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Never stop dreaming
„Wie viel Zeit gebt Ihr ihm noch?"
„Zwei Tage. Eher weniger."
Mit steinernem Gesicht stand Néndil am Steuerrad, den Blick stur geradeaus gerichtet. Seit Tagen hatte er kein Wort mehr gesprochen, mit keinem seiner Männer, und sie alle gingen ihm aus dem Weg – die kalten Blicke, die er um sich warf, sagten mehr als tausend Worte. Er war schlecht gelaunt und es war nicht gut, ihm in die Quere zu kommen; in solchen Gemütszuständen war er unberechenbar. Lieber wären die Männer freiwillig über Bord gesprungen, als seinen Zorn auf sich zu ziehen. Niemand wusste, worum sich die Gedanken des Kapitäns drehten; selbst wenn es die Elben interessiert hätte, hätten sie es wohl niemals gewagt, ihn danach zu fragen. Tatsächlich hätte Néndil die Elerína wohl eher alleine gesegelt, als einem von ihnen zu verraten, worum seine Gedanken kreisten.
Nicht einmal er selbst wusste es genau. Es war... ein Schatten, ein Flüstern im Wind, das ihn beunruhigte. Die Ahnung einer Gefahr, ein Hauch von Nichts, kaum greifbar – aber es war da, raubte ihm die Erholsamkeit des Schlafes und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Selten hatte er sich so unwohl gefühlt, wenn er an Gefangene dachte, selten beschlichen ihn derart ungute Vorahnungen. Etwas zog herauf, jemand schickte sich an, die Ruhe zu stören... kurz, einen Wimpernschlag lang beschlich ihn der Gedanke, dass es ein Fehler gewesen sein könnte. Nicht, die Cirya zu überfallen – diese Tat war schon lange von Nöten gewesen – sondern, Legolas gefangen zu nehmen. Er fühlte, dass etwas an der Tatsache, dass dieser Elb hier an Bord war, nicht gut war für ihn.
Neben seiner Unruhe fühlte er aber auch noch etwas anderes, wie er dort still am Steuer stand und in sich hineinhorchte – Wut. Auf sich selbst.
Darüber, dass er zweifelte. Schon so lange war er nun auf See, so lange ein Pirat – seine Skrupel lagen bereits seit Ewigkeiten gefesselt und geknebelt in einem Verlies seines Bewusstseins, sein Gewissen vegetierte eingesperrt im tiefsten Kerker seiner Seele, seine Moral war versunken in den dunklen Tiefen des Ozeans – doch immer noch gab es etwas in ihm, das an ihm nagte. Eine wispernde Stimme in seinem Hinterkopf, die fragte, beständig fragte und sich nicht zum Schweigen bringen ließ – zum Verstummen, ja, für Tage oder gar Monate, aber niemals zum Schweigen.
Mehr als einmal hatte er in den letzten Tagen darüber nachgedacht, dem ein Ende zu setzen. Sich der Gefangenen zu entledigen und damit diesen finsteren Gedanken. Mitsamt seinem Bruder, dem gegenüber er immer versucht war, weich zu werden... den Hass zu vergessen, der seit Ewigkeiten herrschte zwischen ihnen und den so unterschiedlichen Entscheidungen, die sie trafen an ihrem persönlichen Scheideweg.
Mit einem wütenden Ruck am Steuerrad, der das Schiff ins Schlingern brachte, riss Néndil sich aus diesen Gedanken heraus. Er würde dies beenden, aber so, wie er es wollte – und sich nicht dem Gewissen beugen, das sich regte in den Tiefen seines Selbst.
Die folgenden zwei Tage stand er dort an Deck während Tag und Nacht, beinahe regungslos verharrend, lautlos, sicher steuernd das schneeweiße Schiff zu einem Ziel, das nicht einmal er selbst kannte. Solange, bis an einem Morgen, als er gerade eine felsige Insel umschifft hatte, der Elb im Ausguck einen entsetzten Ruf ausstieß.
Faire wusste nicht, ob Zwerge beteten. Selbst wenn, wäre sie sich in diesem Moment auch nicht sicher gewesen, ob Gimli es tat oder Verwünschungen ausstieß... der Zwerg hatte die Augen zusammengekniffen, seine Finger krallten sich in das Stroh auf dem feuchten Boden, er murmelte Worte in seiner eigenen Sprache. Wie lange, wusste sie nicht, wusste er nicht, wusste niemand hier. Sie hatten jedes Zeitgefühl schon lange verloren, jede Hoffnung aufgegeben.
Legolas bewegte sich unruhig. Er schien von der Bewusstlosigkeit in einen wenig heilsamen Schlaf geglitten zu sein, der nicht lange wären würde. Seine Träume waren dunkel und wirr, Bilder kamen und verschwanden viel zu schnell, als dass er ihnen hätte folgen und sie begreifen können, Töne und Klänge schienen in seinen Ohren zu dröhnen wie Donnerschläge im Gebirge, ganze Welten strömten auf ihn ein in seinen Träumen. Wellen rauschten tosend an dunkle Felsstrände, über dem Meer erhob sich ein blutroter Mond, geboren aus dem Ozean, einem Ozean aus Leid und Schreien. Wolken tobten über den finsteren, sternlosen Nachthimmel, warfen Schatten auf das unruhige Wasser. Er wurde umhergeschleudert von den Wogen, immer Gefahr laufend, zerschmettert zu werden an den spitzen Felsen, immer Gefahr laufend, zu ertrinken in dem salzigen Meer, sich selbst zu vergessen angesichts der Schreie und des Blutes und der... Hoffnungslosigkeit der Gesichter in den Wolken, die ihn ansahen, klagend, vorwurfsvoll, voller Abscheu und sogar Hass.
Faire horchte auf, als sich schwere Schritte näherten. Eilige Schritte. Männer rannten über das Deck über ihnen, hektisch, als ob jemand sie antriebe. Stimmen wurden laut, tönten bis hier hinunter, doch konnte man nicht verstehen, was sie sagten. Faire und die Elben sahen sich besorgt an, Beriod seufzte kaum hörbar und sank gegen die Wand neben ihm, Gimli reagierte überhaupt nicht.
Legolas bemerkte von alle dem nichts; zu tief war er versunken in dem Ozean, der ihn gefangen hielt und in die Tiefe zog, so sehr er auch versuchte, gegen die Strömung anzuschwimmen. Die Welt verschwamm, es gab keinen Himmel mehr in der Höhe, keine Tiefe mehr in der Zeit, nur noch Dunkelheit, Blut und Schreie...
... und Licht...
Mit letzter Kraft hielt er sich an der Wasseroberfläche, riss die Augen auf und blickte gen Westen, oder dahin, wo einst der Westen war. Dort schimmerte eine leuchtende Morgenröte, ein Bogen aus Licht wölbte sich über dem fernen Horizont. Wie ein Juwel, beschienen von Sternen, schimmerte Licht dort, erhellte den finsteren, tiefen Ozean und den endlosen Himmel darüber. Seine Kraft und sein Wille kehrten in seinen Körper zurück, gaben ihm den nötigen Mut, zu schwimmen in Richtung des scheinbar unerreichbar fernen Lichts, das Wärme und Geborgenheit versprach, Erlösung von Schmerz und der ewigen Angst dieser See. Mit aller Macht schwamm er, schneller als jemals zuvor, bis seine Lungen brannten und ihm jeder Muskel schmerzte, sein Herz pochte als wolle es zerspringen in seiner Brust...
Wärme durchströmte seinen geschwächten Körper, ließ das Eis schmelzen, das sich breitgemacht hatte in seiner Seele. Das Licht drängte die Schatten zurück, die sich seiner bemächtigen wollten, drängte sie zurück in die Tiefen seiner Seele, aus denen sie gekrochen waren.
Er tauchte ein ins Licht, wurde ein Teil von ihm. Die Seligkeit und der Frieden, die er so lange verloren hatte auf der Reise seines Lebens, kehrten zurück.
Legolas schlug die Augen auf.
TBC...
Reviews? Bin auch gaanz lieb und poste schnell weiter :)
