Samusa: Immer doch :) Hier kommt das Update...
Mingchen: Danke, vielen Dank für dein Review! Es freut mich immer wahnsinnig, wenn sich jemand Neues meldet!
Lady Adamas: WOW! Danke für diese superausführliche Review! Fühl dich umgeknuddelt!
Ivy: Danke!
Bittersweet
Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Es schien kein Ende nehmen zu wollen. Immer wieder ging die blasse Sonne über dem weit entfernten Horizont auf, sandte schwaches Licht unter Deck, weckte sie – unter anderen Umständen wäre sie noch ein Weilchen liegen geblieben, hätte sich erfreut an der Schönheit des neuen Tages, an den Sonnenstrahlen, die sie im Gesicht kitzelten, an dem Licht, das sie beinahe schmecken konnte, an der Wärme, die es auf ihre Wangen zauberte. Doch hier – eingesperrt wie wildes Getier – schien die Sonne ihrer zu spotten mit jedem Morgen, an dem sie ungezähmt und frei den Horizont verlassen konnte, ohne dass sie jemand aufhalten konnte, selbst wenn dieser jemand es gewollt hätte.
So erwachte sie auch an diesem Morgen, mit dem Gefühl der Demütigung im Herzen, das nicht mehr weichen zu wollen schien. Blinzelnd sah sie einen Augenblick lang hoch, ehe ihr Blick sofort das blasse Gesicht Legolas' suchte. Bevor ihre Finger ihren eigenen, steif gewordenen Nacken massierten, strich sie über seine Stirn, nur um wieder den kalten Schweiß zu fühlen, tastete sie nach seinem Herzschlag, um wieder ganze Felsbrocken von ihrem Herzen fallen zu spüren, wenn sie das unnatürlich schnelle Schlagen fand – aber immerhin. Sein Herz schlug noch, noch lebte er.
Die Frage war nur, wie lange noch.
Wäre Faire eine Katze gewesen, hätte sie vielleicht den Gestank der Furcht gerochen, der in der Luft lag und sie alle erdrücken wollte wie eine schwere dunkle Decke. Sie war kein Tier – so spürte sie nur die Angst, die unausgesprochene Panik, die verzweifelten Blicke um sie herum... und war froh darüber. Sie konnte es nicht ertragen, einem der Elben in die Augen zu sehen... und noch weniger dem Zwerg, der jeden Abend kurz davor schien den Verstand zu verlieren, wenn Legolas' Zustand sich wieder einmal nicht gebessert hatte, wenn er durch das Dämmerlicht hindurch die geschlossenen Augen und blauen Lippen seines langjährigen Freundes sehen konnte. Doch beinahe noch grausamer für sie war der Anblick des Elben, der allein in einer Zelle neben der ihren ausharrte. Verdunkelt war der Blick seiner waldgrünen Augen, leer und ohne Ausdruck, stur und starr auf das Gesicht seines Herrn gerichtet, auf das Gesicht desjenigen, den er eigentlich vor dem Tod zu beschützen hatte mit seinem Leben – dessen langsamen Verfall er nur mitansehen konnte durch Gitter und Ketten, hilflos, hoffnungslos.
Und aus irgendeinem verqueren, mit keiner Logik oder Vernunft nachvollziehbarem Grund glaubte auch sie selbst, dass der nächste Tag ihr Ende sein würde, glaubte auch sie selbst, ihr Herz zerreissen zu spüren mit jeder tatenlos vergeudeten Stunde, mit jedem hilflosen Blick, mit jedem vorrüberziehenden Tag hier, auf diesem Schiff, auf ihrer Reise ins Ungewisse.
... Reise ins Ungewisse. Seit sie Nirnaeth hinter sich gelassen hatten, war kein Land mehr in Sicht, in keiner Himmelsrichtung, nicht einmal die Gipfel von Bergketten oder Schwärme von Möwen, die ihnen ein Hinweis gewesen waren auf Land oder wenigstens andere Schiffe, Fischer vielleicht, die ein wenig weiter hinaus gefahren waren auf die ruhige See als gewöhnlich. Niemand wusste, wohin sie gehen sollte. Niemand wusste, wie lang sie noch dauern würde. Niemand wusste, ob sie dieses Schiff jemals wieder lebend verlasen würden.
Und aus irgendeinem verqueren, mit keiner Logik oder Vernunft nachvollziehbarem Grund war sie dennnoch froh. Trotz der Schmerzen und der Wunden... er war hier, und das war alles, was sie gewollt hatte – in seiner Nähe bleiben zu dürfen, bei demjenigen, der in ihren Augen für Hoffnung stand und für Freiheit... für alles, was sie sich immer gewünscht hatte. All das, was niemand sonst ihr zu geben können schien... nur er, der hier in ihren Armen im Sterben lag.
Ihr war der Zynismus der Situation schmerzlich bewusst. Was erwartete sie eigentlich? Dass er sie mit sich nehmen würde, sobald jemand kam und sie aus der Gefangenschaft befreite? Dass er ihr das Leben schenkte, das sie sich immer erwünscht hatte, in Frieden und ohne all das Unrecht, dass sie tat um am Leben zu bleiben? Was hatte sie sich erhofft...?
... und wie dumm war sie nur gewesen, sich dieser Hoffnung hinzugeben? Blind und taub hatte es sie gemacht, unantastbar für anderes, was ihr gegeben wurde, von anderen Personen, nicht von ihm.
Ihre Gedanken wanderten weiter, zu Sanye, zu diesen letzten Satz, den sie von ihm gehört hatte. Was habt ihr mit ihr vor. Noch immer klangen seine Worte in ihren Ohren, noch immer tröstete sie die Sorge seiner Stimme in den kalten, zugigen Nächten auf See... zauberte in stillen Momenten, wenn sie sich nur auf diese wenigen Worte konzentrierte, gar ein feines Lächeln auf ihr Gesicht. Blind und taub hatte es sie gemacht, unantastbar für anderes, was ihr gegeben wurde.
Ein bitteres Lächeln stahl sich auch jetzt auf ihr Gesicht, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie ansah. Einsichtig war sie geworden, ja, aber ihre Einsicht kam zu spät. Erst, als sie Nirnaeth hinter sich gelassen hatten, als sie durch die Ritzen zwischen den Holzplanken die Felseninsel am Horizont verschwinden sah, zusammen mit all den Männern, die ihr gute Freunde gewesen waren, zusammen mit Sanye... erst da hatte sie begriffen.
Und nun... nun war es zu spät für Reue. Zu spät um zurückzuschauen. Zu spät für ihre wenig weise Einsicht.
Da war sie hingegangen.
Tage war es nun her, seit er am felsigen Ufer Nirnaeths gesessen hatte, beobachtend, wie die Cirya im Schlepptau der Elerína am Horizont verschwand... und mit ihr alles, wofür er jemals gekämpft, gelitten, gelebt hatte. Dieses Schiff... mit allem, was dazu gehörte, mit Planken und Tauen und Segeln, weiß wie Frühjahrsschnee, und auch mit Blut und manchmal sogar Ratten, war sein Leben gewesen, mit allem, was es bedeutete. Freiheit. Und mit jedem einzelnen seiner Männer... und mit Faire.
Er spürte es erneut – Wut. Wie immer stieg Wut in ihm auf, wenn er sich in Erinnerung rief, was vor kurzem erst geschehen war... wenn er daran dachte, dass er immer noch nicht wusste, was es war, dass sie zum Weinen gebracht hatte. Wenn er daran dachte, dass sie ihm nicht genug Vertrauen entgegen gebracht hatte, um mit ihm darüber zu sprechen. Wenn er daran dachte, dass es Legolas gewesen war, der die Schuld an ihren Tränen trug.
Mit einem zornigen bis resignierenden Seufzer wandte er sich von dem farbenprächtigen Sonnenuntergang ab und suchte wieder das Lager auf, dass er und seine Leute sich in Anbetracht des Mangels an Decken und ähnlichem aus ihren Umhängen und Hemden gebaut hatten, um in der Nacht wenigstens etwas Schutz zu finden vor dem kalten Wind, der von Norden heraufzog. Viel nützen würde es ihnen nicht – es gab nichts auf der Insel der Klage. Keine Tiere, keine Pflanzen, nicht einmal Wasser. Nur das bisschen Tau, das in den frühen Morgenstunden auf den nackten Felsen zurückblieb. Lange würden sie davon nicht leben können.
Wortlos setzte Sanye sich wieder zu den teilweise schon in die schlafähnlichen Träume der Elben gesunkenen Männern, lehnte sich in einer einigermaßen bequemen Position an einen Felsbrocken und starrte in den Himmel, versuchte ein wenig Ruhe zu finden und die Kraft, die er jetzt so dringend brauchte.
Er legte einen Arm um den kleinen Tinwe, der neben ihm saß und selbst im Schlaf zitterte angesichts der Kälte, die sich herabsenkte. Und während er selbst hinabsank in eine heile Welt der Träume, fragte er sich, wie lange sie wohl noch zu leben hatten.
TBC...
