Der Epilog - Aus die Maus...
Epilog
Die Zeit war dahin geflossen.
Tage waren gekommen und waren wieder gegangen, ohne einen Augenblick innezuhalten und ihm einen kurzen Atemzug zu gewähren. Die Sonne zog während des Tages ihre Bahn, während der Nacht Mond und Sterne. Jahreszeiten kamen und gingen wie der Wind, der mal Regen und Schnee, mal den Duft von Frühling und Freiheit mit sich brachte. Freiheit.
Es kümmerte ihn nicht mehr. Die Tage kamen, aber sie zogen an ihm vorüber. Wochen vergingen, Monate und Jahre, Jahrzehnte, ohne dass er auch nur einen einzelnen Moment in Erinnerung behalten hatte, einfach weil keiner es wert gewesen war. Nicht einmal Gefühle waren in seinem Gedächtnis geblieben, weil es nur ein einziges Gefühl gegeben hatte in all den Jahren: Erbitterung.
Besonders schlimm war es im Herbst, wenn Regen und Stürme einsetzten, die Welt in Grau versank. Dunkler wurde, als sie ohnehin schon war. Dann kamen Erinnerungen hoch an eine lang vergessene Zeit, eine Zeit, in der er die Hölle auf Erden durchlebt hatte. Damals war es noch anders gewesen. Sein Leben war anders, lebenswerter. Jeder einzelne Moment. Die Zeit, die er mit seinen Freunden verbracht hatte. Die Zeit, in der sie gemeinsam durch Mittelerde liefen, in der sie gemeinsam gekämpft hatten für etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte. Etwas, für das es sich zu sterben lohnte, aber auch zu leben. Wie lange war das her? Einige Jahrtausende vielleicht, er hatte aufgehört zu zählen.
Warum auch zählen? Warum auch leben? Die Frage stellte er sich jeden Tag, jeden Tag, an dem er sich einen neuen Unterschlupf für die Nacht suchte, durchnässt von Regen, und an diese Zeiten zurückdachte.
Keine Zeit zu ruhen. Sie waren hinter ihm. Weiterziehen, immer weiter. Immer dorthin, wo der Wind hinweht, wohin und soweit die Füße tragen. Wo konnte er hin? Vielleicht das verlassene Lothlórien. Ja. Es war Zeit für einen Besuch. Ein Gang unter den blassen Bäumen, die einst so stolz ihre goldenen Blätter trugen. Es war der einzige Ort, wo er noch ein wenig von dem Seelenfrieden finden konnte, der ihm gestohlen worden war. Aber es machte keinen Unterschied. Den wenigen Tagen der Linderung folgten unzählige, in denen er wieder vergaß, wie es sich damals angefühlt hatte. Wie es sich angefühlt hatte, eine Aufgabe zu haben und Gefährten an der Seite; wie sich Triumph anfühlte, die Sehnsucht nach dem Meer. Wie es sich anfühlt hatte, glücklich zu sein.
Es nahte. Die Zeit nahte, in der er gebraucht werden würde, hier in Mittelerde. Doch was hieß das schon? Es konnten dennoch Jahrtausende sein. Und obwohl die Tage vorbei strömten, obwohl er keinen Moment in Erinnerung behalten konnte oder wollte, zogen sich die Sekunden und Minuten dennoch zu Ewigkeiten. Jeder Tag eine Ewigkeit und morgen wieder vergessen.
Vergessen waren die kurzen Tage der Freiheit.
Sie hatten ihn eingeholt, ihn, der verletzt und schwach geflohen war, hatten ihn eingeholt kurz vor den Grenzen Lothlóriens, hatten ihn wieder zurückgebracht und eingesperrt. Hatten ihn verspottet und verhöhnt. Hatten ihm erzählt von dem, was in seinem einstmals so blühenden Reich vor sich ging. Von seiner Schwester, die nur noch ein Schatten ihrer Selbst war. Elladan, gefangen unter der grausamen Hand Gelirs. Elrohir, getrennt von seiner Gefährtin und seiner neugeborenen Tochter. Der Glanz der Eldar, verloschen.
Wieder war er hier. Wieder gefangen. Das Vergessen ging weiter, und langsam begann er zu glauben, was die winzige Stimme der Vernunft ihn glauben machen wollte: Er würde enden als Staub, vergessen von der Welt, und seine Reiche würden bald nur noch Asche sein. Zweimal war er bereits geflohen vor denen, von denen er immer noch nicht wusste, wer sie waren, warum sie ihn quälten, zweimal hatten sie ihn eingeholt und wieder zurückgebracht.
Aber ein nächstes Mal würde es nicht geben. Er hatte gelernt zu warten, in der Dunkelheit auszuharren, immer in der Aussicht, die kleine Kerze neben ihm anzuzünden, aber ohne es jemals zu tun, zu warten darauf, dass die Wächter unvorsichtig wurden. Kein nächstes Mal. Sein dritter Ausbruch würde sein letzter sein, niemals mehr würde er hierhin zurückkehren. Er würde diejenigen finden, die für sein Leid und das seines Volkes verantwortlich waren, er würde sie finden oder bei dem Versuch sterben.
Was würde es auch machen? Auf eine Art und Weise war er bereits tot, schon lange gestorben in dem dunklen Loch, dass sein zu Hause geworden war. Ewigkeiten war er schon hier, Ewigkeiten würde er noch hier warten, wenn es sein musste. Er würde hier warten, würde jede einzelne Wunde und jede Folter vergessen, würde nur für den Moment leben. Für diesen einen Tag. Doch noch war es nicht soweit. Noch war jeder Tag eine Ewigkeit und morgen wieder vergessen.
Noch gab es nur Zwielicht um ihn herum, Zwielicht, dem irgendwann eine sternhelle Dämmerung folgen würde.
ENDE
So, ich habe fertig ) Und wenn ich noch ein paar Reviews kriege, poste ich auch gerne die Fortsetzung zu "Zwielicht" ;)
