Liderphin: Hm, könnte man so ausdrücken :)
Beta: Lalaithwen
Ein letzter Versuch
„Endlich", seufzte Lirulin erleichtert, als die Grenzen Eryn Lasgalens am Horizont erschienen. Er trieb sein erschöpftes Pferd noch einmal an, durchquerte den Wald schnell wie der Schatten eines Vogels. Noch vor Sonnenaufgang erreichte er die Feste. Schon von Weitem sah er eine in Weiß gekleidete Gestalt in einem der höchsten Türme, vermutete richtig, dass es sich um Mîrenithil handelte. Die Königsschwester stand schon lange dort, seit Tagen hatte sie sich kaum woanders aufgehalten. Ihre Augen blickten weit über den Horizont hinaus, suchten nach Spuren des Lichts, das ihren Bruder immer umgeben hatte. Und nicht nur ihren Bruder – auch die Grenzen seines Reiches hatten immer in diesem silbrigen Glanz geschimmert, wenn Fremde unbefugt in eines der Reiche eindringen wollte. Der Zauber war verschwunden, bot nun keinen Schutz mehr – dies bemerkte Lirulin sofort und er wurde bestätigt, als er die Tore des Schlosses offen vorfand. Nur die Macht des Königs konnte die verwunschenen Flügel schließen, die Macht eines rechtmäßigen Herrschers.
Schon als er die Grenzen überschritten und aus den Augenwinkeln einige Soldaten bemerkt hatte, die ihn misstrauisch beäugten, hatte sich ein merkwürdiges Gefühl in Lirulin breitgemacht, das Gefühl, das hier etwas nicht stimmte... und mit jedem Schritt, den er sich nun dem Thronsaal der Feste näherte, verstärkte es sich, wurde beinahe unerträglich. Kaum war er eingetreten, spürte er messerscharfe Blicke in seinem Rücken, fühlte Abneigung und Verrat. Ja, hier stimmte etwas nicht, hier stimmte rein gar nichts mehr.
„Du hast lange gebraucht, Lirulin", sprach Gildin verstimmt und maß den Elben mit einem abschätzenden Blick. „Ich dachte, es würde weit weniger Zeit in Anspruch nehmen, einen Brief zu überbringen." Seine Stimme war kühl, der Blick seiner Augen herablassend.
Verwundert sah Lirulin ihn einen Augenblick lang an, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Verzeiht, Herr", begann er, „doch Herr Tirmo wollte sich nicht mit dem, was er durch den Brief erfahren hatte, zufrieden geben, und bat mich, ihm Weiteres zu berichten."
Er schluckte, als er registrierte, dass Gildin mit dieser Ausrede alles andere als zufrieden war. Legolas' erster Berater wandte sich an Mîrenithil, die neben dem leeren Thron ihres Bruders saß.
„Mîrenithil, würdest du Gelir hierher bitten lassen?"
Legolas' Schwester war eine intelligente Frau. Ihr war klar, dass es Gildin nicht wirklich darum ging, mit Gelir zu sprechen – er wollte nicht, dass sie noch länger im Raum war. Wortlos stand sie auf und ging.
Normalerweise hätte sie sich heftigst gegen den Tonfall gewehrt, den ihr Gemahl seit einiger Zeit an den Tag legte. Doch irgendetwas sagte ihr, dass es besser für sie war zu schweigen. Hoffnung wohnte noch immer in ihrem Herzen; eine Stimme sprach zu ihr, sagte, dass sie nicht aufgeben solle zu suchen, denn Legolas... ihr Bruder... noch war sein Licht nicht erloschen. Noch lange nicht.
Stirnrunzelnd lauschte Tuilinn den Stimmen, die aus der Silbernen Halle drangen. Die Fürsten Ost-Lóriens waren gestern in Caras Calen eingetroffen, um sich darüber zu unterhalten, was bezüglich Legolas' Verschwinden zu tun sei. Tuilinn bezweifelte, dass sie bald zu seinem Ergebnis kommen würden. Im Gegenteil – es schien ihm, als wären einige unter ihnen, die wissentlich nur unwichtige Dinge zur Sprache brachten, die dagegen waren, wo eigentlich eine klare Mehrheit hätte entstehen sollen... hätte entstehen müssen, nach allen Regeln der Vernunft und Loyalität. Tuilinn glaubte schon lange nicht mehr, dass wirklich alle seiner Fürsten zeitlebens aufrichtig hinter Legolas gestanden hatten. Verrat hatte sich in seinen eigenen Reihen breitgemacht, unbemerkt von den Getreuen, die wahrlich blind waren vor Vertrauen in den endgültigen Sieg des Guten. Gefahr aus den eigenen Reihen? Undenkbar! Das Böse in der Welt war besiegt, nichts konnte den letzten der Elben mehr etwas anhaben...
Nur den Schatten in ihren eigenen Herzen, den konnten sie weder sehen noch besiegen und vergessen. Der Schatten verlangte nach all den Jahrtausenden wieder nach Raum, nach Dunkelheit, in der er leben konnte – und da es keine mehr gab, schuf er sie sich selbst. Verrat. Verrat im letzten Elbenreich Mittelerdes.
‚Das ist das Ende', schoss es Tuilinn durch den Kopf. ‚Ein einziges Reich unseres Volkes ist noch übrig in diesen Gestaden, und dies geht an sich selbst zu Grunde..."
Nur was tun? Ihm waren die Hände gebunden, sein Treueeid zwang ihn zum Schweigen gegenüber denen, die nun die Herrschaft an sich nahmen. Was hätte es auch gebracht? Viele standen hinter ihnen, teils aus Bosheit, teils aus Unwissen. Wem könnte er verständlich machen, welcher unglaubliche Verrat sich hier abspielte? Wenn er sich selbst nicht einmal sicher war, keine Beweise hatte?
Nein, Schweigen. Schweigen war sein Weg. Und warten. Hoffen.
„Eine Botschaft Gildins aus Eryn Lasgalen", meldete der Bote ihm. „Der neue Statthalter Ost-Lóriens soll bestimmt werden", fügte er auf Tuilinns scharfen Blick hinzu.
Dieser gab innerlich nach. Abwarten. Warten. „Tretet ein, die Herren erwarten Euch bereits."
Warten, warten und hoffen.
Zuhause ist, wo das Herz ist.
Der Spruch war so alt wie die Welt, doch er traf immer noch zu, auf jedes Volk Ardas.
Ein feines Lächeln huschte über Elrohirs ernstes Gesicht, als er die Bergpfade entlang auf das letzte heimelige Haus zuritt. Regenbögen überspannten das Tal, die feine Gischt der Wasserfälle erfüllte die Luft, golden schillernd im Licht der tief stehenden Sonne. Die Blätter der Bäume wehten leicht im Wind, säuselten von vergangenen Zeiten, als dieses Haus noch erfüllt war von Leben und Freude. Heute lag es traurig zwischen den Bergen, erloschen war das Licht in seinem Inneren, verschwunden das Lachen. Beinahe.
Elrohir zügelte sein Pferd, während er in den Hof einritt; aus Gewohnheit erhob er seinen Blick. Leuchtende Augen blickten zurück, tiefroter Stoff flatterte wie feuriges Laub als Ivanneth die Treppen hinunter eilte, um ihn zu begrüßen.
„Wo warst du nur so lang?", fragte sie vorwurfsvoll. „Kein Brief, keine Nachricht von dir, nur über Legolas wurde uns Kunde gebracht..."
„Ich fand keine Zeit, verzeih, melethril", meinte Elrohir entschuldigend und nahm ihre Hand.
„Ist es wahr?", erkundigte die Elbenfrau sich leise. „Legolas ist verschwunden, entführt...?" Elrohir seufzte tief und nickte betrübt. „Was geht hier vor? Rede mit mir, Elrohir, irgendetwas stimmt nicht. Unsere Fürsten reisen ab und an, als wären es Händler, Lathron ist hier und spielt sich auf, als wäre er Statthalter..."
„Was?", fuhr der Sohn Elronds dazwischen.
„Du hast mich richtig verstanden. Er behauptet, Gildin hätte ihn eingesetzt... ich habe ihm nicht geglaubt und auch keiner der Männer. Doch unwohl ist mir dennoch", berichtete Ivanneth, während sie das Haus betraten.
Elrohir blieb wie angewurzelt stehen.
Er würde sterben. Dies war ihm in den letzten Tagen klar geworden. Es gab kein Vertun mehr, er würde sterben. Nie wieder das Licht der Sonne erblicken, nie mehr unter stolzen Bäumen wandeln, nie mehr dem Gesang der Wälder lauschen und nie, niemals mehr das silberne Licht der Sterne in sich fühlen. Für immer, nie wieder.
Geahnt hatte er es. Ja, beinahe vorausgesehen. Aber er wollte es nicht glauben, niemals, unmöglich – und nun, nun war es zu spät. Für immer zu spät.
Er begann zu ahnen, zu wissen, was geschehen war. Begann zu glauben, dass es jemanden gab, irgendwo, der genauso wie er in der Dunkelheit gefangen war, der genauso wie er glaubte, niemals mehr einen strahlenden Tag erblicken zu dürfen. Der im Zwielicht ausharrte wie ein eingesperrtes Tier, der langsam verging angesichts der Nacht in und um ihn. Ja, er wusste, was geschehen war. Es stand klar vor seinen Augen, so klar, als wäre er dabei gewesen.
Ein Versuch war es gewesen, ein letzter Versuch.
Sie kamen, er konnte sie hören. Kamen, um ihn zu holen und für immer zum Schweigen zu bringen. Auch dies wusste er, ohne dass es ihm jemand gesagt hätte. Sie rissen ihn mit sich, in einen Raum tief unter der Erde, stießen ihn zu Boden.
Im schwachen Kerzenlicht schimmerte die polierte Schneide eines Elbenschwertes, eines Schwertes, dass noch kein unschuldiges Blut vergossen hatte – bis zum heutigen Tag.
Es war ein Versuch gewesen, ein letzter Versuch. Doch er war fehlgeschlagen.
Kein Laut kam Lirulin über die Lippen, als das Schwert auf ihn herabschlug, seinen Kopf im Bruchteil einer Sekunde vom Körper tränkte. Kein Laut, keine Angst in den Augen, kein Bedauern und kein Bereuen.
Ein letzter Versuch.
TBC...
Würde mich über Reviews freuen!
