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Verzweiflung

„Könnt Ihr denn gar nichts tun?" ereiferte Legolas sich. Verzweiflung klang eindeutig durch seine Stimme, kaum beherrscht und von leiser Furcht geprägt. Mit beinahe greifbarer Helligkeit schienen seine Augen durch das Dunkel der Zelle. Zerzaust fiel sein Haar ihm in die Stirn; kaum sichtbare dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, eingefallen waren die Wangen. Über die sonst so ebenmäßige Haut zogen sich tiefe, schon teilweise verheilte Kratzer; unter seiner Kleidung versteckte Prellungen ließen jede Bewegung schmerzhaft werden. Radagasts Zustand schien noch schlimmer zu sein. Die tagelange Gefangenschaft hatte ihn deutlich mehr mitgenommen als Legolas, war er doch gefangen im Körper eines alten Mannes, unfähig, die volle Macht seines Wesens zu entfalten. In sich zusammengesunken saß der Istar in einer Ecke der Zelle, schüttelte auf Legolas' Frage hin nur den Kopf.

„Nein...", murmelte er. „Uns Istari ist es nicht erlaubt, unsere volle Macht zu entfalten... ich könnte es nicht einmal, wenn ich es wollte..." Er brach ab.

Stumm starrte der Elb ihn an; Fassungslosigkeit in jedem einzelnen Gesichtszug stehend. Er wusste von den Gesetzen der Unsterblichen Lande, doch niemals war ihm ein Zauberer derart kraftlos und schwach vorgekommen – keine Weisheit lag mehr in seinen Worten, keine Hoffnung mehr in seinen Blicken. Sorge stieg in ihm auf; zweimal waren sie nun schon von den maskierten Unbekannten gequält worden und er begann um Aiwendil zu fürchten. Nichts hatte er ihren Peinigern entgegenzusetzen, weder an Zauber- noch an Willenskräften. Legolas fühlte sich zwar geschwächt, glaubte aber, noch lange nicht am Ende seiner Kräfte zu sein – obwohl er die Befürchtung hegte, dass das, was sie bisher erfahren hatten an Gewalt, noch längst nicht alles war. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass er hier noch lange Zeit würde ausharren müssen; die Frage war nur, ob in Gesellschaft des Istar oder alleine.

„Radagast?"

Der Alte schreckte hoch, blickte den blonden Elben müde an. Obwohl dieser kein weiteres Wort gesagt hatte, wusste der Zauberer genau, welche Frage ihm auf der Zunge lag; ein bitteres Lächeln huschte für den Bruchteil eines Augenblicks über sein Gesicht. „Verzweifelt nicht, Legolas. Ihr werdet euren Glauben und eure Hoffnung noch brauchen; sie werden Euch das Licht ersetzen, wenn Dunkelheit Euch umgibt. Hört, was ein alter Mann Euch sagt; eines Tages werdet Ihr die Sonne wiedersehen, den Wind wieder auf Eurem Gesicht fühlen – aber wenn es soweit sein wird, werdet Ihr einsam dort stehen, am Ende einer Ewigkeit, nach Jahrhunderten des Vergessens. Es wird ein langer Weg für Euch werden, dessen Ende auch ich nicht absehen kann – es liegt in Eurer Hand. Aber wie tief Euch diese Nacht hier um uns auch scheinen mag, vergesst niemals, dass irgendwo immer noch die Sonne scheint und dass Ihr sie wiedersehen werdet – aber ohne mich."

„Sie suchen nun schon seit Tagen...", wisperte Mîrenithil und zog die Decke enger um sich, als kühler Morgenwind durch die glaslosen Fenster hereinwehte.

„... und sie werden weitersuchen, bis sie ihn gefunden haben", beendete Gildin bestimmt ihren Satz. Sorgenvoll beobachtete er sie, die blass und still neben ihm lag; er fürchtete um sie, glaubte nicht daran, dass man ihren Bruder finden würde; wer auch immer ihn entführt hatte, war sicherlich nicht leichtfertig genug, ihn entkommen zu lassen – so er denn überhaupt noch am Leben war. „Und bis es soweit ist, werden wir tun, was wir können, um unser Leben weiterhin in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. Wer immer ihn entführt hat, wollte uns dadurch verunsichern – wir dürfen nicht zeigen, dass es ihm gelungen ist... verstehst du?" Auf ihr leichtes Nicken hin fuhr er fort: „Deswegen werden die Feierlichkeiten morgen auch wie geplant stattfinden."

„Er wäre so gerne dabei gewesen...", begann die Elbenfrau leise. „Da bin ich mir sicher, ganz sicher, Gildin."

„Ich weiß", erwiderte er und küsste sie sacht. „Das weiß ich auch..."

„Und es kann nicht so sein wie zuvor, nicht ohne Legolas. Niemals." Ein leises Seufzen von Gildin war die einzige Antwort, die sie erhielt.

Und auch, als sie viel später am Tag im festlich geschmückten Thronsaal neben Gildin saß, nagten und pickten die Gedanken an ihren Bruder beständig an der Freude, die sie eigentlich empfinden sollte. Ihr entgingen die Blicke, die ihr zugeworfen wurden, sie saß einfach nur stumm da, als wäre sie lieber irgendwo anders, nur nicht hier.

„Sie sieht nicht glücklich aus."

„Wärst du in der Lage, glücklich deine Hochzeit zu feiern, wenn ich verschwunden wäre?" fragte Elrohir spöttisch zurück, ohne jedoch die Sorge aus seinen Augen zu verbannen. Wieder legte er eine Hand auf die Schulter seines Zwillings, was seinen Worten die Schärfe nahm, nicht jedoch ihre Bedeutung. Elladan schüttelte den Kopf; seine Blicke verweilten bei Legolas' Schwester, ihr Ausdruck änderte sich nicht im Geringsten. Elrohir seufzte.

„Hör zu", meinte er gedämpft, darauf bedacht, niemanden von den umstehenden Personen mithören zu lassen. „Denk nicht mehr daran, Elladan. Sie wäre dem Bund mit ihm nicht eingegangen, wenn sie ihn nicht lieben würde, soweit müsstest du sie kennen. Dass sie nicht wirklich glücklich ausschaut, ist verständlich; lass es gut sein. Wenn du sie lächeln sehen willst, dann reise morgen zurück nach Lothlórien und kümmere dich dort um die Suche nach Legolas, in Ordnung? Ich werde auch zurück nach Imladris gehen. Ganz Mittelerde ist auf der Suche; wir werden ihn finden."

Mit glasigen Augen schaute der Jüngere zurück, schien nicht wirklich begriffen zu haben, was sein Bruder sagte. Dann schlich sich Verstehen in seinen Blick. „Wie du meinst", wisperte er zurück, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Mîrenithil richtete.

„... aber ohne mich."

Die Worte hallten immer noch in Legolas' Kopf wieder, als die Tür erneut aufging, als sie ihn erneut holten, wie so oft in den letzten Tagen. Und wie immer herrschte absolute Dunkelheit in dem Raum, in den sie ihn brachten; seine Wächter brauchten kein Licht, wussten auch so, wo er sich befand, hielten sie ihn doch durch Fesseln sicher unter Kontrolle.

Dann herrschte Stille. Sein Herz schien durch das Schweigen zu hämmern wie Donnerschläge, selten gekannte Furcht machte sich in ihm breit. Er wusste, was ihn erwartete, doch ein Teil von ihm weigerte sich beständig, es zuzugeben und sich darauf vorzubereiten; lieber schwelgte er noch ein wenig in der Illusion, das alles gut werden würde. Lange hielt sie sich jedoch nicht.

Sein gellender Schrei durchbrach die Stille wie ein Blitz die tiefste Nacht.

Ein Schlag aus der Dunkelheit schien erträglich im Gegensatz zu dem Schmerz, den sie ihm zufügten. Seine Stimme brach, der Schrei verlor sich in Schweigen, wurden scheinbar übertönt von dem rasenden Schlag seines Herzens. Zu brennen schien seine Haut, ihm war, als würde sie ihm in Streifen vom Körper gezogen werden, quälend langsam – nur, um Salz ins offene Fleisch zu streuen. Gelächter drang an seine Ohren, schwand langsam dahin, als Schwärze ihn umfing.

TBC...