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Traum vom Tod

Blut im Mund ließ ihn würgen und husten. Das Messer war tief in seinen Körper eingedrungen, schien ihn schwer verletzt zu haben – zu schwer vielleicht. Er spürte seine elbischen Heilkräfte schwinden, die ihn all die lange Zeit am Leben gehalten hatten. Sein Geist begann zu wanken, jegliche Zuversicht war zerstört, er stand am Abgrund. Doch noch war er nicht gestürzt – ganz im Gegensatz zu Radagast. Dieser befand sich bereits in freiem Fall. Der alte Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst.

„Ich werde zurückkehren in meine Heimat... endlich..."

Das leise Murmeln riss Legolas aus der sanften Bewusstlosigkeit, in die er hinabgeglitten war. Er setzte sich auf und blickte in das Gesicht Aiwendils, dessen Haut mittlerweile so grau und rissig wie altes Pergament war, dessen Augen kein Licht mehr erblickten, dessen Geist gebrochen war.

„Endlich..."

Er beugte sich vor und griff nach der Hand des Zauberers, spürte, wie sie unter seinen zerschnittenen Fingerkuppen erkaltete. „Frieden sei mit Euch...", wisperte er mit zitternder Stimme, während Radagast den Schleier silbernen Glases durchschritt, saphirblaue Meere und weiße Strände überflog, die grünen Wiesen und die stolz schweigenden Wälder wiedersah, die er so lange vermisst hatte... während der braune Zauberer flog mit dem Wind, frei wie einer der Vögel, deren Freund er gewesen war.

Leere breitete sich in Legolas' Kopf aus, als der Körper Radagasts sich langsam in Staub verwandelte und zerfiel. Obwohl es unmöglich war, wehte ein Luftzug durch die enge, dunkle Zelle und nahm den Zauberer mit sich, zurück in die Unsterblichen Lande, dorthin, wo seine Seele Frieden finden sollte. Doch er, Legolas, musst hier bleiben, hier ausharren, in dieser Hölle seines Lebens. Für immer.

Nein, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf. Du wirst hier nicht bleiben. Du wirst sterben, sieh es endlich ein. Sterben, vergessen sein wie so viele vor dir. Sie werden dich nicht finden, können dich nicht finden, niemals. Dein Ende wird auch das Ende ihres Glücks sein, das blühende Reich, das du erbautest, wird fallen über die Jahrtausende, langsam vergehen, bis nur noch Staub und Legenden davon erzählen werden. Und auch du wirst vergessen sein, genauso vergessen wie dein Reich, dein Volk. Sieh es ein, gib auf, es gibt kein Entrinnen für dich... du wirst hier sterben, du wirst hier sterben...

Langsam glitt er hinab in einen wenig heilsamen Schlaf, die wispernde Stimme im Hinterkopf nur schwerlich ignorierend – doch die Kraft, sie zu verdrängen, fehlte ihm schon lange. Stetig war sie lauter geworden, drängte sich ihm auf, ein unbestimmtes Flüstern, kaum hörbar, aber vorhanden.

„Wieder daheim...", wisperte Elladan, als er die Grenzen Lothlóriens überschritt. Doch im Gegensatz zu sonst wollte sich ein Gefühl des Glücks angesichts seiner Heimkehr nicht einstellen – im Gegenteil. Es schien ihm wie ein Verrat, hier zu sein und nicht dort, wo Legolas verschwunden war, um nach Spuren zu suchen. Die Krieger, die ihn begleiteten, schienen sich keine solchen Gedanken zu machen; sie sprachen bereits davon, wo in den Ländern um Lothlórien die Suche wohl starten sollte und wer ausgewählt werden würde, an ihr teilzunehmen. Sorge klang auch durch ihre Stimmen, aber ihre Zweifel waren nicht so groß wie die Elladans.

Nebelschleier leuchteten im blassen Sonnenlicht zwischen den einstmals so prächtigen Mellyrn des Goldenen Waldes. Schon lange hatten die stattlichen Bäume nicht mehr geblüht und würden es auch kaum jemals wieder tun, war Galadriel doch in den Westen gefahren und Arwen vor langer Zeit gestorben. Als Elladan auf seinem grauen Pferd zwischen den Farnen und Moosen hindurch ritt, durch den stillen Wald, in dem kein Vogel mehr sang, verblasste der letzte Glanz dieses goldenen Reiches langsam; der magische Wall, der seine Grenzen geschützt hatte, löste sich auf ins Nichts.

Vor Elladans Augen färbte sich der Boden rot vor Blut, die starren Augen der Erschlagenen blickten zu ihm auf. Der Wald war tot, nur noch die grauen Leichen der Bäume standen; einige wenige Elben standen inmitten der Ruinen dieses einstmals goldenen Landes und besahen sich zufrieden ihr Werk. Bosheit schien durch ihre Augen, wie er sie noch niemals bei einem vom Schönen Volk gesehen hatte, eine Bosheit, von der er nicht dachte, dass ein Wesen des Lichts sie besitzen könnte.

Er erhob sich über das verdorrende Blätterdach, flog wie ein Vogel über die Weiten Lande. Imladris, Ost-Lórien, Ithilien... der Wald der Grünen Blätter... zerstört von der unzähmbarer und blinder Wut, Machtgier, Lügen und Betrug. Nichts als Tod und Verderben, wohin er auch blickte, undurchdringliche Wolken vor der einst so hell und warm scheinenden Sonne und den silbernen Sternen der Nacht.

„Herr? Herr Elladan!"

Er schreckte auf, blickte verwirrt in die Augen des Elben neben ihm. Dann nickte er rasch und trieb sein Pferd wieder an, ritt schnell voraus in Richtung Caras Galadhon. Die Gabe der Voraussicht war nur teilweise von seinem Vater auf ihn übergegangen, aber so selten er auch Visionen hatte, wusste er doch, dass er sich auf die Gabe verlassen konnte. Nichts als Tod und Verderben...

„Herr Elladan, habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?", fragte eine Stimme, kaum, dass er das Zentrum Caras Galadhons erreicht hatte.

„Natürlich, Tirmo, für Euch immer", erwiderte er abwesend und folgte dem Elben auf dessen Talan. Zu seiner Überraschung fand er sich plötzlich Auge in Auge mit Lirulin wieder. „Du hier? Lirulin, solltest du nicht schon längst wieder in Eryn Lasgalen sein?"

Der Angesprochene nickte leicht, warf einen Blick zu Tirmo und begann dann zu sprechen. „So war es vorgesehen, ja. Doch Herr Tirmo bat mich, zu bleiben... soweit ich es verstanden habe, hat er einen Plan."

Überrascht sah Elladan den älteren Elben an. Tirmo nickte. „Lirulin hat mich richtig verstanden", stimmte er zu. „Es ist nur eine Idee, ein Gedankenfetzen, wenn Ihr so wollt, aber vielleicht die einzige Möglichkeit. Ich fürchte, es gibt einige Personen in den Reihen seiner Berater, die sein Verschwinden... sagen wir vorsichtig, befürworten. Lirulin wird nach Eryn Lasgalen zurückkehren und versuchen, betreffende Personen auszuhorchen."

„Woher wisst Ihr dies? Und warum meint Ihr, dass dies funktioniert?", fragte Elladan skeptisch.

Tirmo seufzte. „Fragt mich nicht. Und... ich weiß es nicht. Ich kann es wirklich nicht sagen – aber etwas anderes fällt mir nicht ein. Wir müssen Legolas finden, um jeden Preis..." Er beobachtete Elladan aus klugen Augen. „Ich ahne, was Ihr gesehen habt, Elladan, Elronds Sohn", sprach er dann. „Ich befürchte, dass eure Visionen schon bald Wirklichkeit sein werden, sollten wir ihn nicht finden."

„Wir dachten schon, dir wäre ebenfalls etwas zugestoßen", meinte Tuilinn erleichtert, als Lirulin Tage später die Grenzen Ost-Lóriens erreichten.

„Nein, nein... die hohen Herren Lothlóriens haben mich nur etwas aufgehalten", entgegnete Lirulin ausweichend. „Ich muss rasch weiter nach Eryn Lasgalen", fügte er hinzu, beachtete Tuilinns fragenden Blick nicht.

„Dann solltest du dich beeilen... und Caras Calen meiden."

Lirulin blickt erstaunt auf. „Was meinst du?"

Tuilinn sah ihn ungeduldig an. „Beeile dich, sieh zu, dass du hier wegkommst. Morgen früh wird der neue Statthalter eingewiesen... ich habe einen Blick in die Pläne werfen können, und die sehen es nicht vor, dass jemand ohne eingehende Befragung das Reich durchqueren kann. Irgend etwas stimmt da nicht, aber ich weiß nicht, was", erklärte der Elb leise, darauf bedacht, dass niemand mithören konnte. Sein Gegenüber nickte nur knapp, schwang sich erneut auf sein Pferd und ritt davon, war schon nach Sekunden nicht mehr zu sehen zwischen den dunklen Bäumen.

TBC...

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