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Reise durch die Nacht
Nacht. Tiefste, dunkelste, kalte Nacht.
Aus irgendeinem merkwürdigen Grund liebte er solche Nächte.
„Ruhig, Sinye.", redete er sanft auf die kleine Stute ein, die merklich beunruhigt war von der Totenstille um sie herum. Legolas kümmerte es kaum. Die Schwärze der Schatten, das silberblaue Schimmern des mondbeschienenen Nebels zwischen den Bäumen, der intensive Duft nach feuchtem Moos... all das schenkte ihm eher Ruhe und Frieden, als dass es ihm in irgendeiner Weise unangenehm war. Sacht zügelte er sein nervöses Pferd, ließ Sinye im Schritt den weichen Pfad entlang gehen.
Die dicke Schicht aus goldenem Laub dämpfte das Schlagen ihrer Hufe zu einen unhörbar leisen Geräusch. Die Baumkronen über ihm lichteten sich etwas und gewährten dem weichen Schein des Mondes Durchlass bis auf den Boden des Weges, bis auf die Lichtung, die Pferd und Reiter nun erreichten. Hätte sie jemand gesehen, in diesem so kurzen, scheinbar unbedeutenden Moment, so hätte er geglaubt, einen Geist zu sehen oder vielleicht einen der Maiar. Es war... es war... es war...
Es war einfach. Diese Person, dieser stille Beobachter hätte einfach nur gespürt, dass dort jemand war, der lebte, mit vollem Herzen und ganzer Seele, so tief verbunden war mit der Welt um ihn herum, dass er ihre Freude teilte und ihren Schmerz erlitt.
Nur ein Hauch reinstes Silber über dem regennassen Gras, gekleidet in Licht, im Wind wehende Haare wie aus Mondlicht gesponnenes Silber... wie aus einer anderen, höheren Lichtwelt, in der Wesen lebten, deren Macht und Wissen weit größer war als das eines schwindenden Sterblichen oder auch eines noch so alten Elben.
Dann besiegten die dunklen Regenwolken den Mond, und dieser zauberhafte Moment verschwand wieder in unendlichen Vergessen der Welt.
Legolas saß geräuschlos ab und führte Sinye zu einer großen Eiche, unter der er sein Lager aufzuschlagen gedachte. Viele Tage war er nun schon unterwegs, nur wenige Rasten hatte er sich und seiner Stute gegönnt... die Erschöpfung forderte ihren Tribut von ihm wie von seinem Pferd. Kaum hatte er die kleine graue Stute abgesattelt, als sie sich auch schon schwerfällig auf dem weichen Moosbett niederließ.
Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen setzte Legolas sich mit dem Rücken an den rauen Stamm des mächtigen Baumes, hob seinen Blick, der die Wolken durchdrang und die kalt schimmernden Sterne auf ihrem Samthimmel erblicken konnte... versank in den Träumen, die die Elben Schlaf nannten. Seine Augen wurden trüb und dunkel, sein Blick sah nicht mehr die Welt um ihn herum, war nach innen gekehrt...
„Schneller.", meinte Elladan mit eiskalter Ruhe und trieb sein Pferd unbarmherzig vorwärts durch die Nacht.
Sein Bruder folgte nur wenige Pferdelängen hinter ihm und antwortete zähneknirschend: „Es geht nicht schneller, Bruder."Auch er klang ruhig angesichts des gefährlich schnellen Tempos, mit dem sie unterwegs waren... unnatürlich ruhig. Hinter der ernsten Fassade lag eine ungekannte Anspannung, Sorge... Angst.
Nach Gildins Worten hatte ein ehrlicher Schock auf den Gesichtern der beiden gestanden, Mîrenithil war blass geworden, Stille hatte geherrscht. Die Entscheidung der Brüder war schnell gefallen.
Immer noch hatte Elladan das Bild vor Augen, das sich ihm geboten hatte, während er und sein Bruder durch das verwunschene Schloßtor hinaus geritten waren in den Wald. Legolas' Schwester, mit stummen Tränen auf dem Gesicht, verdunkelt der sonst so lebensfrohe Blick, zittrig die sonst so gefasst Bewegungen. Gildin hatte neben ihr gestanden, und in dem Moment, als die ersten Bäume begannen den Brüdern die Sicht zu versperren, hatte er sie in den Arm genommen, strich ihr mit einer Hand über das helle blonde Haar.
Ein schwaches Lächeln glitt über das Gesicht des Jüngeren von Elronds Söhnen. Eigentlich hätte er sich freuen sollen, doch in diesem Moment hatte er gar nichts mehr gespürt – außer einem leisen Stich, irgendwo in ihm... Gewaltsam holte er sich wieder zurück in die Realität. Hier und jetzt ging es um etwas anderes.
„Wir müssen ihn finden..."Sie mussten ihn finden... bevor diejenigen es taten, die diesen falschen Brief geschrieben hatten. Denn mit Sicherheit war es die Absicht des Schreibers gewesen, Legolas fortzulocken aus Düsterwald, hinaus in die Wildnis, alleine und ohne Schutz. So schnell es ging waren die Zwillinge nun schon unterwegs, doch insgeheim hatte Elladan nicht viel Hoffnung, Legolas einzuholen. Zwar ritt er kein Pferd elbischer Zucht, keinen starken Hengst, sondern eine kleine Stute der Rohirrim, doch auch diese konnte sich ohne weiteres mit den stolzen Schimmeln messen... und Legolas selbst war ebenfalls weit ausdauernder als die meisten Elben, brauchte weniger Schlaf, weniger Rast.
„Ich will nicht pessimistisch klingen, Bruder, aber ich bezweifle, dass wir ihn einholen werden.", sprach Elrohir das aus, was sein jüngerer Bruder kurz zuvor bereits gedacht hatte. „Er wird schon..."Er brach ab, als sein Pferd plötzlich stolperte, beinahe stürzte. „Ruhig...", murmelte er dem Tier zu und brachte es am Rande des Weges zum Stillstand. Mit vor Panik weit aufgerissenen Augen starrte es in die Nacht vor ihnen. Die Brüder folgten dem Blick und den wachsam aufgesperrten Ohren misstrauisch.
„Dort vorne ist irgend etwas. Weit weg, aber da ist etwas."
„Ja... Orks?"
„Wahrscheinlich.", meitne Elrohir abschätzend. „Ich wüsste nicht, wer sich sonst mitten in der Nacht in diesem Teil des Waldes herumtreiben sollte."
„Außer uns beiden, meinst du."
„Außer uns beiden."
Er erwachte, als Sinye unruhig schnaubte und aufstand. Sekundenlang beobachtete er das zuckende Spiel ihrer empfindlichen Ohren, bevor auch er selbst die fast unhörbar leisen Geräusche in der Ferne vernahm... die stetig näher kamen, direkt auf ihn zu. Im Nu war er auf den Beinen und legte der Stute eine Hand über die Nüstern, um sie im Ernstfall von einem Schnauben abhalten zu können. Beruhigende Worte flüsterte er in ihre Ohren, leise wie ein warmer Windhauch im Sommer durch die Kronen der Wälder fuhr. Dann wartete er ab.
Sie kamen näher, immer näher. Die leisen Geräusche wandelten sich in schwere Schritte, leise Worte, gesprochen in einer schwarzen Sprache, ersetzten das Gemurmel zwischen den Bäumen. Legolas runzelte die Stirn. Ihm wollte die Situation nicht so recht gefallen – aus irgendeinem Grund, den er eher intuitiv denn logisch nennen wollte, hatte er das Gefühl, sie suchten nach ihm. Nach einem kurzen Blick auf den Weg, nach einer kurzen Suche, ob er etwa gut sichtbare Spuren hinterlassen hatte – was nicht der Fall war – sprang er auf den ungesattelten Rücken der Stute und ließ sie antraben, in der Hoffnung, dass diese Wesen die Zeichen seiner Rast nicht bemerkten.
Eine Hoffnung, die sich schon bald als vergebens erwies.
Sie mussten ihn wirklich gesucht haben. Durch ihre lauten Stimmen hindurch hörte er das heisere Bellen von Hunden, die seine Spur gewittert hatten... sie waren ihm auf der Fährte. Jede Deckung aufgeben brachte er Sinye in eine schnellere Gangart, galoppierte auf ihrem Rücken den Weg durch den Wald entlang, der ihn in zwei Tagen an die Grenzen Ost-Lóriens geführt hätte. Jetzt würde er wohl einen Umweg nehmen müssen, abseits der bekannten Wege reiten...
Für einen Moment schalt er sich selbst unvorsichtig, alleine geritten zu sein, denn immer noch waren die dunklen Gegenden in den Wäldern Mittelerdes alles andere als frei von üblem Gesindel. Doch sofort rebellierte ein Teil von ihm gegen das Selbstmitleid, dass in ihm aufstieg. Warum sollte er auch bereuen? Warum zurückblicken und sich fragen, ob er Fehler begangen hatte? Warum zweifeln, ob seine Entscheidung falsch gewesen war, ob er sich an einem Punkt anders hätte entscheiden können oder sollen...? So lange... so lange Jahre hatte er vor dieser Entscheidung gestanden, und er hatte sich entschieden für die Einsamkeit, immer und immer und immer wieder. Niemals hatte er bedauernden Herzens zurückgeblickt, niemals bereut. So auch heute nicht.
Sie kamen.. kamen immer näher. Warge, er konnte sie hören. Beinahe bildete er sich ein, ihren heißen Atem bereits im Nacken zu spüren. Mit einer Hand griff er nach seinem Schwert und zog es mit einer fließenden Bewegung aus der reich verzierten Scheide. Er war bereit.
Dennoch... zu spät sah er den schwarzen Schatten.
„Was meinst du.. was wollen sie hier...?", fragte Elladan leise und lugte vorsichtig durch die Zweige eines dornigen Busches auf die fackelerleuchtete Lichtung, auf der die Orks ihr Lager aufgeschlagen hatten.
„Rückendeckung, würde ich sagen. Sie werden Legolas auf dem Weg nach Ithilien angreifen wollen..."
„... und für den Fall, dass er zurück nach Eryn Lasgalen flieht..."
„Ja, komm mit."
Lautlos schlichen die beiden zurück zu ihren Pferden, saßen auf und ritten in einem weiten Bogen um die Lichtung herum, in der Hoffnung, nicht noch mehr Orks zu begegnen.
TBC...
