Samusa: Danke für das Review!


Wie eine Kerze im Sturm

„Ich weiß, dass es mich eigentlich mit Erleichterung erfüllen sollte, dass keine Orks gefunden wurden", meinte Legolas angespannt und blickte hinaus in die Nacht, „doch das tut es nicht, im Gegenteil. Selten fühlte ich mich so unruhig, selten war ich mir so sicher, dass etwas geschehen wird, schon bald. Es liegt in der Luft."

„Du und deine düsteren Vorhersagen...", murmelte Elrohir leicht amüsiert.

„Lach nur", erwiderte der Angesprochene verstimmt. „Ich spüre es im Wind – und ich habe gelernt, mich auf dieses Gespür zu verlassen."

Er drehte sich abrupt um und durchquerte mit großen Schritten den Thronsaal, der zu dieser späten Stunde nur durch wenige Lichter erhellte wurde. In dem silbernen Glanz schienen alle Anwesenden wie von Innen heraus zu leuchten. Ein leiser Schimmer lag über ihren Gesichtern, ihrem Haar, wie ein Schleier aus Sternenlicht. Die Zwillinge, Tirithion und Estelril sahen ihn mit gemischten Gefühlen an. Radagast schien tief in Gedanken versunken zu sein und nicht gehört zu haben, was soeben gesprochen worden war.

„Immer noch weiß niemand, woher die verbrannten Orks kamen und wer sie tötete. Die Grenzen Mordors sind uns zu nah, als dass ich leichtfertig mit der Gefahr umgehen könnte, Geschöpfe des Dunklen könnten in mein Land eindringen. Das müsstet ihr beide eigentlich wissen." Sein Blick traf die Augen der Zwillinge. „Tut mir den Gefallen und reitet noch einmal hinaus, mit einem Dutzend Soldaten. Sucht bis an die äußersten Grenzen Ithiliens, berichtet mir alles, gleich wie unwichtig es zu sein scheint."

„Wie du willst."

„Wenn es dich beruhigt...", fügte Elladan hinzu.

„Das tut es, wenn auch nur ein wenig. Tirithion, du und deine Männer werdet sie begleiten... brecht sobald wie möglich auf."

Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ rasch den Saal, um den Dreien keine Möglichkeit zu geben, weitere Fragen zu stellen. Sein Weg führte ihn hinaus in die Gärten Êldannens, bewachsen von rotenblättrigen Bäumen und weißen Rosen. An einer leise plätschernden Quelle ließ er sich nieder und blickte unruhig in den Nachthimmel.

Etwas lag in der Luft. Mochten seine Freunde auch noch so sehr reden, es beruhigte ihn nicht im Geringsten. Sein Gefühl hatte nur ihn selten getrogen, würde es auch dieses Mal nicht tun. Unstet flackerten die Sterne am Firmament, kündeten von einer drohenden Gefahr... und von versiegendem Leben.

„Denkt Ihr nicht, dass Ihr spüren würdet, wenn ihm etwas zustieße?" fragte Gildin leise und darauf bedacht, die Ruhe in der Feste Eryn Lasgalens nicht zu stören. Dennoch schreckte Mîrenithil aus ihren Gedanken hoch und fuhr herum. „Verzeiht, ich wollte nicht..."

„Nein, es ist in Ordnung", sagte Legolas' Schwester rasch, als sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. „Wie kommt Ihr darauf, dass ich an meinen Bruder denke?"

„Nur er lässt Euch so in Gedanken versinken, dass Euer scharfes Ohr niemanden kommen hört", lächelte Gildin wissend. Zu seiner Freude ließ die Elbenfrau es zu, dass er einen Arm um ihre Schultern legte. „Ihr würdet es spüren", wiederholte er beruhigend.

Mîrenithil entfuhr ein kaum hörbares Seufzen. „Wahrscheinlich. Aber dies beruhigt mich nur wenig", gab sie langsam zu. „Noch ist er in Êldannen, aber ich weiß, er wird dort nicht lange bleiben. Er wird selbst an die Grenzen ziehen und sich ein Bild von der Lage machen wollen, sollten ihm seine Kundschafter keine klaren Auskünfte geben können..."

„So wie er es immer tat. Niemals ist etwas geschehen."

„Niemals war die Situation so ungewiss und gespannt. Nach dem Ringkrieg konnte nichts geschehen, die Orks hatten sich in die Tiefen Mordors zurückgezogen... aber nun, was, wenn sie wieder zurückkehren?"

Gildin unterdrückte ein Seufzen. „Was, wenn... was, wenn... ich bitte Euch, lasst diese Gedanken." Sacht strich er mit den Fingerkuppen über ihre Wange.

„Es ist schwer... so schwer, nicht daran zu denken... mich nicht davon einvernehmen zu lassen..." Ihre Stimme verlor sich im Flüstern des Windes.

Legolas zu verlieren wäre das schlimmste, was ihr passieren könnte, hatte sie doch schon die Tode ihrer Eltern und von zwei Geschwistern miterleben müssen. Die Familie Orophers bestand nur noch aus ihr und Legolas, niemand sonst hatte die langen Jahre des Kampfes gegen Sauron und seine Gefolgschaften überlebt. Sie hatten sich gegenseitig den Halt gegeben, den ihre Familie ihnen nicht mehr geben konnte, hatten sich gegenseitig über diese dunklen Jahre ihres Lebens hinweggeholfen. Waren sie getrennt, schien ihnen ein Teil ihres Herzens zu fehlen, welches zu schmerzen begann und nicht heilen konnte, bis sie wieder zusammen waren.

„Ich kann nicht verstehen, wie Ihr Euch fühlt, Mîrenithil... aber allein der Versuch es zu tun schmerzt mich bereits" gestand Gildin zögernd und wollte eben weitersprechen, als der Schwester des Königs ein leises Schluchzen entfuhr. Vorsichtig zog er sie in eine Umarmung. „Ihr wisst, dass diese Gedanken unbegründet sind. Es ist nichts als ein Gefühl, von keinem Verstand begründet..."

„Ist es deswegen weniger wert oder wahr als ein logischer Grund?" wisperte sie.

Gildin fand keine Antwort auf diese Frage.

Um die beiden herum flackerten die Kerzen im Wind.

„Ihr wollt wohin?" fragte Radagast überrascht.

„Nach Minas Tirith", wiederholte Legolas ungeduldig und winkte einem Stallknecht, sich zu beeilen. „Der König Gondors verstarb letzte Nacht."

„Was hat das mit euch zu tun?" erkundigte der braune Zauberer sich erstaunt und wich einen Schritt zurück, weil Sinye, die kleine graue Stute, unruhig umher tänzelte.

Legolas schien einen Moment lang eine scharfe Antwort geben zu wollen, überlegte es sich jedoch im letzten Augenblick anders und nahm sich zusammen. Er sprach hier mit einem Istar, nicht mit irgendjemandem. Es machte keinen guten Eindruck, wenn er derart die Kontrolle über sich verlor, seine Gefühle so offensichtlich nach außen hin zeigte.

‚Nimm dich zusammen', wies er sich selbst scharf zurecht, schloss kurz die Augen und atmete tief durch. ‚Nimm dich zusammen.' Langsam kehrte Fassung wieder zu ihm zurück, und als er die Augen öffnete, waren sie wieder erfüllt von dem bekannten, gefasst und ruhigen Ausdruck, typisch für Elben...

... doch irgendwie kalt und unwirklich, überlegte Radagast, als er ihn bemerkte. Dieser Ausdruck in den hellen Augen war es, der den Elben die für sie so typische Aura verlieh – der sie so unnahbar wirken ließ wie kein anderes Volk. Eigentlich hatte der alte Mann den Eindruck gehabt, dass Legolas irgendwie... anders war, meinte einen Funken mehr Wärme in seinen Augen gesehen zu haben.

Jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob es nicht nur seine Einbildung gewesen war, die ihn diese Flamme hatte sehen lassen.

„Es ist zur Tradition geworden, dass der König eines befreundeten Volkes den neuen Herrscher krönt. Doch seitdem die Zwerge sich immer mehr zurückgezogen haben, übernehme ich diese Aufgabe allein", erklärte Legolas schließlich. Er hielt plötzlich inne. „Schon seit Jahrzehnten vernahm ich nichts mehr von den Zwergen...", murmelte er dann kaum hörbar zu sich selbst.

Radagast nickte verstehend. Mit gemischten Gefühlen beobachtete er, wie der Elb sich auf den Rücken seiner Stute schwang und einen Blick zu den Zwillingen warf, bevor er die Hand zum Abschied erhob und durch das Schlosstor davonritt, gefolgt von Estelril und fünf weiteren Soldaten.

Kurz darauf erklomm Sinye schnaubend Amon Mallen, einen mit goldenen Blüten bewachsenen Hügel außerhalb der Stadt, von dem man einen freien Blick über die gläsernde Stadt Êldannen hatte. Im Sonnenlicht leuchteten ihre Dächer und Türme als wären sie aus puren Gold erbaut, besetzt mit weißen und silbernen Steinen.

Gegen seinen Willen huschte ein Lächeln über Legolas' Gesicht. Er liebte diesen Anblick wie wenige andere, erinnerte er ihn doch immer an all das, was er und seine Leute geschaffen hatten, an all die dunklen Jahre, die Mittelerde bereits überstanden hatte. Êldannen war in den Zeiten nach dem Ringkrieg ein weithin bekanntes Symbol für Frieden und Freundschaft zwischen den Freien Völkern geworden, war es in gewisser Weise noch immer – auch wenn die Zwerge und Hobbits beinahe verschwunden waren vom Antlitz der Lande, auch wenn Elben nur noch selten zu sehen waren unter Menschen.

Menschen. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, die Herrscher Gondors zu zählen, ihre Schicksale berührten ihn nicht mehr. Wieder einmal war das Lebenslicht eines menschlichen Königs erloschen. Das Leben eines Menschen war wie eine Kerze im Sturm, unbeständig flackernd und ständig bedroht vom nächsten unvorhersehbaren Windstoß.

„Herr, wir sollten uns beeilen", sprach Estelril neben ihm leise.

Sie hatten den Amon Mallen lange hinter sich gelassen und überquerten gerade die Grenze, die Legolas' Reich von dem Teil Ithiliens trennte, der den Menschen gehörte.

Der König warf ihm einen schiefen Seitenblick zu, bevor er Sinye in eine schnellere Gangart trieb und antwortete: „Es sind nur zwei Tage bis Minas Tirith. Zwei Stunden mehr oder weniger werden uns nicht weiterhelfen."

„Verzeiht, Herr, aber mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, so lange hier in der Wildnis zu verweilen mit so wenigen Männern..."

Er brach ab, als die Pferde scheuten und es im Unterholz zu rascheln begann.

TBC...