Disclaimer: Und noch immer konnte ich den Tolkien-Estate nicht überreden, mir für ein Butterbrot (im wörtlichen Sinne) seine Rechte an den Werken des großen Meisters zu überlassen. Also borg ich es mir weiter aus, spiel damit rum und hoffe, er nimmt es mir nicht übel.
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A/N: Dies ist wirklich das letzte Kapitel dieser Geschichte, auch wenn mein Fehlerfindel das nach dem Lesen gar nicht glauben wollte. Hab ich etwa versprochen, alle Fragen zu beantworten? Nö, sonst bleibt ja nix. Und nur mal angenommen, es käme noch eine vierte Story – was soll denn dann da passieren? Legolas wird beim Blumenpflücken von Bienen überfallen? Figwit bricht sich einen Fingernagel ab? Elrond findet den genialen Trank, der strumpelig macht, ohne beim Alko-Test was anzuzeigen? Also, steinigt mich nicht, wenn nach diesem kurzen Abschlusskapitel noch ein paar Fragen offen sind +unschuldiglächel+
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Mi-Ethirn: Ich sehe, du hast eine ähnliche Fantasie wie ich. Als ich die Szene geschrieben hab, überkamen mich ähnliche Erinnerungen. Ich hab mir allerdings erspart (eigentlich hab ich es den beiden erspart), dass sie auch noch einen Teller Bohnen mit Tomatensoße finden. Und naja, das Kinderlied, so idyllisch sind die nicht. Meine Oma hat mir folgendes beigebracht: Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommernland, Pommernland ist abgebrannt, Maikäfer flieg. – Das ist auch nicht gerade die heile Welt schlechthin, gelle?
Tanja: Hihi, bald weiterschreiben? Ich bemüh mich. Solange musst du ein oder zwei Lückenfüllern ertragen. Mit Elrond fängt es an.
Serena: Hauptsache, es gefällt noch und macht Spaß. Hm, den Spruch kenn ich aber anders: Kleine Kinder, große Sorgen, große Kinder, noch größere Sorgen. Nicht, dass ich hier den Schwarzseher raushängen lassen will +fg+
Shelley: Aber erst muss ich mal dieses Norton-Abo abarbeiten bzw. die Norton-Leuten müssen das. Bis Oktober sind sie mir noch was schuldig. Den anderen seh ich mir dann an. Nee,nee, bezahlt ist bezahlt – Geizhals raushängen lass.
Wieso bäx? Die hat ja nun wirklich Ärger verdient, hetzt alle auf und bringt die netten Elben in Schwierigkeiten. Genau! Ich hätte sie ja auch von Erestor oben vom Turm schubsen lassen können. Zuviel Elben verderben den Kampf, sag ich immer. Wenn das Fußvolk die Sache im Griff hat, können die Fürsten und Könige ruhig mal Pause machen.
Feanen: Na, und? Ist gut gelaufen, gelle? Da bin ich mir ganz sicher. Immerhin hast du große Reisepläne und die dürfen durch Verzögerungen in der Prüfung nicht aufgehalten werden. Jetzt nur noch mündliches und du hast es geschafft. Abgesehen davon, dass an der Uni die Prüfungen wieder von vorne losgehen. Vergiss den letzten Satz, ich will dir nicht die gute Laune verderben.
Amicahelena: England? Hm, ist eine Weile her, dass ich dort war und dann war es auch noch ein absoluter Kurztripp, weil wir Konzertkarten hatten. Aber war schön, auch wenn mein Begleiter den Orientierungssinn eines Hundehaufens hatte.
Tja, die Nummer vier ist wohl sehr wahrscheinlich. Dabei fand ich die Bezeichnung ‚Trilogie' so nett. Was sind vier Storys eigentlich?
Aida: Umzug? Ich hasse Umzüge, am Ende findet man nur noch die Hälfte wieder, wochenlang stehen noch Kartons rum, in denen nicht wirklich was nützliches sein kann, sonst hätte man sie längst ausgepackt und die Helfer sind noch unorganisierter als man selbst. Umzüge, bäh!
Ein bisschen Romantik hab ich hoffentlich noch rein gebracht, aber nicht mit Bat-Erestor auf seinem Bat-Pferd und der bösen Kloaken-Hestia +kicher+
MoonyTatze: Hi, Moony. Ich dachte mir, die beiden müssen nicht auch noch mitmischen, sind schon genug da, die aus dem Troll versuchen, einen Käse-Igel zu machen. Außerdem hätten mir sonst die gefehlt, die den Flying Erestor auffangen. Wäre doch zu peinlich gewesen, wenn er kopfüber im Burghof stecken geblieben wäre.
Vypox: Hausmeister Borzo schlurft herein: Ej, Schreiberling, hier hat ein Zwerg ganz viel Reviews für dich abgegeben. Sie war die dreihhundert.
Zita: hab ich gelesen. Ich arbeite dran. Gibt einen Dankes-Keks, selbstgebacken, unter Ausschluss der Gewährleistung. Ringe noch um Fassung.
H.B.: Ratte zur Stärkung?
Zita: äh, nein danke. Also, um mal das Hauptthema aufzugreifen – du willst also Beschreibungen von nackten Elben, was? Erestor, Thranduil, tststs. Nicht in Heiler, das sind ordentliche Geschichten, vom Legendenbilder Elrond eigenhändig abgesegnet. Obwohl er ja noch an den Kanten der Charaktere feilt, weil sie ihm doch zu (wie sagt er immer?) menschlich sind.
H.B.: Echt keine Ratte?
Zita: Ruhe im Untergeschoss! Elrond, gerade von einer schweren Krankheit genesen, von der sich zu seiner Erleichterung rausstellte, dass es ein heimtückischer Anschlag war (zitat: wo kämen wir denn da hin, wenn Elben krank werden), wird mehrere Kapitel streichen, in denen Elben verfressen, unbeherrscht, rachsüchtig, drastisch in der Wahl der Mittel und natürlich nicht frisch frisiert sind. Sobald er versteht, wie Schreiberlings PC funktioniert, legt er los.
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26. Kapitel: Fürchte dich, Kind, fürchte dich sehr
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Auch noch lange, nachdem die Reiter den großen Innenhof des Hauses verlassen hatte, blieb Elrond auf der Treppe stehen und genoss die letzte Wärme, mit der die Herbstsonne das Tal wärmte. Nur noch wenige Wochen und der Winter kam über das Land. Schnee würde alles überdecken und die Zeichen löschen, die dieses Jahr in die Landschaft gegraben hatte. Die Spuren, die dieser Sommer in den Herzen der Lebenden hinterlassen hatte, würden nicht so einfach auszulöschen sein.
Elronds Gedanken folgten den Reitern eine Weile. Ardalos und Meliara würden dieses Mal die Grauen Anfurten unbehelligt erreichen. Gildor und eine starke Abteilung der Bruchtalgarde bewachten ihren Weg nach Westen. Außerdem gab es die Gefahr von den Trollhöhen nicht mehr. Keine Räuber und so war es ein sehr stiller Moment gewesen, als sie die Überreste der Toten geborgen hatten, die Marsden auf dem Gewissen hatte. Keiner hätte den Gedanken ertragen, dass sie weiter wie Abfall zwischen den Felsen lagen – dort, wo auch Gildor beinahe gestorben wäre.
Elrond seufzte leicht. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, Ardalos und Meliara davon abzuhalten, sich einfach zum Sterben niederzulegen, als sie erfahren mussten, wie nahe er davor gestanden hatte, durch dieses unselige Buch zu sterben. Elrond fragte sich, wie er an Stelle von Ardalos gehandelt hätte, wenn Celebrians Leben in dieser Weise bedroht worden wäre. Tiefe Liebe vermochte die größten, aber auch die schrecklichsten Taten hervorzubringen. Elrond wollte einfach nicht über Ardalos urteilen, auch wenn sein Ältester immer noch gegrollt hatte und jetzt doch recht froh war, dass der Imladris-Heiler und seine Gefährtin abgereist waren. Elladan hatte noch nie gut verzeihen können.
Mit einem letzten Blick auf das Tor drehte sich Elrond um und schlenderte zurück ins Haus. Er durchquerte die Eingangshalle und lautes Gelächter aus der Kaminhalle ließ ihn wieder anhalten. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich alle soweit von den Ereignissen des Sommers erholt hatten, dass sie wieder unbeschwert die freundliche Atmosphäre des Gastlichen Hauses genießen konnten, aber es war gelungen. Seine Gäste und seine Söhne saßen jetzt dort zusammen und amüsierten sich über das Lied, das Lindir am Vorabend als sein neuestes Werk präsentiert hatte. Sogar Figwit war bei ihnen und nahm recht gutmütig hin, dass er und sein Aufenthalt unter dem Troll darin vorkamen. Es war nicht einmal verwunderlich, denn Lindirs elegante Verse hatten durchaus voller Respekt, wenn auch mit dem ihm manchmal eigenen, sanften Spott die Taten des jungen Noldo gerühmt.
Elrond überlegte einen Moment, ob er sich zu ihnen gesellen sollte, entschied sich jedoch dann dagegen. Einer fehlte ganz besonders in dieser Runde und das war derjenige, mit dem er reden musste. Entschlossen lenkte er seine Schritte dorthin, wo ihm ein unangenehmes Gespräch bevorstand.
Auf sein leises Klopfen hin ertönte eine leicht gereizte Antwort. Das fing nicht wirklich gut an, dachte Elrond bei sich, zwang sich zu einem Lächeln und öffnete dann die Tür mit der geschnitzten Ansicht von Imladris.
Erestor stand mitten im Raum und starrte auf etwas vor dem Kamin, das durch einen der beiden Sessel verdeckt war. Erst als Elrond neben ihn trat, konnte er den Auslöser von Erestors Stirnrunzeln entdecken. Auf einer rosafarbenen Decke, die mit silbernen Hasen und gelben Butterblumen bestickt war und wirklich überhaupt nicht in das Arbeitszimmer des Seneschalls passte, lag Sûlhin auf dem Bauch und schlummerte selig.
„Sie behaupten, dieses Geschöpf fühlt sich wohl in meiner Nähe", erklärte Erestor mit gedämpfter, aber anklagender Stimme. „Sie würde besser schlafen. Und jetzt schleppt mir dauernd jemand das Kind hinterher."
„Tatsächlich?" Elrond schaffte es zu seiner eigenen Genugtuung, ein wirklich ernstes Gesicht zu machen.
„Gib nicht vor, dass es dich nicht freut", grollte sein Freund und deutete mit einer Handbewegung auf die Sessel. „Die beiden sind abgereist?"
„Gerade eben", bestätigte der Herr von Imladris und ließ sich nieder.
„Er hat falsch gehandelt", meinte Erestor nach kurzem Schweigen.
„Ardalos wollte seine Gefährtin schützen."
„Ihnen blieb immer noch ein anderer Ausweg."
„Du urteilst zu hart, Erestor."
„Wie immer", bestätigte der Freund in einem Anflug von Selbstironie.
„Und du bist auch zu dir zu hart."
Erestor warf ihm einen unergründlichen Blick zu. „Ich denke nicht. Marsden ist entkommen, weil ich meine persönliche Rache wollte. Thranduil hatte ganz Recht – es hätte vollauf genügt, ihn sofort zu töten. Jetzt ist er unterwegs und kann neue Ränke schmieden."
Darauf wollte Elrond zwar nicht hinaus, aber er machte dennoch eine abwehrende Geste. „Er ist gescheitert. Wahrscheinlich wird ihn sein dunkler Meister dafür zur Rechenschaft ziehen."
„Wer immer er auch ist."
„Es gibt Gerüchte, dass die Festung im Düsterwald wieder bevölkert wurde." Elrond seufzte. „Ich muss noch mit Thranduil darüber reden, auch mit Celeborn. Es ist nicht gut, wenn sich dort wieder Dunkelheit weiter ausbreitet. Haldir wird die Nachricht mit sich nehmen, wenn er im Frühling wieder abreist und Thranduil ebenso. Die Zeit der Ruhe war viel zu kurz."
„Einige Wochen werden wir sie jedenfalls noch genießen können", korrigierte Erestor und beugte sich vor, um den vorbereiteten Holzstoß im Kamin anzuzünden. Sorgfältig schloss er das Schutzgitter wieder und zog dann auch noch die Decke mit dem schlafenden Kind ein Stück zurück. Er bemerkte Elronds amüsiertes Lächeln und erwiderte es etwas schief. „Wenn auch nur ein Brandfleck auf der Decke ist, bringt mich Hanne um. Sie überschüttet mich ohnehin immer mit Ermahnungen, was gut für diesen kleinen Schreihals ist und was nicht. Warum konnte Halbarad sie nicht einfach mitnehmen?"
„Weil er mit seinen Männern eine Horde Räuber nach Bree bringen muss, damit sie dort der Gerechtigkeit der Menschen überlassen werden", antwortete Elrond geduldig.
„Gerechtigkeit der Menschen", echote Erestor sarkastisch. „Und du bist dir sicher, dass es das gibt?"
„Erestor…"
„Jaja", winkte sein Seneschall ab. „Jetzt bin ich derjenige, der ungerecht ist."
„So in etwa." Elrond lächelte unwillkürlich, als Sûlhin im Schlaf genüsslich schmatzte. Für dieses Kind war die Welt noch sehr einfach. Es gab nur Wohlbefinden oder Unbehagen. Sie erlebte noch eine Klarheit, die sich bald verlieren würde. „Warst du gerecht oder ungerecht, als du Hestia hast laufen lassen?"
„Ah", machte Erestor und griff sich in scheinbarem Schmerz ans Herz. „Dieser Schlag musste kommen, nicht wahr?" Dann wurde er wieder ernst, beinahe nachdenklich. „Ich weiß nicht, was mich bewogen hat, sie entwischen zu lassen, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, sie aufzuhalten."
„Mitleid?"
„Mitleid?"
„Schon gut, also kein Mitleid."
„Nein, wohl nicht. Vielleicht war ich nur etwas müde und mir fehlte die Kraft, weiter ihren kindischen Tiraden zu lauschen. Außerdem trägt sie ihre eigene Strafe in sich. Sie wird sie begleiten. Hestia ist nicht dumm und sie wird erkennen, was Marsden getan hat."
„Selbsterkenntnis", sagte Elrond gedehnt, denn sie näherten sich langsam dem Punkt der Unterhaltung, der ihn eigentlich hergeführt hatte. „Nicht immer ohne Schmerzen…"
Erestor versteifte sich etwas und warf ihm einen düsteren Blick zu. „Worauf genau willst du hinaus?"
„Rede mit ihm." Elrond hatte eigentlich gedacht, es würde ihn erleichtern, diese Worte auszusprechen, aber dem war nicht so. Nicht, als er den plötzlichen Schmerz in Erestors Miene bemerkte, bevor sein Freund und Seneschall wieder seine übliche Maske völliger Beherrschung über seine Züge deckte.
„Nein." Keine Erklärung, nichts, nur dieses eine Wort.
„Du musst", beharrte Elrond. „Du bist es ihm schuldig."
„Und du weißt nicht, wovon du redest."
Soviel Ärger und Trauer, Elrond brach fast das Herz. „Ich denke doch. Und ich denke auch, dass er nur aus diesem Grund hierher gekommen ist. Einiges habe ich mir sicher zusammengereimt, aber es dürfte der Wahrheit sehr nahe kommen. Wenn man ihn genau betrachtet, erkennt man sie in ihm. Nur als einen sehr fernen Schatten, aber so leicht vergisst man eine gute Freundin nicht."
„Dann hat er eine bittere Enttäuschung erlebt", sagte Erestor mit zusammengebissenen Zähnen. „Es dürfte nicht die erste für ihn sein."
Das war schwerer, als er gedacht hatte, aber Elrond war nicht bereit, schon aufzugeben. „Du schuldest es ihm."
„Tu ich das wirklich?"
„Und du weißt es."
„Es ist ein Frevel gegen alles, was uns die Valar mit auf den Weg gegeben haben. Gilnín und ich stehen mittendrin."
„Dann lass ihn nicht im Stich."
In der nachfolgenden Stille war nur das Knacken eines Holzscheites und ein leises Wimmern von Sûlhin zu hören, die selbst im Schlaf die angespannte Stimmung zu spüren schien. Abwesend beugte sich Erestor zu ihr herunter und strich ihr leicht über die zur Faust geballte Hand, bis sie wieder zur Ruhe kam. Dann erhob er sich und stand eine Weile mit dem Rücken zu Elrond vor dem Kamin. Schließlich trat Elrond zu ihm und legte ihm eine Hand auf die angespannte Schulter.
„Reist er im Frühling ab – und das wird er, wenn du nicht mit ihm sprichst – wirst du dir noch weniger verzeihen und diesmal zu Recht, denke ich", redete er auf ihn ein. „Du hast nie eine Herausforderung gescheut, fang jetzt nicht damit an. Es ist zu wichtig."
Eine weitere Zeit verging, bis Erestor endlich eine Art leises Knurren ausstieß. „Ich verfluche deine goldene Zunge, Elrond."
Der Herr von Imladris lächelte und deutete auf die Tür. „Er ist im Birkenhain. Ich habe ihn auf Kräutersuche geschickt. Nicht, dass unsere Vorräte es dringend benötigen, aber ich dachte mir, dass ein solcher Ort euch beiden entgegenkommt."
Elrond war sich beinahe sicher, dass Erestor das Wort ‚Ränkeschmied' murmelte, als er den Raum verließ. Kaum fiel die Tür hinter ihm zu, erwachte Halbarads Tochter, blinzelte einen Moment verwirrt und brüllte dann ohne Vorwarnung los. Elrond stand in fasziniertem Schrecken da und widerstand nur mühsam dem Drang, die Finger in die Ohren zu stecken. Es war schließlich nur eine Frage der Selbstbeherrschung, wenigstens solange Haltung zu bewahren, bis Hilfe kam und das Kind mit sich nahm.
Er hoffte jedenfalls, dass bald jemand auftauchte.
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Die Haltung war perfekt, ohne Frage. Außer dem flachen Atem störte auch keine Bewegung das Bild eines formvollendeten Bogenschützen. Nicht einmal die Tatsache, dass der Bogen selbst im gespannten Zustand fast größer war als der Schütze, nahm diesem Anblick den Zauber.
„Ich hätte nicht gedacht, dass sie ihn überhaupt spannen kann", gestand Forlos mit gedämpfter Stimme.
„Jedenfalls nicht so lange", nickte Haldir, der der Eigentümer des Galadhrim-Bogens war, den Leiloss so konzentriert auf die Zielscheibe weit am Ende des Übungsfeldes richtete.
Forlos warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er konnte Haldir mittlerweile gut genug einschätzen, um doch etwas überrascht zu sein, dass Leiloss diese wirklich einzigartig schöne Waffe überhaupt hatte anfassen dürfen. „Du hast ihr eine große Ehre erwiesen, dass sie den Bogen nutzen darf."
„Hm", machte der andere nur.
„Eine sehr große Ehre", beharrte Forlos.
In eindeutiger Abwehrhaltung verschränkte Haldir die Arme vor der Brust. „Und was sollen mir diese Worte sagen?"
„Das frage ich dich", drängte Forlos seinen so unerwartet gewonnenen Freund aus Lothlórien.
„Vielleicht überlege ich, ob sie den Ansprüchen meiner Wächter genügt", erklärte Haldir etwas widerstrebend.
Leiloss entließ den Pfeil. Für das geübte Auge ihrer elbischen Zuschauer war sofort zu erkennen, dass dieser Schuss nur ein Treffer sein konnte. Zielgenau fand der weiße Pfeil seinen Weg in den rot gepinselten, recht kleinen Mittelpunkt der Scheibe. Sofort rannte von der Seite Hinner heran, begutachtete den Treffer und brüllte dann das Ergebnis quer über das Feld. Leiloss sprang einmal in die Luft, schwenkte den Bogen und drehte sich zu den beiden Hauptmännern um. Ein breites Grinsen lag auf ihren Zügen und sie hüpfte ein paar Mal auf und ab vor Begeisterung, um dann zu ihnen zu laufen.
„Ahja", machte Forlos in Haldirs Richtung. „Du solltest allerdings sehr genau überlegen."
Für einen Moment sah es so aus, als würde Leiloss den Galadhrim vor Begeisterung fast anspringen. Irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck warnte sie dann aber wohl doch, nicht das Schicksal herauszufordern.
„Habt Ihr das gesehen?" rief sie atemlos und wedelte mit dem Bogen herum. „Ich habe es geschafft. Auch wenn Euer Bogen wirklich wie aus Eisen ist."
„Ist er das?" Haldir hob eine Augenbraue. „Dann solltet Ihr vielleicht noch etwas üben."
Für einen Moment erinnerte sie Forlos in ihrer Hingerissenheit für Celeborns obersten Wächter an Ionnin, wenn er mal wieder von Legolas auf den Kopf getätschelt wurde. Es fehlte nur noch, dass sie die Zunge heraushängen ließ und anfing, zu schielen.
„Danke", hauchte sie, bevor sie wieder zurückrannte.
„Es muss eine Belastung sein, wenn man für einen Valar gehalten wird", spottete Forlos boshaft. „Stört dich diese grenzenlose Verehrung nicht?"
„Nein, eigentlich nicht", grinste Haldir und schlug ihm auf die Schulter. „Bist du etwa neidisch, mein Freund?"
Forlos brauchte nicht einmal Bedenkzeit für die Antwort. „Nicht im Geringsten. Ich weiß jetzt schon, dass du den Tag verfluchen wirst, an dem dir diese verrückte Idee gekommen ist und mit dir ganz Lothlórien. Um nichts in der Welt würde ich sie bei Thranduils Garde aufnehmen. Mein König würde mich sowieso mit Schimpf und Schande aus dem Amt entfernen, wenn er noch eine Ithildrim beherbergen müsste."
„Eine pro Elbenreich ist genug", nickte Haldir. „Lothlórien hat noch keine. Wir werden sie verkraften. Wobei mir auffällt, dass Imladris auch noch keinen Ithildrim hat."
„Aber einen Ork. Das ist Strafe genug." Forlos seufzte. „Ich denke, ich bin ganz froh, wenn wir im Frühling alle wieder in unsere Heimat zurückkehren. Ich vermisse den Wald."
„Und die Spinnen?"
„Meinetwegen sogar die Spinnen. Bei denen weiß man wenigstens, woran man ist."
Haldir bedeutete Leiloss mit einer Handbewegung, dass er auch den nächsten Schuss gesehen hatte, der schon etwas zittriger ausgefallen war und suchte sich dann einen Sitzplatz auf der Rückenlehne einer Holzbank ein Stück hinter ihnen am Rande des Feldes. Forlos gesellte sich zu ihm und beide genossen sie eine Weile das Schauspiel, wie Leiloss mit der Sturheit aller Ithildrim den zunehmend schwereren Kampf mit dem Langbogen aufnahm. Die Waffe war vollständig auf Haldirs Größe und Körperkraft ausgerichtet, die beide weit über denen von Leiloss lagen. Selbst mit jahrelanger Übung würde sie diesen Bogen niemals als ständige Waffe führen können. Anderseits waren Rhûna nicht nur stur, sondern auch sehr ehrgeizig, was diese Art von Herausforderungen anging. Unmögliches beflügelte sie zu den exzentrischsten Unternehmungen.
„Wie kommst du eigentlich auf den Gedanken, sie mit nach Lothlórien zu nehmen?" erkundigte sich Forlos, von einer dunklen Ahnung getrieben.
„Sie ist mir in den letzten Tagen nachgerannt und hat alles über die Wächter wissen wollen", erzählte Haldir, dahintreibend wie der Korken einer Weinflasche in einem Meer von Naivität, was die Schliche durchschnittlicher Rhûnar-Elben und unter Hundert Jahre alter Ithildrim im Speziellen anging. „Es schien mir eine ganz annehmbare Lösung dafür zu sein, dass sie sich so davor fürchtet, wieder unter die Augen der Rhûnar-Ältesten zu treten. Sie hatte Tränen in den Augen. Kannst du dir das vorstellen?"
„Kann ich." Eru, Haldir konnte nicht wissen, das kontrollierte Tränenströme sozusagen eine natürliche Waffe aller Ithildrim waren.
„Natürlich habe ich ihr klar gemacht, dass ich es mir noch überlegen muss und auch Lord Celeborn und Lady Galadriel ihr Einverständnis geben müssen."
„Sicher", lächelte Forlos. Haldir, der große Hauptmann der lorischen Wächter, manipuliert von einer nicht einmal wirklich erwachsenen Elbin. Thranduil würde sich freuen.
Leiloss war inzwischen am Ende ihrer Kräfte. Ihrem Gesichtsausdruck nach war sie fast bereit, einen Fuß gegen den Bogen zu stemmen und mit zwei Händen an der Sehne zu zerren, nur um sie noch einmal gespannt zu bekommen.
„Geht es?" erkundigte sich Haldir scheinheilig.
„Kein Problem", ächzte die junge Elbin mit hochrotem Kopf. „Ich überlege nur gerade."
„Ganz was Neues", spottete Forlos gedämpft.
„Thranduil hat jedenfalls nichts dagegen", erzählte Haldir. „Er schien recht erfreut und auch Galen meinte nur, dass sein Rückweg nach Rhûnar damit wohl sehr viel ruhiger wird."
„Und das gibt dir nicht zu denken?" Die Frage hätte er sich sparen können. Haldir ó Lorien hatte ein Selbstbewusstsein, das wahrscheinlich die Abmessungen eines seiner geliebten Mellyrn aufwies. Vielleicht sogar zu Recht, wenn Forlos näher darüber nachdachte. Möglicherweise war Celeborns Hauptmann ihr strahlender Held mit dem fantastischen Bogen und dem unbestreitbar überragenden Können in dieser Disziplin, der Leiloss endlich genug Respekt einflösste. Mehr jedenfalls als ihr eigener Bruder, der Apfelbäume anpflanzte und für seine Obstkuchen berühmt war. „Form sie, Haldir, aber breche sie nicht."
„Kann man das bei einer Ithildrim?" fragte Haldir nachdenklich.
„Sie formen? Ein wenig, wenn man Geduld hat." Forlos beobachtete, wie Leiloss zwar ihre Versuche aufgab, den Bogen nochmals zu spannen, die Waffe aber dennoch finster anstarrte. Eine kleine Falte war über ihrer Stirn erschienen. Die Sache zwischen ihr und Haldirs Bogen war noch nicht ausgestanden, es herrschte wohl erst einmal eine Art Waffenstillstand. Mit zögernden Schritten verließ sie das Feld. „Sie brechen? Vielleicht, auch wenn ich das Resultat einer solchen Vernichtung nicht ertragen könnte."
„Ich sollte für heute besser aufhören." Leiloss baute sich vor ihnen auf und streckte den Bogen Haldir entgegen. „Es tut mir leid."
„Was?" wollte Haldir scheinbar erstaunt wissen.
Leiloss' Augen schwammen vor lauter Wut in Tränen, diesmal wohl ganz ehrlich. „Ich konnte ihn nicht mehr spannen."
Haldir nahm ihr den Bogen ab und drückte mit fast schon boshafter Leichtigkeit das grüngolden schimmernde Holz zusammen, um die Sehne auszuhaken. Erste Lektion, erkannte Forlos mit heimlicher Belustigung. Und sie sind noch nicht einmal im Goldenen Wald angekommen. Leiloss ist wirklich in guten Händen.
„Wundert Euch das?" fragte der Galadhrim dabei. „Er passt nicht zu Euch. Damit würdet Ihr nie ein guter Wächter. Wir werden einen anderen finden, der Eurer Größe und Eurer Kraft entspricht."
„Irgendwann kann ich damit umgehen", hörten sie sie leise schimpfen, während sie nach einem kurzen Abschiedsgruß den Weg in den Garten hinunter stürmte, dicht gefolgt von Hinner.
„Du hast dir viel vorgenommen", kommentierte Forlos voller gutmütigem Spott.
„Ich habe meine Brüder verkraftet, ich werde auch sie überleben."
Langsam schlenderten sie vom Übungsplatz weg und bewegten sich auf den verschlungenen Pfaden der Imladris-Gärten auf das Haus zu. Erestor kreuzte ihren Weg, so tief in Gedanken versunken, dass er nicht einmal ihren Gruß erwiderte.
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Der helle Leinenbeutel an seinem Gürtel war noch immer sehr leicht. Er hatte nur wenige Pflanzen gesammelt, als er die Elben bemerkt hatte, die auf der Lichtung am Werk waren. Still war er näher getreten und hatte sie beobachtet, wie sie die kleine Skulptur auf dem vorbereiteten Sockel am Grab der Sterblichen ausrichteten. Die drei Steinmetze hatten ihm einen fragenden Blick zugeworfen.
„Sie ist wunderschön", war seine schüchterne Antwort gewesen, die ein Lächeln auf ihre Gesichter brachte.
Mehr war nicht gesprochen worden. Die Elben hatten ihr Werk vollendet, mit einem breiten Pinsel die letzten Überreste von Staub und Splittern von dem sandfarbenen Stein entfernt und dann hatten sie ihn hier alleine gelassen. Vielleicht nahmen sie an, es gäbe eine Verbindung zwischen ihm und der Sterblichen, die dort am Fuße der Statue ruhte. Dabei hatte Gilnín die Frau nicht einmal gekannt. Zögerlich trat er näher an den flachen Grabhügel heran, auf dem eine andere freundliche Seele einen Birkenschössling gepflanzt hatte. In einigen Jahren würde der Hügel verschwunden sein, aber dieser Baum und auch die steinerne Figur der knienden Frau mit dem Kind in ihren Armen blieb noch lange als Erinnerung an ein längst verloschenes Leben.
Plötzlich bereute es Gilnín, hierher gekommen zu sein, er bereute es sogar, überhaupt nach Imladris gereist zu sein. Es war ein Fehler und er schätzte, sie würde es ebenso sehen. Man konnte ein ganzes Zeitalter nicht ungeschehen machen. Was hatte er sich dabei gedacht? Wahrscheinlich war es der nagende Zweifel gewesen, der ihn seit zwei Jahren quälte. Seit die Besucher aus dem fernen Westen so erstaunt über die Ähnlichkeit gewesen waren. Gilnín gestand sich ein, dass man es nur als eine irrationale Hoffnung bezeichnen konnte, vielleicht doch den Weg zurück in ein Leben zu finden, das sich ihm vor langer Zeit verschlossen hatte. Das sie ihm verschlossen hatte!
Es war besser, diese seltsame Hoffnung endgültig zu begraben und sich bald wieder auf den Rückweg nach Rhûnar zu machen. Dort war der Platz, an den er gehörte. Er überlegte, ob Elrond ihn aus diesem Grund hierher geschickt hatte. Das Sammeln von Kräutern war es bestimmt nicht gewesen. Schon allein, um einer unangenehmen Begegnung mit seiner Vergangenheit aus dem Weg zu gehen, hatte er sehr viel Zeit in der Apotheke verbracht. Bruchtals Bestände an Kräutern waren mehr als ausreichend. Sein Ausflug in diesen Birkenhain auf Bitten Elronds hin war überflüssig.
So musste es wohl sein und er hätte Elrond dafür gedankt, wenn er dann nicht zuviel der Wahrheit enthüllen müsste. Gilnín seufzte. Die Geheimniskrämerei zehrte an seinen Nerven. Das war alles nicht seine Art, schon lange nicht mehr. Müde drehte er sich um und erstarrte beinahe zu Stein, als er das Zentrum seiner Überlegungen am Rande der Lichtung erblickte.
Gilnín atmete einmal tief durch und setzte sich dann in Bewegung, um einfach an Erestor vorbeizugehen. Einen kurzen Gruß vielleicht, das dürfte genügen. Die Begegnungen ließen sich nicht immer hier in Imladris vermeiden, aber man konnte sie immerhin verkürzen. Zu mehr hatte er kein Recht, das war ihm inzwischen klar.
„Bleibt!"
Der kurze Befehl ließ ihn erneut erstarren. „Ich will Euch nicht stören, Lord Erestor. Ihr seid sicher hier, um das Werk der Steinmetze zu begutachten."
„Ich wünschte, es wäre so", sagte Elronds Seneschall mit einem freudlosen Lächeln. Beinahe zögerlich überquerte er die Lichtung und blieb auf der anderen Seite des Grabes stehen. Er strich leicht mit den Fingern über den gesenkten Kopf der Statue. „Es ist gut, einen Platz zum Trauern zu haben. Sagt mir, Gilnín, hat sie ein Grab wie dieses oder wurden ihre Überreste von unseren Feinden in alle Winde zerstreut?"
Gilnín hatte das Gefühl, in einen tiefen, dunklen Abgrund zu stürzen. Also kein Zufall, der Erestor hier an diesen Ort geführt hatte. Elrond musste die Begegnung arrangiert haben, um endlich wieder die Klarheit zu schaffen, die wohl alle Beteiligten brauchten. Übelkeit stieg in ihm auf bei dem Gedanken, was ihm nun bevorstand. Er wollte es nicht, wollte nicht auch den letzten Funken von dem preisgeben müssen, was ihm von einem anderen Leben geblieben war. Es war wenig genug, wenn er sich selber betrachtete.
„Damals hatte sie ein Grab", sagte er mit unsicherer Stimme, die Augen auf die Statue geheftet, um sein Gegenüber, sein Spiegelbild nicht ansehen zu müssen. Spiegelbild traf nicht einmal den wahren Kern. Eher war er selber das Spiegelbild, ein verzerrtes noch dazu. „Es ist lange her."
„Wie starb sie?" Auch diese Frage war wohl unvermeidlich.
„Ein Überfall von Orks." Hoffentlich genügte ihm das, denn Gilnín war sich nicht sicher, wie lange seine Selbstbeherrschung noch reichen würde. Er war schwach geworden seit damals. Jämmerlich, wenn er wirklich ehrlich war.
„Begleitet mich ein Stück", sagte Erestor überraschend. „Ich glaube, dies ist nicht der richtige Ort für dieses Gespräch. Für keinen von uns beiden."
Erst als sie den Birkenhain hinter sich gelassen hatten und auf eine kleine Holzbrücke zusteuerten, die sich über einen der vielen Bäche erstreckte, wurde die erwartungsvolle Stille zwischen ihnen wieder gebrochen.
„Ich dachte, sie wäre gefallen", erzählte Erestor und es klang eher so, als rede er mit sich selbst. „Es war eine grauenhafte Schlacht zu Füßen Barad-Dûrs. So viele starben an diesem Tag, so viele wurden niemals gefunden. Mirimarnis war am östlichen Flügel eingesetzt, weit entfernt von mir. Die Truppen dort wurden beinahe ganz aufgerieben."
Dabei hatte sie diesen letzten Ansturm gegen den Dunklen Turm gar nicht erlebt. Gilnín kannte die Geschichte, die er immer wieder aus dem Mund seiner Mutter gehört und später auch noch in einer etwas anderen, für ihn beinahe vernichtenden Version in ihrem Tagebuch gelesen hatte. Schweigend stand er jetzt da und starrte hinunter auf das kristallklare, sehr träge dahinfließende Wasser.
„Ich verlor viele gute Freunde innerhalb weniger Stunden", kam es von Erestor und seine Stimme verriet ein wenig von dem Schmerz, den er empfunden haben musste. „Ereinion starb und wir waren alle untröstlich. Erst spät am nächsten Morgen bemerkte ich ihr Fehlen und jemand berichtete, dass sie wohl gefallen ist. Das ist nur eines, das ich mir nicht vergeben werde."
Gilnín schüttelte heftig den Kopf. „So war das alles nicht. Glaubt mir."
Er bereute seinen Ausbruch, denn Erestor musterte ihn scharf und es gab keine Möglichkeit mehr, den vielen Fragen weiter zu entkommen. Mühsam drängte er das erneute Gefühl von Übelkeit zurück und grollte zum ersten Mal im Leben seiner eigenen Mutter, dass er dies alles erklären musste. Um seine Unsicherheit wenigstens etwas zu verbergen, legte er die zitternden Hände übereinander und schob sie in die weiten Ärmel seiner fleckigen Robe, für die er sich jetzt angesichts des makellosen Äußeren seines eigenen Vaters wirklich schämte. Er war nicht wirklich das, was sich ein so ungewöhnlicher Elb wie Erestor zum Nachfahren wünschen konnte. Früher einmal wäre Erestor vielleicht sogar stolz auf ihn gewesen, bevor…Gilnín wollte nicht weiterdenken.
Zu seiner Überraschung hob ein beinahe sanftes Lächeln Erestors Mundwinkel. „Wie wäre es, wenn Ihr mir dann verratet, was damals geschah, denn ich kann mich nicht wirklich an etwas erinnern."
„Sie hat Euch etwas in den Wein gemischt", verriet Gilnín und lief rot an. Was seine eigene Mutter da getan hatte, konnte er bis heute noch nicht richtig fassen. „Den Namen nannte sie nicht, aber heute weiß ich, dass es wohl der Saft von Elei-Beeren gewesen sein muss. Er nimmt nicht nur die Erinnerung, er verändert die Wahrnehmung…"
„Er berauscht", verdeutlichte Erestor trocken, weil Gilnín verstummte.
„Ja, so könnte man es auch nennen", bestätigte Gilnín etwas lahm.
„Gilnín." Erestor stützte sich auf das glatte Geländer auf der einen Seite der Brücke und atmete tief durch. „Warum erzählt Ihr mir nicht einfach die ganze Geschichte? Eure Mutter kann ich schließlich nicht mehr fragen, obwohl ich das wirklich gerne tun würde. Das könnt Ihr mir glauben. Es kommt nicht oft vor, dass man ein ganzes Zeitalter um einen Sohn gebracht wird!"
Die leise Drohung in diesen Worten verunsicherte Gilnín noch mehr. Jetzt wurde ihm auch noch die Kehle trocken und kalter Schweiß brach aus. Erestor schien verärgert, aus welchem Grund auch immer. „Alles?"
„Für den Anfang."
„Wir könnten es auch einfach vergessen", schlug Gilnín vor.
Überraschend packte ihn sein Vater am Arm und zog ihn neben sich. Dann deutete er auf die spiegelnde Wasserfläche zu ihren Füßen. „Und wie soll das gehen? Ihr ähnelt mir so sehr, wie es wirklich nur ein eigenes Kind kann. Von Mirimarnis erkenne ich zwar auch manches in Euch, aber das macht es umso eindringlicher."
„Es macht es so viel schwieriger."
„Und davor fürchtet Ihr Euch? Glaubt mir, ich mich auch. Andererseits habt Ihr Euch dennoch auf den Weg hierher gemacht. Das wäre wohl kaum geschehen, wenn Ihr nicht ebenfalls den Wunsch gehabt hättet, ein loses Ende zu verknüpfen, das meine gute Freundin Miri in ihrer rätselhaften Weisheit zerschnitten hat."
Die Erkenntnis, dass dies und genau dies die Wahrheit war, verschaffte Gilnín nach dem ersten Schock dann doch erstaunliche Ruhe. Seinem eigenen Vater ging es eigentlich nicht besser als ihm selbst. Er verstand die Elbin nicht, die ihr gesamtes Leben, das sie von Valinor bis an die Hänge des Oroduin geführt hatte, in einer einzigen Nacht aufgegeben und gegen die Empfängnis eines Kindes getauscht hatte. Noch dazu einer Empfängnis, von der der eigentliche Erzeuger nicht einmal die blasseste Ahnung hatte. Das ganze Verhalten war sehr unelbisch, fand er.
„Vielleicht sollte ich damit anfangen, an was ich mich erinnere", schlug Erestor mit leichtem Spott vor. „Viel ist es nicht, wir werden also kaum Zeit verlieren."
Wieder krümmte sich Gilnín innerlich zusammen, wünschte sich, noch der Elb zu sein, der er in seinem ersten Leben gewesen war. „Gute Idee."
„Danke", schmunzelte sein Vater – es fiel Gilnín schwer, selbst nur so von ihm zu denken - und neigte leicht den Kopf. „Ihr wisst, dass Mirimarnis und ich bereits zusammen von Valinor herkamen? Gut, das macht es einfacher. Wir waren Freunde durch ganze Zeitalter. Eure Mutter war nicht gerade eine zarte Blume, eher ein Dornbusch. Sie hatte nicht vor vielen Respekt und ich gehörte wohl auch nicht dazu."
Diesmal beherrschte Gilnín seine Mimik. Erestor irrte sich gewaltig. Mirimarnis hatte ihn geliebt, als Freund und auch als etwas mehr, respektiert und bewundert. Es sprach für ihre Kunst der Täuschung, dass er es nie gemerkt hatte.
„Am Abend vor dem entscheidenden Angriff auf Barad-Dûr haben wir beide zusammen unsere Ängste mit Wein bekämpft. Nicht zum ersten Mal, um ehrlich zu sein. Mit Eurer Mutter konnte man herrlich trinken." Etwas mutwillig grinste Erestor ihn kurz an. „Keine gesitteten Zusammenkünfte mit etwas gutem Wein, sondern wirkliche Besäufnisse."
„Solange ich sie kannte, hat sie keinen Tropfen Wein angerührt", überlegte Gilnín.
„Hm", machte Erestor. „Jedenfalls endete der Abend damit, dass ich irgendwo in einem Traum versank und erst am nächsten Morgen beim Hornzeichen wieder hochschreckte. Ich war in meinem eigenen Zelt und ich nahm an, dass Mirimarnis mich dorthin geschafft hatte. Das war es, auch wenn manchmal seltsame Bilder auftauchten, in denen…nunja, denkt Euch den Rest."
„Ich kenne den Rest", rang sich Gilnín die Wahrheit ab. „Aus dem Tagebuch. Ich las es, nachdem sie gestorben war. Mir hat sie immer erzählt, mein Vater sei ein Krieger gewesen, der Wochen vor der letzten Schlacht gefallen sei. Sie hat auch gesagt, er sei ihr Gemahl gewesen."
„Nicht, dass ich wüsste", kommentierte Erestor. „Wobei das hier ja nicht wirklich viel bedeutet. Aber es hätten ja dann auch alle bemerkt."
„Naneth floh noch in der Nacht Richtung Norden, weil sie sich dort Sicherheit erhoffte. Für mich, nicht für sich allein. Sie war kein Feigling."
„Das braucht Ihr nicht zu betonen. Ich habe sie kämpfen sehen."
„Ich auch."
„Tatsächlich?"
„Unterbrecht mich doch nicht dauernd!" flehte Gilnín und befürchtete fast, gleich in Tränen auszubrechen.
„So beruhigt Euch doch." Erestor betrachtete ihn prüfend, kein wirklich angenehmer Zustand. „Ihr seid sehr schreckhaft und unsicher. Eigentlich verwunderlich."
„Ich war nicht immer so", fauchte Gilnín in einem Anflug von Verletztheit. „Aber ich habe meinen ganzen Mut verbraucht, den Hexenkönig von Angmar zu überleben. Was denkt Ihr denn, bleibt einem, wenn man bis zu den Knöcheln im Blut seiner Mitgefangenen steht und um sein Leben kämpft? Ich habe mit meinen eigenen Händen meinen besten Freund getötet, weil er mich darum angebettelt hat. Tagelang hab ich seine Qualen mitansehen müssen und seine Verzweiflung. Angmar hat alles zerbrochen, was ich einst war und was Ihr hier vor Euch seht, ist sicher nicht der Sohn, den Ihr Euch irgendwann einmal erhofft habt. Ich weiß das, ich weiß es wirklich. - Wir hätten gar nicht mit dieser Aussprache beginnen sollen."
Gilnín wollte sich wegdrehen, um regelrecht von diesem Ort zu fliehen, aber Erestor hielt ihn fest. Der Griff um sein Handgelenk war eisern und die Miene des anderen kalt wie Eis. Nur in Erestors Augen glomm ein Funke, der von Tod und Zorn kündete. Unwillkürlich duckte Gilnín sich.
„Lass das!" befahl Erestor scharf. „Du brauchst dich weder zu ducken, noch vor irgendjemandem zu verstecken. Wenn ich es könnte, würde ich diesen Nazgûl töten für das, was er dir angetan hat. Ich würde sogar gerne deine Mutter verprügeln, weil sie dich nicht in die Sicherheit von Imladris brachte. Dafür ist es zu spät und das ist das Schlimmste von allen. Vergangenheit, Gilnín, für uns beide. Mich interessiert die Zukunft und in der habe ich nun mal einen Sohn. Wenn er ein verschrobener Elb mit beeindruckenden Kenntnissen in der Arzneikunde ist und nebenbei bemerkt einem meiner besten Freunde das Leben gerettet hat, werde ich mich sicherlich nicht beschweren."
„Ihr-„
Erestor hob warnend eine Braue.
„Du bist sehr rücksichtsvoll", hauchte Gilnín erschöpft.
Zu seinem Leidwesen lachte Erestor laut auf. „Rücksichtsvoll? Diesmal weißt du wirklich nicht, wovon du sprichst. Aber wie solltest du auch? Lassen wir das vorerst. Mich interessiert immer noch, wie ich zu einem Sohn gekommen bin, davon nichts wusste und warum deine starrsinnige Mutter mich nicht wenigstens später aufgesucht hat. Sie wird wohl nicht angenommen haben, dass ich ihr die Tür weise, wenn sie mit dir im Arm hier auftaucht. Miri kannte mich."
„Ja", grollte Gilnín, dem diese Fragen nun wahrlich nicht fremd waren. „Es steht fast alles in ihrem Tagebuch und das solltest du besser lesen."
„Es existiert noch?" fragte Erestor fasziniert.
„Ich konnte es bewahren, die ganze Zeit." Gilnín zuckte die Achseln. „Mehr hatte ich ja auch nicht."
Erestors Brauen zogen sich zu einer dunklen Linie zusammen. „Erklär mir dann jetzt in ein paar schlichten Sätzen, warum DU nicht wenigstens hierher gekommen bist."
„Sie hat niemals deinen Namen erwähnt. Ich wusste es nicht, bis Elronds Söhne nach Rhûnar kamen und sich über unsere Ähnlichkeit wunderten." Das nächste hätte er sich lieber erspart. Irgendwie fand er seinen eigenen Vater doch recht Furcht einflößend in seiner Verärgerung. Ein Zustand, der sich wohl auch nicht bei den kommenden Worten ändern würde. „Außerdem hat sie nie zugegeben, dass du noch lebst."
„Nie?" echote Erestor mit schmalen Augen. „Niemals?"
„Anfangs dachte sie wohl wirklich, du seiest in der Schlacht gefallen, so wie sie befürchtet hatte. Es gingen viele Gerüchte um. Und später…"
„Ja, was war später?"
„Das steht nicht im Tagebuch."
„Wie wäre es mit einer kleinen Spekulation? Ich bin für jede Mutmaßung offen."
„Sie hat dich immerhin betrogen, unter Drogen gesetzt und…" Gilnín fehlten ein wenig die Worte, den eher körperlichen Aspekt der Sache zu beschreiben.
„Verführt?" schlug sein neuerworbener Vater mit einem leicht sarkastischen Unterton vor. „Nur keine Hemmungen, deine Mutter hatte auch keine. Warum sollten wir beide uns dann benehmen?"
„Sie war gut zu mir."
„Natürlich", sagte Erestor einfach. Sein Blick richtete sich auf Forlos und Haldir, die sich über einen der Weg der Brücke näherten. Kaum nahmen die beiden sie wahr, drehten sie ab und verschwanden wieder in den Tiefen der Gärten.
Gilnín fühlte sich müde. Das war alles ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. So langsam beschlich ihn auch die ungute Ahnung, dass sich sein Leben schon wieder von Grund auf ändern würde.
„Du warst kein Kind mehr, als du diesem Nazgûl in die Hände gefallen bist", überlegte Erestor gerade.
„Nein, es war um das Jahr 1300." Die nächste Frage war Gilnín klar, auch wenn er die irrwitzige Hoffnung hatte, dass Erestor ihm etwas Erholung gönnen würde.
„Wie lange warst du dort?"
„Ein halbes Jahrhundert."
„Das ist lang."
„Ja."
„Und dann bist du nach Rhûn?"
„Ja."
„Du willst nicht darüber reden." Erestor nickte, als würde er sich diese Frage selbst beantworten. „Ich verstehe. Gut, wir haben Zeit."
Gilnín musterte ihn misstrauisch. „Den ganzen Winter."
„Länger", lautete die knappe Antwort. „Du reist nicht mit den anderen ab."
„Aber…" Nervös zupfte Gilnín an den Verschlüssen seiner Robe, was Erestor sofort veranlasste, mit leicht hochgezogenen Brauen das schmuddelige Kleidungsstück zu betrachten. „Was?"
„Nichts", lächelte Erestor ein wenig bedrohlich. „Wie gesagt, wir haben Zeit."
„Trotzdem können wir die vergangenen Jahre nicht aufholen", erinnerte ihn Gilnín zunehmend besorgter. „Du brauchst es auch nicht zu versuchen. Ich erwarte das nicht."
„Das ist mir klar." Erestor schlug ihm leicht auf die Schulter und setzte sich endlich wieder in Bewegung. „Ich habe gehört, du kannst kein Blut sehen?"
Auch das noch! Eine richtige Schwäche breitete sich in Gilnín aus. „Ein paar Tropfen ertrage ich."
„Und du fasst keine Waffen an?" forschte Erestor weiter.
„Nicht mehr."
„Aber du hast?"
„Natürlich!" schnappte Gilnín impulsiv. „Ich war ein Krieger. Nach Naneths Tod war es meine Aufgabe, unsere Siedlung zu verteidigen. Ich war gut."
„Zweifellos."
Das zufriedene Schimmern in den Augen des anderen machte Gilnín klar, dass er sein Schicksal endgültig besiegelt hatte. So war das alles nicht geplant gewesen. Auf einmal fühlte er sich, als sei er wieder ein junger Elb, der gar nicht wusste, wo sein Platz in dieser Welt war. Die Vorstellung machte ihm Angst.
Unvermittelt legte ihm Erestor eine Hand auf die Schulter. „Du bist unter Freunden, Gilnín. An diesen Ort gehörst du, auch wenn es sehr lange gedauert hat, bis du ihn gefunden hast."
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Tisvien stand im Schatten einer der Säulengänge und winkte hektisch. Dabei sah sie sich immer wieder verstohlen um und markierte gleichzeitig die harmlos Wartende, sobald einer der anderen Anwesenden in ihre Nähe kam oder zu ihr sah. Wer sie allerdings kannte und Legolas kannte die Dienerin wirklich gut, bemerkte die eindeutigen Anzeichen von Panik, die in ihr tobte.
Mit einem Neigen des Kopfes entschuldigte sich Legolas bei dem Elb, mit dem er sich gerade unterhalten hatte und schlenderte zu Tisvien hinüber. Es dauerte eine Weile, denn die große Halle des Palastes war zum Bersten gefüllt mit den Bewohnern des Waldelbenreichs. Und wer hier nicht mehr hineinpasste und aufgrund seines Ranges das auch nicht erwartete, wartete in den Palastgärten darauf, dass das große Fest endlich beginnen würde.
Die Tawarwaith feierten gerne und dieses Fest versprach, wirklich großartig zu werden. Nicht nur, dass ihr König heil wieder aus dem Westen zurückgekehrt war, er hatte auch gleichzeitig eine neue Königin mitgebracht, als er vor zwei Wochen die Grenzen des Reiches überschritten hatte. Wirklich überrascht war keiner davon, dafür war die Rhûnar-Heilerin bereits zu lange an der Seite ihres Königs, aber alle waren erleichtert, dass Thranduil endlich diesen Schwebezustand beendet hatte, der sicher noch weniger Gnade in den Augen der Valar fand, als eine gelegentlich lila verfärbte Gefährtin und deswegen nur Unheil anziehen konnte.
Kaum hatte Legolas Tisvien erreicht, fasste sie nach seiner Hand und zerrte ihn neben sich her durch eine Seitentür.
„Wo gehen wir hin?" erkundigte sich der Prinz mit der Gelassenheit, die er sich bei dem Chaos der Festvorbereitungen als Dauerzustand zugelegt hatte.
„Sie hat sich eingeschlossen", flüsterte Tisvien atemlos.
Mit ‚sie' konnte eigentlich nur eine gemeint sein. Legolas seufzte leicht.
„Und sie macht nicht auf." Tisvien schien den Tränen nahe. „Keinem. Sie hat gesagt, so wäre es nicht abgesprochen gewesen und sie würde nicht auf das Fest kommen."
Der Weg zu Varyas Gemach war zum Glück nicht weit. Der zu Thranduils Gemach wäre zwar noch kürzer gewesen, aber irgendein äußerst protokollfester Berater hatte verkündet, dass die beiden eigentlich erst dann zusammenleben durften, wenn die höchst offizielle Krönungszeremonie durchgeführt war. Wo genau das geschrieben stand, wusste zwar keiner, aber zumindest in dem Punkt wollten alle alles richtig machen.
Das hatte den übrigen Bewohnern dieses Palastteils, von denen es Elbereth sei Dank nur wenige gab, einige äußerst spaßige Momente beschert, wenn wahlweise Thranduil oder Varya des nächtens durch die Gänge schlichen, um das Bett des jeweils anderen zu erreichen.
Legolas und Galen saßen spät abends dann immer zusammen und wetteten, ob Thranduil oder Varya sich auf Wanderschaft begeben würde. Gelegentlich gesellte sich noch Forlos dazu oder zur Abwechslung auch mal Berelion, der zumeist vorgab, nichts zu hören. Die beiden nächtlichen Wanderer selber bewegten sich auch wirklich völlig lautlos. Bei Thranduil, dem Jäger, war das zu erwarten gewesen, Varya hatte alle bis auf Galen schon mehr überrascht. Nächtliche Ausflüge in eine der Vorratskammern der Quellstadt, hatte Galen schließlich verraten.
Man hörte sie allerdings trotzdem und das lag an dem rätselhaften Knarren oder Quietschen der Türscharniere, das sich eingestellt hatte. Egal, wie oft Thranduil einen Diener beauftragte, mit einer Ölkanne oder sonstigem Werkzeug die Geräusche auszumerzen, sie waren pünktlich wieder da. Und Legolas musste zugeben, dass es tagsüber gar nicht so einfach war, unbemerkt die Türen zu manipulieren. Erst am vergangenen Tag hätte Thranduil seinen Sohn und Galen beinahe dabei erwischt. Vielleicht war es ganz gut so, dass es mit diesem Abend damit vorbei war.
Die kleine Wettgemeinschaft war es dann auch, die sich im ansonsten leeren Gang vor Varyas Zimmertür versammelt hatte. Alle waren schon fertig für das Fest umgezogen, sogar Galen hatte man eine neue grauschwarze Robe verpasst, die wahrscheinlich dafür sorgen würde, dass ihm die jüngeren Elbinnen zu Füßen lagen und jeder andere ungebundene Elb ihn hasste.
„Abgeschlossen", eröffnete Galen und wirkte nicht unbedingt betrübt, sondern belustigt.
„Wirklich?" Legolas rüttelte vorsichtshalber an der Klinke. Nach Thranduils Erzählung neigte Varya dazu, kleine Details wie das Herumdrehen eines Schlüssels oder Vorschieben eines Riegels auch mal außer Acht zu lassen.
„Wirklich", bestätigte Hauptmann Forlos und bewegte etwas unbehaglich den Kopf. Die prachtvolle Uniform, in die er sich für diesen Anlass gequält hatte, schien ihn fast zu ersticken.
Berelion nickte betrübt. „Versucht Euer Glück, Legolas. Ich mache mich lieber auf die Suche nach Eurem Vater und halte ihn noch etwas hin."
„Und ich begleite Euch", kam es hastig von Forlos. „Zu zweit haben wir größere Aussichten, ihn zurückzuhalten, wenn er hierher stürmen will."
„Und ich bin durstig." Galen blinzelte Legolas zu, legte Tisvien einen Arm um die Schultern und zog die aufgeregte Dienerin mit sich.
Legolas wartete, bis sich der Gang vollständig geleert hatte, dann klopfte er laut an die Tür. „Varya, ich bin es. Mach schon auf."
Nicht das kleinste Geräusch war aus dem Raum hinter dem Eichentürblatt zu hören. „Ich zähle bis zehn und werde dann die Tür eintreten", verkündete er und bemühte sich, seine Erheiterung nicht mitklingen zu lassen. „Solche Angewohnheiten werden vererbt, musst du wissen."
Er zählte langsam, aber laut und öffnete dabei die Verschlüsse seiner äußeren Robe, um auch richtig ausholen zu können. Legolas hatte nicht vor, sich mit dem Fuß in dem Gemisch aus Samt und Seide zu verfangen. Zu einer Königin im Belagerungszustand musste nicht noch ein Erbprinz mit verrenkten Knochen kommen. Zum Glück waren selbst die festlichsten Kleidungsstücke der Waldelben immer noch praktisch genug, um notfalls sofort ein Pferd besteigen und in den Kampf ziehen zu können. Seine Stiefel waren zwar kostbar und aufwändig, aber robust und würden den Zusammenstoß mit der Tür wohl verkraften.
Als er bei neun angekommen war, wurde der Riegel der Tür zurückgeschoben. Zumindest war sie noch da. Er hätte ihr nämlich auch zugetraut, sich an der Außenseite des Palastes abzuseilen und die Flucht zu ergreifen. Vorsichtig öffnete er die Tür und drückte sie ein Stück auf. Zuviel Schwung erschien ihm nicht ratsam nach dem, was seinem Vater damit in Bruchtal passiert war. Eine Königin mit einem Veilchen würde für den falschen Gesprächsstoff sorgen.
Der große Raum hinter der Tür war hell erleuchtet und eindeutig leer. Legolas drückte leise hinter sich die Tür wieder zu und schlenderte auf die Tür des kleinen Balkons zu. Wenn Varya dort nicht war, dann konnte sie nur noch im Bad sein, aber das hielt er eher für unwahrscheinlich. Jedenfalls war sie nicht damit beschäftigt, sich anzukleiden. Mitten auf dem polierten Steinboden lag ein unordentlicher Haufen aus silberweißem Brokat. Er nahm ihn vom Boden auf und legte ihn über die Lehne eines Stuhles.
Diese Robe beschäftigte die Gemüter des Hofstaates schon seit Tagen. Bislang wusste keiner, wie die Robe aussah und gerade die Elbinnen des Palastes schnatterten über nichts anderes mehr. Bedeckt mit Knitterfalten würde der Eindruck wohl leicht getrübt werden.
„Du wirst mich nicht überreden", erklang es wie vermutet vom Balkon.
„Ich wollte nur sehen, ob du dich noch nicht in die Tiefe gestürzt hast", amüsierte er sich und trat neben sie auf den schmalen Balkon, der einen Ausblick über einen Teil des Gartens und die Baumkronen des Waldes gab. Die Windlichter auf der Brüstung waren zum Glück nicht entzündet und die Dunkelheit schützte sie vor allzu neugierigen Blick der Gäste weit unten im Garten.
„Warum muss das sein?" erkundigte sie sich anklagend. Mit einer ausgreifenden Handbewegung deutete sie auf die von Lichtern und Fackeln erleuchtete Gartenanlage, in der sich unzählige Waldelben tummelten. „Was wollen die alle hier?"
Legolas' Belustigung schwand unter einer Welle von Mitleid. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. Kein Wunder, dass sie in Panik geraten war. Der ganze Aufwand, der hier getrieben wurde, musste sie ja erschlagen. Er selbst war in dieses Leben hineingeboren worden, Thranduil ebenfalls, aber Varya war die Unkompliziertheit der Quellstadt gewöhnt. Das schlichte Zeremoniell von Elben, denen Äußerlichkeiten nicht mehr wirklich etwas bedeuteten.
„Gönn ihnen doch einfach die Freude", erklärte er leise. „Es ist so lange her, dass es ein Fest wie dieses gab. Niemand weiß, ob es noch ein weiteres geben wird in Zeiten wie diesen."
„Ich gönn ihnen das Fest doch", korrigierte sie ihn verärgert. „Ich weiß nur nicht, warum ich mittendrin sein muss."
„Irgendeiner muss immer dran glauben."
„Wie wäre es, wenn du mich etwas ernster nimmst?"
„Ich versuche nur, dich aufzumuntern."
Sie sah zu ihm hoch, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. „Du könntest mich aufmuntern, indem du mir einen Geheimgang zeigst, durch den ich mich davonschleichen kann, bis alles vorbei ist."
„Könnte ich", nickte er. „Aber ich schätze, dein Gemahl würde mich dafür umbringen."
„Das würde er niemals. Er liebt dich viel zu sehr."
„Ich weiß. Also gut, er würde mich nur eine Weile verbannen?"
„Wir könnten zusammen nach Rhûnar fliehen, bis er sich beruhigt hat."
„Und du meinst, Thranduil bleibt solange hier und wartet tatenlos?"
Sie beendete die folgende Schweigeminute mit einem abgrundtiefen Seufzer. „Nein, würde er wohl nicht."
„Wir sollten reingehen und versuchen, dich in diese atemberaubende Robe einzupacken", schlug Legolas vor. „Nicht, dass ich etwas gegen dieses leicht durchscheinende Stück Tunika habe, das du am Leib trägst, aber langsam wird es Zeit."
„Ich habe befürchtet, dass du das sagst", murmelte sie finster, bevor sie sich umdrehte und mit neuer Entschlossenheit in den Wohnraum marschierte.
Die ganze Unternehmung erlitt einen kleinen Rückschlag, als sowohl Varya als auch Legolas versuchten, die Geheimnisse verborgener Verschlüsse, Bänder und sonstigen Zierrats an ihrer Robe zu entschlüsseln. Legolas hätte nie gedacht, dass es so viel schwerer sein würde, eine Elbin anzuziehen, als den umgekehrten Weg zu gehen. Nach einigen Fehlschlägen, in denen das kostbare Stück ein gewisses Eigenleben entwickelte, stand Varya schließlich mitten im Raum und sah ihn fragend an. „Wie sehe ich aus?"
Legolas räusperte sich. Ihm fielen auf Anhieb ein ganze Anzahl von Worten ein, die bei ‚großartig' begannen und irgendwo weit darüber aufhörten. Er beherrschte sich. Varya wollte keine Komplimente, auch wenn sie alle zutrafen, sondern Manöverkritik. „Gut. Der Ausschnitt ist recht, hm, luftig."
Prompt zerrte sie erfolglos an den beiden Seiten von Tunika und Robe herum, die sich beharrlich weigerten, sich schon weiter oben zu treffen. „Das war dein Vater! Er hat dauernd mit der Schneiderin getuschelt. Anfangs war es ein hochgeschlossener Stehkragen."
Das war er jetzt eindeutig nicht mehr. Tiefes Verständnis für Thranduil erfüllte Düsterwalds Erbe. Beinahe genauso tief wie dieser Ausschnitt, von dem man sich wirklich nur schwer losreißen konnte. So anstrengend wie dieser Abend werden würde, wollte sein Vater wahrscheinlich wenigstens seinen Augen etwas Frohsinn gönnen.
Varya strich sich die langen, ungeflochtenen Haare hinter die Ohren und zum ersten Mal wirkte sie etwas entspannter. „Wenigstens ist Thranduil nicht auf die Idee gekommen, mir auch noch eine Krone aufzusetzen. Tisvien murmelte zwar dauernd etwas davon rum und wollte wieder diese komplizierten Sachen mit meinen Haaren machen, aber ich hab ihr gesagt, dass es keine Krone geben wird."
„Langsam wird es wirklich Zeit", wich Legolas aus und reichte ihr den Arm.
Er bezweifelte, dass Varya noch einen Schritt in Richtung Thronsaal machen würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Dabei war die Krone ein außergewöhnlich schönes Stück, wie er sich erst am Morgen überzeugt hatte. Ein Geschenk der Kaufmannschaft Esgaroths, überreicht durch den mittlerweile kugelrunden Bürgermeister und eindeutig von Noloin vorgeschlagen, weil sie nämlich wie ein feines Spitzennetz mit Blütenbesatz gearbeitet war und genau zu Varyas Armband passte, das ihr der Juwelenhändler in einem unzwergischen Anflug von Großzügigkeit vor zwei Jahren verehrt hatte.
Der Weg zum Thronsaal war wohltuend verlassen. So spät, wie sie beide dran waren, wartete jetzt wohl auch schon der Letzte darauf, dass die Hauptperson eintraf. Der einzige Zwischenfall war der Moment, als beide Elben zusammenschraken, weil sich Ionnin lautstark von der Decke fallen ließ, kaum näherten sie sich dem Vorraum des Saales.
„Vielleicht sollte ich auf seinem Rücken hineinreiten", überlegte Varya mit einem bösen Grinsen. „Dann wissen alle sofort, wen sie da als Königin bekommen."
„Thranduil wäre nicht sehr begeistert." Thranduil war möglicherweise sowieso nicht begeistert, weil Ionnin es sich einfach nicht nehmen ließ, den beiden fröhlich schaukelnd zu folgen.
„Warum soll es ihm besser gehen als mir?"
„Varya…"
„Schon gut, schon gut." Mit wirklich sehr langsamen Schritten ging sie auf die noch geschlossene Doppeltür zu, vor der zwei Mitglieder der Garde standen, die Hände bereits auf die Klinken gelegt und begierig darauf, die Türflügel endlich aufreißen zu können. „Noch sind wir nicht drin, Legolas. Ich könnte immer noch…"
„Nein!" unterbrach er sie am Ende seiner Geduld und zog sie mit sich. „Du bist doch sonst kein Feigling. Stell dir einfach vor, dort drinnen ist eine Horde Spinnen, gerade findet ein blutiger Kampf statt und jede Menge Schwerverletzte liegen herum und brauchen dich."
„Und das soll mich aufmuntern?"
Auf sein Nicken hin walteten die beiden Wachen ihres Amtes. Langsam öffneten sich die Türflügel, begleitet zuerst vom Gemurmel der Anwesenden, die bis auf einen freien Streifen in der Mitte des hell erleuchteten Saales den Raum bis zum letzten Platz füllten. Einen Moment verstand Legolas sogar Varyas Ängste. Die Menge der prachtvoll gekleideten Elben, die vielen Lichter, das Glitzern von Juwelen. Unendlich weit entfernt stand sein Vater und sah ihnen entgegen.
Stille umgab sie, während sie den freien Gang herunter schritten. Nur das Rascheln der Roben, wenn sich die Elben entlang des Weges verneigten, unterbrach diese Ruhe. Selbst Legolas verspürte nun einen Anflug von Nervosität. Zu seiner Überraschung schien mit jedem Schritt Varyas Sicherheit zu steigen. Ein Seitenblick bestätigte das. Sie hatte nur noch Augen für Thranduil und er für sie. Der Saal hätte sich durch einen Zauber plötzlich leeren können und die beiden hätten es nicht bemerkt.
Kurz bevor sie die drei Stufen erreichten, die hinauf zu dem erhöhten Teil des Saales führten, auf dem der Platz des Königs war, machte sich Legolas vorsichtig von Varya los, scheuchte Ionnin zur Seite und gesellte sich zu Berelion und Galen. Varya brauchte seine Unterstützung nicht mehr.
Furcht und Freude gleichermaßen erfüllten ihn, als Thranduils Königin die Stufen herauf stieg. Die Zeichen mochten noch schwach sein, aber neue Dunkelheit zog herauf. Wie viele gemeinsame Jahre auch immer den beiden noch gegönnt waren, sollte eines Tages einer von ihnen seinen Lebensweg beenden, würde der andere das nicht überstehen.
Legolas' rechte Hand schloss sich unwillkürlich um den Griff des Schmuckdolches an seinem Gürtel. Er würde seine Familie schützen, mit allem, was ihm zur Verfügung stand und wenn er bis nach Mordor dafür gehen musste.
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finis
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Ich bedanke mich bei allen, die mir durch ihre Reviews geholfen haben, diese Geschichte erst zu schreiben und dann auch zu beenden. Die Fehler aufgespürt haben (über die Pistole komm ich echt nicht hinweg, Sarah), durch ihre Aufmerksamkeit dafür gesorgt haben, dass ich immer wieder kontrolliert habe, ob es auch halbwegs logisch ist, mir Ideen geschenkt haben, wenn ich ratlos war und…ich danke euch.
O
Sollte es eine neue Heiler-Story geben und irgendwie glaub ich auch dran +smile, wird es aber noch etwas dauern. Wie wahrscheinlich die meisten Schreiberlinge, quillt meine virtuelle Schublade noch von anderen Storys über. Eine davon, die für jemanden geschrieben wurde, der gewöhnlich meine Fehler ausmerzt und sich durch einen wirklich enormen Respekt vor Elrond auszeichnet, werde ich übernächste Woche posten. Es ist eine kurze Geschichte (wirklich kurz, winzig sozusagen), völlig AU und pure Romanze (a la Zita). Das Rating erhöht sich für meine Verhältnisse sprunghaft im letzten Kapitel +rotanlauf+.
O
Leseprobe gefällig von Treibsand in Imladris?
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„Allerdings", grollte Elrond und dachte an die in letzter Zeit immer unzweideutigeren Avancen, die ihm gemacht wurden. „Letztens lag eine in meinem Bett, als ich in mein Schlafzimmer kam. Sehe ich eigentlich aus, als hätte ich es so nötig?"
„Sie halten dich für einen gramgebeugten Ehemann, der Aufmunterung
sucht."
„Die beste Aufmunterung war, als Celebrian durch dieses Tor da geritten
ist und endlich weg war." Elrond schüttelte sich leicht. „Ich
frage mich wirklich, wie Celeborn das aushält. Celebrian ist die Kopie
ihrer Mutter, nur dümmer. Warum habe ich sie eigentlich geheiratet?"
„Sie ist schön?" schlug Erestor scheinheilig vor.
„Wer ist das nicht?" Elrond verfolgte abwesend, wie Ameryne beinahe
verzweifelt die Körbe aus den Händen der Zwillinge riss, um endlich
die Flucht antreten zu können. Das ganze hatte schon beinahe
Ähnlichkeit mit einem Ringkampf. Seine Söhne waren echte Halunken und
er liebte sie sehr. „Hätte ich geahnt, dass meine Gattin den
Verstand einer Efeuranke und das Gefühlsleben eines Kieselsteins hat,
wäre ich bis nach Mordor getürmt, um dieser Ehe zu entgehen."
„Was ihr Gefühlsleben angeht, kommt sie eindeutig nach ihrer Mutter,
wenn man Celeborn Glauben schenken darf", nickte Erestor weise. „Er
hat noch versucht, dich zu warnen, aber du hast zum ersten Mal in deinem Leben
ausschließlich nach dem Äußeren geurteilt. Tja, Fehler fordern
ihren Preis."
„Ich hab ihn schließlich bezahlt", knurrte Elrond und
schüttelte sich erneut. „Wenigstens unsere Kinder kommen nach
mir."
