Samusa: Vieelen Dank für das liebe Review :)


Beta: Lalaithwen

Verloren

„Nein..."

Elladans Stimme brach mitten im Satz ab, er schluckte hörbar. Sein Bruder brachte kein Wort hervor; zu schrecklich war das Bild, das sich ihm bot. Er hörte das leise Knacken von winzigen Zweigen, spürte dann die Hand Elladans auf seiner Schulter. Sie war angenehm warm in der Kälte, die sich plötzlich über den Wald gelegt zu haben schien. Totenstille lag über der kleinen Lichtung, ab und an zerrissen durch den Ruf eines Vogels oder das feine Rascheln von Laub. Schweigen bedeckte das zertretene Gras wie ein Leichentuch. Die Sonne verschwand hinter grauen Wolkenbergen. Im dämmrigen Licht schienen die Bäume sich zu schwarzen Gestalten aufzutürmen, die drohend ihre Klauen ausstreckten, todbringend und unnachgiebig.

Schließlich riss Elrohir sich los von seinem eigenen Entsetzen, schüttelte die Hand seines Bruders ab und trat einige Schritte vor, unsicher, beinahe so, als wüsste er nicht, ob seine Beine ihn wirklich tragen würden. Als er schließlich in die Knie ging, schien es seinem Bruder, als würde er stürzen.

Er hatte schon vieles gesehen, Krieg und Blut und mehr Leid als es vorstellbar wäre, doch dieses Mal war es anders. Noch viel schlimmer.

Weit geöffnet und voller Schrecken, voller Panik sahen ihn die grauen Augen des Elben an, blickten ihn an aus einem zerschlagenen, blutüberströmten Gesicht. Blut sickerte immer noch langsam aus der Wunde, wo der Kopf vom Körper abgeschlagen wurde. Vorsichtig fuhren Elrohirs Finger über die starren Lider und schlossen sie sanft, bevor der Zwilling aufblickte, nur um überall das gleiche Bild zu erblicken: Erschlagene Soldaten, manche erstochen, manche geköpft, sechs an der Zahl... erschlagen... Legolas war nicht unter ihnen...

Wie vom Blitz getroffen fuhr er hoch, sprang über den Kadaver eines Pferdes, lief zum anderen Ende der Lichtung.

„Elrohir, was...", rief sein Bruder ihm überrascht hinterher, bevor er ihm folgte, schwer schluckend angesichts des Blutes, das bald schon an seinen leichten Schuhen klebte.

„Estelril, kannst du mich hören?" rief Elrohir laut und kniete hastig neben ihm nieder, fasste ihn vorsichtig bei der Schulter. „Estelril..."

Ein leises Stöhnen war die einzige Antwort, die er erhielt. Dann öffnete der Angesprochene mühsam die Augen, schien jedoch nicht zu erkennen, wer sich über ihn beugte. Die Haut in seinem Gesicht war kaum noch vorhanden, abgeschürft bis auf Fleisch und Knochen; sein linker Arm war vollständig abgetrennt, Blut schoss aus der Wunde, getrieben von dem verzweifelten Herzen eines sterbenden Körpers.

„Estelril..."

Endlich schien der Elb zu erkennen, wer dort zu ihm sprach. Sein Mund öffnete sich, eine schmale Blutspur benetzte seine Wangen und verschwand im besudelten Haar. Doch kein Laut drang hervor.

„Estelril", wiederholte Elrohir eindringlich und langsam. „Wo ist Legolas?"

Aus einem Traum aufschreckend schlug er die Augen auf. Um ihn herum war nichts als Schwärze, kalte, undurchdringliche Dunkelheit. Eine Weile lang blieb er einfach nur liegen, spitze, feuchte Steine im Rücken, und blickte sich um, auf der Suche nach Licht. Doch so sehr er die sonst so scharfen Elbenaugen auch anstrengte, er konnte nichts sehen – nicht den kleinsten Umriss, nicht den kleinsten Schimmer Grau. Vorsichtig stemmte er sich hoch, zusammenzuckend angesichts der Schmerzen, die ihn durchfuhren, und stand schließlich auf... nur, um an eine niedrige, unbehauene Decke zu stoßen. Er stieß einen leisen Fluch auf Quenya auf und ging wieder in die Knie, tastete sich durch den Raum. Eine Zelle war es, soviel stand fest. Eine schwere, eisenbeschlagene Tür, unmöglich zu durchbrechen. Keine Fenster, nur alte Wände, moosbewachsen, an denen Wasser hinabrieselte.

Wie war er hier hingekommen?

Er erinnerte sich nur noch an beklemmende Schwere, die sich um seine Brust gelegt hatte, an eine Stimme, die seinen Namen rief... Estelril, Estelril und seine Soldaten, wo waren sie? Sollte er es wagen, ihre Namen zu rufen? Nein, lieber nicht... wer auch immer ihn hier gefangen hielt, sollte besser so lange wie möglich glauben, dass er bewusstlos war.

Was er aber viel interessanter fand, war die Frage, warum er hier war. Wer hätte Interesse daran, ihn hier gefangen zu halten? Orks, keine Frage, doch nicht die Orks selbst, sondern jemand, der sie führte. Kein Ork und kein Uruk konnte etwas daran finden – würden diese dahinter stecken, hätten sie ihn wahrscheinlich schon längst zu Tode gefoltert oder würden es immer noch tun. Nein, hier ging jemand viel... intelligenter vor, ein Mensch vielleicht. Die Möglichkeit, dass eine höhere Macht etwas damit zu tun hatte, wollte Legolas sich lieber nicht vorstellen, denn dann stünden seine Chancen ungleich schlechter.

Wieder begann er zu suchen, zu tasten. Dann fanden seine Hände etwas, das ihm bekannt vorkam. Hastig suchte er den Boden des Raumes ab, fand schließlich, was er suchte: Zwei kantige Steine. Indem er sie aneinander schlug, gelang es ihm, die kleine, schiefe Kerze anzuzünden, die in einer Ecke der Zelle gestanden hatte. Mit dem schwachen, flackernden Licht in der Hand sah er sich um, entdeckte jedoch nichts, was er nicht vorher schon ertastet hätte... außer, dass seine Kleider blutverschmiert waren, zerrissen, dass er selbst verwundet war und wahrscheinlich in Gefangenschaft von Orks oder ähnlichem lichtscheuen Gesindel.

Unschlüssig, was er nun tun sollte, ließ er sich an einer Wand hinab sinken, blies die schnell herunterbrennende Kerze aus und begann zu warten.

Lange Zeit zu warten.

„Weg? Was soll das heißen?"

„Weg... haben... mitgenommen...", wisperte Estelril mühevoll und hustete, spuckte Blut. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht, aus seinen Lippen; Elrohir spürte, wie die Haut des Elben erkaltete, wie er unter seinen Händen verstarb.

„Wohin?" fragte er noch, doch Estelril antwortete nicht mehr. „Wohin haben sie ihn mitgenommen..." Langsam ließ er den Elben zurück zu Boden sinken, schloss auch ihm die leblosen Augen. Lange saßen die Zwillinge dort stumm am Boden, teilten sich das Leid, das sie erlebten, wie nur Zwillinge es konnten – zwei Körper, doch nur eine Seele besaßen sie in solchen Momenten. Zwei Gestalten wie aus den alten Liedern der Elben, stolze und gefürchtete Krieger, hinter deren grausamen Angesicht ein weiches Herz schlug. Sanfter Wind kam auf, trug den Geruch des Waldes herbei und überdeckte den Gestank der Verwesung, spielte in den dunklen Haaren der Zwillinge. Als der Wind auffrischte und Wolken wie Pferde über den Himmel trieb, stürmte es auch in den grauen Augen der beiden, in denen ein Funken erwacht war. Beinahe gleichzeitig sahen sie auf und sich gegenseitig an.

„Wer? Wer könnte sieben Elben so ohne weiteres überfallen und töten? Leichen sehe ich keine... und es bedarf Kraft und großen Geschicks, Legolas zu fangen. Er ist schnell und gewand, niemand kann ihn leicht und ohne Schaden zu nehmen überwältigen...", sprach Elrohir nachdenklich.

„Niemand, den wir kennen", fügte Elladan hinzu. „Keine uns bekannten Wesen."

Sein Bruder nickte. „Und wer sollte Interesse daran haben? Eines steht fest: Er ist entführt worden. Lass uns aufbrechen, Bruder, zurück nach Ithilien. Wir müssen Gildin und Mîrenithil Bescheid geben, müssen nach ihm suchen. Komm." Er stand auf und streckte eine Hand aus.

Elladan ergriff sie und ließ sich von seinem Bruder hoch helfen, hielt seine Hand jedoch noch fest, nachdem er bereits sicher stand. Die Blicke der beiden trafen sich kurz, beide erfüllt von Schmerz und Zorn. Doch auch etwas anderes erfüllte Elladans Blick.

„Elrohir?"

„Ja?"

„Ich bin froh, dass du nachgekommen bist aus Eryn Lasgalen", meinte der jüngere Bruder leise.

Elrohir lächelte ihn sanft an. „Was glaubst du denn? Das ist dort bleibe in der Feste, während du hier solche Entdeckungen machen darfst? Wie kommst du gerade jetzt darauf, ich bin doch schon tagelang hier..."

Der andere zuckte nur mit den Schultern, ein leiser Schatten legte sich über sein Gesicht. „Nur so...", murmelte er und zog seine Hand plötzlich zurück, wollte zu seinem Pferd zurückkehren. Er hielt inne, als Elrohir erneut nach seiner Hand griff.

„Muindor", tadelte er. „Sei nicht so traurig."

„Unser König ist entführt worden, viele unserer Gefährten erschlagen – ist das kein Grund zu trauern?"

„Die Entführung und die Morde erfüllen dich mit Zorn und Schmerz, aber noch nicht mit Trauer", sprach Elrohir, trat näher an seinen Zwilling heran und legte die Arme um den Jüngeren. „Sei nicht so traurig. Es wird weiter gehen, du wirst jemand anderen finden, dessen bin ich mir sicher. Sei froh, dass sie glücklich ist. Sie hat es verdient, findest du nicht?" Elladan nickte leicht, bevor er seine Stirn gegen die Schulter des Bruders sinken ließ. „Sie ist wundervoll, ich weiß. Aber finde dich damit ab, dass sie unerreichbar für dich bleiben wird. Mîrenithil wird glücklich werden, das ist das Wichtigste", beendete er seine Rede. „Und nun komm, kleiner Bruder. Wir müssen melden, was geschehen ist."

TBC...

Noch ein Kapitel, dann ist mein Vorrat aufgebraucht. Also reviewt schön fleißig, dann hab ich mehr Motivation um weiterzuschreiben :)