Giselle - Kapitel 2
Pointes Noires
Er wachte auf. Einen
Moment lang fragte er sich, was ihn geweckt hatte, bevor er
feststellte, dass sie sich von ihm weggedreht hatte. Er wollte gerade
den Arm ausstrecken, um sie wieder zu sich heranzuziehen, als sein
Blick auf die kopflosen Leichen fiel. Vielleicht wäre es besser,
den unschönen Anblick zu beseitigen, bevor sie aufwachte. Obwohl
er sie in der letzten Nacht keinesfalls gestört hatte ...
Er
lächelte, in Erinnerungen schwelgend, während er die Körper
wegschaffte. Bei seiner Rückkehr kam er an einem unfertigen Paar
schwarzer Spitzenschuhe vorbei. Er nahm sie in die Hand und fühlte
plötzlich wieder den Samtstoff des Sessels in der Loge fünf
...
... unten auf der Bühne
tanzte sie die schönste Julia, die das Opernhaus jemals gesehen
hatte. Ihre Bewegungen besaßen eine Melancholie, die für
ihre Jugend völlig verfrüht schien. Ihre leuchtenden Augen
waren ins Nichts gerichtet, und sie schien nur für den
Augenblick zu tanzen. Der Rock ihres Tutus wiegte sich schweigend hin
und her, während ihre Perfektion andächtige Stille
hervorrief. Die schwarzen Spitzenschuhe, in die sie ihre
durchtrainierten Füße gezwängt hatte, hoben sich
deutlich von den weißen Beinen ab.
Nur hin und wieder gelang
es ihm, den Blick von ihr zu wenden, und was er sah, ließ ihn
vor Zorn erstarren. Es gab keinen einzigen des gesamten Publikums,
der nicht ihrer Hingabe verfiel und dessen Augen nicht auf ihr
brannten. Besonders in den Augen der jungen Männer las er mehr
Bewunderung, als ihm lieb war.
Auch sie konnten sich ihrer Wirkung nicht entziehen und verloren die Kontrolle über ihre Gesichtszüge. Die ganze Oper atmete wie ein einziges Wesen, das sich ihrer Bewunderung verschrieben hatte. Seine Hände krallten sich schmerzhaft in das Polster seines Sessels. Er wusste, dass sie nur ihm gehörte- doch die Blicke der Männer trieben ihn fast in den Wahnsinn. Abrupt stand er auf und verließ seine Loge, lief in ihre Garderobe und verbarg sich hinter ihrem Paravon, um dort auf das Ende der Vorstellung zu warten.
Er roch ihr Parfum selbst dort, und seine Eifersucht raste ihm durch die Adern. Nach einiger Zeit hörte er tosenden Applaus und er seufzte erleichtert. Die Männer würden nicht mehr lange ihren Anblick genießen dürfen...
Die Tür wurde leise geöffnet, er hörte, wie sich leichte Schritte dem Paravon näherten. Eine Männerstimme dröhnte durch die Garderobe und er zuckte zusammen. "Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen." Sie drehte sich mit einem Lächeln um. "Ja, sicher", sagte sie.
Ein anderer Mann betrat den Raum. Erik spürte seine unangenehme Ausstrahlung. Sie reichte dem Mann die Hand, welcher sie einnehmend ergriff und zum Mund führte. "Comte de St. Ives zu Ihren Diensten. Ich würde Sie gerne erneut um Ihre Gunst bitten." Sein Lächeln verbarg in keinster Weise seine anzüglichen Gedanken. Erik ballte seine Hände zu Fäusten und hielt sich nur mit Mühe davon ab, hinter dem Paravon hervorzuschießen und dem Comte an Ort und Stelle böse Dinge anzutun, die ihm ein boshaftes Lächeln auf die Lippen zauberten.
"Wenn Sie mich begleiten würden..." Sie ergriff den auf dem Paravon hängenden Mantel. Erik atmete scharf ein. Dann verließ sie mit dem Comte und dem Operndirektor den Raum. Das letzte, was Erik sah, war die Hand des Comte, die gefährlich nah an einer unanständigen Stelle ihres Körpers ruhte. Selbst Erik berührte sie dort nur im Dunkeln.
Einige Stunden später saß er auf seinem Bett, starrte seine Hände an und malte sich die schrecklichsten Situationen aus, die ihm in den Sinn kamen. Er mochte gar nicht daran denken, was sie mit dem Comte tat. Gehetzt fuhr er sich mit den Händen durch die Haare und zitterte nervös. Plötzlich durchbrachen ihre Schritte die angespannte Stille der Höhle. Augenblicklich sprang er auf.
"Wo bist du gewesen?" Seine Stimme hallte drohend von den Wänden der Höhle wider.
Sie hob fragend die Augenbrauen.
"Ich war in der Garderobe- also spiel mir nichts vor." Die Wut der letzten Stunden brach aus ihm hervor, und er wollte sie auf sie schütten mit aller Boshaftigkeit, die er in sich hatte.
"Hat dir mein Tanzen nicht gefallen?"
"Ich habe gesagt, du sollst mir nichts vorspielen." Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Widerspruch mehr zu.
Sie lächelte verführerisch. "Musst du das wirklich wissen?"
"Er hat dich angefasst. Er hat dich überall angefasst. Ich kann ihn noch an dir riechen. Es ist widerlich."
Sie legte ihm die Hand in den Nacken. "Das weißt du doch gar nicht..."
Er schloss die Augen. "Du wirst mich nicht davon abbringen, dass ich... nicht so... ich habe dich gefragt, wo du gewesen bist!"
Sie lehnte sich an ihn und sah ihm tief in die Augen. "Die Nacht ist zu kurz, um sie so zu verbringen..." Er verstand augenblicklich ihre Andeutung. Ein wissendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Diese Nacht scheinst du besonders intensiv zu nutzen." Sie seufzte. "Lass mich dir zeigen, wie intensiv..."
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Er ärgerte sich darüber, nachgegeben zu haben. Dann drehte er sich zu ihr und strich ihr ein Haar aus der Stirn. Sie räkelte sich zufrieden und lächelte ihn an. Er beugte sich über sie und küsste ihr Ohr. "Wenn du noch einmal für einen Anderen tanzt...", flüsterte er mit ruhiger Stimme.
Für einen kurzen Moment schlich sich Furcht in ihre Augen. Dann küsste sie ihn, ihr Einverständnis gebend.
Sie wachte auf. Sie zog die Bettdecke zur Seite und betrachtete ihre wunden Füße. Wieder einmal hatte sie die halbe Nacht für ihn getanzt, wie sie es immer tat. Er reichte ihr ein Paar neue, schwarze Spitzenschuhe. Sie nahm sie in die Hand und betrachtete sie. "Ich habe sie verbessert. Damit du das Blut nicht einmal mehr spürst."
A/N: 'tschuldigung, wir vergaßen: Uns gehört keiner der genannten Charaktere außer dem Comte. Wer ihn benutzen will, fragt bitte. Und wer nicht, auch gut. Wir können's verstehen, mögen ihn auch nicht.
