Pony nach. Witz schüttelte den Kopf.

„Ich kann mir denken, was er mit euch anstellt wenn er dahinter kommt. Ich glaube nicht, dass ihm das gefallen würde. Und ich habe euch beide zu gerne als dass ich euch tot unter der Erde sehen möchte. Also keine Angst, ich werde es niemandem verraten".

„Danke…"

„Keine Ursache. Aber jetzt lasst euch nicht weiter stören, ihr wart ja wohl beim Kochen wie es aussieht. Ich wollte eigentlich auch nur nachfragen ob Ponyboy vielleicht Lust hätte etwas mit mir zu unternehmen. Wusste ja nicht, dass er bereits Gesellschaft hat. Aber überhaupt, was machst du eigentlich schon hier Soda? Müsstest du nicht arbeiten?"

Während Pony und ich uns wieder ordentlich herrichteten, erzählte ich ihm, warum ich um diese Uhrzeit bereits zu Hause war. Anschließend drehte ich den Herd wieder an und briet meine Schnitzel weiter. Für Witz holte ich auch noch eins.

Als Darry am Abend nach Hause kam, vollkommen geschafft und offensichtlich schlecht gelaunt, saßen Pony, Witz und ich gerade auf der Verandatreppe und teilten uns eine Flasche Bier. Den ganzen Nachmittag über hatte Witz uns mit Fragen gelöchert, er war wirklich sehr neugierig. Er wollte alles wissen. Und egal was wir ihm erzählten, es war ihm noch nicht genug. Ich denke, er war vielleicht ein kleines bisschen eifersüchtig. Nicht direkt auf einen von uns, aber dass wir überhaupt jemanden hatten und er nicht. Ich glaube, er sehnte sich wirklich nach einer ernsthaften, festen Beziehung. Nicht ständig diese One-Night-Stands mit irgendwelchen namenlosen Blondinen die mit den falschen Brüsten und dem zentimeterdicken Make-up, die eh alle gleich aussahen. Ich hoffte für ihn, dass er auch bald jemanden finden würde, er verdiente es.

Schon als wir Darry die Straße entlang fahren sahen wussten wir, dass er schlecht gelaunt war. Er fuhr immer zu schnell und halsbrecherisch wenn er wütend war. Um Dampf ab zu lassen, wie er sagte. Mit einem heftigen Ruck blieb das Auto vor unserem Haus stehen. Darry stieg aus und die Tür knallte zu. Mit energischen Schritten kam er auf uns zu und wenn wir nicht so damit beschäftigt gewesen wären, ihn an zu sehen, hätten wir vielleicht daran gedacht, Pony die Flasche ab zu nehmen. Aber so kam uns dieser Gedanke nicht. Erst als Darry Sich vor uns aufbaute, uns mit seinen eisblauen Augen böse anfunkelte und fauchte: „Warum trinkt der Kleine Bier! Ich hatte es doch verboten oder nicht! Soda!"

„Err…"

„Widersprich mir nicht! Keiner von euch sollte trinken, auch du nicht! Nimm deine Flasche Matthews und geh nach Hause. Ihr beide geht dieses Wochenende nicht raus. Ich lasse es nicht zu, dass ihr euch sinnlos die wenigen Gehirnzellen weg sauft die ihr noch habt!"

„Aber…" Witz wollte etwas sagen, hielt aber bei Darrys Blick inne und machte den Mund wieder zu.

„Worauf wartest du!", rief Darry böse. Als Witz sich nicht bewegte – ich habe keine Ahnung was in seinem Hirn vorging, ich an seiner Stelle hätte gesehen dass ich Land gewinne – schnaubte Darry wütend, riss Pony die Flasche aus der Hand und schleuderte sie hinter sich, ohne zu gucken wohin sie flog. Und sie flog weit. Er hätte gut einen Passanten treffen können oder ein Auto oder eine Fensterscheibe. Aber er hatte Glück und sie zerschmetterte nur mit einem lauten Krachen an einem Hydranten. Endlich begriff Witz, dass mit Darry heute nicht zu scherzen war und so erhob er sich endlich und machte einen Schritt auf die Straße zu. Dabei murrte er darüber, dass das Bier teuer gewesen wäre und dass er sich das Geld von Darry zurückholen würde.

„Ich bin weg. Macht's gut ihr beiden". Er drehte sich noch einmal um, um Pony und mir zuzuwinken, dann schlenderte er davon. Und Pony und ich wandten uns wieder unserem großen Bruder zu.

Der war inzwischen an uns vorbei die Treppen hinauf gestiegen und wollte gerade das Haus betreten.

„Hey Sonnenschein, was sollte der Auftritt denn eben?", fragte ich in einem leichten Anflug von Lebensmüdigkeit. Aber Darry warf mir nur einen vernichtenden Blick zu, bevor er im Haus verschwand. Ich sah Pony fragend an aber der sah nur mies gelaunt zurück.

„So sauer war er ja schon ne Weile nicht mehr. Ich hoffe da ist nichts passiert", sagte ich besorgt.

„Ist mir ehrlich gesagt scheiß egal was der wieder hat. Er hat uns ein ganzes Wochenende Hausarrest erteilt für nichts und wieder nichts. Das ist die pure Willkür, für wen hält der sich eigentlich!", schimpfte Pony.

„Ich geh trotzdem mal fragen", meinte ich und stand auf. Pony murrte, ich konnte ihn verstehen. Aber irgendetwas war mit Darry nicht in Ordnung und ich wollte wissen was. Immerhin war er mein Bruder und es war meine Pflicht heraus zu finden was ihn bedrückte. Also ließ ich Pony auf der Veranda zurück und folgte Darry ins Haus. Ich fand ihn in der Küche wo er am Tisch saß und ungeduldig darauf wartete, dass der Kaffee durchlief.

„Hey Bro, was ist los?", fragte ich und setzte mich zu ihm. Er warf mir nur einen finsteren Blick zu, dann drehte er sich wieder weg.

„Komm schon, was ist passiert? Ist es was mit der Arbeit? Hast du dich verletzt?"

„Schwachsinn!"

„Was dann?"

Er schwieg eine Weile, dann erzählte er mit einem verbitterten Gesichtsausdruck: „Dieses miese Schwein will mir mein Geld nicht geben"

„Was? Aber wieso nicht?"

„Er hat mir gekündigt. Sie steckten in einer Krise und müssten Arbeitskräfte reduzieren, hat er gesagt. Dabei hat er sich erst vor drei Tagen ein neues Auto gekauft. Und dann hat er mir einfach dreist ins Gesicht gesagt, dass er mich nicht auszahlen kann. Damit ist der Lohn für die ganzen letzten drei Monate weg! Da arbeitet man da jeden Tag von morgens bis abends wie ein Sklave und dann verweigert das Schwein einem einfach den Lohn. Nur weil er weiß, dass einer wie ich nichts dagegen unternehmen kann. Es kotzt mich alles so an!" Betreten sah ich meinen Bruder an. Das war nicht das erste Mal, dass so was passierte. Es kam öfter vor das Unternehmen Leute wie uns so um unser Geld betrogen, weil sie genau wussten, dass wir nicht die Mittel hatten um rechtliche Schritte gegen sie einzuleiten. Zwar würden wir gewinnen, aber die damit verbundenen Kosten wären so hoch, das unter dem Strich nichts heraus kommen würde, im schlimmsten Fall sogar noch Schulden. Aber gleich für drei Monate… das war hart. Wir waren auf Darrys Geld angewiesen. Mein Tankstellenjob brachte uns nicht genug ein, um drei Leute durchzubringen. Und Ponys Schulsachen verschlangen jedes Mal Unsummen. Und bald würde wieder ein neues Schuljahr beginnen.

„Ich brauche dringend einen neuen Job. Gleich morgen mache ich mich auf die Suche", erklärte Darry. „Vielleicht hat Dally auch was für mich. Aber wenn ich nicht ganz schnell was finde muss Pony die Sommerferien über wieder arbeiten und versuchen, das Schulgeld selbst zusammen zu bekommen".

Ich bezweifelte, dass es soweit kommen würde. Darry war immer ganz verbissen gewesen wenn es darum ging einen neuen Job zu finden und er nahm ausnahmslos alles an was nur irgendwie Geld brachte, wenn es wirklich eng war. Es war erst ein Mal nötig gewesen, dass Pony mit half, das war vor zwei Jahren gewesen, als Darry sich bei einer Schlägerei einen komplizierten Beinbruch zugezogen hatte und über ein halbes Jahr lang nicht richtig arbeiten konnte. Gerade in der Zeit war es an unserer Tankstelle auch nicht gut gelaufen, weil wir gleich drei Mal hintereinander überfallen worden waren. Damals hatte Pony einen Job in einem Supermarkt bekommen. Zuerst hatte er ja auf dem Bau arbeiten wollen wie Darry, aber Darry hatte es ihm untersagt. Die harte Arbeit sei nichts für einen 15 Jährigen und er wollte nicht, dass Pony sich dabei verletzte. Jeden Tag nach der Schule hatte Pony im Laden gestanden und Tüten gepackt und in den Ferien war er jeden Morgen bereits um sechs Uhr aufgestanden. Darry machte sich die ganze Zeit über wahnsinnige Vorwürfe, aber wir hatten keine andere Wahl. Und ich weiß, dass Pony das verstand, auch wenn er sich seine Ferien anders vorgestellt hatte.

Ich wusste, dieses Mal würde Darry es nicht wieder so weit kommen lassen.

Ich stand auf, ging zur Kaffeemaschine und goss Darry und mir eine Tasse ein. Lange Zeit saßen wir schweigend am Küchentisch bevor Darry meinte: „Soda, bitte sag Ponyboy nichts. Wir müssen ihn damit nicht belasten".

„Darry, ich denke er hat bereits alles mitbekommen. Ich müsste mich schon sehr irren wenn er nicht schon eine ganze Weile vor der Tür steht und lauscht. Nicht wahr Pony?" Wie ich es erwartet hatte dauerte es eine kleine Weile, aber dann ging die Küchentür auf und Pony trat mit gesenktem Kopf ein.

„Woher wusstest du, dass ich da war?", fragte er.

„Ich weiß doch wie neugierig du bist".

„Also gut Pony, dann kann ich ja offen reden", begann Darry und sah Pony fest an. „Ab so fort wird noch mehr gespart als sonst. Das heißt: kein Kino mehr, keine stundenlangen Duschorgien mehr – guck mich nicht so an, ich weiß dass du trotz meiner Ermahnungen weiterhin oft eine halbe Stunde oder länger unter der Dusche stehst. Bisher habe ich es dir durchgehen lassen aber jetzt ist Schluss damit. Weiterhin werden nicht mehr so viele Getränke gekauft. Wir können auch ganz normales Wasser trinken, wie andere Leute auch. Ganz wichtig ist auch Strom sparen. Das heißt, wenn keiner im Raum ist, wird der Fernseher ausgeschaltet – er sah besonders mich streng an –, Nachts wird nicht mehr so lange gelesen, das kannst du tagsüber machen – diesmal Pony – und wer den Raum verlässt macht das Licht aus. Neulich kam ich von der Arbeit nur um fest zu stellen, dass den ganzen Tag über das Licht über dem Küchentisch gebrannt hatte". Pony verzog schmerzhaft das Gesicht. Das waren ziemlich heftige Einschnitte.

„Habe ich mich klar ausgedrückt?"

„Ja…", antworteten Pony und ich gleichzeitig und seufzten.

An diesem Abend blieb der Fernseher aus, stattdessen spielten wir Mensch Ärgere Dich Nicht. Das war eigentlich ganz lustig und wir alle genossen die letzten Flaschen Limonade, die wir noch im Hause hatten. Darry ging schon gegen 9 Uhr ins Bett, er wollte am Morgen früh raus um sich gleich auf die Suche zu machen. Pony und ich spielten noch ein paar Runden, bevor wir dann so gegen 11 Uhr auch ins Bett gingen. Darry schlief schon fest und wir bemühten uns, ihn nicht zu wecken. Auch las Pony an dem Abend nichts mehr, sondern lag einfach nur still in meinen Armen und wir beteten beide, dass Darry einen guten Job finden möge.

- - - - -

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte war Darry bereits weg. Pony ging in die Schule und ich zur Tankstelle, wo Steve bereits wartete. Die neue Aushilfe putzte gerade die Fenster als ich ankam und warf mir ein gelangweiltes ‚Guten Morgen' an den Kopf. Ich antwortete ähnlich euphorisch, bevor ich mir die Morgenzeitung nahm, mich in mein Häuschen setzte und die Stellenanzeigen studierte.

„Was los? Gefällt dir der Job hier nicht mehr?", fragte Steve, nachdem er mir eine Weile über die Schulte gesehen hatte.

„Ach Quatsch. Ich gucke nur. Darry hat den Job beim Bau nicht mehr, jetzt sucht er was Neues. Ich wollte nur gucken ob vielleicht was Passendes dabei wäre. Leider Fehlanzeige."

„So, hat er gekündigt oder was?"

„Nein, aber sie sind wohl zu dem Entschluss gekommen, dass sie nicht mehr so viele Arbeiter brauchen".

„Scheiße… hoffentlich findet er bald was neues, sonst kriegt ihr nachher noch Probleme".

„Ja, hoffen wir's…"

Ich weiß nicht, warum ich Steve nicht das ganze Ausmaß der Situation erzählte.

- - - - -

Als ich nach Hause kam, war von Pony nichts zu sehn, nur ein Zettel lag auf dem Küchentisch. ‚Bin bei Witz zum Essen. Bin vor Mitternacht zurück. Ponyboy'. Diese Zettel waren Pflicht bei uns. Wenn jemand weg blieb musste er genau aufschreiben wo er war und wie lange. Das war sicherer, falls etwas passierte. So wussten wir wenigstens, wo wir anfangen mussten zu suchen wenn jemand irgendwann mal nicht nach Hause kam. In unserer Gegend passierte das leider ziemlich häufig. Vor allem erwischte es Pony, weil Darry sich ganz gut wehren konnte und ich so gut wie nie alleine irgendwo hinging.

Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann langweilte ich mich bereits zu Tode. Nicht nur, dass ich ganz alleine war, ich traute mich auch nicht, den Fernseher an zu machen. Ich hätte Darry gegenüber ein viel zu schlechtes Gewissen. Ich entschied für mich, dass ich erst wieder Fernsehen gucken würde, wenn Darry einen Job gefunden hatte. Und da alleine essen auch doof ist, machte ich mir schnell ein Sandwich und machte mich sogleich auf den Weg zu Witz Haus. Der Weg war nicht weit und als ich ankam, begegnete mir im Hausflur Witz Mutter, die gerade den Müll raus brachte. Ich mochte Witz Mutter gerne und nachdem sie sich eine Weile darüber aufgeregt hatte, dass es eigentlich Witz Aufgabe gewesen sei den Müll raus zu bringen, sagte sie mir, dass ich ihn und Pony in seinem Zimmer finden würde. Und sie bat mich, ihrem Sohn an ihrer Stelle eine runter zu hauen, weil er so unzuverlässig sei. Ich grinste sie fröhlich an, wünschte ihr noch einen schönen Abend und verschwand schnell nach oben.

Pony und Witz lagen auf Witz Bett, als ich den Raum betrat. Sie hatten jeder eine Konsole in der Hand und spielten Sega. Sie waren so vertieft in das Spiel dass sie mich gar nicht bemerkten. Ich schlich mich vorsichtig ans Bett heran, dann warf ich mich mit einem lauten Schrei auf meinen kleinen Bruder drauf und erschreckte ihn dadurch so sehr, dass er ebenfalls laut aufschrie und die Konsole auf den Boden fallen ließ. Witz, der sich erschrocken zu mir umgedreht hatte, fing an zu grinsen als er mich erkannte, wandte sich dann aber schnell wieder dem Spiel zu. Inzwischen hatte Pony seinen Kopf so weit gedreht, dass er mich sehen konnte und stieß dann einen wütenden Laut aus.

„Du Mistkerl! Erst erschreckst du mich zu Tode und dann lenkst du mich auch noch vom Spiel ab… Siehst du, siehst du! Jetzt habe ich verloren! Und ich war so gut! Du verdammter Mistkerl du!" Durch buckeln versuchte Pony, mich von sich runter zu schmeißen, aber ich ließ mich nicht so einfach runter werfen. Und Pony, der auf dem Bauch lag, hatte eindeutig die schlechteren Karten. So sehr er sich auch wand und fluchte, ich blieb wo ich war und lachte nur.

„Jetzt geh endlich von mir runter, du bist verdammt schwer!", schimpfte er und versuchte, sich unter mir weg zu rollen. Aber auch das ließ ich nicht zu. Mir gefiel er da wo er war am besten. Nachdem er erkannte, dass es aussichtslos war und er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, beugte ich mich zu ihm herunter und küsste ihn auf die Wange. Sofort fing er wieder an zu zappeln.

„Das ist nicht fair! Witz, jetzt hilf mir doch mal!" Aber Witz dachte gar nicht daran. Der war mit seinem Spiel beschäftigt und ließ sich auch durch unser Gestrampel auf dem Bett nicht aus der Ruhe bringen.

Weil ich meinen Bruder schon mal so passend da liegen hatte, wollte ich die Gelegenheit auch nutzen. Ich setzte mich also auf und zog sein T-Shirt hoch. Pony, der zu ahnen schien was ihn erwartete, begann sofort wieder um sich zu schlagen und mit den Beinen zu strampeln, aber ohne Erfolg, ich konnte ihn ohne größere Mühe unten halten.

„So, und das ist die Strafe dafür, dass du nicht still liegen kannst", sagte ich und fing an, sacht mit den Fingern seine bloßen Seiten entlang zu fahren. Ich wusste, dass Pony dort sehr kitzelig war und er fing gleich an, sich zu winden und zu schreien aber ich zeigte kein Erbarmen. Gnadenlos suchte ich mir alle seine empfindlichen Stellen heraus und attackierte sie.

Zum Schluss schrie er so laut und schlug so heftig um sich, dass Witz mir einen gespielt genervten Blick zu warf und mich bat, dem Jungen doch wenigstens mal etwas Zeit zum Luft holen zu geben und ihn selber endlich in Ruhe spielen zu lassen. Und weil ich ja ein netter Kerl bin, erfüllte ich ihm diese Bitte. Pony lag keuchend da, hatte aber trotzdem noch genug Luft um mir Verwünschungen an den Kopf zu werfen. Also tat ich das, was jeder in meiner Situation getan hätte: ich begann auf seinem Rücken auf und nieder zu hüpfen. Das nahm ihm dann auch noch die letzte Luft um mich zu beschimpfen.

„Soda, man, lass den armen Jungen doch atmen, du erdrückst ihn ja!", meinte Witz grinsend. Aber ich dachte gar nicht daran.

„Sag, dass du von jetzt an schön brav still liegen wirst!", befahl ich und ließ mich mir voller Wucht auf meinen kleinen Bruder fallen. Aber der keuchte nur und versuchte weiterhin nach mir zu treten. Also das ging ja wohl nicht!

„You asked for it…", meinte ich achselzuckend, hielt im Hüpfen inne und setzte stattdessen meine Kitzelattacke fort. Es dauerte nicht lange und Pony hatte Tränen in den Augen vor Lachen.

„Sag es!", befahl ich.

„Vergiss es!", stieß er hervor und bekam dafür einen derben Kniff in die rechte Seite.

„Sag es!", forderte ich wieder und endlich gab er auf.

„Ja!", rief er.

„Ja, was?"

„Ja, ich werde still liegen! Bitte hör auf!", schrie er förmlich.

„Ok, weil du mich so nett bittest", meinte ich grinsend und ließ von ihm ab. Eine Weile lang konnte Pony gar nichts mehr sagen, er musste erst einmal wieder zu Atem kommen. Ich nutzte die Zeit und fragte Witz, was es zu Essen gegeben hatte. Er erzählte, dass seine Mutter sich an selbst gemachten Ravioli versucht hatte, die gar nicht so schlecht gewesen sein. Ich wandte mich wieder an meinen Bruder.

„So, du hast also Ravioli gekriegt, ja? Und ich? Ich musste mich mit einem mickrigen Sandwich zufrieden geben, weil mein kleiner Koch ja abgehauen ist. Was glaubst du eigentlich, wie ich ohne dich an was zu Essen kommen soll? Eh?", fragte ich und zupfte sein T-Shirt wieder in Ordnung.

„Keine Ahnung, bist doch ein großer Junge", keuchte Pony und bereute diese freche Antwort sofort.

„Pony, wenn ich du wäre, würde ich mir besser überlegen was ich sage. Ich glaube, du bist im Moment nicht in der Position, in der du dir Frechheiten erlauben kannst", meine Witz, von einem Ohr zum anderen grinsend. Er hatte offensichtlich Spaß an unserem kleinen Schauspiel gefunden. Aber ich glaube, da war er nicht der einzige.

„Also, nächster Versuch", sagte ich.

„Schon gut, schon gut, ich mache dir was zu Essen wenn wir wieder zu Hause sind! Zufrieden?", versuchte es Pony.

„Schon besser".

„Gehst du jetzt endlich von mir runter? Ich bin bestimmt schon ganz durchgesessen".

„Hm, ich glaube nicht. Denn weißt du, eigentlich sitze ich hier ganz gut. Du gibst wirklich ein gutes Sitzkissen ab. Was meinst du Witz, willst du's auch mal ausprobieren? Sehr bequem…"

Wehe! Ich warne euch!", begann Pony sofort zu schreien.

„Du zappelst ja schon wieder rum…", warnte ich. Nur ziemlich widerwillig hielt Pony still.

„Ich warne dich Witz Matthews… Wenn du es wagen solltest…", drohte er aber Witz lachte nur.

„Keine Angst Ponyboy, ich liege ganz gut hier. Ich habe es nicht so gerne, wenn meine Sitzgelegenheit rumzappelt wie ein wild gewordenes Wildschwein".

„Willst du sagen ich bin ein Wildschwein?"

„Nun, du isst zum Mindest wie eins…"

Witz Matthews! Warte nur bis ich hier weg komme!"

„Na, nicht schon wieder solche Drohungen aussprechen hier!", mischte ich mich ein und gab Pony einen spielerischen Klaps auf den Hinterkopf. Seine Antwort war ein Knurren, aber immerhin blieb er still liegen. Ich war stolz auf ihn. Zur Belohnung wollte ich ihm etwas mehr Komfort verschaffen und erhob mich ein Stückchen. Wie erwartet fing er sofort an sich zu drehen als er merkte, dass ich nicht mehr auf ihm saß. Aber sobald er sich auf den Rücken gedreht hatte, ließ ich mich wieder fallen. Endlich konnte ich in sein errötetes Gesicht sehen. Seine braunen Augen glänzten. Ich sah, dass er Anstalten machen wollte, sich erneut aus meinem Griff zu winden, aber ich kam ihm zuvor.

„Bevor du jetzt unüberlegt handelst denk daran, dass wir die ganze Prozedur auch so herum noch einmal wiederholen können. Und ich weiß, dass du auf dem Bauch noch viel kitzeliger bist…" Bei dem Gedanken fing Pony leise an zu wimmern. Ich grinste zufrieden.

„Kluger Junge…"

Unsere Blicke trafen sich. Und endlich konnte ich das tun, worauf ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. Ich beugte mich zu ihm herunter und küsste ihn

Schade, dass er noch so außer Atem war, so mussten wir ziemlich schnell wieder aufhören. Als ich aufblickte sah ich, dass Witz uns zusah. Ich kann den Ausdruck in seinen Augen nicht beschreiben, aber es war irgendetwas zwischen Neugierde, Interesse und Neid.

„Entschuldige…", sagte ich und richtete mich wieder ganz auf. Ich hatte ganz vergessen, dass Witz unsere Beziehung zwar akzeptierte, aber vielleicht nicht unbedingt mit ansehen wollte.

„Nein, schon ok", meinte er lächelnd. „Solange ihr wenigstens noch die Hosen anbehaltet soll's mir egal sein"

„Witz, das ist so cool von dir!", sagte ich ehrlich gerührt. Er grinste nur.

„Was soll ich machen, ihr seid einfach süß zusammen"

„Ich bin nicht süß", murrte Pony plötzlich. Überrascht sah ich ihn an.

„Zucker ist süß. Ich bin ein Kerl! Außerdem sagen so was nur Mädchen", meinte er und zog einen kleinen Schmollmund.

„Ach und ob du süß bist", neckte ich ihn.

„Zuckersüß geradezu", pflichtete mir Witz bei.

Ich grinste, dann beugte mich wieder zu ihm herab und gab ihm einen Kuss auf die Nase. Ich weiß, dass, egal wie sehr ihn die Formulierung ‚süß' störte, er sich wirklich darüber freute. Denn er wusste, es war nur eine Art auszudrücken, wie sehr ich ihn liebte.

Pony und ich blieben noch den ganzen Abend bei Witz. Wir spielten Sega (ich war richtig gut!), redeten, balgten weiter herum und ich kam sogar dazu, ihm die Ohrfeige seiner Mutter zu überbringen.

Es wurde viel zu schnell spät. Schon war es zwanzig vor zwölf und Pony und ich mussten bis Mitternacht zu Hause sein. Und da ich ja auch noch was zu Essen haben wollte beschlossen wir, uns besser langsam auf den Weg zu machen. Wir verabschiedeten uns von Witz und seiner Mutter und gingen los. Unterwegs überlegte ich, dass wir Witz jetzt viel näher waren als noch vor ein paar Tagen. Die Tatsache, dass er in unser Geheimnis eingeweiht war, machte unsere Freundschaft irgendwie tiefer. Es war ein schönes Gefühl.

„Ich hab schon gedacht ihr kommt gar nicht mehr!", war Darrys Begrüßung als wir das Haus betraten. Er räumte gerade den Wohnzimmertisch frei. Das war sehr ungewöhnlich. Normalerweise hatten wir Aufräumtage, da mussten wir dann alle mithelfen. Keiner von uns räumte gerne auf, darum würden wir niemals auf die Idee kommen, es von alleine zu tun. Wenn schon mussten die anderen mit leiden.

„Und?", fragte ich und sah Darry ernst an. Er wusste was ich meinte. Aber er zuckte nur mit den Schultern.

„Ich räume ein bisschen auf. Dally kommt gleich vorbei. Und ihr zwei macht, dass ihr ins Bett kommt!"

„Wieso räumst du auf, nur weil Dally kommt?", fragte ich, ernsthaft verwirrt. Auch Pony zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Er hat vielleicht was für mich. Aber dazu brauchen wir Ruhe, also macht, dass ihr ins Bett kommt". Mysteriös. Aber nun gut, wenn er meinte…

„Ich muss nur noch schnell was essen, dann sind wir weg", erklärte ich und Pony und ich verschwanden sogleich in der Küche.

„Also, was willst du haben?", fragte Pony.

„Fischstäbchen", antwortete ich ohne zu zögern. Ich aß Fischstäbchen für mein Leben gern. Schnell nahm Pony eine Packung aus dem Eisfach und holte die Pfanne hervor. Natürlich hätte ich ihm helfen können, aber ich wollte nicht. Ich saß bequem am Küchentisch und sah aus dem Fenster.

„Ist noch Limo da?" Pony schüttelte den Kopf. Ich murrte.

„Ok, dann Kakao".

„Kannst du dir ruhig selber machen".

„Och komm schon, ich habe den ganzen Tag schwer gearbeitet. Jetzt gönn einem alten Mann doch mal ein bisschen Ruhe und bring ihm seinen hart verdienten Kakao". Pony rollte mit den Augen, gab dann aber doch nach und brachte mir Milch und Kakaopulver.

„So, den Rest wirst du ja wohl noch alleine hinkriegen", meinte er und wendete die Fischstäbchen in der Pfanne. Ich seufzte theatralisch aber Pony ignorierte mich. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mir meinen Kakao selber anzurühren.

„So, fertig", meinte Pony nach einer Weile und stellte mir die Pfanne vor die Nase. Dann holte er noch zwei Teller und die Flasche Ketchup raus und wir begannen zu essen.

„Warum isst du eigentlich mit, eh? Du hattest doch schon was", merkte ich an.

„Aber das ist auch schon ein paar Stunden her. Und ich bin doch noch im Wachstum, ich brauche viel zu Essen", erklärte er. Pah, verfressene kleine Socke.

Trotzdem blieben am Schluss noch zwei Fischstäbchen übrig. Wir boten sie Darry an und der aß sie gleich aus der Hand, obwohl sie inzwischen schon kalt geworden waren. Es schien ihn nicht zu stören. Natürlich kam gerade in dem Augenblick, in dem er den Mund voll hatte, Dally zur Küchentür herein und grinste uns alle verschlagen an.

„Hey Darry; na ihr Zwerge", grüßte er und schnupperte.

„Riecht gut. Was gab's?"

„Fischstäbchen, aber die letzten hat Darry gerade gegessen. Tut mir Leid für dich", erklärte ich.

„Halb so tragisch, ich hab schon gegessen. Ist ja immerhin schon Mitternacht. Das soll gar nicht gesund sein so spät noch zu essen"

„Wo hast du das denn her?"

„Hat mir irgend so ne Tussi neulich erzählt. Eigentlich wollte ich sie ja nur flachlegen, aber ich glaube sie hat das missverstanden, denn die hat geredet und geredet und mir n Knopf an die Backe gelabert. Als wenn mich das auch nur die Bohne interessiert hätte. Hat die ganze zeit nur son Gesundheitskram gebrabbelt. Die war wirklich heftig. Aber zum Glück hatte sie noch ne Freundin in der Nähe", erzählte Dally mit einem dreckigen Grinsen. Pony und ich lachten, während Darry nur die Augen verdrehte.

„Also, ihr habt's gehört ihr beiden. Ab so fort wird so spät nichts mehr gegessen", meinte Dally und zwinkerte uns zu, während mein Bruder ihn energisch aus der Küche schob.

„Seht zu, dass ihr da fertig werdet. Und wenn du noch ein Mal die Milch draußen stehen lässt, Sodapop Curtis, dann zieh ich dir die Ohren lang, verstanden!" Pony und ich stießen wieder ein einstimmiges: „Ja" hervor.

Später im Bett fragte Pony leise: „Was meinst du, was ist das für ein Job, den Dally ihm verschaffen will?"

„Keine Ahnung, aber es sah nach sehr viel Papierkram aus, als ich eben vorbei ging. Irgendwas mit Zahlen. Rechnungen vielleicht, oder Bestelllisten, keine Ahnung. Er wird es uns morgen sicher sagen".

„Wo sollte Dally so einen Job her haben?"

„Frag mich nicht. Ich hoffe nur, es ist nichts Illegales".

„Wird schon nicht. Dally wäre das zuzutrauen, aber Darry nicht. Eher lässt er uns verhungern bevor er was Illegales macht".

„Vermutlich hast du Recht".

„Weiß ich doch", grinste Pony und ich kniff ihm zur Strafe spielerisch in die Seite. Er quiekte laut, aber wir erinnerten uns daran, dass Darry um Ruhe gebeten hatte und wir wollten ihn nicht verärgern. Also mussten wir uns eine leisere Aktivität suchen. Kuscheln zum Beispiel.

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