Liderphin: Danke für dein Review, hier kommt das nächste Kapitel... liest sonst noch jemand?


Der Brief

Nachdenklich beobachtete Legolas am nächsten Morgen seine Schwester, die gemeinsam mit Gildin in den weitläufigen Gärten der Feste spazieren ging. Ihm war in letzter Zeit aufgefallen, wie häufig die beiden sich trafen, und fragte sich, ob er irgendwie etwas verpasst haben sollte. Gewundert hätte es ihn nicht – nicht einmal er selbst konnte bestreiten, dass er zu viel arbeitete und sich zu wenig um seine Schwester kümmerte. Und um seine Freunde, die, die ihm lieb waren. Aber was sollte er tun? Seufzend wandte er sich vom Fenster ab und setzte sich hinter seinen Tisch.

Ein Umschlag fiel ihm ins Auge, der am Tag zuvor noch nicht dort gelegen hatte. Er war an ihn adressiert – was nicht weiter verwunderlich war – doch die Schrift war leicht verwackelt, es schien, als hätte die Hand des Schreibers heftig gezittert. Argwöhnisch zog er den angerissenen Bogen Pergament hervor und begann zu lesen.

Als Gildin und Mîrenithil kurz darauf das Zimmer betraten, fanden sie ihn im Aufbruch begriffen. „Wo willst du hin?"

Legolas hielt inne, sah auf und ließ seinen Blick kurz und bedeutsam zwischen den beiden hin und her wandern. Er meinte zu bemerken, wie Gildin leicht den Kopf einzog. „In Ithilien wird meine Anwesenheit benötigt. Es ist zu mehreren Überfällen gekommen; ich will dort nach dem Rechten sehen.", entgegnete er schließlich und nahm seinen lórischen Langbogen zur Hand, um die Sehne zu überprüfen. Zufrieden betrachtete er schließlich die Bewaffnung, die er gedachte mitzunehmen. „Ich werde bald wieder hier sein, Schwester. Erwarte mich in einem Monat – bis dahin, lass mich bitte einen Moment mit Gildin allein."

„Wie du meinst.", erwiderte Mîrenithil gedehnt. „Ich warte im Hof."Mit diesen Worten verließ sie den Raum und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss.

„Ich möchte, dass du in meiner Abwesenheit die Regierungsangelegenheiten übernimmst, Gildin. Nicht anders, als sonst auch, ich weiß. Doch möchte ich dich bitten, besonders sorgfältig zu sein.", meinte er dann und blickte seinen ersten Berater durchdringend an.

„Gibt es Probleme, die Euch zu dieser Bitte veranlassen...? – Natürlich, das versteht sich von selbst.", fügte er hastig hinzu, als er Legolas' hochgezogene Augenbraue sah. „Denkt nicht, dass ich außergewöhnliche Veranlassung bräuchte, um Eure Geschäfte so gewissenhaft wie mir eben möglich weiterzuführen. Aber es interessiert mich, um ehrlich zu sein."

Legolas bewegte in einer nichtssagenden Geste den Kopf. „Einen konkreten Grund kann ich dir leider nicht nennen. Es ist mehr... ein Gefühl, ein Flüstern, das durch die Welt geht. Unruhe liegt im Wind in den Bäumen, Aufregung herrscht in den Gewässern. Es ist ein Aufmerken, bevor die Ruhe vor dem Sturm eintritt. Mehr nicht. Doch ich nehme dies durchaus ernst. Deswegen meine Bitte an dich. Viele Worte will ich nicht mehr verlieren, Gildin – nur noch eines." Auf den fragenden Blick seines Gegenübers sprach er langsam und sehr betont weiter. „Kann es sein, dass du etwas vergessen hast?"

„Nicht, das ich wüsste... oh.", begriff er auf Legolas' bedeutenden, scheinbar strengen, in Wirklichkeit jedoch amüsierten Blick hin. „Natürlich, verzeiht. Wie konnte ich nur... wie..."Er kam leicht ins Stottern.

Ein leuchtendes Lächeln trat auf Legolas' Gesicht. „All die Jahre, Gildin, all die langen Jahre. Und noch immer bist du so darauf bedacht, was du sagst. Wie auch Elladan und Elrohir, fiel mir auf. Mache ich wirklich einen so jähzornigen Eindruck? Du solltest mich wirklich besser kennen."Auf Gildins verdutzten Blick hin lachte er. „Du bist abwesend in letzter Zeit, so scheint es mir. Fehlen dir nun auch noch die Worte?"

Gildin erlaubte sich einen Moment des Nachdenkens, bevor er langsam zu einer Antwort ansetzte. „Nein, als jähzornig habe ich Euch wahrlich nicht kennen gelernt. Jedoch ist es mir aus verschiedenen anderen Gründen dennoch nicht angenehm, Euch verärgert zu sehen. Gleichzeitig weiß ich um Eure jetzigen Gedanken, deswegen stelle ich die Frage dennoch: Habe ich Euer Einverständnis, etwas Zeit mit Eurer Schwester zu verbringen?"

Das Lächeln des Königs wurde noch etwas breiter. „Immer noch so zurückhaltend, Gildin. Aber selbstverständlich, das hast du. Was die Regierung angeht: Du weißt, was du zu tun hast, denke ich. Sei so gut und gib etwas acht auf Lathron. Ehrlich gesagt, ich traue ihm nicht vollkommen über den Weg. Es wird sich zeigen müssen, wie lange er sich in dem Posten halten kann, den er nun bekleidet."

Gildin nickte verstehend, wieder vollkommen in seinem Element als Berater. „Auch mir fiel auf, dass er nicht vollkommen... passt, so nenne ich es, mir fehlen bessere Worte. Doch ich denke, Ihr versteht, was ich meine... reist Ihr alleine?", fragte er dann besorgt, obwohl er die Antwort schon kannte.

„Natürlich, wie ich es schon immer tat – nein, Gildin, ich will nichts hören.", unterbrach er sein Gegenüber scharf, bevor dieser zu einer Argumentation ansetzen konnte, warum es mehr als unklug war, ohne Garde unterwegs zu sein. „Seit jeher reise ich alleine durch die Länder Mittelerdes und so halte ich es, wenn nicht die Etikette etwas anderes erfordert. Doch dies tut sie nicht, da ich in mein eigenes Reich reise. Nein, Gildin."

Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür nach draußen, bevor Gildin etwas erwidern konnte. Resignierend folgte der erste Berater ihm, durch die langen Gänge der Feste Eryn Lasgalens hinaus in den Hof, wo Mîrenithil bereits auf ihn wartete.

„Pass auf dich auf.", flüsterte sie ihrem Bruder ins Ohr, während sie ihm die Zügel seiner Stute reichte.

Legolas nickte ihr dankbar zu und schwang sich mühelos in den Sattel. „In einem Monat bin ich wieder hier, vielleicht auch schneller... mach dir keine Sorgen, Schwester.", fügte er leise hinzu, bevor er sein Pferd antrieb und aus dem Hof hinausritt.

Mîrenithil sah ihm nach und konnte ein leises Seufzen nicht unterdrücken. Sie hatte es ihrem kleinen Bruder nie gesagt, würde es wohl auch nie tun, doch innerlich starb sie tausend Tode, wenn er wieder einmal seinen Kopf durchgesetzt hatte und alleine durch dieses Tor hinaus in die Welt ritt. Sie wusste, dass er durchaus in der Lage war, sich zu verteidigen – doch das linderte die Sorge um ihn nicht im Geringsten. Mîrenithil glaubte nicht an Dinge wie Schicksal und Glück, sondern nur an einfache Logik – und mit jedem Mal, das er alleine unterwegs war, sank die Wahrscheinlichkeit, dass er unversehrt wieder zurückkehrte in seine Hallen.

„Auch Ihr werdet ihn niemals davon abbringen können.", hörte sie Gildins Stimme hinter sich, fühlte eine Hand auf ihrer Schulter.

„Das weiß ich. Aber das hält mich nicht davon ab, es zu versuchen – genauso wenig wie Euch.", entgegnete sie fester Stimme und sah ihn durchdringend an.

Gildin zuckte mit den Schultern. „Ich würde lügen, würde ich sagen, ich könnte meine Sorge um Euren Bruder leichtfertig als unbegründet abtun – doch ich kann ehrlich behaupten, dass der Weg nach Ithilien nicht als gefährlich gilt, Mîrenithil. Ich werde einen Brief an den Statthalter schreiben, dass er eine Garde ausschickt, die ihm entgegenreiten soll, falls Euch das beruhigt."

„Ihr seit Euch darüber im Klaren, dass er ganz und gar nicht begeistert davon sein wird, wenn er davon erfährt. Und er wird davon erfahren.", meinte Legolas' Schwester leicht beunruhigt.

„Vielleicht. Aber wenn es Euch beruhigt, nehme ich seinen Zorn in Kauf."

„Nun sind es wieder nur wir beide, Sinye.", murmelte Legolas leise, nachdem er die Stadt durchquert und das Waldtor passiert hatte, nachdem er alleine durch Eryn Lasgalen ritt. Sein Pferd, eine drahtige, graue Stute der Rohirrim, schnaubte leise.

„Wieder einmal."

Sinye fiel in einen weichen Galopp, wie er typisch war für die Pferde der Riddermark. Legolas entspannte sich ein wenig, schloss kurz die Augen und genoss den warmen, nach Wald duftenden Wind auf seinem Gesicht. Viel zu lange war er nicht mehr auf Reisen gewesen, viel zu lange eingesperrt zwischen Zeremonien und Briefen, zwischen Pflichten und Verantwortung.

Er hatte seine Gründe, warum er keine Garde wollte. Niemals hatte er Mîrenithil oder Gildin oder irgendjemandem davon erzählt, doch es war mehr als pure Gewohnheit oder Sturheit seinerseits. Viel mehr als das.

Der Wunsch nach Freiheit, der ihn begleitete seit dem Tag, an dem die Königswürde auf ihn überging, seit dem Tag, an dem sein Bruder tot nach Hause gebracht wurde, seit dem Tag, an dem sein Vater starb und mit einem Mal die ganze Last der Herrschaft allein auf seinen Schultern lastete. Früher war es oft vorgekommen, dass er zusammengebrochen war und es nicht geschafft hätte aufzustehen, ohne die Hilfe seiner Schwester und Gildins. In den langen Jahren hatte er damit zu leben gelernt, doch niemals wurde er glücklich damit – und würde es niemals werden. Zu laut war die Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn beständig mahnte, ja keinen falschen Schritt zu tun, da er sonst stürzen würde, fallen.

Und auch der Wunsch danach, wieder leben zu können ohne die Bürden der Gegenwart und die Erinnerungen an die Vergangenheit. Wie oft geschah es, dass er des nachts schweißnass erwachte, gejagt durch Träume und Vorahnungen, die sich niemals bewahrheiten würden. Und doch warfen sie Schatten auf sein Gemüt, ließen ihn seltener lächeln und noch seltener lachen. Ließen ihn niemals glücklich werden.

Er brauchte diese einsamen Tage in der Wildnis, nur er, Sinye und der Wind, der über die Weiten Mittelerdes wehte. Er brauchte sie um sich daran zu erinnern, wer er war, und warum er immer noch hier verweilte. Niemals hatte sein Herz den Schrei der Möwen vergessen können, kein Tag verging, an dem er nicht an das Meer dachte. Jedoch – kaum tauchte das Bild eines grauen Schiffes vor seinen Augen auf, sanft schaukelnd auf Wellen wie aus flüssigem Gold, frischte der Wind auf, flüsterte in den Blättern der Bäume, sang über den grasbedeckten Hügeln und hielt ihn hier, in Mittelerde.

Zu vieles gab es, von dem sein Herz sich weder lösen wollte noch konnte. Sonnenaufgänge über den Ebenen, sturmgepeitschte Wolkenfelder am Horizont, Regen und Schnee, auf die ein neuer Frühling folgte. Er konnte sich nicht vorstellen, dies alles jemals aufzugeben – um keinen Preis dieser Welt oder der nächsten.

Er war wieder hier, allein in der Wildnis, und er genoss dieses Gefühl, als wäre es das letzte Mal.

„Er ist nach Ithilien aufgebrochen."

„Ich wunderte mich schon, denn ich sah sein Pferd nicht in den Ställen.", entgegnete Elladan nickend. „Aber um auf ein anderes Thema zu kommen, Mîrenithil – wer ist dieser Junge dort?"Er deutete unauffällig hinter ihren Rücken.

Ohne den Blick zu wenden, wusste Legolas' Schwester, wen er meinte. Es gab nur einen Elben unter den Beratern ihres Bruders, der als ‚Junge' bezeichnet werden konnte. „Lathron. Er ist noch nicht lange hier und wird es auch nicht bleiben. Legolas mag ihn nicht."

„Ich kann mir denken, warum.", kommentierte Elladan ihre leicht abschätzige Antwort und behielt den Elben weiterhin im Auge. „Lass mich raten. Sein Vater ist ein einflussreicher Mann und hat ihn hier eingeschleust."

„Wahrscheinlich. Ich weiß bis heute nicht, warum Legolas darauf eingegangen ist – aber er wird sich wohl gedacht haben, dass er keine Vorurteile gegen ihn haben sollte, und hat ihm eine Chance gewährt. Er ist drauf und dran, sie zu verspielen.", erzählte sie und klang zunehmend missbilligender.

„Warum nur?", fragte Elrohir ironisch, der mitgehört hatte und sich nun zu den beiden an den Kamin gesellte. „Ich glaube, er kann grade einmal zwei und zwei zusammenzählen, wenn überhaupt."

„Wenn überhaupt trifft es besser, als du denkst. Legolas mag ihn nicht – Gildin und ich halten ihn für gefährlich."

„Mîrenithil, bitte.", meinte Elladan herablassend. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass dieser... kleine Junge eine Gefahr für deinen Bruder werden könnte, oder? Er sieht nicht so aus, als wüsste er, wo bei einem Schwert die Schneide ist."

„Stimmt etwas nicht?", besorgt stand Mîrenithil auf, Elladans Antwort ignorierend, als Gildin stirnrunzelnd und scheinbar tief in Gedanken versunken den Saal betrat. Er blickte auf, als er ihre Stimme hörte.

„Allerdings. Ich habe gerade eine Antwort aus Ithilien erhalten."

„Und?"

„Dort weiß man nichts von den Orkangriffen."

TBC...

Wie gesagt, die Frage bleibt bestehen - wer liest?