Giselle
1. Kapitel "Sing noch einmal für mich"
Die aufgeregt stolpernden Schritte hallten von den feuchten Steinwänden wider. Die Kerze warf gespenstische Schatten auf ihr angespanntes Gesicht. Er starrte auf ihren Nacken, während er versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Aprupt blieb sie stehen. Er prallte unbedacht gegen sie. Überrascht stellte er fest, wie fest und durchtrainiert ihr schmaler Körper war. Verschämt trat er einen Schritt zurück. Sie drehte sich um, ihr Blick war voller Entrüstung. Doch als sie bemerkte, wie ihm das Blut in das Gesicht stieg, drückte ihr ganzes Gesicht tiefe Verachtung aus. Sie warf einen Blick in die dunkle Tiefe und schloss schaudernd die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sagte sie mit zitternder Stimme: "Weiter wage ich nicht zu gehen."
Raoul schluckte, dann nickte er und sah sie wartend an, als hoffe er, dass sie ihre Aussage zurücknehmen würde. Als nichts geschah, sagte er "Danke", zog sein Jackett aus und machte sich mit verzweifelter Entschlossenheit selbst auf den Weg. Sie sah ihm unbeteiligt nach.
Christine sprang auf, als sie Raoul triefend auf der anderen Seite der Eisengitter stehen sah. Erik lächelte triumphierend. "Es scheint, als hätten wir einen Gast." Er betätigte den Hebel, der die Eisengitter hob, und ging langsam auf den jungen Mann zu. Raoul hob sein Kinn und sah ihn herausfordernd an, beide Hände zu Fäusten geballt. Erik drehte sich langsam zu Christine um. "Ist das wirklich das, was du willst?" Als sie nickte, sagte er resigniert: "Dann geh- geh mit ihm." Zögernd machte sie mehrere Schritte auf Raoul zu. Als sie fast bei ihm war, sprach er noch einmal:
"Bevor du gehst- sing noch einmal für mich." Sie sah Raoul fragend an, und als er nickte, entfernte sie sich einige Schritte von ihm und schloss kurz die Augen. Sie schien entschlossen, sich zum Abschied selbst zu übertreffen.
"Denk an mich, ..."
Sie setzte zur den letzten, hohen Tönen an. Hinter ihr hob Erik langsam eine Axt aus dem Wasser.
Madame Giry trat aus einem verborgenen Gang heraus. Sie seufzte, als sie ihn mit bluttriefendem Hemd neben den beiden kopflosen Leichen sah. "Ah, ich sehe, du bist fertig." Er drehte sich zu ihr und hielt ihr die Axt an den Hals. Sein Blick war amüsiert und selbstzufrieden. Sie lächelte.
"Möchtest du die Axt mitnehmen?"
"Wohin?", fragte er betont unschuldig.
Ihr Blick wanderte langsam zum Bett und dann wieder zu seinem Gesicht. Mit einem wissenden Lächeln ließ er die Axt fallen und zog sie langsam an sich.
A/N: Für die von euch, die ihre Sprachkenntnisse aufmöbeln wollen, gibt es die Geschichte auch auf Englisch.
